Aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung

Nachteilsausgleich beim begrenzten Realsplitting

 

OLG Hamm, Beschluss vom 09.09.2018 – Az. 4 UF 79/18 – § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG

NZFam 2018, Seite 1094

 

  1. Rechtsstreite zum begrenzten Realsplitting (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) sind eine familiengerichtliche Unterhaltssache.
  2. Die Verpflichtung zum Ausgleich der dem Unterhaltsberechtigten durch die Durchführung des begrenzten Realsplittings entstehenden Nachteile ist eine familienrechtliche Mitwirkungsverpflichtung und ergibt sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB). Auch die Festsetzung von Steuervorauszahlungen gegenüber dem Unterhaltsberechtigten führt zu einem Freistellungsanspruch gegenüber dem Unterhaltspflichtigen.

 

Das begrenzte Realsplitting bedeutet, dass der Unterhaltsverpflichtete mit Zustimmung des Unterhaltsberechtigten Ehegattenunterhalt bis zu 13.805 € jährlich als Sonderausgaben steuerlich absetzen kann, der Unterhaltsberechtigte im Gegenzug diese Unterhaltszahlungen zu versteuern hat. Da der Unterhaltsverpflichtete aufgrund seines höheren Einkommens normalerweise eine höhere Steuerprogression hat als der Unterhaltsberechtigte, ergibt sich normalerweise im Saldo ein höherer steuerlicher Vorteil beim Unterhaltsverpflichteten im Verhältnis zum Steuernachteil beim Unterhaltsberechtigten. Den Steuernachteil beim Unterhaltsberechtigten hat der Unterhaltsverpflichtete zu ersetzen, aufgrund seines höheren Steuervorteils ergibt sich in der Summe ein finanzieller Vorteil auf Seiten des Unterhaltsverpflichteten. Das begrenzte Realsplitting greift natürlich erst, wenn keine gemeinsame Veranlagung der Eheleute mehr möglich ist (im Folgejahr der Trennung).

 

Streitig war immer, ob von Seiten des Unterhaltsverpflichteten alle finanziellen Nachteile zu ersetzen sind und ob auch die Verpflichtung besteht, dem Unterhaltsberechtigten schriftlich zu bestätigen, dass er nicht nur die steuerlichen Nachteile ersetzt, sondern sämtliche finanziellen Nachteile. Finanzielle Nachteile sind nicht nur steuerliche Nachteile, sondern möglicherweise der Verlust der Familienkrankenhilfe, Verlust anderer sozialrechtlicher Wohltaten, etwaige Steuerberaterkosten oder eben auch die Frage, ob bereits die Steuervorauszahlungen, die das Finanzamt gegenüber dem Unterhaltsberechtigten festgelegt hat, von dem Unterhaltsverpflichteten verlangt werden können, obwohl bei ihm zu diesem Zeitpunkt noch kein Steuervorteil „angekommen“ ist (erst mit Steuerbescheid für diesen Veranlagungszeitraum, der erst im folgenden Jahr frühestens ergehen wird).

 

Die obergerichtliche Rechtsprechung ist insoweit nicht einheitlich. Das OLG Bamberg (BeckRS 2009, 25091), das OLG Köln (BeckRS 2010, 5866) und das OLG Oldenburg (BeckRS 2010, 13597) vertreten die Auffassung, dass die Vorauszahlungspflicht ein zu ersetzender steuerlicher Nachteil ist. Etwas differenzierter, aber doch ebenso bejahend OLG Frankfurt (FuR 2007, Seite 430). Verneinend OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, Seite 67. Eine BGH-Rechtsprechung hierzu gibt es nicht. Auch das OLG Hamm bejaht die Frage, dass ein finanzieller Nachteil bereits dadurch entsteht, dass Vorauszahlungen von der Finanzverwaltung festgelegt werden, und daher der Unterhaltsverpflichtete zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Vorauszahlungen diese zu übernehmen hat. Es ist davon auszugehen, dass diese Rechtsauffassung als „herrschende Meinung“ zu werten ist.

 

Ausdrücklich wird jedoch darauf hingewiesen, dass natürlich bei der Höhe der Übernahme der Vorauszahlungsverpflichtung darauf zu achten ist, ob der Vorauszahlungsbescheid tatsächlich die Belastung wiedergibt, die aus den Unterhaltszahlungen resultiert. Der Vorauszahlungsbescheid kann durchaus auch mehrere Sachverhalte zusammenfassen, die zu einer Vorauszahlungspflicht führen. Zu übernehmen ist natürlich nur der Anteil, der sich aus dem Realsplitting ergibt. Selbige Problematik ergibt sich beim „normalen“ finanziellen Ausgleich der steuerlichen Nachteile auf der Grundlage eines Steuerbescheides. Hier ist nicht automatisch ein etwaiger Steuernachzahlungsbetrag aus einem Steuerbescheid des Unterhaltsberechtigten zu übernehmen, sondern nur derjenige Anteil, der sich rechnerisch im Vergleich der Steuerfestsetzung mit und ohne des Ansatzes der Unterhaltszahlungen ergibt. Um dies exakt berechnen zu können, sollte sich der Unterhaltsverpflichtete bei Steuervorauszahlungen immer den Vorauszahlungsbescheid und den „dazugehörigen“ Steuerbescheid geben lassen bzw. immer den Steuerbescheid, um ggf. über den eigenen Steuerberater die Nachteile aus dem Realsplitting herausrechnen zu können.

 

 

Exkurs (häufige Problemstellungen beim Realsplitting):

 

  • Der Unterhaltsberechtigte muss der Durchführung des Realsplittings zustimmen, soweit der Unterhaltsverpflichtete sind bindend verpflichtet, finanzielle Nachteile auszugleichen (so schon BGH, FamRZ 1983, Seite 576). Die Erklärung, den anderen nur von steuerlichen Nachteilen freizustellen, reicht nicht.
  • Zustimmung zum Realsplitting bedeutet nicht zwingend eine Verpflichtung zur Unterzeichnung der „Anlage U“ zur Einkommensteuererklärung (BGH, FamRZ 1998, Seite 953). Insoweit genügt eine schriftliche Zustimmungserklärung des Unterhaltsberechtigten gegenüber dem Finanzamt. Andere Auffassung, etwa der Finanzbehörde, ist unbeachtlich.
  • Eine Sicherheitsleistung im Vorfeld für entstehende Nachteile auf Seiten des Unterhaltsberechtigten darf nur verlangt werden, wenn konkreteAnhaltspunkte bestehen, dass der Unterhaltsverpflichtete die entstehenden Nachteile nicht oder nicht rechtzeitig ersetzt (BGH, FamRZ 2009, Seite 1207). Dies ist z. B. der Fall, wenn der Pflichtige überschuldet ist (OLG Stuttgart, FuR 2018, Seite 48) oder sich bereits in der Vergangenheit insoweit treuwidrig verhalten hat.
  • Die Durchführung des Realsplittings ist eine Unterhaltsangelegenheit. Dies hat zur Folge, dass im gerichtlichen Verfahren Anwaltszwang besteht oder mit den aus dem Realsplitting erwachsenden Nachteilen nicht aufgerechnet werden darf (BGH FamRZ 1997, Seite 554).
  • Steuerberaterkosten des Unterhaltsberechtigten sind grundsätzlich nicht auszugleichen, es sei denn, die Inanspruchnahme eines Steuerberaters ist für den Unterhaltsberechtigten zwingend erforderlich, wenn z. B. wegen schwieriger steuerrechtlicher Fragen dies dem Unterhaltsberechtigten unzumutbar wäre (BGH, FamRZ 2002, Seite 1024). Als Beispielsfall gilt z. B. eine sogenannte Hausfrauenehe, bei der die unterhaltsberechtigte Person niemals vorher eine Steuererklärung selbst erstellt hat. Nach diesseitiger Auffassung beschränkt sich jedoch auch dann die Kostenübernahme der Steuerberaterkosten auf den „Anteil“, der auf die Durchführung des Realsplittings entfällt.
  • Die Zustimmung zum Realsplitting darf nicht von der Zusage einer unmittelbaren Beteiligung an der Steuerersparnis beim anderen abhängig gemacht werden (BGH, FamRZ 1984, Seite 1211). Der Steuervorteil auf Seiten des Unterhaltsverpflichteten ist bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen und führt insoweit indirekt zu einer Beteiligung des Unterhaltsberechtigten.
  • Vorsicht: Neben den steuerlichen Nachteilen können auch weitere finanzielle Nachteile durch das Realsplitting entstehen, dies gilt insbesondere für öffentliche Leistungen, wenn durch das Realsplitting das „zu versteuernde Einkommen“ überschritten wird, welches im sozialgesetzlichen Bereich als Obergrenze für sozialstaatliche Leistungen festgelegt ist. Das gilt nicht nur für die sozialrechtliche Grenze der Familienkrankenversicherung, sondern es kann ebenso gelten für das Erziehungsgeld, Elterngeld, Renten, Stipendien etc.. Wenn dann der Steuervorteil wider Erwarten geringer ist, als der gesamte finanzielle Nachteil, besteht trotzdem Erstattungspflicht des Unterhaltsverpflichteten, da die Zustimmung zum Realsplitting nach Beginn des Veranlagungszeitraumes unwiderruflich ist (OLG Hamm, FamRZ 1988, Seite 1069).
  • Bis zu einem Jahresbetrag von 13.805 € kann Unterhalt steuerlich geltend gemacht werden. Dies gilt nur für den Ehegattenunterhalt, nicht für den Kindesunterhalt. Unterhaltszahlungen sind einmalige (z. B. Abfindungszahlung) oder laufende, monatliche Zahlungen. Daneben ggf. auch Sachzuwendungen, wie z. B. die Bezahlung der Krankenversicherung für den Unterhaltsberechtigten oder der geldwerte Vorteil der Überlassung der gemeinsamen Immobilie zum alleinigen Wohnen (BFH, FamRZ 2000, Seite 1360; FG Köln, FamRZ 2001, Seite 221). Es obliegt nicht dem Unterhaltsberechtigten, darüber zu befinden, in welcher Höhe der Steuerpflichtige Unterhalt beim Finanzamt geltend macht, es obliegt alleine der Finanzverwaltung, dies zu entscheiden, daher kein „Vetorecht“ des Unterhaltsberechtigten. Hingegen ist die Frage der Verpflichtung zur Zustimmung zum Realsplitting keine steuerliche Frage, sondern eine familienrechtliche Frage und daher ggf. beim Familiengericht zu klären.

 

Das Realsplitting kann zu nicht unerheblichen Steuervorteilen führen. Es ist daher immer anzuraten, die Durchführung des Realsplittings anzudenken. Zudem besteht die unterhaltsrechtliche Verpflichtung, alle steuerlichen Vorteile “mitzunehmen“. Ein feststehender steuerlicher Vorteil/Nachteil ist bereits in einer Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen. Ergänzende und vertiefende Ausführungen zum Realsplitting, einschließlich Klagemuster und Vereinbarungsvorlagen finden Sie in Merkblatt Nr. 55 des Verbandes ISUV/VDU e. V.

 

 

 

Unterhaltstitulierung

 

OLG Bamberg, Beschluss vom 14.05.2018 – Az. 2 UF 14/18 – § 1601 BGB

NZFam 2018, Seite 998

 

Ein minderjähriges Kind hat einen Anspruch auf die Errichtung eines unbefristeten Titels über zu zahlenden Kindesunterhalt, also eines Titels, der nicht auf die Zeit der Minderjährigkeit begrenzt ist.

 

Bei einem minderjährigen Kind ist es ständige Rechtsprechung, dass ein Anspruch auf Titulierung des Kindesunterhaltes besteht. Titulierung bedeutet die Vorlage einer vollstreckbaren Urkunde, die es dem unterhaltsberechtigten Kind ermöglicht, bei Ausbleiben der Unterhaltszahlung direkt in eine Zwangsvollstreckung einzutreten und nicht erst ein gerichtliches Verfahren zu führen. Vollstreckbare Titel sind z. B. ein gerichtliches Urteil/Beschluss, ein gerichtlicher Vergleich, eine notarielle Urkunde mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung, aber auch und insbesondere eine Jugendamtsurkunde, die kostenfrei bei jedem Jugendamt auf Antrag des Unterhaltsverpflichteten errichtet werden kann. Insbesondere weil es diese kostenfreie Möglichkeit gibt, besteht bei Minderjährigenunterhalt die Verpflichtung des Unterhaltsverpflichteten, einen solchen vollstreckbaren Titel errichten zu lassen.

 

Im vorliegenden Fall hat der unterhaltsverpflichtete Vater zwar eine Notarurkunde errichten lassen, mit der er eine Zahlungspflicht i. H. v. 144 % des jeweiligen Mindestunterhaltes der jeweiligen Altersstufe unter Abzug des jeweils hälftigen Kindergeldes anerkannt hat. Er hat sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen. Er hat jedoch auch diesen Unterhalt in der Urkunde befristet bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (Volljährigkeit) des Kindes. Auch Jugendämter befristen zum Teil auf Wunsch des Unterhaltsverpflichteten Jugendamtsurkunden bis zur Volljährigkeit (sehr unterschiedliche Handhabe der Jugendämter). Das Kind wendet sich im Rahmen einer Abänderungsklage gegen die Befristung und verlangt einen über die Volljährigkeit hinausgehenden Unterhaltstitel. Das OLG Bamberg hat dem Kind Recht gegeben, mit dem Argument, dass Unterhaltstitel grundsätzlich unbefristet zu erstellen sind. Zudem ist der Kindesunterhaltsanspruch, der seine Grundlage in den §§ 1601, 1612 a BGB hat, ein einheitlicher Anspruch, nämlich der Verwandtenunterhalt, der keine Differenzierung zwischen minderjährigem und volljährigem Kind vorsieht (anders bei Getrenntlebendunterhalt und nachehelichem Unterhalt, dies sind zwei unterschiedliche Unterhaltsansprüche). Das OLG stellt zwar fest, dass eine dynamisierte, in Prozenten ausgedrückte Titulierung nur in der Zeit der Minderjährigkeit verlangt werden kann und dass sich grundsätzlich der Minderjährigenunterhalt (Barunterhalt des nicht betreuenden Elternteiles gemäß Düsseldorfer Tabelle) und der Volljährigenunterhalt (Quotenbarunterhalt beider Elternteile unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse) anders berechnen, trotzdem überwiegt der Grundsatz der „Anspruchsidentität“ beim Verwandtenunterhalt, mit der Folge, dass ein Anspruch auf Titulierung über die Volljährigkeit hinaus besteht. Das OLG führt weiter aus, dass eben zukünftige Entwicklungen nicht vorhergesehen werden können und dass Veränderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vom Unterhaltsverpflichteten zu gegebener Zeit mit einem Abänderungsverfahren geltend gemacht werden können.

 

Der Kommentator (Vorsitzender Richter OLG Frankfurt a. Main, Klaus-Jürgen Grün) stimmt dieser Entscheidung ohne Einschränkungen zu und verweist darauf, dass dies auch der herrschenden Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte entspricht (OLG Hamm, FamRZ 2012, Seite 129; OLG Celle, Beschluss vom 15.12.2016, Az. 19 UF 134/16, BeckRS 2016, 125550). Er führt weiter aus, dass es allein der Unterhaltsberechtigte bestimmen kann, ob eine Titulierung des Unterhalts in dynamisierter Form (§ 1612 a BGB) erfolgen soll, und dass für solche Titel § 244 FamFG ausdrücklich vorsieht, dass die nach Titulierung eingetretene Volljährigkeit eine Vollstreckung aus dem Titel nicht verhindert. Er empfiehlt sogar, gerade wegen § 244 FamFG und der dort beschriebenen Fortgeltung über die Volljährigkeit, in der Minderjährigkeit immer einen dynamisierten Titel errichten zu lassen.

 

Das OLG hat die Revision zum BGH zugelassen, die zunächst eingelegte Rechtsbeschwerde wurde wieder zurückgenommen.

 

Die Argumente für die Verpflichtung zur Errichtung eines unbefristeten Titels über die Volljährigkeit hinaus hält der Verfasser (RA Heinzel) nicht für stichhaltig. Mag auch in § 244 FamFG stehen, dass auch ein dynamisierter Titel eine Vollstreckung nach Volljährigkeit nicht verhindert, das heißt jedoch noch lange nicht zwingend, dass nicht ein befristeter Titel erstellt werden könnte. Auch ist nach diesseitiger Ansicht das Argument der Anspruchsidentität nicht stichhaltig, da eben Minderjährigenunterhalt und Volljährigenunterhalt völlig anders berechnet werden. Zudem hat ein volljähriges Kind seinen Unterhaltsanspruch darzulegen und zu beweisen, dies gilt insbesondere zur Frage, ob sich das Kind in einer Ausbildung befindet, ob das Kind Eigenverdienst erzielt, ob das Kind noch bei einem Elternteil lebt, ob das Kind Vermögen hat mit dem es ggf. seine Ausbildung zunächst selbst finanzieren muss. Zudem sind Unterhaltsansprüche volljähriger Kinder gegenüber minderjährigen Kindern sowie etwaigen Ehegatten nachrangig (es sei denn, es ist ein privilegiert volljähriges Kind im Alter zwischen 18 und 21 Jahren im Haushalt eines Elternteils lebend und sich in allgemeiner Schulausbildung befindend). Das kann dazu führen, dass ab Volljährigkeit überhaupt kein Unterhaltsanspruch mehr besteht. Das volljährige Kind muss Zeugnisse vorlegen, Studienbescheinigungen etc. Es besteht eine Mitwirkungsverpflichtung des Kindes. Weigert sich das Kind, hier mitzuwirken, sind die Eltern berechtigt, den Unterhalt bis zur Beibringung der Nachweise zurückzubehalten (Wendl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage, § 2, Rdn. 90; OLG Hamm, FamRZ 2013, Seite 1407). Wenn aber ein vollstreckbarer Titel besteht, prüft ein Gerichtsvollzieher diese Fragen nicht und die Vollstreckung droht. Zudem gibt es auch zur Frage des Zurückbehaltungsrechts unterschiedliche Auffassungen.

 

Warum soll dann der Unterhaltsverpflichtete derjenige sein, der eine Abänderungsklage des über die Volljährigkeit hinausgehenden Titels führen muss?

Warum soll nicht das volljährige Kind, welches aufgrund seiner ab der Volljährigkeit eintretenden Mitwirkungsverpflichtung und Darlegungslast seinen Unterhaltsanspruch geltend machen muss, nicht aktiv derjenige sein, der seinen Unterhaltsanspruch ggf. einklagen muss?

Warum soll nicht insbesondere aufgrund der völlig anderen Berechnung des Unterhaltes und der oben genannten erheblichen Veränderungen, die mit der Volljährigkeit eintreten können, eine Befristung eines Unterhaltstitels auf die Zeit bis zur Volljährigkeit möglich sein?

 

Es ist daher zu empfehlen, bei Jugendamtsurkunden oder auch bei notariellen Urkunden eine Beschränkung auf die Minderjährigkeit festzuschreiben, in der Hoffnung, dass das minderjährige Kind/andere Elternteil sich damit zufrieden gibt. Aufgrund der bedauerlicherweise tatsächlich bestehenden als fast gesichert anzusehenden Rechtsprechung sollte man jedoch bei Verlangen nach einem unbefristeten Titel dem auch nachkommen, da die Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Klärung auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des OLG Bamberg und der anderen Gerichte als gering einzuschätzen sind. Das ändert jedoch nichts an der hier geäußerten Kritik an dieser Rechtsprechung. Auch zeigt die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum BGH durch das OLG Bamberg, dass auch das OLG erkannt hat, dass dies höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und hat wohl auch die Möglichkeit gesehen, dass diese Rechtsfrage durch den BGH auch anders entschieden werden könnte.

 

Die Sonderproblematik beim Minderjährigen zum Volljährigenunterhalt wird ausführlich dargestellt in Merkblatt Nr. 22 „Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder“ des Verbandes ISUV/VDU e. V.

 

 

 

Elterliche Sorge und Umgangsrecht

 

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 16.10.2018 – Az. 1 UF 74/18 – § 1696 BGB

NZFam 2019, Seite 42

 

Hat das Familiengericht nach Trennung der Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein Kind im Rahmen eines sorgerechtlichen Verfahrens einem Elternteil zugeordnet (Residenzmodell), müssen triftige Kindeswohlgründe i. S. von § 1696 BGB vorliegen, um später eine Umgangsregelung im Sinne eines paritätischen Wechselmodells anzuordnen.

 

 

Der Vater hatte zunächst den Antrag gestellt, ihm zukünftig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei Kinder (zwischen 7 und 9 Jahre alt) zu übertragen. Auf den hilfsweise gestellten Antrag zumindest ein paritätisches Wechselmodell anzuordnen, hat das Familiengericht „nur“ einen ausgedehnten Umgang festgelegt. Hiergegen hat der Vater Beschwerde zum OLG eingelegt. Das Hauptargument des OLG war, dass keine „triftigen“ Gründe vorlägen, die das Kindeswohl betreffen. Das OLG hat insoweit den Maßstab des § 1696 Abs. 1 BGB zugrunde gelegt, der sicherstellen soll, dass bereits getroffene gerichtliche Entscheidungen nur in engen Grenze der Abänderung unterliegen. Auch wenn es sich hierbei letztendlich um ein Umgangsverfahren gehandelt hat, geht das OLG bei seinem Maßstab für die Abänderung von der sorgerechtlichen Norm des § 1696 BGB aus. Insbesondere hat das OLG ausgeführt, dass ein triftiger Grund für eine Abänderungsentscheidung nicht darin zu sehen ist, dass das Wechselmodell generell vorzugswürdig sei. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 1696 Abs. 1 BGB hat das OLG die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

 

Durch diese Entscheidung wird deutlich, dass man Sorgerechtsregelungen auch im Kontext mit Umgangsregelungen zu beachten hat und umgekehrt. Die Hürde der Abänderbarkeit i. S. d. § 1696 BGB ist grundsätzlich recht hoch, sodass auch andere Gerichten insbesondere auch bei Einzelfragen zum Sorgerecht die Hürde des § 1696 BGB als nicht zwingend erforderlich erachten. Das OLG Frankfurt hat sogar die hohe Hürde der Abänderbarkeit im Umgangsverfahren angewandt. Ob dies vor dem BGH Bestand hat, bleibt abzuwarten.

 

 

 

Elterliche Sorge und Umgangsrecht

 

OLG Bremen, Beschluss vom 16.08.2018 – Az. 4 UF 57/18 – §§ 1671, 1684 BGB

NZFam 2018, Seite 953

 

  1. Die gerichtliche Anordnung eines paritätischen Wechselmodells setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus.
  2. Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes. Das gilt insbesondere dann, wenn die Wohnorte der Eltern weit auseinanderliegen (hier ca. 100 km) und eine verlässliche Planung wegen ständig wechselnder Arbeitszeiten eines Elternteils nicht möglich ist.

 

Die Beteiligten streiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Amtsgericht hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter übertragen. Hiergegen hat der Vater Beschwerde beim OLG eingelegt und verfolgt sein erstinstanzliches Ziel eines Wechselmodells.

 

Das OLG Bremen hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfordere eine doppelte Kindswohlprüfung. Es sei in zwei Stufen zu prüfen, ob erstens die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und zweitens die Übertragung auf den Antragsteller dem Kindeswohl am besten entspricht. Das OLG geht davon aus, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht hier zu regeln ist, da sich die Kindeseltern nicht auf den Lebensmittelpunkt einigen können. Zudem liegen die Voraussetzungen für die Anordnung eines Wechselmodells nicht vor. Das OLG hebt heraus, dass das Wechselmodell keinen Vorrang vor anderen Betreuungsmodellen hat. Ein Wechselmodell erfordert einen erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarf, geeignete äußere Rahmenbedingungen (Nähe der elterlichen Haushalte, Erreichbarkeit von Schule etc.), aber auch eine bestehende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern. Da eine hohe elterliche Konfliktbelastung vorliegt, war schon aus diesem Grund, neben der Entfernung der Haushalte, ein Wechselmodell abzulehnen.

 

Diese Entscheidung des OLG Bremen zeigt erneut, dass ein Wechselmodell nach den vom BGH aufgestellten Maßstäben bei hoher elterlicher Konfliktbelastung regelmäßig nicht dem Kindeswohl entsprechen wird. So ist die Ablehnung eines Wechselmodells durch ein Elternteil ein Indiz für hohe Konfliktbelastung, aber auch geführte gerichtliche Umgangsverfahren vor dem Familiengericht. Trotz der Entscheidung des BGH zur grundsätzlichen Errichtung eines Wechselmodells auch gegen den Willen eines Elternteils, zeigt die Praxis, dass bei Zerstrittenheit der Eltern ein Wechselmodell von den Gerichten nur selten installiert wird.

 

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