RA Simon Heinzel, Fachanwalt für Familienrecht
- Umgang
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21.07.2015 – Az. 4 UF 379/14 – § 1684 BGB
NZFam 2016, Seite 572
Findet ein Umgang nicht statt, obwohl für diesen bereits Aufwendungen seitens des umgangsberechtigten Elternteils getätigt wurden, kann dieser vom anderen – betreuenden Elternteil – Schadensersatz geltend machen.
Den betreuenden Elternteil trifft eine Wohlverhaltensverpflichtung. Findet ein Umgang nicht wie vereinbart oder gerichtlich angeordnet statt, kann bei Vorliegen der Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen (Androhung von Ordnungsgeld, Zustellung des Umgangsbeschlusses) vom Gericht ein Ordnungsgeld verhängt werden (§ 89 FamFG). Darüber hinaus kann sich der betreuende Elternteil schadensersatzpflichtig machen, es sind drei Fallgruppen zu unterscheiden:
- Der umgangsberechtigte Elternteil hat es allein zu verantworten, dass der Umgang nicht stattfindet.
- Der betreuende Elternteil hat es allein zu verantworten, dass der Umgang nicht stattfindet.
- Beide Elternteile haben es zu verantworten, dass der Umgang nicht stattfindet.
Im ersten Fall hat selbstverständlich der umgangsberechtigte Elternteil keinen Anspruch, vielmehr besteht sogar die Gefahr, dass der betreuende Elternteil Dispositionen getroffen hat wegen des Umgangs beim anderen Elternteil und durch die Nichtwahrnehmung des Umgangs zusätzliche Kosten entstanden sind (nicht der Fall der hiesigen Entscheidung).
Trifft den betreuenden Elternteil ein Alleinverschulden am Ausfall des Umgangs, besteht Schadensersatzpflicht. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Fälle, in denen der umgangsberechtigte Elternteil aus großer Entfernung anreist, aber der Umgang nicht stattfindet, weil der betreuende Elternteil dies grundlos verweigert.
In den Mischfällen kommt es auf den Einzelfall an.
Im hier zu entscheidenden Fall hat das OLG Schadensersatz für einen nicht stattgefundenen Umgangstermin in Form des Ersatzes der Fahrtkosten und eines Verdienstausfalles zugesprochen, bei dem die Mutter aufgrund einer – vermeintlichen? – beruflichen Verhinderung eine Verschiebung des gerichtlich angeordneten Umgangstermins mit dem Vater vereinbaren wollte, dieser jedoch nicht damit einverstanden war. Die Mutter ist dann eigenmächtig ferngeblieben bzw. hat den Umgang nicht gewährt. Hier hat das OLG entsprechenden Schadensersatz zugesprochen. Ebenso hat das OLG Schadensersatz zugesprochen für einen nicht stattgefundenen Umgang, bei dem das Kind sich geweigert hat, einen Umgang durchzuführen. Die Mutter konnte insoweit nicht darlegen, dass und wie sie es versucht hat, positiv auf das Kind einzuwirken, was ihre Pflicht gewesen wäre (BGH, FamRZ 2012, Seite 533). Ebenso erhielt der Vater Schadensersatz für einen weiteren Termin, bei dem er wegen verkehrsbedingter Schwierigkeiten verspätet erschienen ist, er dies vorab auch telefonisch angekündigt hat. Die Kindsmutter hatte es vorgezogen, vor dem – verspäteten – Eintreffen des Vaters sich mit dem Kind zu entfernen, obwohl ihr ein Zuwarten im konkreten Fall zumutbar war (Verletzung der Mitwirkungsverpflichtung). Keinen Schadensersatz hat der Vater erhalten für einen Termin, an dem die Mutter vorab angekündigt hat, mit dem Kind im Urlaub zu sein. Das entschuldigt die Mutter zwar nicht, da sie den Urlaub so nicht legen darf, mit der Folge, dass ein Ordnungsgeldantrag erfolgreich wäre, einen Schadensersatzanspruch kann er jedoch nicht geltend machen, da er ja wusste, dass die Mutter mit dem Kind nicht da ist. Er hätte gar nicht erst anreisen dürfen.
Für die Praxis ist daher von Bedeutung, dass sich der vereitelnde umgangspflichtige Elternteil schadensersatzpflichtig macht, daneben aber auch Ordnungsgeldfestsetzungen ausgesetzt ist. Häufig wird jedoch in der Praxis ein Schadensersatzanspruch oder eine Ordnungsgeldfestsetzung an einem Verschulden scheitern, da Entschuldigungsgründe nahezu in jedem Fall gesucht und auch häufig gefunden werden.
- Sorgerecht
OLG Jena/Thüringen, Beschluss vom 07.03.2016 – Az. 4 UF 686/15 – §§ 1628, 1687 BGB
NZFam 2016, Seite 431 / FamRZ 2016, Seite 1175
- Die einem getrennt lebenden Elternteil zustehende Alltagssorge (1687 BGB) umfasst nicht die Befugnis, über die Vornahme oder Nichtvornahme von Schutzimpfungen seines minderjährigen Kindes autonom zu entscheiden. Es handelt sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i. S. d. § 1628 BGB wonach das Familiengericht bei Uneinigkeit der Kindeseltern eine solche Entscheidung einem Elternteil übertragen kann.
- Befürwortet ein Elternteil die Durchführung der von der Ständigen Impfkommission der Bundesrepublik Deutschland empfohlenen Schutzimpfungen, indiziert diese Haltung – vorbehaltlich entgegenstehender Umstände des Einzelfalls – seine Eignung eine kindeswohlkonforme Impfentscheidung (§ 1697 a BGB) zu treffen. Ihm ist die Entscheidung über die Impfungen des Kindes zu übertragen.
Im vorliegenden Fall begehrt der Kindsvater die Übertragung der Gesundheitssorge für seine bei der Kindsmutter lebende Tochter. Er befürwortet die Durchführung altersentsprechender Schutzimpfungen, die Kindsmutter hingegen verweist auf das Risiko von Impfschäden, was schwerwiegender sei als das allgemeine Infektionsrisiko und beantragt für sich die Übertragung der Gesundheitssorge. Das Amtsgericht hat dem Vater das Entscheidungsrecht über die Impfungen übertragen, im Übrigen die weitergehenden Anträge der Eltern auf Gesundheitssorge zurückgewiesen. Beide Elternteile sind in die Beschwerde gegangen, das Oberlandesgericht Jena hat ebenso wie das Amtsgericht die Impfentscheidung auf den Vater übertragen, aber diese Befugnis auf einzelne, namentlich bezeichnete Infektionskrankheiten beschränkt. Das OLG hat sich insoweit auf die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) berufen. Diese würden nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und unter Einbeziehung einer epidemiologischen Nutzen-Risiko-Abwägung entwickelt und fortgeschrieben.
Schon das Amtsgericht Darmstadt (NZFam 2015, Seite 778) und das zweitinstanzliche Gericht OLG Frankfurt (NJW-RR 2016, Seite 389) haben sich mit dieser Problematik befasst und diese auch als eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung angesehen, weil Impfungen mit der Gefahr von Risiken und Komplikationen verbunden sind. Das OLG Jena hat die Übertragung der Entscheidung auf den Vater damit begründet, dass es die erforderliche medizinische Sachkunde nicht hat und sich auf die Empfehlungen der STIKO bezogen. Hiergegen wird eingewandt, dass diese Empfehlungen und die Arbeit der STIKO nicht ganz unumstritten seien, die Empfehlungen seien ein interessengebundenes Produkt der Pharmaindustrie. Ob sich ein Gericht auf diese Empfehlungen berufen kann, wird wohl noch höchstrichterlich entschieden, die Rechtsbeschwerde beim BGH ist eingelegt (XII ZB 157/16). In jedem Fall ist eine Übertragung auf ein Elternteil bei Dissens geboten und wie auch Luthin in seiner Anmerkung schreibt: „Wo gibt es besseres und authentischeres?“, als die Empfehlungen der STIKO. Natürlich könnte man auch Gutachten des Robert-Koch-Instituts oder des Paul-Ehrlich-Instituts einholen, keines wird sich darauf festlegen, dass irgendetwas unbedenklich sei. Restrisiken wird es immer geben. Man muss sich eben dann für einen Weg entscheiden. Wenn es die Eltern nicht können, dann muss es eben das Gericht durch Entscheidungsübertragung auf einen der Elternteile (so schon Kammergericht Berlin, FamRZ 2016, Seite 142; OLG Frankfurt, FamRZ 2016, Seite 834).
III. Volljährigenunterhalt
OLG München, Beschluss vom 25.02.2016 – Az. 34 Wx 19/16 – §§ 1589, 1601 BGB
NZFam 2016, Seite 418
Eine in einem gerichtlich protokollierten Vergleich festgelegte Kindesunterhaltsverpflichtung in einer Zeit der Minderjährigkeit gilt weiter über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus und endet nicht mit dem Eintritt der Volljährigkeit. Dies gilt auch für anderweitige Unterhaltstitel, wie Jugendamtsurkunde oder Urteil/Beschluss, soweit keine Begrenzung auf die Minderjährigkeit vorliegt.
Das zwischenzeitlich volljährige Kind hatte wegen der Nichtzahlung von Unterhalt – basierend auf einem gerichtlich protokollierten Unterhaltsvergleich – in eine Immobilie des Vaters eine Zwangssicherungshypothek eintragen lassen, d.h. letztendlich die Zwangsvollstreckung betrieben. Die Gerichte und zuletzt das Oberlandesgericht haben die Zwangsvollstreckung als rechtmäßig gesehen, da der Unterhaltstitel (Vergleich) über die Volljährigkeit hinaus Wirksamkeit entfaltet. Ausdrücklich hat das OLG festgehalten, dass die Formulierung „Kindesunterhalt“ im Vergleich sich nicht auf den Unterhalt eines minderjährigen Kindes beschränkt, sondern ebenso den Unterhalt eines volljährigen Kindes beinhaltet und grundsätzlich ein Unterhaltstitel aus der Zeit der Minderjährigkeit auch für die Volljährigkeit weiterhin ein geeigneter Vollstreckungstitel ist (es sei denn im Titel steht ausdrücklich eine Beschränkung auf die Zeit der Minderjährigkeit).
Der einzige Weg, den Titel aus der Welt zu schaffen ist der Weg über die sogenannte Abänderungsklage. Insoweit ist dem Unterhaltsschuldner zu empfehlen, das volljährige Kind aufzufordern, den Unterhaltsanspruch ab Volljährigkeit substantiiert zu begründen. Dazu gehört auch die Mitteilung der derzeitigen Ausbildung, der Bedürftigkeit und der Angabe des Einkommens des anderen Elternteils. Unterlässt das volljährige Kind eine solche Darlegung, besteht Abänderungsgrund, ergibt sich aus den Angaben des Kindes eine Verringerung des Unterhaltes, sollte das Kind aufgefordert werden, zumindest auf Teile des Unterhalts aus dem Titel/Vergleich zu verzichten, macht das Kind dies nicht, bleibt nur die Abänderungsklage gemäß §§ 238, 239 FamFG.
- Unterhaltsrecht
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.03.2016 – Az. 5 UF 213/15 – § 1605 BGB
NZFam 2016, Seite 424
Die Sperrfrist von zwei Jahren erneut Auskunft zu verlangen, bezieht sich bei gerichtlichen Beschlüssen auf den Schluss der mündlichen Verhandlung – bei Vergleichen auf den Zeitpunkt der Vergleichsprotokollierung.
Immer wieder werden trotz der gesetzlich bestimmten 2-jährigen Sperrfrist auch vor Ablauf von 2 Jahren erneut Auskunftsverlangen gestellt. Die 2-Jahres-Frist dient dazu, dass prinzipiell unstabile Unterhaltsrechtsverhältnis (häufig ändern sich Einkommensverhältnisse in jedem Monat) für eine gewisse Zeit zu stabilisieren. Daher ist ein eindeutig bestimmbarer Zeitpunkt vonnöten, ab wann die 2-Jahres-Frist zu laufen beginnt. Bei gerichtlichen Verfahren ist eben auf den Schluss der mündlichen Verhandlung abzustellen.
Es gibt jedoch von der Rechtsprechung entwickelte Abweichungen von der 2-Jahres-Frist, diese sind auch als gefestigt zu bezeichnen:
- Nachehelicher Unterhalt und Getrenntlebendunterhalt sind zwei verschiedene Anspruchsgrundlagen, sodass auch dann, wenn zum Getrenntlebendunterhalt Auskunft erteilt wurde, vor Ablauf von 2 Jahre erneut wegen der Berechnung zum nachehelichen Unterhalt Auskunft verlangt werden kann – es sei denn rechtsmissbräuchlich (zuletzt OLG München, FamRZ 2015, Seite 2069; OLG Brandenburg, FamRZ 2015, Seite 1200).
- Bei Erteilung der Auskunft für Minderjährigenunterhalt und nachfolgendem Auskunftsverlangen wegen Volljährigenunterhalt, wenn – was selten der Fall ist – der Titel über Kindesunterhalt bis zur Volljährigkeit befristet worden ist (OLG Hamm, FamRZ 1990, Seite 657).
- Bei Erteilung der Auskunft für Ehegattenunterhalt und nachfolgendem Verlangen auf Auskunft für Kindesunterhalt (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage 2015, § 1, Rdn. 1173).
- Gesicherte Kenntnisse über neue Einkommensverhältnisse, z. B. Wechsel des Arbeitgebers, das ist von demjenigen glaubhaft zu machen, der ergänzende Auskunft verlangt.
- Verfahrensdauer länger als 2 Jahre, dann erneute Auskunftspflicht (andere Ansicht: Wendl/Dose, Rdn 1174).
Praxistipp:
In einem laufenden Verfahren sollte man ein Gericht ohnehin immer auf die eigene Ermittlungsmöglichkeit des Gerichts nach §§ 235, 236 FamFG hinweisen, damit am Schluss der mündlichen Verhandlungen auch das aktuelle Einkommen für eine Entscheidung zugrunde gelegt wird. Eine völlig andere Frage ist die Verpflichtung zur ungefragten Information. Auskunft ist grundsätzlich nur auf Verlangen zu erteilen, es sei denn, ein Schweigen ist evident unredlich. Das wird z. B. angenommen bei Abbruch einer Ausbildung oder bei Aufnahme einer Ausbildung mit Ausbildungsvergütung oder die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Kenntnis dessen, dass der Verdienst hierauf für die Unterhaltsberechnung von Bedeutung ist. Bei einer Unterhaltsvereinbarung/Vergleich ergibt sich dies verstärkt aufgrund einer vertraglich begründeten Treuepflicht.
- Versorgungsausgleich
OLG Hamburg, Beschluss vom 22.03.2016 – Az. 7 UF 115/14 – § 27 VersAusglG
NZFam 2016, Seite 510
Bei einer langen Trennungszeit von 10 Jahren bei einer Ehezeit von 29 Jahren ist der Versorgungsausgleich nach § 27 VersAusglG herabzusetzen.
Das OLG Hamburg hat die auf die Trennungszeit von 10 Jahre entfallenden Versorgungsanrechte ausgeschlossen und bei der Ermittlung des Versorgungsausgleichs abgezogen. Das OLG beruft sich insoweit auf BGH, NJW 2008, Seite 296. In dieser Entscheidung war jedoch von Bedeutung, dass der Altersunterschied zwischen den Eheleuten sehr groß war und es sich um eine sogenannte phasenverschobene Ehe handelte. Das OLG hat hier allein abgestellt auf die Tatsache, dass ein Drittel der Ehezeit Trennungszeit war. Diese Entscheidung ist mit Vorsicht zu genießen, da grundsätzlich auch eine lange Trennungszeit nach der Intention des Gesetzgebers nicht zu einem Teilausschluss des Versorgungsausgleichs führt. Die herrschende Rechtsprechung geht davon aus, dass eine lange Trennungszeit kein Kriterium ist (OLG Hamm, FamFR 2010, Seite 565 u. a., Kommentierung bei Palandt, 75. Auflage 2016, § 27 VersAusglG, Rdn. 25). Die vom OLG Hamburg zitierte Entscheidung des BGH wird dort als andere Ansicht bezeichnet „unter unzutreffender Berufung auf die bisherige Rechtsprechung“. Im Einzelfall wird man jedoch schon zu einer Teilkürzung des Versorgungsausgleichs kommen, bei einer Pauschalierung wie es das OLG vorgenommen hat ist nach Auffassung des Verfassers Vorsicht geboten.
- Verfahrenskostenvorschuss
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.06.2015 – Az. 16 WF 59/15 – § 1360 a Abs. 4 BGB
NZFam 2016, Seite 520
Wird der Unterhalt nach Quoten bemessen (z. B. 3/7 zu 4/7) so scheidet ein Anspruch des unterhaltsberechtigten Ehegatten auf sogenannten Verfahrenskostenvorschuss in der Regel aus, weil dies dem Halbteilungsgrundsatz widerspricht.
Wie fast immer, wird ein Ehegattenunterhaltsanspruch nach Quoten berechnet (nur bei sehr hohen Einkommensverhältnissen nach dem konkreten Unterhaltsbedarf). Bei der Quote wird letztendlich nichts anderes gemacht als ein „Erwerbstätigenbonus“ berücksichtigt, um dann jedem Ehegatten die Hälfte der Differenz beider Einkommen als Bedarf zuzuweisen. Wenn dann der Unterhaltspflichtige aus dieser Hälfte noch einen Unterhaltsvorschuss leisten müsste, wäre dies grob unbillig. Der Gesetzgeber hat nämlich einem bedürftigen Ehegatten oder einem Kind einen Anspruch gegeben, damit er die Kosten eines Gerichtsverfahrens vom Unterhaltspflichtigen verlangen kann. Ein solcher Vorschuss ist auch vorrangig vor der sogenannten Verfahrenskostenhilfe/Prozesskostenhilfe (Staatsgelder). Trotzdem ist es völlig richtig, dass bei Bemessung eines Ehegattenunterhalts nach Quote kein Platz mehr für Verfahrenskostenvorschuss ist, da ja dann der unterhaltsberechtigte Ehegatte sogar mehr bekäme als die Hälfte der prägenden Einkünfte.
Praxistipp:
Bei Geltendmachung von Ehegattenunterhalt nach Quote jedweden Verfahrenskostenvorschuss der Gegenseite ablehnen.
VII. Ehegattenunterhalt
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.03.2016 Az. 3 UF 141/14 – § 1361 BGB
NZFam 2016, Seite 659
Eine konkrete Bedarfsberechnung bestimmt sich nach den für den allgemeinen Lebensbedarf – nicht Vermögensbildung – genutzten Einkünften. Eine solche Bedarfsberechnung ist möglich bei Einkommen oberhalb der höchste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle, somit über 5100 €. Der Unterhaltsberechtigte muss nicht sämtliche Positionen des Lebensbedarfs belegen, sondern plausibel vortragen. Das Gericht kann auf Grundlage der Lebensverhältnisse der Ehegatten Schätzungen bezüglich der Angemessenheit vornehmen. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen, der ein Festhalten an einer zu dürftigen oder zu aufwendigen Lebensführung ausschließt.
Dieser Entscheidung ging eine Entscheidung des OLG Düsseldorf voraus, welche einer Ehefrau knapp 3370 € an Unterhalt zugesprochen hat, weil in einem Ehevertrag ein Trennungsunterhaltsanspruch in dieser Höhe – mit Wertsicherungsklausel – festgelegt war. Aufgrund der Lebensumstände und aufgrund des konkret dargelegten Bedarfs hat die Frau über die 3370 € weitere knapp 6000 € pro Monat verlangt, mit dem Argument, in der ehevertraglichen Vereinbarung läge ein unwirksamer Verzicht auf Getrenntlebendunterhalt und sie hätte den entsprechenden Bedarf. Das OLG hatte der Frau nur 3370 € zugesprochen, sie ging in die zugelassene Rechtsbeschwerde, der BGH hat die Einwendungen der Frau zur Grundlage genommen, die Entscheidung an das OLG Düsseldorf zurückzuverweisen, da es nicht ausgeschlossen war, dass ein unwirksamer Verzicht auf Trennungsunterhalt vorliegt, was dann der Fall ist, wenn der gesetzliche Unterhaltsanspruch um mehr als 1/3 unterschritten wird (BGH, NJW 2015, Seite 3715). Das OLG hatte daher zu prüfen, wie hoch die ehelichen Lebensverhältnisse tatsächlich sind, hatte zu prüfen, wie hoch der konkrete Bedarf der Ehefrau tatsächlich ist und ob die 3370 € eine Unterschreitung von mehr als 1/3 des Unterhaltsanspruches darstellt.
Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass ein Unterhaltsbedarf von ca. 8000 € vorliegt. Damit war die ehevertragliche Vereinbarung zum Trennungsunterhalt unwirksam und das OLG hat der Frau einen derart hohen Unterhaltsbedarf zugesprochen. Weiterhin hat das OLG den Verwirkungseinwand des Mannes nicht bestätigt. Dieser hatte die Verwirkung begehrt wegen Ausbrechens der Frau aus der Ehe. Die Verwirkung hat das OLG verneint mit dem Hinweis darauf, dass die Hinwendung der Frau zu einem neuen Partner keinen Ausbruch darstelle, die Ehe sich in einer Krise befunden habe und nicht mehr intakt gewesen sei.
Das OLG hat die konkrete Bedarfsberechnung bereits bejaht bei einem bereinigten Einkommen der Eheleute von über 5100 €. In vielen OLG-Bezirken wird dies anders gehandhabt, so wird eine konkrete Bedarfsberechnung erst angenommen bei einem Bedarf von 5100 € oder bei einem Einkommen vom doppelten Betrag von 5100 €, mithin erst bei 10200 €. Dies wird von den OLGs sehr unterschiedlich gehandhabt, hierauf sei ausdrücklich hingewiesen. Auf der anderen Seite kennt z. B. das OLG Frankfurt eine absolute Sättigungsgrenze, was die anderen Oberlandesgerichte in Deutschland so nicht kennen. Dass ein Gericht aufgrund eines substantiierten Sachvortrages den Lebensbedarf auch in Einzelpositionen schätzen kann und darf ist nichts Neues (BGH, NJW 2012, Seite 1144). Die Schätzgrundlage, z. B. Lebensstil der Eheleute, statusprägende Ausgaben wie Kfz, Urlaube etc. müssen jedoch genannt werden.
Kritik am Urteil ist insbesondere zu nehmen an der Entscheidung, wonach der Einwand der Verwirkung nicht greifen soll:
Die Aufnahme einer intimen Beziehung zu einem neuen Partner stellt vor der Trennung ein schwerwiegendes Fehlverhalten dar. Es ist auch einseitig, solange dem anderen Ehepartner kein ähnlich schweres Fehlverhalten vorzuwerfen ist oder er selbst erkennbar nicht mehr an der Ehe festhalten will (BGH, FamRZ 2008, Seite 1414). Es stellt einen Verstoß gegen die Solidarität und den Grundsatz der Gegenseitigkeit dar. Ein einseitiges ehewidriges Verhalten auch in einer Ehekrise bleibt ein Fehlverhalten (Finke, NZFam 2016, Seite 659). Viele Gerichte sehe dies jedoch häufig anders, da sie davon ausgehen, dass es einen einseitigen Ausbruch aus der intakten Ehe gar nicht gibt, da begriffsnotwendig eine intakte Ehe gar nicht vorliegen kann, wenn einer ausbricht – Fehlverhalten. Nach diesseitiger Auffassung ist diese Argumentation zu kurz gegriffen, in diesen Fällen wird es immer bei Einzelfallenscheidungen verbleiben und die Einschätzung des entscheidenden Richters weiterhin von entscheidender Bedeutung sein. Den Verwirkungsgrund hätte das OLG zumindest auch an eine Teilverwirkung denken lassen dürfen, insbesondere bei der Höhe des zugesprochenen konkreten Unterhalts (Anmerkung des Verfassers).