- Volljährigenunterhalt
BGH, Beschluss vom 03.05.2017 – Az. XII ZB 415/16 – § 1610 Abs. 2 BGB
FamRZ 2017, Seite 1132
- Zum Ausbildungsunterhalt in den sog. Abitur-Lehre-Studium-Fällen (hier: anästhesietechnische Assistentin-Medizinstudium).
- Die Leistung von Ausbildungsunterhalt für ein Studium des Kindes kann einem Elternteil unzumutbar sein, wenn das Kind bei Studienbeginn bereits das 25. Lebensjahr vollendet und den Elternteil nach dem Abitur nicht über seinen Ausbildungspläne informiert hat, sodass der Elternteil nicht mehr damit rechnen musste, noch auf Ausbildungsunterhalt in Anspruch genommen zu werden.
In zeitlich engem Zusammenhang zur BGH-Entscheidung vom 08.03.2017 (Az, XII ZB 192/16) erfolgte eine weitere Entscheidung zu den sog. Abitur-Lehre-Studium-Fällen. Auch im vorliegenden Fall wurde der Tochter BAföG gewährt, der Träger des BAföG’s (Land Hessen) hat gegen den Vater aus übergegangenem Recht Unterhalt geltend gemacht. Das Kind (geboren 1984) hat im Jahr 2004 Abitur mit Notendurchschnitt 2,3 gemacht. Von Anbeginn hat sie sich für einen Medizinstudienplatz beworben. Nachdem ihr keiner zugewiesen wurde, begann sie eine Lehre als anästhesietechnische Assistentin, die sie im Jahr 2008 erfolgreich abschloss. Ab Februar 2008 hat sie in diesem Beruf gearbeitet. Für das Wintersemester 2010/2011 erhielt sie den gewünschten Medizinstudienplatz (26-jährig) und studiert seitdem Medizin.
Erst durch Aufforderung zur Auskunft erhielt der Vater Kenntnis von der Studienaufnahme, er hat weder mit seiner Tochter noch mit deren Mutter zusammengelebt und die Tochter letztmals getroffen, al sie 16 Jahre alt war. Per Brief hatte er im Jahr 2004 nach dem Abitur – dessen erfolgreiche Ablegung er annahm – mitgeteilt, dass er vom Abschluss der Schulausbildung ausgehe und keinen weiteren Unterhalt mehr leisten werde. Sollte dies anders sein, möge sich die Mutter melden. Reaktion auf diesen Brief erhielt der Vater nicht und hat seine Unterhaltszahlungen eingestellt.
Das Amtsgericht hat den Unterhaltsantrag abgewiesen, das OLG ist diesem gefolgt. Auch der BGH hat im hier vorliegenden Einzelfall keine Unterhaltspflicht mehr gesehen und die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Der BGH hat darauf hingewiesen, dass zwar nur eine Berufsausbildung geschuldet ist, die der Begabung und den Fähigkeiten sowie dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht, sich aber auch in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern halten muss. Ein einheitlicher Ausbildungsgang liegt auch in den sog. Abitur-Lehre-Studium-Fällen vor (Stichwort: enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang, sinnvolle Ergänzung: siehe obiges Urteil). Besonders hebt der BGH hervor, dass der Anspruch auf Volljährigenunterhalt vom Gegenseitigkeitsverhältnis geprägt ist (siehe Ziffer 2 – 6 des BGH-Urteils vom 08.03.2017). Eine feste Altersgrenze, ab deren Erreichung der Anspruch entfällt, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Maßgeblich war, ob den Eltern unter Berücksichtigung aller Umstände die Leistung von Ausbildungsunterhalt noch zumutbar war. Dies wird nicht allein durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestimmt, sondern auch inwieweit Eltern damit rechnen müssen, dass ihr Kind weitere Ausbildungsstufen anstrebt. Zu den schützenswerten Belangen der Eltern gehört, sich in der eigenen Lebensplanung darauf einstellen zu können, wie lange die Unterhaltslast dauern wird. Der Vater hatte im vorliegenden Fall insbesondere nach dem Abitur des Kindes und der vermeintlichen Beendigung der Unterhaltspflicht finanzielle Dispositionen (Eigenheim – Kredit etc.) getroffen.
Nach diesen Maßstäben hat der BGH den Unterhaltsanspruch versagt. Das Studium der Medizin war nicht wegen der Abiturnote unangemessen (studienbedingte Wartezeiten üblich), auch fehlt kein zeitlicher Zusammenhang zwischen Lehre und Studium weil die Tätigkeit im erlernter Beruf lediglich der Überbrückung der zwangsläufigen Wartezeit diente und das Kind in dieser Zeit keinen Unterhalt wegen Eigenverdienst erhalten hat, sondern die Inanspruchnahme auf Unterhalt war deshalb unangemessen und unzumutbar, weil die Tochter über 25 Jahre bei Studienbeginn war und der Vater typischerweise nicht mehr mit der Aufnahme eines Studiums seiner Tochter rechnen musste. Insbesondere deshalb, weil die Tochter trotz schriftlicher Nachfrage zu keinem Zeitpunkt den Vater über ihre Ausbildungspläne in Kenntnis gesetzt hatte.
Wie man an dieser Entscheidung sieht, hebt der BGH das Gegenseitigkeitsprinzip hervor, um damit der schleichenden Ausweitung der Abitur-Lehre-Studium-Fälle Einhalt zu gebieten. Wenn aber „schlaue Kinder“ ihren Eltern prophylaktisch ihren gewünschten Ausbildungsweg mitteilen und sich daher Eltern auf längeren Unterhalt einstellen könnten/müssten, kann die Entscheidung im Einzelfall schon wieder anders ausfallen. Natürlich kann sich ein Kind auch „verzocken“, wenn es eine Ausbildungsidee mitteilt, die dann der tatsächlichen späteren Realität in keinster Weise entspricht. Ratschläge – wie man sich (auf welcher Seite man steht) verhält – sind schwierig, denn eine Nachfrage des Vaters beim Kind (wie im hier vorliegenden Fall) kann auch dazu führen, dass man „schlafende Hunde weckt“ und das Kind animiert, sich zu offenbaren, mit der Folge, dass dann in ähnlicher Konstellation der Unterhaltsanspruch noch nicht beendet ist. Einem volljährigen Kind ist immer anzuraten, demjenigen, von dem man Unterhalt will, zu erklären, was man gerade macht, welcher Ausbildungsgang angestrebt ist etc., um den Obliegenheiten aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis nachzukommen. Kommunikationsverweigerung zum zahlenden Elternteil wäre hier der falsche Weg.
Aus den beiden Entscheidungen des BGH zum Volljährigenunterhalt ist schon zu entnehmen, dass auf der einen Seite die „Fortbildungsfälle“ wohl großzügiger gesehen werden, auf der anderen Seite jedoch die Obliegenheiten des Kindes gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gestärkt werden, d. h. dem Grundsatz des Gegenseitigkeitsprinzips mehr Bedeutung zugemessen wird.
- Sorgerecht
BGH, Beschluss vom 3.05.2017 – Az. XII ZB 157/16 – § 1628 BGB
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- Die Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine sogenannte Standard- oder Routineimpfung handelt.
- Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer solchen Impfung kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (StiKo) beim Robert-Koch-Institut befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen.
- Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken ist hierfür nicht erforderlich.
Die Verfahrensbeteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten nichtehelichen Eltern ihrer fünf Jahre alten Tochter, die bei der Mutter lebt. Die Eltern haben wechselseitig Sorgerechtsanträge wegen der Gesundheitssorge gestellt. Der Vater ist für die normale Schutzimpfung welche durch die ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfohlen wird. Die Mutter ist der Meinung das Impfrisiko wiegt schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko, nur wenn Impfschäden ärztlicherseits mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, könne sie einer Impfung zustimmen.
Das Gesetz sieht bei Uneinigkeit in Einzelfragen des Sorgerechtes gem. § 1628 BGB die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf ein Elternteil vor. Hierzu bedarf es keiner Übertragung des Teilsorgerechts „Gesundheitsfürsorge“. Auch handelt es sich auf der anderen Seite nicht um eine Angelegenheit im Rahmen der sogenannten Alltagszuständigkeit gem. § 1687 BGB. (Einzelheiten zu § 1628 BGB in Merkblatt Nr. 79 des Verbandes ISUV e.V.)
Da beim Kind keine besonderen Impfrisiken bekannt sind, hat der BGH dem Vater die Entscheidungszuständigkeit für die Impfung des Kindes im Einzelfall übertragen, auch gegen den Willen der Mutter, da davon auszugehen ist, dass die Impfempfehlungen der ständigen Impfkommission medizinischer Standard sind (so schon BGH FamRZ 2000, S. 809 ff.) und zur Frage des Impfrisikos daher auch kein Gutachten einzuholen ist. Mit dieser Entscheidung hat der BGH sich klar dazu geäußert, dass routinemäßige Schutzimpfungen nicht der Alltagssorge unterliegen, sondern von erheblicher Bedeutung sind und somit grundsätzlich dem Sorgerecht zuzuordnen sind. Bei sorgerechtlichen Einzelfragen reicht aber eine Entscheidung nach § 1628 BGB, es bedarf keine Übertragung der gesamten Gesundheitsfürsorge auf ein Elternteil. Wer sich also auf die Empfehlungen der ständigen Impfkommission beruft wird die Entscheidungsbefugnis erhalten.
Mag diese Entscheidung eine Entscheidungsnotwendigkeit eines Gerichtes bei Uneinigkeit klar festhalten bzw. klarstellen, dass die Frage der Impfung keine Alltagszuständigkeit darstellt, wird trotzdem zu befürchten sein, dass sich Mütter/Väter darüber hinwegsetzen und schlichtweg (normative Kraft des Faktischen) auch bei entgegengesetztem Willen des anderen Mitsorgeberechtigten Impfungen durchgeführt werden. Das wird auch hinnehmbar sein, wenn ohne Anhaltspunkte einer Impfunverträglichkeit des Kindes nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission vorgegangen wird.
III. Vermögensrecht
BGH, Beschluss vom 22.02.2017 – Az. XII ZB 137/16 – §§ 273,749,753,1361b; BGB; § 16 Abs. 2 NHintG
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- Wird der Übererlös aus der Zwangsversteigerung (Teilungsversteigerung) eines Grundstücks hinterlegt, weil die Gemeinschafter während des Zwangsversteigerungsverfahrens keine Einigung über dessen Verteilung erzielen konnten, setzt sich die Bruchteilgemeinschaft an der Forderung gegen die Hinterlegungsstelle (Amtsgericht) fort.
- Allein die Hinterlegung des Übererlöses führt noch nicht zur Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft der Miteigentümer (Aufgabe von BGH FamRZ 2000 S. 355)
- Dem Anspruch auf Aufhebung der Bruchteilgemeinschaft (§§ 749,753 BGB) können von dem anderen Teilhaber (Miteigentümer) keine gemeinschaftsfremden Forderungen entgegengehalten werden (so schon BGH FamRZ 2014 S. 285).
- Steht die Ehewohnung im Miteigentum der Ehegatten, enthält für die Zeit des Getrenntlebens die Vergütungsregelung nach § 1361 b Abs. 3 S. 2 BGB die gegenüber § 745 Abs. 2 BGB speziellere Regelung( so schon BGH FamRZ 2014 S. 460)
Die Leitsätze des BGH hören sich kompliziert an, besagen jedoch letztendlich folgendes: wird eine gemeinsame Immobilie teil- oder zwangsversteigert, ist dieses Verfahren erst beendet, wenn der Erlös an die Beteiligten verteilt ist. Das noch viel wichtigere Ergebnis der Entscheidung ist jedoch, dass im Rahmen der Auseinandersetzung des Erlöses dem anderen gegenüber keine Ansprüche aus der Ehe entgegen- oder aufgerechnet werden können, insbesondere keine Ansprüche aus Zugewinn, Nutzungsentschädigung oder gar Unterhalt, da solche Ansprüche „ gemeinschaftsfremd“ sind, d.h. nichts mit der Eigentumsgemeinschaft an der gemeinsamen Immobilie zu tun haben.
Der BGH hatte im Jahr 1999 noch entschieden, dass bereits mit der Hinterlegung des Erlöses die Bruchteilgemeinschaft an der Immobilie aufgehoben ist und hatte im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens auf Auszahlung des hälftigen Erlösanteiles einen Anspruch auf Zugewinn mit berücksichtigt und den hälftigen Anteil desjenigen Ehegatten, der zugewinnausgleichsverpflichtet gewesen ist, um die Höhe des Zugewinnausgleichsanspruch gekürzt und im Rahmen der Erlösverteilung berücksichtigt. Eine solche Handhabe hat der BGH nunmehr verneint, der Erlösverteilung können nur Ansprüche entgegengesetzt werden, die ausschließlich aus der Gemeinschaft aus der Immobilie herrühren und nicht etwa aus der Lebensgemeinschaft (Ehe). Somit können keine Zugewinnausgleichsansprüche gegengerechnet werden, aber auch keine Ansprüche auf Nutzungsentschädigung wegen der Nutzung der gemeinsamen Ehewohnung die versteigert wurde, z.B. aus der Trennungszeit, da die Vergütungsregelung im Familienrecht (§1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB) angesiedelt ist und nicht im Gemeinschaftsrecht (§ 745 Abs. 2 BGB). Es ist daher ein familienrechtlicher Anspruch und kein gemeinschaftsrechtlicher Anspruch aus dem Gemeinschaftsverhältnis im Rahmen des Miteigentums an der Immobilie. Dies gilt für Nutzungsvergütungsansprüche während der Trennungszeit. Ein möglicher Vergütungsanspruch wegen Nutzung der gemeinsamen Immobilie nach Rechtskraft der Scheidung bestimmt sich nach § 745 Abs. 2 BGB. Dieser wurzelt im Recht der Bruchteilgemeinschaft und könnte daher grundsätzlich dem Aufteilungsverlangen von 50 : 50 hinsichtlich des Versteigerungserlöses entgegengehalten werden. Im vorliegenden Fall gab es zwar einen möglichen Nutzungsentschädigungsanspruch nach Rechtskraft der Scheidung, es fehlte jedoch an einem hinreichend deutlichen Verlangen auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung nach Rechtskraft der Scheidung.
Praxistipp:
Sofort mit der Trennung sollte man schriftlich – damit später beweisbar – eine etwaige Nutzungsentschädigung für die Nutzung einer gemeinschaftlichen/alleinigen Immobile verlangen, wenn der andere Ehepartner diese Immobilie nutzt. Zur Sicherheit sollte auch nach der Rechtskraft einer Scheidung ein solches etwaiges Verlangen gestellt werden. Dies hat den Zweck, dass für die Zeit des Getrenntlebens rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Verlangens Nutzungsentschädigung geltend gemacht werden kann, für die Zeit nach der Scheidung gilt dies dann entsprechend für die Zeit ab dem Verlangen nach Rechtskraft der Scheidung. In jedem Fall ist anzuraten, Zugewinnausgleichsansprüche etc. – d. h. Ansprüche aus der Ehe – rechtzeitig und gesondert geltend zu machen und ggf. bei Gericht einzuklagen, da eine Verrechnung bei der Auseinandersetzung im Rahmen eines Teilungsversteigerungsverfahrens nicht möglich ist.
- Ehevertrag
BGH, Beschluss vom 15.03.2017 – Az. XII ZB 109/16 – §§ 138, 1408 BGB
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Ein Ehevertrag kann aufgrund einer Gesamtschau der zu den Scheidungsfolgen getroffenen Regelungen sittenwidrig sein, dann wenn in objektiver Hinsicht und in subjektiver Hinsicht ein erhebliches Ungleichgewicht – insbesondere bei einer Unternehmerehe – besteht.
In einem Ehevertrag hatten die Eheleute grundsätzlich auf nachehelichen Unterhalt gegenseitig verzichtet, haben jedoch den Kinderbetreuungsunterhaltsanspruch und den Krankheitsunterhaltsanspruch bis zum 18. Lebensjahr eines eventuell gemeinsamen Kindes hiervon ausgenommen und der Höhe nach beschränkt. Zudem erfolgte gegenseitiger Verzicht auf Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich. Der Ehemann war Unternehmer, zum Zeitpunkt der Scheidung war die Ehefrau erkrankt (MS). Die Ehefrau beruft sich auf die Unwirksamkeit des Ehevertrages und verlangt Ehegattenunterhalt wegen Krankheit (das gemeinsame Kind war bereits volljährig und somit hätte der vertragliche Komplettausschluss gegriffen). Das AG hat der Ehefrau weder Unterhalt zugesprochen noch den Versorgungsausgleich durchgeführt. Das OLG hat trotz vertraglichem Ausschluss den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Ehemann zu gestuften Unterhaltszahlungen verpflichtet. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Unterhalts zugelassen, hinsichtlich des Versorgungsausgleichs nicht. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde des Mannes als unbegründet zurückgewiesen, mit dem Argument, dass mit dem OLG der Ehevertrag sittenwidrig sei.
Begründet wird dies, dass die Regelungen des Ehevertrages wegen § 138 BGB einer Wirksamkeitskontrolle nicht standhalten. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich aus einer Gesamtschau aller Elemente, die zwar für sich allein nicht, aber in ihrem Zusammentreffen sowohl zu einer objektiv als auch subjektiv unangemessenen Benachteiligung der Ehefrau führen. Es liegt auch eine subjektive Imparität (Ungleichgewicht) infolge der Ausnutzung der sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der Ehefrau bei Vertragsschluss vor. Sie war in die Vertragsverhandlungen nicht eingebunden gewesen, sie war objektiv in einer unterlegenen Verhandlungsposition. Beim Notartermin war das vor einem Monat geborene Kind dabei etc.
Mit diesem Urteil verlässt der BGH zwar nicht seine sogenannte Kernbereichslehre sondern stellt mehr darauf ab, inwieweit ein Vertrag in einer Unterlegenheitssituation geschlossen wurde und damit sittenwidrig ist. Grundsätzlich muss bei einem Ehevertrag die sogenannte Wirksamkeitskontrolle (Fragen der Sittenwidrigkeit bei Vertragsschluss) durchgeführt werden als auch die sogenannte Ausübungskontrolle (ob in der aktuellen Situation der Vertrag nach Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich ist).
Der BGH erklärt ausdrücklich, dass zwar jede einzelne Ausschlussregelung für sich gesehen zwar für die Ehefrau nachteilig ist, aber alleine betrachtet der Ausschluss von Zugewinn/Versorgungsausgleich/Unterhalt noch nicht zur Sittenwidrigkeit führt. Zum Kernbereich gehört z. B. der Betreuungsunterhalt, bis zum 18. Lebensjahr war jedoch dieser nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach beschränkt. Auch der Ausschluss des Krankheitsunterhalts ab dem 18. Lebensjahr ist nicht sittenwidrig, da zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kein Anhaltspunkt vorlag, dass die Ehefrau erkrankt. Selbst der Versorgungsausgleichsausschluss ist nicht sittenwidrig – obwohl zum Kernbereich gehörig – da die Rentenanrechte des Unternehmers sogar geringer waren als die der Ehefrau. Der Zugewinnausgleichsausschluss gehört ohnehin nicht zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts. Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Ehevertrag im Rahmen einer Gesamtwürdigung insgesamt sittenwidrig sein, wenn das Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt (so schon BGH, FamRZ 2014, Seite 629). Auch im hier vorliegenden Fall liegt nach Auffassung des BGH eine ungleiche Verhandlungsposition vor, eine einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität. Das ergibt sich nicht allein aus der einseitigen Lastenverteilung im Vertrag (nur Indiz), es kommen jedoch Umstände hinzu, die eine subjektive Ungleichheit bei Vertragsschluss erkennen lassen, insbesondere die Ausnutzung einer Zwangslage (z. B. Schwangerschaft oder Kleinkind), soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit oder intellektuelle Unterlegenheit oder Verständnisprobleme (Stichwort: Ausländerehe).
Der BGH kam daher gar nicht mehr zur sogenannten Ausübungskontrolle, sondern hat den Ehevertrag schon auf der Ebene der Wirksamkeitskontrolle für sittenwidrig erachtet und deshalb das OLG darin bestätigt, dass der Unterhaltsausschluss unwirksam ist. Mit dieser Entscheidung wird die Ehefrau vermutlich nunmehr auch Zugewinnausgleichsansprüche geltend machen (soweit nicht verjährt), nachdem der BGH den gesamten Ehevertrag in seiner Gesamtschau für sittenwidrig erachtet hat. Dies hauptsächlich wegen der subjektiven Unterlegenheitssituation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Daher sind auch Aussage, dass das Güterrecht/Zugewinn nicht zum Kernbereich der Ehe gehören und daher vertraglich immer wirksam ausgeschlossen werden können, so nicht richtig, insbesondere dann, wenn die vom BGH hervorgehobene subjektive Imparität (Ungleichgewicht) vorliegt (anders noch BGH, FamRZ 2004, Seite 601, der die Frage des Zugewinnausgleichs nur der Ausübungskontrolle unterwirft). Gerade bei einer Unternehmerehe dient nicht immer ein Versorgungsausgleich der sozialen Absicherung, sondern das geschaffene Vermögen innerhalb des Unternehmens, sodass auch ein vertraglicher Ausschluss des Zugewinnausgleichs in solchen Fällen zu hinterfragen ist und wie der BGH im Wege der Wirksamkeitskontrolle sittenwidrig sein kann (so schon OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, Seite 500 u. a.).
Praxistipp:
Bei einer Hochzeit mit einer Ausländerin oder einem Ausländer, die/der der deutschen Sprache kaum mächtig ist, ggf. in die Ausarbeitung des Ehevertrages nicht miteingebunden war und darüber hinaus noch schwanger ist, ist bei der Formulierung eines Ehevertrages mit Ausschluss höchste Vorsicht geboten. Kein Jurist wird in einem solchen Fall eine „Garantie“ dafür geben könne, ob der Ehevertrag mit seinen Ausschlussregeln im Falle der Scheidung „hält“. Man sollte darauf achten, dass zumindest beim Betreuungsunterhalt und beim Krankheitsunterhalt keine Einschränkungen gemacht werden, damit ein daneben vereinbarter Verzicht auf Zugewinn nicht in der Gesamtschau „infiziert“ wird und zumindest die Gütertrennung erhalten bleibt. Denn wenn in der Gesamtschau alle Regelungen für einen Ehepartner nachteilig sind und eine subjektive Unterlegenheit vorlag, wird ein Ehevertrag auch im Rahmen der Gütertrennung kaum wirksam sein/bleiben. Lieber an einer Stelle des Vertrages die gesetzliche Regelung aus dem Kernbereich der Ehe belassen und nicht ausschließen, dafür den wichtigeren Teil (z. B. Gütertrennung) wirksam erhalten.
- Betreuungsrecht
BGH, Beschluss vom 08.02.2017 – Az. XII ZB 604/15 – §§ 1901 a, 1904 BGB
FuR2017, Seite 331
- Eine Patientenverfügung entfaltet nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn sie neben den Erklärungen zu den ärztlichen Maßnahmen, in die der Ersteller einwilligt oder die er untersagt, auch erkennen lässt, dass sie in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll.
- Die schriftliche Äußerung, dass „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen.
- Die erforderliche Konkretisierung kann sich im Einzelfall auch bei nicht hinreichend konkret benannten ärztlichen Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Der Wille des Errichters der Patientenverfügung ist dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 6. Juli 2016 XII ZB 61/16 FamRZ 2016, 1671).
- BGH, Beschluss vom 8. Februar 2017 – XII ZB 604/15 – LG Landshut
Die Betroffene hat im Jahr 2008 einen Schlaganfall erlitten und befindet sich seitdem im Wachkoma und wird künstlich ernährt. In einer Patientenverfügung hatte sich ausgeführt, dass wenn sie nicht selbst in der Lage ist, ihren Willen zu bekunden, dass der Sohn Vollmacht habe, mit den Ärzten die erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Vor dem Schlaganfall hat sie bewiesenermaßen angesichts zweier Wachkomapatienten aus ihrem persönlichen Umfeld ausdrücklich erklärt, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle lieber sterben. Das Amtsgericht und die Beschwerdeinstanz haben den Antrag auf Abschalten der Geräte abgelehnt. Der BGH hat ausgeführt, dass aufgrund der Feststellungen feststehen muss, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht. Allein diese konkrete „Behandlungssituation“ könnte dazu führen, dass dem Antrag gefolgt wird. Ob der Gesundheitszustand der Betroffenen im Wachkoma diesen Behandlungszustand trifft, muss noch geklärt werden, hat deshalb die Sache wieder zurückverwiesen. Der BGH weist darauf hin, dass eine Patientenverfügung, die nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation der Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, als Behandlungswunsch berücksichtigt werden kann, jedoch nicht dann, wenn sich dieser Wunsch auf allgemein gehaltene Inhalte beschränkt. Deswegen muss die Patientenverfügung zumindest hinreichend bestimmte Angaben zu den medizinischen Maßnahmen enthalten. Insoweit weist der BGH auch darauf hin, dass die Betroffene den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen nicht von einer bestimmten Pflegesituation abhängig gemacht hat und macht damit letztendlich trotz seiner restriktiven Haltung zur konkreten Darlegung der Behandlungssituation das Tor für den Abbruch der lebenserhaltenden Ernährung wieder weit auf, weil der BGH letztendlich dem OLG vorwirft, den Willen der Betroffenen nicht ausreichend ermittelt zu haben. Insbesondere die Erfahrungen mit anderen Patienten aus dem persönlichen Umfeld der Betroffenen und der klaren Aussage „dass sie so nicht weiterleben wollte“ wurde nicht ausreichend gewürdigt. Überprüfungsmaßstab ist dabei der individuelle Patientenwille. Zunächst ist zu klären, ob bestimmte Behandlungswünsche geäußert sind, darüber hinaus ist der mutmaßliche Wille anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher (Patientenverfügung) Äußerungen, auch wenn sie keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation aufweisen.
Praxistipp:
Eine Patientenverfügung sollte in jedem Fall ca. alle 2 Jahre „erneuert“ werden, damit auch der aktuelle Wille erkennbar ist. Auch sollte eine solche schriftliche Verfügung auch möglichst konkrete Sachverhalte darlegen, ohne dabei einen allgemeinen Willen – z. B. Versagung einer künstlichen Ernährung bei Wachkoma und keiner realistischen Chance auf Beendigung dieser Situation – nicht trotzdem miteinzuschließen. Das wird immer wieder eine Gratwanderung sein inwieweit man eine Patientenverfügung sehr spezifiziert formuliert, um nicht damit „allgemeinere Themen“ auszuschließen.