Obergerichtliche Rechtsprechung kompakt

 

  1. Kindschaftsrecht

 

OLG Dresden, Beschluss vom 31.03.2016 – Az. 20 UF 165/16 – § 1628 BGB

FamRZ 2017, Seite 39; NZFam 2016, Seite 1111

 

  1. Im Rahmen von § 1628 BGB kann ein Gericht keine eigene Sachentscheidung treffen, sondern überträgt die Entscheidungskompetenz in einer einzelnen sorgerechtlichen Angelegenheit einem der beiden Elternteile (hier: Einschulung des Kindes in einer privaten Grundschule).
  2. Es ist nicht ohne weiteres kindeswohlförderlich, der betreuenden Kindesmutter die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Anmeldung des Kindes in die Privatschule gegen den Wiederstand des ebenfalls sorgeberechtigten Kindesvaters zu übertragen.
  3. Das Gericht kann sogar von einer Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil absehen, wenn keiner der von den Eltern gemachten Entscheidungsvorschläge dem Kindeswohl entspricht oder dass davon auszugehen ist, dass die Beteiligten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu einer gemeinsamen Lösung gelangen.

 

Nachfolgend werden weitere Entscheidungen zu § 1628 BGB dargestellt (Übertragung der Entscheidungskompetenz in einzelnen sorgerechtlichen Fragen), sodass nach Darstellung aller Fälle zu § 1628 BGB Grundsätzliches zu diesem Instrumentarium noch ausgeführt wird. An dieser Stelle nur die Besonderheiten des Einzelfalles:

 

Die Kindsmutter wollte das Kind in einer privaten „Kreativitätsgrundschule“ anmelden, der Vater wollte das Kind in einer normalen Grundschule haben. Das Amtsgericht hat den Antrag der Mutter, ihr die Entscheidungsbefugnis für die Wahl der Grundschule zu übertragen abgelehnt mit dem Argument, dass der Besuch einer öffentlichen Regelschule nicht zur Kindsbeeinträchtigung führt. Das OLG hat diese Entscheidung gestützt (Abweisung) ohne die Entscheidungsbefugnis auf den Vater zu übertragen, da das OLG auch davon ausgeht, dass der Besuch der Kreativitätsgrundschule gegen das Votum des Vaters nicht kindswohlförderlich ist und unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassung die Eltern in der Lage sind, die richtige gemeinsame Entscheidung im Rahmen der bestehenden Schulpflicht – letztendlich Regelschule – zu finden.

 

 

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2016 – Az. 5 UF 74/16 – § 1628 BGB

FamRZ 2017, Seite 40

 

Die Übertragung der Entscheidungskompetenz über den Vornamen eines Kindes nach § 1628 BGB kommt im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht in Betracht – jedoch als Hauptsacheverfahren – da die Schnellentscheidung zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen würde.

 

Die beiden sorgeberechtigten Eltern (verheiratet, aber getrennt lebend) können sich nicht auf einen Namen des gerade geborenen Kindes einigen. Das Gericht erkennt keine konkret drohende erhebliche Gefahr, wenn nicht sofort ein Name gewählt wird, wird ein Name gewählt, wäre der endgültig. Auch ohne Geburtsurkunde (Name) konnte das Kind krankenversichert werden. Die fehlende Möglichkeit, ohne Geburtsurkunde Erziehungszeit zu beantragen bzw. Elterngeld zu beanspruchen stellt keine Gefährdung des Kindeswohls dar, um in einem Schnellverfahren eine endgültige Namensfestlegung zu beantragen.

 

 

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.05.2016 – Az. 20 UF 152/15 – § 1628 BGB

FF 2017, Seite 31

 

Es ist nicht geboten, der Mutter die Entscheidungsbefugnis für die Religionszugehörigkeit eines knapp 3-jährigen Kindes zu übertragen, wenn die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern aus verschiedenen Kulturkreisen stammen und verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören.

 

Die Mutter praktiziert den evangelischen Glauben, der Vater ist Moslem.

 

Das Amtsgericht hatte der Mutter die Entscheidungskompetenz übertragen, hiergegen richtet sich die Beschwerde des Vaters. Verständlicherweise hat ein 3-jähriges Kind sich zu diesen Fragen nicht äußern können. Der Verfahrensbeistand für das Kind befürchtet Konflikte des Kindes aufgrund des – vorausgegangen – jahrelangen Machtkampfes der Eltern. Trotz des Votums des Verfahrensbeistandes, es bei der Erstentscheidung zu belassen, hat das OLG den Beschluss des Familiengerichts vorläufig ausgesetzt, mit langer Begründung geht das OLG in seiner Entscheidung davon aus, dass es nicht notwendig ist, ein Kind in dem Alter endgültig in einer Religionsgemeinschaft zu integrieren und man hier abwarten könne. (so auch OLG Hamm, FamRZ 2014, Seite 1712: 8 Jahre altes Kind; OLG Düsseldorf, FamRZ 2010, Seite 1255; OLG Schleswig, FamRZ 2003, Seite 1948: jeweils 3-jähriges Kind). Die Religionsmündigkeit beginnt grundsätzlich mit dem 14. Lebensjahr.

 

 

OLG Brandenburg, Beschluss vom 24.05.2016 – Az. 13 UF 14/15 – § 1628 BGB

NZFam 2016, Seite 1053

 

  1. Unüberbrückbare Meinungsunterschiede in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung stellen die gemeinsame elterliche Sorge noch nicht in Frage, soweit das Gesetz mit § 1628 BGB für diese Fälle unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten die Übertragung einer Einzelfallentscheidung auf einen Elternteil ermöglicht und damit zugleich verdeutlicht, dass es im Übrigen bei einer gemeinsamen Sorge bleiben kann.
  2. Die gemeinsame elterliche Sorge ist nur dann zu versagen, wenn die Voraussetzungen zu deren gemeinsamer Ausübung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine tragfähige soziale Beziehung und ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen fehlen und die Eltern vorher zur Erlangung einer angemessenen Kommunikation fachkundige Hilfe von außen in Anspruch genommen haben.

 

Das OLG Brandenburg „setzt“ auf die Möglichkeit des § 1628 BGB – Übertragung der Entscheidungsbefugnis im Einzelfall. Anzumerken ist jedoch, dass nach der Entscheidung des OLG Brandenburg der BGH am 15.06.2016 (FamRZ 2016, Seite 1439) klargestellt hat, dass für die Anordnung einer gemeinsamen elterlichen Sorge bei Eltern eines nichtehelichen Kindes – wie hier – die gleichen Maßstäbe heranzuziehen sind wie bei der Aufhebung der gemeinsamen Sorge nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB und somit letztendlich „leichter“ die gemeinsame elterliche Sorge versagt werden kann und nicht wie das OLG auf § 1628 BGB zurückzugreifen ist.

 

 

OLG Köln, Beschluss vom 23.05.2016 – Az. 10 UF 5/16 – § 1628 BGB

NZFam 2016, Seite 1240

 

Hat bei einem echten Wechselmodell kein Elternteil die Übertragung der Vertretungsrechte des Kindes nach § 1628 BGB auf sich beantragt, kann das Gericht einen Ergänzungspfleger bestellen.

 

Beim sogenannten Residenzmodell vertritt grundsätzlich der Elternteil ein Kind in einem Unterhaltsverfahren, von dem das Kind überwiegend betreut wird (§ 1629 BGB). Im Wechselmodell macht die Vertretungsbefugnis Probleme, da ein Schwerpunkt der Betreuung nicht festzustellen ist. In diesen Fällen muss entweder ein Pfleger für das Kind bestellt werden oder es wird einem Elternteil auf Antrag gemäß § 1628 BGB die Entscheidung von Geltendmachung von Kindesunterhalt übertragen (so auch BGH, NJW 2006, Seite 2258).

 

Im vorliegenden Fall lebten die Eltern ein Wechselmodell, eine Übertragung der Entscheidungskompetenz wurde nicht beantragt. Das Gericht hat daher einen Ergänzungspfleger bestimmt. Gegen diese Entscheidung hat sich die Mutter gewendet, weil die Mutter zu 58 % die Betreuung übernommen hatte und somit nach Auffassung des Gerichtes noch kein Wechselmodell (50 : 50) vorliegt.

 

 

BGH, Beschluss vom 09.11.2016 – Az. 12 ZB 298/15 – § 1628 BGB

FamRZ 2017, Seite 119; NZFam 2017, Seite 25

 

  1. Beantragt ein Elternteil die Übertragung der Entscheidungsbefugnis über eine Namensänderung des Kindes, so hat das Familiengericht neben allgemeinen Kin-deswohlbelangen auch die Erfolgsaussicht eines entsprechenden Antrags zu prüfen.
  2. Eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis hat zu unterbleiben, wenn sich nach umfassender Amtsaufklärung keine Erforderlichkeit der Namensänderung für das Kindeswohl ergibt (Fortführung von BVerwG 116, 28 = FamRZ 2002, 1104 und Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2001 – XII ZB 88/99 – FamRZ 2002, 94).
  3. Nach § 1628 BGB ist dem Elternteil die Entscheidungskompetenz zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Wenn das Beibehalten des gegenwärtigen Zustandes der Rechtslage entspricht, genügt es, den Antrag auf Übertragung der Entscheidungsbefugnis abzuweisen.
  4. Beantragt ein Elternteil gemäß § 1628 BGB die Übertragung der Entscheidungsbefugnis den Antrag auf Namensänderung des Kindes gemäß §§ 2, 3 NamÄndG stellen zu können, reicht nicht, dass die Namensänderung dem Kindeswohl dient. Eine Notwendigkeit einer Namensänderung ist erst dann gegeben, wenn unter Berücksichtigung der Gründe für die Beibehaltung des bisherigen Namens eine Namensänderung dringend geboten ist. Das ist nur dann der Fall, wenn bei Beibehaltung des Namens schwerwiegende Nachteile für das Kind zu erwarten sind oder die Namensänderung für das Kind solche Vorteile mit sich bringt, dass die Beibehaltung des Namensbandes zum anderen Elternteil (zumeist dem Vater) nicht zumutbar erscheint (Fortführung von BverfG, NJW 2002, Seite 2406).

 

Eine Namensänderung gegen den Willen des anderweitigen Elternteils ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. Sind beide Eltern sorgeberechtigt – egal ob ehelich oder nichtehelich – bedarf es grundsätzlich der Zustimmung des anderen Elternteils, wenn ein Elternteil eine Namensänderung wünscht. Im vorliegenden Fall hatte die Mutter gegen den Vater auf Zustimmung des Vaters auf Namensänderung geklagt. Das OLG hat diesen Antrag ausgelegt als Antrag auf Übertragung der Entscheidungsbefugnis gegenüber der Verwaltung/Standesamt, einen Namensänderungsantrag stellen zu können. Grundsätzlich ist ein Namensänderungsantrag durch eine staatliche Behörde/Standesamt zu verbescheiden. Der Rechtsweg ist dann der Weg zum Verwaltungsgericht. In den sogenannten Fällen der „Scheidungshalbwaisen“ begründen selbst massive – nacheheliche – Konflikte der Eltern keine Namensänderung. Ebenso wenig fehlende Umgangskontakte über einen längeren Zeitraum oder wiederholtes strafrelevantes Verhalten des Namensgebers (so zuletzt VG Gelsenkirchen, NZFam 2016, Seite 1208).

 

Der BGH hat klargestellt, dass bereits in dem familienrechtlichen Verfahren auf Übertragung des Rechtes einen Namensänderungsantrag bei der Verwaltungsbehörde stellen zu können, die inhaltliche Frage zu behandeln ist, ob der spätere Namensänderungsantrag überhaupt Erfolgsaussichten hat. Dazu reicht eben nicht eine Kindeswohldienlichkeit sondern letztendlich eine Kindeswohlgefährdung, wenn der Name nicht geändert würde. Über den entgegenstehenden Willen des Namensgebers (zumeist des Vaters) kann daher eine Änderung des Nachnamens nur in äußerst seltenen Fällen von Erfolg gekrönt sein. Die sogenannte Namenskontinuität und der Wille des anderen Elternteiles werden als sehr hohes Rechtsgut „angesehen“.

 

 

 

  • 1628 BGB:

 

Alle zitierten Entscheidungen beschäftigen sich mit dem „unbekannten Wesen“ des § 1628 BGB. Häufig wird vorschnell eine Sorgerechtsübertragung/Teilsorgerechtsübertragung bei Gericht beantragt, obwohl der Gesetzgeber in einzelnen Angelegenheiten der elterlichen Sorge normiert hat, dass ein Gericht einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis übertragen kann – auch mit Beschränkungen oder Auflagen – wenn es sich um eine Frage von erheblicher Bedeutung handelt und die Parteien sich nicht einig werden können. Ein Gericht kann hier nicht von Amts wegen handeln, sondern entscheidet nur auf Antrag eines Elternteils. Weder das Jugendamt noch das Kind selbst hat ein eigenes Antragsrecht. Die Angelegenheit muss von erheblicher Bedeutung sein und gerade nicht eine sogenannte Alltagsangelegenheit i.S.d. § 1687 BGB. Das soll verhindern, dass die Familiengerichte für Nebensächlichkeiten belastet werden.

 

Beispiele:

Wahl des Vornamens (OLG Brandenburg, NZFam 2016, Seite 811); Namensänderungen (OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, Seite 1723 u. a.); Entscheidung über die Vaterschaftsanfechtung (OLG Celle FamRZ 2013, Seite 230); Beschneidung (AG Düsseldorf, FamRZ 2014, Seite 1209); Besuch einer Kindereinrichtung (OLG Frankfurt, FamRZ 2009, Seite 894); Schulwahl (BVerfG FamRZ 2003, Seite 511); Wahl der weiterführenden Schule (OLG Hamburg, FamRZ 2001, Seite 1088); Waldorfschule (AG Lemgo, FamRZ 2014, Seite 449); medizinische Eingriffe mit Ausnahme von Notfällen und unbedeutenden Eingriffen, die unter die Alltagszuständigkeit fallen (OLG Bamberg, FamRZ 2003, Seite 1403); Impfungen (OLG Frankfurt, FamRZ 2016, Seite 834, OLG Jena, FamRZ 2016, Seite 1175); weite Auslandsreisen, insbesondere kleiner Kinder in nicht vertrauten Kulturkreis/politische Krisengebiete (OLG Karlsruhe, FamRZ 2008, Seite 1368; OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, Seite 150 für Ostukraine; OLG Hamburg, FamRZ 2012, Seite 562 für Kasachstan; OLG Frankfurt, FamRZ 2016, Seite 1595 für die Türkei nach Ausrufung des Ausnahmezustands); Umgang mit weiteren Bezugspersonen (BGH, FamRZ 2016, Seite 1752), Ausschlagung einer Erbschaft (OLG Hamm, FamRZ 2003, Seite 172); Wahl des religiösen Bekenntnisses (siehe oben); Teilnahme am Religionsunterricht (OLG Köln, FamFR 2013, Seite 257).

 

Die Vielzahl der jüngeren Entscheidungen zeigt, dass § 1628 BGB zwar schon länger im Gesetz steht, aber wohl bislang nicht so recht beachtet wurde. Für Einzelentscheidungen ist dies jedoch der einzig richtige Weg. Keine Angelegenheiten von wichtiger Bedeutung sind z. B. das Abholen von Kindergarten oder Schule (OLG Bramen, FamRZ 2009, Seite 355) und die Entscheidung über zumindest vorübergehenden Nachhilfeunterricht (OLG Naumburg, FamRZ 2006, Seite 1058). Insgesamt ist der Maßstab wie bei § 1687 BGB bei der Trennung zwischen Angelegenheiten des täglichen Lebens/Alltagssorge mit der entsprechenden Alleinentscheidungsbefugnis des betreuenden Elternteiles und eben den Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung (Vermögenssorge u. a.), bei denen es gemeinsamer elterlicher Sorgerechtsentscheidungen bedarf.

 

 

 

 

  1. Unterhaltsverwirkung

 

 

OLG Koblenz, Beschluss vom 13.04.2016 – Az. 13 UF 16/16 – § 1579 Nr. 2 BGB

FamRZ 2016, Seite 1938

 

Eine verfestigte Lebensgemeinschaft i. S. d. § 1579 Nr. 2 BGB kann bereits nach 1-jähriger Lebensgemeinschaft bestehen, wenn während der Trennungszeit ein Kind von einem anderen Mann zur Welt gebracht wird.

 

Normalerweise bedarf es für die Feststellung einer verfestigten nichtehelichen Lebensgemeinschaft und der damit zusammenhängenden Unterhaltsverwirkung einer gewissen Zeitdauer, die im Regelfall zwischen 2 und 3 Jahren bemessen ist (so zuletzt BGH, FamRZ 2011, Seite 1498). Anders jedoch, wenn sonstige Umstände dafür sprechen, dass mit einem anderen ein Verfestigungsgrad erreicht ist, der über das normale Maß hinausgeht (BGH, FamRZ 2012, Seite 1201). Dies kann der Fall sein, bei einer bereits umgesetzten gemeinsamen Lebensplanung, z. B. in Form von gemeinsamen erheblichen Investitionen in den Erwerb einer Immobilie (BGH, FamRZ 2001, Seite 810) oder bei der Geburt eines gemeinsamen Kindes mit dem neuen Lebenspartner (FamRZ 2012, Seite 1201). Auch der Fall des OLG Koblenz entspricht der zuletzt zitierten Entscheidung des BGH. Dann ist auch kein gemeinsamer Hausstand in der Vergangenheit vonnöten.

 

 

OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.11.2016 – Az. 4 UF 78/16 – § 1579 Nr. 2 BGB

NZFam 2017, Seite 74

 

Der Anspruch eines bedürftigen Ehepartners auf Trennungsunterhalt kann auch vor Ablauf von 2 Jahren entfallen, wenn sich der Bedürftige dauerhaft einem neuen Partner zuwendet.

 

Im vorliegenden Fall war die Ehefrau in den Haushalt ihres neuen Partners eingezogen, mit dem sie bereits seit 1 Jahr liiert war. Die beiden waren zuvor auch nach außen als Paar aufgetreten, hatten gemeinsame Urlaube verbracht und gemeinsam an Familienfeiern teilgenommen. Der Sohn nannte den neuen Partner „Papa“. In einer solche Konstellation ist davon auszugehen, dass der bedürftige Ehepartner sich endgültig aus der ehelichen Solidarität gelöst hat und damit zu erkennen gegeben hat, dass er diese nicht mehr benötigt, sodass der Unterhalt in diesem Fall sogar schon nach knapp 1,25 Jahren des Bestandes der nichtehelichen Lebensgemeinschaft als verwirkt anzunehmen ist.

 

 

KG Berlin, Beschluss vom 28.04.2016 – Az. 13 UF 17/16 – § 1579 Nr. 2 BGB

FF 2016, Seite 502

 

  1. Bezeichnen sich der unterhaltsberechtigte Ehegatte und ein Dritter gegenüber dem Jobcenter als Bedarfsgemeinschaft, ist im Regelfall davon auszugehen, dass eine Lebensgemeinschaft vorliegt.
  2. Wann eine Verfestigung der Lebensgemeinschaft vorliegt, ist nicht allein nach der zeitlichen Dauer der Lebensgemeinschaft zu bemessen, sondern entscheidend ist, ob der unterhaltsberechtigte Ehegatte sich mit der Eingehung einer neuen Lebensgemeinschaft endgültig aus der ehelichen Solidarität herauslöst und zu erkennen gibt, dass er diese nicht mehr benötigt.

 

Im vorliegenden Fall ist die Unterhaltsberechtigte mit einem Partner/Lebensgefährten zusammengezogen und hat bei der Beantragung von ALG II-Ansprüchen die Bedarfsgemeinschaft bestätigt. Pikanterweise kam hinzu, dass es sich bei dem neuen Lebenspartner um den Ex-Ex-Ehemann gehandelt hat und sie vorgetragen hat, dass man nach längerer Zeit wieder zusammengekommen sei. Auch nach Sozialrecht ist von einer verfestigten Lebensgemeinschaft auszugehen, wenn man länger als 1 Jahr zusammenlebt (nicht erst nach 2 – 3 Jahren). Auch auf Facebook konnte man die Lebensgemeinschaft verfolgen. Mit den Facebook-Einträgen haben die Unterhaltsberechtigte und auch ihr Lebenspartner ihre wechselseitige Zuneigung klar und öffentlich zum Ausdruck gebracht. Damit hat sich die Unterhaltsberechtigte aus der Ehe „verabschiedet“, sodass es nicht vornehmlich auf die Dauer der Lebensgemeinschaft ankommt, sondern auf das deutliche Herauslösen aus der ehelichen Solidarität.

 

 

 

  • 1579 BGB

 

Das Gesetz kennt eine Vielzahl von Unterhaltstatbeständen. In § 1579 BGB ist normiert, wann ein Unterhalt wegen grober Unbilligkeit beschränkt oder versagt werden kann. Ein häufig in Gerichtsverfahren vorgebrachter Verwirkungsgrund ist die dauerhafte, verfestigte nichteheliche Lebensgemeinschaft des Unterhaltsberechtigten.

 

Eine gesetzliche Regelung, ab wann die Lebensgemeinschaft als verfestigt anzusehen ist, fehlt. Die 2-3-jährige Dauer für die Verfestigung wird lediglich als Indiz gewertet. Es stellt sich auch die Frage, ab wann die Lebensgemeinschaft beginnt, d.h. ob ein räumliches Zusammenleben notwendig ist, oder dies auch bei getrennten Wohnungen in Betracht kommt. Immer mehr kristallisiert sich in der neueren Rechtsprechung heraus, dass nicht vornehmlich auf die Dauer abzustellen ist, sondern auf die Beurteilung, ob sich der Unterhaltsberechtigte endgültig aus der ehelichen Solidarität herausgelöst hat. Ohne räumliches Zusammenleben hat z. B. das OLG Zweibrücken eine verfestigte Lebensgemeinschaft erst nach 5 Jahren angenommen, wenn für diese 5 Jahre nachgewiesen ist, dass die Lebenspartner nach außen hin als Paar aufgetreten sind (gemeinsame Freizeitgestaltung durch Urlaube, gemeinsame Familienfeste, gemeinsame Freizeitveranstaltungen etc.) – OLG Zweibrücken, FamRZ 2010 Seite 1677, ebenso OLG Düsseldorf, FamRZ 2011, Seite 225. Ein starkes Indiz für eine Verfestigung ist eine Planung einer gemeinsamen Zukunft, die sich bereits z. B. durch gemeinsame Investitionen oder insbesondere gemeinsamen Hausbau manifestiert hat. Besonders „dumm“ war die Anzeige eines Verlöbnisses in einer Zeitung, dies hat natürlich zur Verwirkung geführt. Ebenso „dumm“ ist die dauerhafte gemeinsame Präsenz in den sozialen Medien oder eben alles, was auf eine Verfestigung schließen lässt.

 

Letztendlich kommt es immer auf den Einzelfall an und auch auf die wirtschaftliche Verflechtung der Partner. So ist keine Entscheidung bekannt, wie zu verfahren ist, wenn Partner bewusst ihre Beziehung auf Distanz gehalten haben aber dann irgendwann doch zusammengezogen sind. Hier wird man wohl vielleicht noch von einer „Übergangsfrist“ von einem Jahr ausgehen können, andere Entscheidungen könnten rigoroser sein und mit dem Zusammenzug die Verwirkung annehmen. Halten nämlich die Partner ihre Lebensbereiche getrennt und ihre Beziehung bewusst auf Distanz, ist diese in eigener Verantwortung getroffene Entscheidung über die Lebensgestaltung grundsätzlich auch unterhaltsrechtlich zu respektieren (BGH, FamRZ 2002, Seite 23; BGH, FamRZ 2011, Seite 1498), mit der Folge, dass keine Verwirkung eintritt.

 

Wie gesagt, die Feststellung oder Entscheidung, ob eine verfestigte nichteheliche Lebensgemeinschaft vorliegt (- die gleichsam an die Stelle einer Ehe getreten ist) wird immer am Einzelfall zu entscheiden sein und von Richtern auch unterschiedlich bewertet. Man befindet sich bei dieser Frage immer „auf dünnem Eis“. Problematisch ist jedoch zumeist der Beweis/Nachweis des Unterhaltspflichtigen, dass sich die unterhaltsberechtigte Person in einer verfestigten Lebensgemeinschaft befindet, wenn nicht die üblichen Indizien, wie räumliches Zusammenleben, Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit etc., klar auf der Hand liegen. In diesem Bereich wird auch in Zukunft über die Frage der Verwirkung immer wieder heftig gestritten werden. Überraschende Gerichtsentscheidungen sind auch jederzeit möglich.

 

 

 

 

III. Wechselmodell

 

 

OLG Nürnberg, Beschluss vom 08.12.2015 – Az. 11 UF 1257/15 – §§ 1671, 1684 BGB

FamRZ 2016, Seite 2119

 

Ein Wechselmodell kann nicht im Wege einer Umgangsregelung angeordnet werden. Es handelt sich um eine Regelung der elterlichen Sorge. Es kann nicht gegen den Willen eines Elternteiles angeordnet werden.

 

Mit der Entscheidung stellt sich des OLG auf den Standpunkt – wohl mit der herrschenden Rechtsauffassung – dass die Regelungsbefugnis zum Wechselmodell eine sorgerechtliche und keine umgangsrechtliche Angelegenheit ist (so auch OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, Seite 736, OLG Naumburg, FamRZ 2015, Seite 764, Palandt/Götz, 76. Auflage, § 1687 BGB, Rdn. 2; Kinderrechtskommission des deutschen Familiengerichtstages, FamRZ 2014, Seite 1157; andere Ansicht: AG Heidelberg, FamRZ 2015, Seite 151, Sünderhauf/Rixe, FamRB 2014, Seite 418/422). Schon aus diesem Grund hat das OLG eigentlich eine zugrundeliegende Beschwerde abgewiesen, hat jedoch noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Wechselmodell hohe Anforderungen an die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit beider Eltern stellt. Es kann deshalb nicht gegen den Willen eines Elternteiles angeordnet werden (so auch OLG Saarbrücken, FamRZ 2015, Seite 262; KG Berlin, FamRZ 2014, Seite 50, OLG München, FamRZ 2013, Seite 1822, OLG Brandenburg, FamRZ 2016, Seite 1473 u. a.; andere Ansicht: OLG Hamburg, FamRZ 2016, Seite 912, siehe ISUV-Report Nr. 148, AG Erfurt, FamRZ 2015, Seite 339, AG Heidelberg, FamRZ 2015, Seite 151).

 

Im vorliegenden Fall hat das OLG nicht feststellen könne, wie die Beteiligten den hohen Abstimmungsbedarf beim Wechselmodell bewältigen wollen, da es im Vorfeld erhebliche hochstrittige Auseinandersetzungen gab und dies auch belastend auf ein Kind abfärbt. Auch die Behauptung des Vaters, ein Wechselmodell hat deeskalierende Wirkung, lasse sich wissenschaftlich nicht belegen (Salzgeber, NZFam 2014, Seite 921 ff. u. a.).

 

Die Rechtsbeschwerde wurde vom OLG Nürnberg zugelassen und auch eingelegt. Az. Beim BGH: XII ZB 601/15. Endlich wird dem BGH Gelegenheit gegeben, zu dem kontroversen Meinungsstreit, ob das Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteiles angeordnet werden kann und wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage (Sorgerecht/Umgangsrecht), Stellung zu nehmen.

 

 

OLG München, Beschluss vom 31.08.2016 – Az. 16 UF 1019/16 – §§ 1671, 1684 BGB

FamRZ 2016, Seite 2120

 

Die Anordnung eines Wechselmodells ist eine sorgerechtliche Regelung, sodass eine Beschwerde innerhalb von 2 Wochen einzulegen ist, auch wenn das Amtsgericht von einer unanfechtbaren Umgangsregelung ausgegangen ist und daher keine Rechtsbehelfsbelehrung gegeben hat.

 

Das OLG München hat letztendlich nur darüber entschieden, dass es die Frage der Anordnung des Wechselmodelles als sorgerechtliche Regelung sieht. Wegen Versäumung der 2-Wochen-Frist – auch ohne Rechtsbehelfsbelehrung – wurde die Beschwerde formell zurückgewiesen. Innerhalb der Entscheidung hat das Gericht auch auf den Meinungsstreit hinsichtlich der Anordnung eines Wechselmodelles gegen den Willen eines Elternteiles hingewiesen. Auch das OLG München geht davon aus, dass das Umgangsrecht nicht dazu dient, eine paritätische Betreuung durchzuführen, zudem scheidet nach Auffassung des OLG die Anordnung des Wechselmodelles gegen den Willen eines Elternteils auch als sorgerechtliche Regelung aus, da das Familiengericht zwar das Sorgerecht (teilweise) übertragen kann, das Gericht kann hingegen nicht das Sorgerecht anstelle der Eltern selbst ausüben. Dies wäre jedoch bei einer Entscheidung gegen den Willen eines Elternteils der Fall, erforderlich ist daher ein Elternkonsens über dieses Betreuungsmodell. Das OLG München stellt daher nicht primär wie das OLG Nürnberg auf die notwendig hohe Kommunikations-Kooperationsfähigkeit der Eltern ab, sondern auf die Entscheidungskompetenz der Eltern und den notwendigen Konsens hinsichtlich des Betreuungsmodells betreffend des gemeinsamen Kindes. Zur Begründung wird letztendlich auf die Entscheidungen, die auch beim OLG Nürnberg (siehe oben) genannt sind verweisen.

 

 

OLG Thüringen, Beschluss vom 07.04.2016 – Az. 2 UF 651/15 – §§ 1671, 1684 BGB

FamRZ 2016, Seite 2122

 

Die empirische Forschung kann keine wissenschaftlich tragfähigen Aussagen treffen, welche Betreuungsregelung – insbesondere bei hochkonfliktbehafteten Familien – dem Kindeswohl am besten dient. Deshalb kann ein Wechselmodell grundsätzlich nicht gegen den Willen eines Elternteiles angeordnet werden.

 

Das OLG Thüringen stellt nochmals heraus, dass es für das Wechselmodell grundsätzlich keine klare Rechtsgrundlage gibt. Entscheidend ist, was dem Wohl des Kindes förderlich ist. Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, diese Frage wissenschaftlich zu klären, fundierte Ergebnisse seien jedoch nicht ersichtlich (Salzgeber, NZFam 2014, Seite 921, Kostka FPR 2006, Seite 271, Sünderhauf, FamRB 2013, Seite 290/327 u. a. Die Mehrzahl der Wissenschaftler stellen heraus, dass in Fällen hochkonfliktbehafteter Familien besondere Vorsicht für ein Wechselmodell angebracht ist, weil sogar davon auszugehen sei, dass Kinder sogar mehr belastet werden. Das OLG sieht letztendlich keine klare Linie zur Frage, ob wissenschaftlich tragfähige Aussagen aus psychologischer Sicht möglich sind, sodass das OLG dabei bleibt, dass ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils nicht angeordnet werden kann.

 

 

OLG Thüringen, Beschluss vom 12.09.2016 – Az. 4 UF 678/15 – §§ 1671, 1684 BGB

NZFam 2016, Seite 1202

 

Der gerichtlichen Anordnung eines paritätischen Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils steht das Fehlen einer Rechtsgrundlage entgegen. Weder § 1671 BGB noch § 1684 BGB stellen dafür eine Rechtsgrundlage dar. Ein Wechselmodell setzt ein hohes Maß an gegenseitiger Kooperation, Kommunikation und Kompromissbereitschaft der Kindeseltern voraus, was bei Ablehnung eines Elternteils ausscheidet. Es gibt keine gesicherten humanwissenschaftlichen Erkenntnisse, wonach die erzwungene Anordnung eines Wechselmodells dem Kindeswohl förderlich sei.

 

Das OLG Thüringen (hier der 4. Senat – vorher der 2. Senat) stellt maßgeblich darauf ab, dass es überhaupt keine Rechtsgrundlage gibt – egal ob Umgangsrecht oder Sorgerecht – um ein Wechselmodell einseitig gegen den Willen eines Elternteils zu installieren. Das OLG Thüringen erörtert dies ausführlich in juristischer Erläuterung, nachzulesen in FamRZ 2016, Seite 2126 ff. Ebenso ausführlich erläutert das Gericht, dass es selbst in der humanwissenschaftlichen Fachliteratur keine stichhaltigen Belege dafür gäbe, wonach das Wechselmodell im Streitfall das Kindeswohl fördern würde. Abschließend weist das Gericht noch darauf hin, dass im vorliegenden Einzelfall auch die konkreten Voraussetzungen (Konsensfähigkeit etc.) nicht zu erkennen sind.

 

 

OLG Hamburg, Beschluss vom 18.08.2016 – Az. 12 UF 193/15 – §§ 1671, 1684 BGB

FamRZ 2016, Seite 2129

 

Ein Wechselmodell ist jedenfalls dann als nicht geeignet (zur Befriedigung elterlicher Konflikte) anzusehen, wenn es in der Vergangenheit praktiziert wurde, ohne dass dies zur Stabilisierung der elterlichen Konfliktfähigkeit geführt hätte.

 

Diese Entscheidung des OLG Hamburg erscheint „merkwürdig“, da es nicht um die Frage der Befriedigung elterlicher Konflikte geht, sondern um die Frage, was für das Kindeswohl am besten ist. Das OLG Hamburg hat schon in seine Entscheidung FamRZ 2016, Seite 912 nahezu entgegen aller anderen Gerichte auch gegen den Willen eines Elternteils das Wechselmodell „bestimmt“, was auch auf Kritik gestoßen ist (Hammer, FamRZ 2016, Seite 915 ff.).

 

 

 

Wechselmodell

 

Erfreulich ist, dass die beiden entscheidenden Fragen als Rechtsbeschwerde nunmehr beim BGH liegen (BGH, XII ZB 601/15, als Rechtsbeschwerde zu OLG Nürnberg, AZ. 11 UF 1257/15; zwischenzeitlich entschieden – siehe unten). Ebenso schwierig ist die Frage, wie mit einem vormals oder derzeit einvernehmlich praktizierten Wechselmodell zu verfahren ist, wenn ein Elternteil dies nicht mehr wünscht. Grundsätzlich wird man wohl davon auszugehen haben, dass bei fehlender einvernehmlicher Abänderung man bis zu einer gerichtlichen Entscheidung an dieses Wechselmodell gebunden sein könnte (so OLG Brandenburg, FamRZ 2012, Seite 1886, OLG Braunschweig, FamRZ 2015, Seite 61), wobei man dies insbesondere unter dem Gesichtspunktes des Kindeswohls anders sehen kann und das Wechselmodell von einem Elternteil zu einem Residenzmodell zurückgeführt wird (normative Kraft des Faktischen). Dies mit der Folge, dass dann derjenige, der ein Wechselmodell will, mit den oben beschriebenen Problemen (faktisch unmöglich) ein Wechselmodell bei Gericht einfordert.

 

Das Wechselmodell, dem Grunde nach wird auch in Zukunft ein spannendes Thema bleiben, ebenso wie die Berechnung eines Unterhaltes beim Wechselmodell, wobei hier der BGH schon einige „Leitplanken“ gesetzt hat. Eine neuerliche Leitplanke ist die Entscheidung des BGH vom 01.02.2017, Az. XII ZB 601/15 (NZFam 2017, Seite 206):

 

  1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.
  2. Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 15. Juni 2016 XII ZB 419/15 FamRZ 2016, 1439). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechsel-modell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen.
  3. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes.
  4. Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (im An-schluss an Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 XII ZB 419/15 FamRZ 2016, 1439).

 

Der BGH formuliert, dass eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einem paritätischen Wechselmodell führt, vom Gesetz nicht ausgeschlossen ist. Damit sagt der BGH nur, dass in einem Umgangsverfahren ein Wechselmodell festgelegt werden kann, weiterhin gelten diese Grundsätze auch für die Festlegung eines Wechselmodelles im Rahmen eines sorgerechtlichen Verfahrens (auch zum Aufenthaltsbestimmungsrecht). Entscheidend ist, dass selbst die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil eine Entscheidung eines Gerichtes für ein Wechselmodell nicht ausschließt. Alleiniger und entscheidender Maßstab ist das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl. Ebenso wie bei der gemeinsamen elterlichen Sorge (§ 1671 BGB für eheliche Kinder bzw. § 1626 a BGB für nichteheliche Kinder) ist jedoch Voraussetzung, dass eine Kommunikations- und Kooperations­fähigkeit der Eltern vorliegt (BGH, NZFam 2016, Seite 795). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes. Ein Gericht ist zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (BGH, FamRZ 2016, Seite 1439).

 

Mit dieser Entscheidung hat der BGH zunächst grundsätzlich entschieden, dass ein Konsens der Eltern zum Wechselmodell nicht zwingend Voraussetzung ist (so noch: OLG Nürnberg, FamRZ 2016, Seite 2119, OLG Thüringen, FamRZ 2016, Seite 2122 und 2126; wie BGH schon: OLG Hamburg, NZFam 2016, Seite 285, KG Berlin 2012, FamRZ 2012, Seite 886). Ebenso hat der BGH grundsätzlich entschieden, dass auch im Rahmen einer Umgangsregelung eine Entscheidung zum Wechselmodell möglich ist. § 1687 BGB begründet keine ausschließliche Festlegung auf ein sogenanntes Residenzmodell. Der BGH hat sogar in einem Nebensatz darauf hingewiesen, dass ein Wechselmodell in einer akuten Trennungssituation – etwa zunächst versuchsweise – angeordnet werden kann, um eine für das Kind möglichst wenig belastende Elterntrennung zu ermöglichen und insbesondere bei starker Bindung des Kindes zu beiden Elternteilen Kontinuität herzustellen, die dem Kind bei der Bewältigung der Elterntrennung helfen kann. Insoweit kann ein Tipp nur dahin gehen, dass wenn ein Wechselmodell gewünscht ist und der andere Elternteil sich dagegen sperrt, bereits mit der Trennung ein Wechselmodell gerichtlich „beantragt“ wird, da dann die Wahrscheinlichkeit – auch gegen den Willen des anderen Elternteils – ein solches Wechselmodell von Gerichten zumindest versuchsweise zugesprochen zu erhalten, gegeben ist. Natürlich ist auch in dieser Situation das Kindeswohl maßgeblich und eine festgestellte Abstimmungs- und Kooperationsunfähigkeit kontraproduktiv, mit der Folge, dass dies dem Kindeswohl widerspricht und ein Gericht wohl kein Wechselmodell „anordnet“.

 

Hier wird die Gerichtspraxis Aufklärung darüber geben, wie diese doch sehr einschneidende und neue Rechtsprechung des BGH zum Wechselmodell in den Instanzgerichten „ausgelegt“ wird, insbesondere wie die Gerichte die an oberster Stelle stehenden Kindswohlkriterien im Einzelfall bewerten. Jedenfalls ist eine Aufweichung des strikten Residenzmodells bei Widerstand eines Elternteiles deutlich zu erkennen. Trotzdem ist davon auszugehen, dass die Gerichte eher zurückhaltend auf diese neue Entscheidung des BGH reagieren. Dies gilt insbesondere bei konfliktbelasteten Trennungen, bei denen um das Kind „gestritten“ wird.

 

 

 

  1. Rechte des leiblichen Vaters

 

 

BGH, Beschluss vom 05.10.2015 – Az. XII ZB 280/15 – § 1686 a BGB

NZFam 2016, Seite 1179

 

  1. Allein der Umstand, dass sich die rechtlichen Eltern beharrlich weigern, einen Umgang des Kindes mit seinem leiblichen Vater zuzulassen, genügt nicht, um den entsprechenden Antrag gemäß § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB zurückzuweisen.
  2. Ist einziger Grund für das Scheitern des Umgangs die ablehnende Haltung der rechtlichen Eltern und die damit einhergehende Befürchtung, dass diese mit einer Umgangsregelung psychisch überfordert wären und dadurch mittelbar das Kindeswohl beeinträchtigt wäre, sind strenge Anforderungen an die entsprechenden Feststellungen zu stellen.
  3. Auch im Verfahren nach § 1686 a BGB hat das Gericht das Kind grundsätzlich persönlich anzuhören.
  4. Vor einer Anhörung bzw. einer etwaigen Begutachtung ist das Kind bei entsprechender Reife grundsätzlich über seine wahre Abstammung zu unterrichten, so-fern ein Umgang nicht bereits aus anderen, nicht unmittelbar das Kind betreffen-den Gründen ausscheidet.

 

Bei dieser Entscheidung handelt es sich um die erste Entscheidung des BGH zum Umgangsrecht des leiblichen/biologischen, jedoch nicht rechtlichen Vaters. Hierbei handelt es sich um Fallkonstellationen, in denen die rechtliche Vaterschaft eines anderen Mannes besteht (z. B. allein durch das Verheiratetsein mit der Mutter des Kindes), jedoch es feststeht bzw. unstrittig ist oder zumindest von dem mutmaßlichen leiblichen Vater eidesstattlich versichert wird, dass er der leibliche Vater des Kindes ist. Aus der Beziehung des aus Nigeria stammenden Antragstellers (leiblicher Vater) mit einer verheirateten Frau sind Zwillinge hervorgegangen, die Mutter lebt weiterhin mit ihrem Ehemann zusammen, aus deren Ehe 3 ältere Kinder hervorgegangen sind. Das Gesetz sah kein Umgangsrecht für einen biologischen Vater vor, der nicht in einer sozial-familiären Beziehung zu dem Kind steht oder gestanden hat. Der biologische Vater hat hiergegen erfolglos Verfassungsbeschwerde eingelegt, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat jedoch festgestellt, dass die Versagung jeglichen Umgangs ohne Prüfung des Kindeswohles ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK (jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens …) ist (FamRZ 2011, Seite 269). Daraufhin hat der Kindsvater erneut Umgangsantrag gestellt, zwischenzeitlich war auch § 1686 a BGB (Juli 2013) neu ins BGB aufgenommen worden, wonach ein Recht auf Umgang mit dem Kind für den nur leiblichen Vater besteht, wenn der Vater ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat und der Umgang dem Kindeswohl dient.

 

Das Amtsgericht hatte dem Vater daraufhin ein Umgangsrecht (begleitet) gewährt, das Oberlandesgericht jedoch hat diese Entscheidung wieder aufgehoben, nachdem nach Auffassung des OLG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Ablehnung und beharrliche Weigerung der Eltern, einen Umgang zuzulassen, im vorliegenden Fall ausreichend war, weil diese angebliche psychische Belastung der Eltern auch auf das Kindeswohl durchschlagen würde. Zudem ist die Stabilität und Belastbarkeit des Familienverbandes ebenso zu beachten. Der BG hat moniert, dass das Gutachten eingeholt wurde, ohne dass die zwei 9-jährigen Zwillinge hinsichtlich ihrer Abstammung aufgeklärt gewesen sind, zudem bietet das Gutachten keine ausreichende Grundlage zur Frage der Kindswohldienlichkeit. Die Kinder hätten angehört werden müssen.

 

Der BGH hat die Sache an das OLG zurückverwiesen und darauf hingewiesen, dass Grundvoraussetzung ist die Unterrichtung der Kinder über ihre wahre Abstammung – nachdem die alt genug seien. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass die Aufklärung über die Abstammung ansich Elternverantwortung sei, bei Abwägung der verfassungsrechtlichen Werte stellt der Umgangswunsch des leiblichen Vaters eine verfassungsimmanente Schranke dar, d. h. Schranke hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Elternverantwortung zur Abstammungsaufklärung (BVerfG NJW 2015, Seite 542). Der BGH stellt schon heraus, dass zunächst aus Kindeswohlsicht geprüft werden muss, ob die Aufklärung der Abstammung aufgrund des Alters, der Persönlichkeit des Kindes etc. geboten ist, wenn das – wie im vorliegenden Fall möglicherweise so ist – muss ggf. der Tatrichter den Eltern hierzu eine Frist setzen – wird diese nicht befolgt, muss auf andere Art und Weise diese Aufklärung der Kinder sichergestellt werden. Wie das sein soll, sagt der BGH indes nicht. Staatliche Eingriffe sind aber nur in den Grenzen des § 1666 f BGB möglich, also nur bei Vorliegen einer Kindswohlgefährdung. Soll die Nichtaufklärung zur Abstammung kindswohlgefährdend sein? Wohl nicht. Wer soll denn ggf. eine „Zwangsaufklärung“ durchführen? Das Jugendamt, ein Sachverständiger oder am Ende der Richter? Selbige Fragen werden gestellt von Plettenberg in der Anmerkung zu diesem Urteil in NZFam 2016, Seite 1185.

 

Wie aus der Historie dieses Falles zu entnehmen, ist dieser Streit des Umgangs des leiblichen – nicht rechtlichen – Vaters aus Nigeria über viele Instanzen bislang über 10 Jahre geführt worden, sodass möglicherweise auch zu dieser Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und die verfassungsrechtliche Abwägung des BGH ggf. das Verfassungsgericht bei entsprechender Verfassungsbeschwerde anders sieht.

 

An dem Fall sieht man, dass viel Rechtstheorie betrieben wird, die praktische Relevanz jedoch wohl von untergeordneter Bedeutung ist, da Sachverhalte wie hier eher die Ausnahme sind. Aufgrund von verfassungsrechtlichen Vorgaben oder Vorgaben von europäischen Gerichtshöfen ist der Gesetzgeber jedoch immer wieder gehalten, auch abseitige Rechtskonstellationen gesetzlich zu normieren, woraufhin die Gerichte dann auch hierüber bei Vorliegen der speziellen Fallkonstellationen zu entscheiden haben – mit den hier aufgeworfenen Problemen …

 

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