Unterhalt bei Betreuung von Kindern

Vorbemerkung

Ein Unterhalt bei Betreuung von Kindern nach Trennung und Scheidung kommt sowohl bei ehelichen Kindern in Betracht (§§ 1361, 1570 BGB), als auch bei nichtehelichen Kindern (§ 1615 l BGB). Zwar spielt auch beim Getrenntlebendunterhalt (§ 1361 BGB) die Frage der notwendigen Kinderbetreuung und der damit einhergehenden Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteiles eine Rolle, trotzdem stellen sich die Fragen zum Betreuungsunterhalt hauptsächlich beim Nachehelichenunterhalt (§ 1570 BGB) sowie beim Unterhaltsanspruch des betreuenden Elternteils bei nichtehelichen Kindern (§ 1615 l Abs. 2 BGB). Die Voraussetzungen für die Unterhaltsansprüche sind zwischenzeitlich nahezu identisch, Unterschiede sind zumeist marginal.

 

Gibt es Altersgrenzen, die die Unterhaltspflicht beeinflussen?

 

Ab wann bei Betreuung eines Kindes die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zumutbar ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles nach Maßgabe bestehender Kinderbetreuungsmöglichkeit, der Kindsbelange und der Elternbelange ab. Das früher praktizierte sogenannte Altersphasenmodell, sowie auch modifizierte Altersphasenmodelle sind nicht mehr gängige Rechtsprechung. Seinerzeit galt der Grundsatz, dass bis zum 8. Lebensjahr des Kindes in der Regel eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden konnte, zwischen 8 und 11 Jahren kam es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, bei einem Kind zwischen 11 und 15 Jahren bestand eine Erwerbsobliegenheit im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung und erst ab dem 15. Lebensjahr wurde eine Vollwerwerbsobliegenheit angenommen.

 

Nach derzeitiger Rechtslage gibt es den sogenannten „Basisunterhalt“, wonach wegen Kindsbetreuung bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des (jüngsten) Kindes keine Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils erwartet werden kann. Dies gilt sowohl bei ehelichen wie auch bei nichtehelichen Kinder (BVerfG, FamRZ 2007, Seite 965).

 

Ab Beginn des 4. Lebensjahres hat eine Einzelfallprüfung zu erfolgen. Üblicherweise erfolgt dann ein gestufter Übergang von der Teilzeiterwerbsobliegenheit zur Vollzeiterwerbsobliegenheit. Die Verlängerung des Betreuungsunterhaltes über das 3. Lebensjahr hinaus bestimmt sich vorrangig daran, ob kindbezogene Gründe oder elternbezogene Gründe vorliegen, die einen weitergehenden Betreuungsunterhaltsanspruch begründen. In § 1615 l BGB heißt es, dass sich die Unterhaltspflicht verlängert, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht, dabei sind insbesondere die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen. Der Wortlaut des § 1570 BGB besagt letztendlich das gleiche, d. h. dass zuerst und vorrangig kindbezogene Gründe für eine Verlängerung des Unterhaltsanspruchs zu prüfen sind, danach vorhandene Betreuungsmöglichkeiten abzuklären sind (Vorrang der Inanspruchnahme von Drittbetreuungsmöglichkeiten) und letztendlich erst nachrangig elternbezogene Gründe Berücksichtigung finden können.

 

Was könnten kindbezogene Gründe sein?

 

Grundsätzlich kommt ein Betreuungsunterhalt über das 3. Lebensjahr nur in Betracht, wenn eine geeignete Betreuungseinrichtung nicht zur Verfügung steht. Wenn keine zumutbaren Betreuungsmöglichkeiten bestehen, ergibt sich hieraus automatisch die Verringerung der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils sowie die Verlängerung des Unterhaltsanspruchs. Daneben kann es natürlich besondere Betreuungsbedürftigkeit eines Kindes geben, dies aus gesundheitlichen Gründen oder auch verhaltensbedingten Gründen. Seit dieser Rechtslage haben sich Belastungsstörungen bei Kindern (möglicherweise wegen Erhalt des Unterhaltsanspruches) erhöht. Natürlich ist auch einem Kind eine längere als 8-stündige Fremdbetreuung nicht zuzumuten, wenn dadurch nicht ausreichend Arbeitszeiten des betreuenden Elternteils abgedeckt sind, verbleibt natürlich eine Betreuungsrestzeit und somit ein Unterhaltsanspruch. Entscheidend ist das Kindeswohl, sodass folgende Kriterien eine dauerhafte Fremdbetreuung ausschließen und somit einen Betreuungsunterhaltsanspruch rechtfertigen:

 

  • Schulschwierigkeiten
  • Entwicklungsstörungen
  • Verhaltensauffälligkeiten (z. B. seelische Belastungen aufgrund der Trennung der Eltern)
  • Freizeitaktivitäten des Kindes, die das Kindeswohl fördern oder „schon immer“ ausgeübt wurden und dadurch Transportnotwendigkeiten bestehen (BGH, FamRZ 2012, Seite 1040)

 

Bei kleineren Kindern wird jedoch auch immer selbst bei Fremdbetreuung ein Rest Eigenbetreuung verbleiben, ebenso bei Schulkindern Schulbetreuung, sodass auch deshalb nur in den wenigsten Fällen eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit besteht.

 

Einzelfallrechtsprechung:

 

  • Besondere Betreuungsbedürftigkeit wegen Behinderung, Krankheit oder bei sogenannten Problemkindern (BGH, NJW 1984, Seite 2355; BGH FamRZ 2006, Seite 846; 2006 Seite 770; 2010, Seite 802).
  • Freizeitaktivitäten des Kindes, die der Förderung seiner musischen oder sportlichen Begabung dienen, und hierfür Fahr- und Betreuungsleistungen erforderlich sind (BGH, FamRZ 2014, Seite 1987).
  • Schulische Schwierigkeiten, Lernschwierigkeiten (OLG Hamm, FamRZ 2013, Seite 959)
  • Psychische Probleme des Kindes welches unter der Trennung der Eltern leidet, hier jedoch sorgfältig zu prüfen, ob nicht das trennungsbedingte leiden des Kindes zur Stabilisierung des Unterhaltsanspruchs des Elternteils instrumentalisiert wird (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, § 4 Rdn 174).

 

In diesem Zusammenhang wird immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich sein, sodass auch Rechtsprechungsübersichten hinsichtlich der Erwerbsobliegenheit etc. wenig aussagekräftig sind. Trotzdem hier an dieser Stelle eine kleine Auswahl:

 

  • Nur geringfügige Tätigkeit bei 5-jährigem Kind (OLG Hamm, NJW 2008, Seite 2049)
  • 25 Stunden bei Kindergartenkind (OLG Frankfurt, FamRB 2009, Seite 69)
  • Teilzeit bei zwei Kindern im Grundschulalter (OLG Düsseldorf, NJW 2008, Seite 2658)
  • Vollzeit bei 6-jährigem Kind unzumutbar (OLG München FamRZ 2008, Seite 1945)
  • 8-jähriges Kind muss nicht ganztags fremdbetreut werden (KG Berlin, FamRZ 2009, Seite 981)
  • Vollzeit bei 11- und 8-jährigem Kind bei Fremdbetreuungsmöglichkeit (OLG Köln, NJW 2008, Seite 659)
  • Halbtagstätigkeit bei 11-jährigem Kind mit ADHS (OLG Brandenburg, FamRZ 2008, Seite 1947); 30 Wochenstunden bei 11-jährigem Kind (OLG Karlsruhe, MDR 2009, Seite 512)
  • Vollzeit bei fast 12-jährigem Kind (AG Düsseldorf, FF 2008, Seite 211); Teilzeit ab 12. Lebensjahr und Vollzeit ab 15. Lebensjahr bei krankem Kind (AG Euskirchen, ZKJ 2009, Seite 39)

 

An dieser Stelle noch einmal der ausdrückliche Hinweis, dass es kein sogenanntes Altersphasenmodell mehr gibt, deshalb sind die oben genannten Entscheidungen zwar mit Altersangaben versehen, aber die dazugehörigen Einzelfallumstände haben dann zu der jeweiligen Entscheidung geführt.

 

 

Was könnten elternbezogene Gründe sein?

 

Eine Verlängerung der Betreuungszeit aus elternbezogenen Gründen soll vor allem das Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung bei Kindererziehung und Haushaltsführung schützen (BGH, FamRZ 2010, Seite 1624). Bei nichtehelichen Kindern kann ein solcher Vertrauenstatbestand natürlich nur dann vorliegen, wenn die Eltern mit ihrem gemeinsamen Kind auch ohne Trauschein zusammengelebt haben. Ein Vertrauenstatbestand kann sich etwa mit einem beiderseitigen Kindswunsch in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft entwickelt haben. Die Verlängerung aus elternbezogenem Grund ist insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt möglich, dass der betreuende Elternteil durch Berufstätigkeit und verbleibende Betreuung und Erziehung nicht überobligationsmäßig belastet werden darf.

 

Nachfolgend einige Fallbeispiele:

 

  • Die eheähnlich zusammenlebenden Eltern haben sich das Kind gewünscht und ihre Planungen darauf angelegt, dass der Vater die finanzielle Versorgung und die Mutter die Betreuung des Kindes übernimmt. In einem solchen Fall liegt ein besonderer Vertrauenstatbestand vor, der sich zu einer verlängerten Unterhalts­pflicht konkretisiert (BGH, FamRZ 2010, S. 357/444, BGH, FamRZ 2008, S. 1739, BGH FamRZ 2006, Seite 1562, OLG Frankfurt, FamRZ 2000, Seite 1522/OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, Seite 974). Der Vertrauensschutz darf allerdings nicht soweit gehen, dass der Wille des Gesetzgebers in sein Gegenteil verkehrt wird.
  • Die Mutter betreut mehrere Kinder desselben Vaters (Wever/Schilling, FamRZ 2002, Seite 581).
  • Die Mutter ist auf Grund Alter/Gesundheitszustand nicht in der Lage, neben der Kindesbetreuung auch noch einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wobei jedoch hier strenge Maßstäbe anzulegen sind (OLG Schleswig, FamRZ 2004, Seite 975, so auch BGH, FamRZ 2006, Seite 1562).
  • Der Vater steht in der besonderen Schuld der Mutter, etwa, weil sie ihm seine Ausbildung finanziert hat (Schwab Familienrecht, 11. Auflage 2001, Rz. 773), oder weil das Kind aus einer Vergewaltigung hervorgegangen ist (Büttner, FamRZ 2000, Seite 781).
  • Besonders günstige wirtschaftliche Verhältnisse des Vaters, die es unangemessen erscheinen lassen, das Kind auf die Betreuung durch eine mit Erwerbsarbeit zusätzlich belastete Mutter zu verweisen (Büttner, FamRZ 2000, Seite 781 ff.).
  • Die Kindsmutter hat einvernehmlich mit dem Kindsvater wegen der Kinderbetreuung ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben (BT-Drucksache 16/6980 v. 07.11.2007, Seite 22).

 

Ein Arbeitsplatzrisiko des betreuenden Elternteils und eine Arbeitslosigkeit sind kein Grund für eine Verlängerung des Betreuungsunterhaltsanspruchs (so schon OLG Nürnberg, FamRZ 2003, Seite 1320, anders, wenn zwar Arbeit zu finden wäre, aber wegen der Fremdunterbringung des Kindes dies mit den Arbeitszeiten nicht in Einklang zu bringen ist, Meier, FamRZ 2008, Seite 101).

 

Für den Betreuungsunterhaltsanspruch nach dem 3. Lebensjahr des Kindes empfiehlt es sich nachfolgenden Katalog von Prüfungskriterien zu beachten und je nachdem, welches Ziel man verfolgt, zu den einzelnen Kriterien konkret vorzutragen:

 

  • Alter und der sich daraus ergebende Betreuungsumfang;
  • Anzahl der Kinder;
  • Individuelle Umstände (z.B. gesundheitliche Beeinträchtigung, Erkrankung oder Behinderung des Kindes);
  • Entwicklungsstand, Neigungen und Begabungen des Kindes;
  • Konkrete Betreuungssituation und kindgerechte Betreuungsmöglichkeit;
  • Art und Umfang der Berufstätigkeit des betreuenden Elternteils;
  • Vereinbarte und/oder praktizierte Rollenverteilung in einer vorhergehenden Partnerschaft;
  • Verbleibender Betreuungsanteil neben der Unterbringung des Kindes in einer Tageseinrichtung;
  • Beteiligung des Pflichtigen an der Kindesbetreuung durch eine geregelte Ausübung des Umgangsrechts.

 

 

Man wird nicht davon ausgehen dürfen, dass mit dem dritten Lebensjahr des Kindes eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteiles eintritt. Vielmehr wird in der Praxis ein gestufter Übergang erfolgen. Erzielt ein betreuender Elternteil bei Betreuung von Kindern ein Einkommen, welches ansich überobligatorisch wäre, wird dieses überobligatorische Einkommen im Regelfall nur mit 50 % in eine Unterhaltsberechnung eingestellt. Auf der anderen Seite greift jedoch dann die häufige Argumentation, dass trotz Betreuung von Kindern die erhöhte Arbeitszeit „doch klappt“ und damit das Argument eines überobligatorischen Einkommens widerlegt wird. Anzumerken ist noch, dass Kosten der Betreuung, die nur dafür ausgegeben werden, damit der Beruf ausgeübt werden kann, berufsbedingte Aufwendungen des betreuenden Elternteils sind und nur bei einer Ehegattenunterhaltsberechnung zu berücksichtigen sind (BGH, FamRZ 2018, Seite 23). Kosten der Kindesbetreuung, die auch einen pädagogischen Hintergrund haben (z. B. Kosten Kindergarten), werden von der Rechtsprechung als Mehrbedarf des Kindes berücksichtigt und erhöhen somit den Kindesunterhalt (BGH, FamRZ 2008, Seite 1152). Eine exakte Abgrenzung ist häufig schwierig. Die Bezifferung eines Betreuungsunterhaltsanspruches ist äußerst schwierig und endet letztendlich aufgrund der Gesetzeslag in einer reinen Einzelfallrechtsprechung, wobei die hier genannten Kriterien zu beachten sind.

 

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