Mehrbedarf / Sonderbedarf beim Kindesunterhalt

Vorbemerkung

Der Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder wird geprägt durch das „Kindsein“; sie haben noch keine eigene Lebensstellung, sondern leiten ihre Bedürftigkeit von der Lebensstellung der Eltern ab. Bei minderjährigen Kindern ist die Lebensstellung des barunterhaltspflichtigen Elternteils maßgeblich für den angemessenen Barunterhaltsbedarf des Kindes. Dem Unterhaltsanspruch des Kindes wird jedoch insoweit eine Obergrenze gesetzt, als es zwar einen Anspruch auf Befriedigung seines gesamten auch gehobenen Lebensbedarfs hat, nicht jedoch einen Anspruch auf Teilhabe am Luxus (BGH, NJW 1983, S. 1229). Um den angemessenen Unterhalt eines noch bei einem Elternteil lebenden Kindes zu bestimmen, wird von sämtlichen Oberlandesgerichten als Grundlage die Düsseldorfer Tabelle (Stand 01.01.2019) herangezogen.

 

Der Mindestunterhalt richtet sich seit 01.01.2016 nach dem steuerfrei zu stellenden Existenzminimum eines Kindes. Dieses wird jedes Jahr durch den „Existenzminimumbericht“ der Bundesregierung ermittelt. Der Mindestunterhalt wird dann durch Rechtsverordnung angepasst. Die tatsächlichen Zahlbeträge ändern sich darüber hinaus auch dann, wenn das Kindergeld sich ändert (z. B. zum 01.07.2019).

 

Zu bedenken ist immer, dass die Unterhaltstabellen kein Gesetz sind, sondern Richtlinien der einzelnen Oberlandesgerichte, und im Einzelfall ggf. Abweichungen hiervon möglich sind. In dem Tabellenunterhalt sind berücksichtigt Kosten für Nahrung, Urlaube, Pflege musischer und sportlicher Interessen, Taschengeld etc.. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung oder Kindergartenkosten sind nicht enthalten.

 

Häufig bereitet es Schwierigkeiten, eine Abgrenzung zu einem Mehrbedarf oder Sonderbedarf zu finden, ebenso die Abgrenzung zwischen Mehrbedarf und Sonderbedarf.

 

  1. Was ist durch den Tabellenbetrag der Düsseldorfer Tabelle abgedeckt?
    Wie schon oben erwähnt, richtet sich der Tabellenbetrag der ersten Einkommensgruppe der DT nach Existenzminimum eines Kindes entsprechend des Existenzminimumberichtes. In diesem sind die Grundbedürfnisse eines Kindes für Nahrung, Urlaube etc. aufgelistet und der Höhe nach fixiert. Die Tabellenbeträge erhöhen dann, je nach Einkommen des Unterhaltspflichtigen, prozentual diese einzelnen Kosten. An dieser Stelle sei angemerkt, dass bei sehr hohen Einkünften eine konkrete Bedarfsbestimmung auch für Kindesunterhalt möglich ist.
  2. Wann liegt Mehrbedarf vor?
    Mehrbedarf ist derjenige Teil des Lebensbedarfes, der regelmäßig, jedenfalls während eines längeren Zeitraumes, anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er mit Regelsätzen nicht erfasst werden kann. Weiterhin ist jedoch Voraussetzung für den Mehrbedarf, dass der Mehrbedarf kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts durch Anhebung des Tabellensatzes berücksichtigt werden kann.
    Für den Mehrbedarf sind beide Elternteile anteilig nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB heranzuziehen, d. h., auch der sorgeberechtigte Elternteil muss sich anteilig am Mehrbedarf beteiligen, nämlich in Höhe seiner Leistungsfähigkeit im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des anderen Elternteils.
  3. Können Sie einige Beispiele nennen?
    Zur Frage, was Mehrbedarf ist und was nicht, gibt es umfangreiche Rechtsprechung, die auch manchmal unterschiedlich ist, entscheidend ist jedoch, dass es sich um einen regelmäßig wiederkehrenden Mehrbedarf handelt:
  • krankheitsbedingter Mehrbedarf, z. B. teure regelmäßig notwendige Medikamente etc.
  • Kindergartenkosten: derartige Kosten sind in den Tabellenbeträgen der DT nicht beinhaltet. Verpflegungsanteile sind grundsätzlich herauszurechnen, weil in den Tabellensätzen beinhaltet. Selbiges gilt für fürsorgende Fremdbetreuung eines Kindes, die auch erzieherischen Zwecken dient (z. B. Hort). Nicht hingegen Betreuungskosten aufgrund berufsbedingter Gründe (z. B. privater Babysitter). Derartige Kosten sind kein Mehrbedarf des Kindes, sondern allenfalls berufsbedingte Aufwendungen (BGH, FamRZ 2018, Seite 23).
  • Schulisch indizierter Nachhilfeunterricht. Problematisch: weitergehender schulischer Mehrbedarf wie z. B. Kosten einer Privatschule/Internat. Mehrbedarf kann insoweit nur verlangt werden, wenn die Entscheidung für den Schulbesuch von beiden sorgeberechtigten Elternteilen einvernehmlich gemeinschaftlich getroffen worden ist oder ein sachliches Grund besteht, warum das Kind statt einer kostenfreien staatlichen Schule eine mit Mehrkosten verbundene Privatschule besucht. Bei beengten finanziellen Möglichkeiten bedarf es einer besonderen Rechtsfertigung. Gründe hierfür sind nur selten gegeben (OLG Oldenburg, NZFam 2019, Seite 38).
  • Reitunterricht/Trainerstunden: Betreibt ein Kind dies schon länger und haben die Eltern dies auch gefördert, wird dies als Mehrbedarf zu akzeptieren sein (OLG Naumburg, FamRZ 2008, Seite 177). Wenn derartige Mehrbedarfskosten neu entstehen, besteht regelmäßig keine Kostenübernahmeverpflichtung, wenn keine gemeinsame Absprache diesbezüglich und insbesondere wenn die Leistungsfähigkeit für „Luxussportunterreicht“ nicht gegeben ist.

 

  1. Wann liegt Sonderbedarf vor?
    Nach der Legaldefinition des § 1613 Abs. 2 Satz 1 BGB ist Sonderbedarf im Gegensatz zum Regelbedarf oder Mehrbedarf unregelmäßiger außerordentlich hoher Bedarf, der nicht auf Dauer besteht und daher zu einem einmaligen, jedenfalls aber zeitlich begrenzten Ausgleich neben dem regelmäßig geschuldeten Barunterhalt führen kann.
    Sonderbedarf muss überraschend und der Höhe nach nicht abschätzbar sein. Hierbei handelt es sich um einen Sonderfall, so dass auch die Rechtsprechung sehr restriktiv hiermit umgeht. Wie beim Mehrbedarf sind beide Elternteile anteilig nach § 1606 BGB heranzuziehen, und zwar in Höhe ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit (Quotenberechnung).

    Einige Beispiele für Sonderbedarf:

  • Erstausstattung eines Säuglings (BVerfG, FamRZ 1999, Seite 1342; OLG Koblenz, FamRZ 2002, Seite 2098).
  • Kieferorthopädische Behandlung (OLG Frankfurt, FamRZ 2011, Seite 570), aufgrund einer akuten Problematik. Bei längerfristigen Zahnbehandlungen sind die Zusatzkosten, die von der Kasse nicht getragen werden, kein Sonderbedarf sondern Mehrbedarf (so schon OLG Zweibrücken, FamRZ 1984, Seite 169). Hierzu zählen auch die notwendigen Kosten einer Zahnspange, sodass das „Kassenmodell“ zu wählen ist. Eine medizinische Indizierung ist immer notwendig.
  • behinderungsbedingte Anschaffung einer Schreibmaschine/Computers (OLG Köln FamRZ 1990, Seite 310, OLG Hamm NJW 2004, Seite 858)
  • Anschaffung von neuem Bettzeug wegen Staubmilbenallergie (OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, Seite 850).

 

Dagegen kein Sonderbedarf:

  • Konfirmation/Kommunion (BGH, FamRZ 2006, S. 612, OLG Hamm FamRZ 1993, Seite 995)
  • Führerschein (AG Arnstadt NJWE-FER 98, S. 248)
  • Schultüte (Palandt, § 1613 BGB, anders hingegen BVerwG, NJW 1993, Seite 2192).
  • Urlaub begründet keinen Sonderbedarf (OLG Frankfurt FamRZ 1990, S. 436), ebensowenig die Teilnahme an einer Jugendfreizeit (KG Berlin FamRZ 2003, S. 1584). Auch Klassenfahrten und Schullandheim sollen keinen Sonderbedarf darstellen (OLG Stuttgart, DAV 1984, S. 485, OLG Zweibrücken und OLG Hamm, FamRZ 2001, S. 444, a. A. OLG Köln, NJW 1999, S. 295, OLG Hamm, NJW-RR 2004, S. 1446). Nach der neuesten Rechtsprechung des BGH wird man diese Kosten als vorhersehbar einstufen müssen und allenfalls als Mehrbedarf akzeptieren können. Beim Mehrbedarf ist dann zu prüfen, wie hoch der normal gezahlte Unterhalt ist und ob hiervon Rücklagen gebildet werden können, wenn ja, wohl auch kein Mehrbedarf.
  • Austauschschüleraufenthalt (OLG Karlsruhe, FamRZ 1988, S. 1091), Auslandsstudium (OLG Hamm, NJW 1994, S. 2627)
  • Zimmereinrichtung Kind: Lediglich die Erstausstattung bei einem Säugling wurden als Sonderbedarf von der Rechtsprechung akzeptiert, nicht hingegen die Einrichtung eines Kinderzimmers (OLG Koblenz, FamRZ 1982, Seite 424).

 

Dies natürlich nur eine exemplarische Auflistung, wobei auch darauf hinzuweisen ist, dass im Einzelfall Gerichte auch anders entscheiden können. So ist natürlich auch Leistungsfähigkeit der Eltern etc. von Bedeutung.

 

Das Feld der Kostenübernahme für Mehr- und Sonderbedarf ist groß und führt immer wieder zu Streitigkeiten. Ein Gericht wird immer im Einzelfall darüber zu befinden haben, bei sehr guten Einkommensverhältnissen sind Gerichte insoweit großzügiger als in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen.

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