Vorbemerkung
Sehr häufig stellt sich bei der Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens die Frage, ob Zins- und Tilgungsleistungen bei Mit- oder Alleineigentum, oder bei in der Ehe angelegtem oder nicht in der Ehe angelegtem Wohnwert von diesem Wohnwert abzuziehen sind. Gesicherte Rechtsprechung ist es, dass derjenige, der mietfrei lebt, sich den objektiven Mietwert (Kaltmiete) zum Einkommen als geldwerten Vorteil zurechnen lassen muss (im Trennungsjahr nur der sogenannte angemessene Wohnwert/Mietwert). Ebenso sind Zinsen stets von diesem Wohnwert abzuziehen, unabhängig davon, ob der Wohnwert in der Ehe angelegt war oder nicht, ob es sich um Alleineigentum oder Miteigentum handelt. Bei Tilgungsleistungen ist zu unterscheiden, ob es sich um Miteigentum oder Alleineigentum handelt.
Wie sind Tilgungsleistungen zu berücksichtigen?
Sofern einer der Eheleute Tilgungsleistungen für eine gemeinsame Immobilie leistet, bedient er damit auch das Miteigentum des anderen, sodass bei gemeinsamem Eigentum grundsätzlich Tilgungsleistungen abzugsfähig sind.
Gilt das auch für Alleineigentum?
Bei Alleineigentum hat die Rechtsprechung bislang unterschieden. Da die Tilgung ab Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens als Stichtag für den Zugewinnausgleich bzw. bei Gütertrennung ab Trennung eine einseitige Vermögensbildung darstellt, sollen Tilgungsleistungen vom Wohnwert nicht abzugsfähig sein (so BGH, FamRZ 2007, Seite 879 u. a. zuletzt 2014, Seite 1098). Lediglich innerhalb der zu gestattenden zusätzlichen Altersvorsorge (4 % des Bruttoeinkommens) sollen Tilgungsleistungen als Vermögensbildung für die Altersvorsorge zusätzlich abzugsfähig sein. Argumentiert wird damit, dass Tilgung einseitige Vermögensbildung sei, was nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten zu gestatten ist.
Diese Rechtsprechung scheint durch die Entscheidung des BGH vom 18.01.2017 (BGH, FamRZ 2017, Seite 519) aufgehoben zu sein, zumindest verändert. Der BGH lässt den Abzug der Tilgungsleistungen – neben den Zinsleistungen – bis zur Höhe des Wohnwertes zu, dies mit dem Argument, dass ohne die Finanzierungsleistung einschließlich der Tilgung es nicht zu einer Bildung eines Wohnwerte kommen würde. Es wäre nicht zu rechtfertigen, die zur Schaffung des Vermögenswertes (Wohnwertes) unumgängliche Last unberücksichtigt zu lassen und den Unterhaltsberechtigten einseitig durch Nichtabzug der Tilgungsleistungen profitieren zu lassen (Palandt, 79. Auflage, § 1361 Rdn. 37).
Die Entscheidung BGH, FamRZ 2017, Seite 519 erging zum Elternunterhalt, gilt diese Rechtsprechung für alle Unterhaltsansprüche?
Richtig, diese Entscheidung des BGH erfolgte zum Elternunterhalt, es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum diese Rechtsprechung nicht auf andere Unterhaltsansprüche, bzw. auf die allgemeine Berechnung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens anzuwenden wäre, insbesondere auch auf den Ehegattenunterhalt (so auch Brudermüller, Palandt, 79. Auflage, § 1361 Rdn. 37; andere Ansicht Gerhardt, Handbuch des Fachanwalts für Familienrecht, 11. Auflage 2018, Kapitels 6, Rdn. 111 unter Verweis auf die schwächere Ausgestaltung des Elternunterhaltes).
Sehr interessant hierzu auch der Aufsatz von Finke (Forum Familienrecht 2019, Seite 2 ff. unter der Überschrift „Kein Wohnvorteil ohne Tilgungen – eine Erkenntnis und ihre Folgen für das Unterhaltsrecht“). Hier verweist Finke darauf, dass die Entscheidung des BGH vom 18.01.2017 (FamRZ 2017, Seite 519) – siehe oben – offensichtlich in der Praxis zu wenig Beachtung gefunden hat, weil auch der BGH in dieser Entscheidung letztendlich es verabsäumt hat, die Veränderung seiner Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen deutlich zu machen. Auch die Leitlinien der Oberlandesgerichte positionieren sich zu dieser Frage nicht. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich ohne Tilgungsleistungen keine Mieteinnahmen erzielen lassen, ebenso ist es nicht von der Hand zu weisen, dass sich ohne Tilgung kein Wohnwert ergibt. Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohn- oder Mietwertes stellen keine Vermögensbildung zu Lasten des Unterhaltsberechtigten dar, denn auf der anderen Seite kann es nicht sein, dass sich der Unterhaltsbedarf des Unterhaltsberechtigten dadurch erhöht, dass der andere einen Vermögenswert (Wohnwert) schafft, von dem der Unterhaltsberechtigte durch Abzug nur der Zinsleistungen profitiert. Ohne die Aufnahme der Schulden für ein mietfreies Wohnen (oder einer zu vermietenden Immobilie) gäbe es auch keinen Wohnwert (oder Mieteinnahme), sodass es als gerechtfertigt anzusehen ist, dass auch Tilgungsleistungen bis zum objektiven Wohnwert (Mieteinnahme) abzugsfähig sind und nicht als einseitige Vermögensbildung zu werten sind (so auch Finke, FF 2019, Seite 2 ff.; Borth, FamRZ 2017, Seite 682, Engels FF 2017, Seite 325, Schürmann, FamRZ 2018, Seite 1041/1045).
Wird sich diese Rechtslage bzw. Rechtsprechung bei den Instanzgerichten durchsetzen?
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Entscheidung des BGH vom 18.01.2017 in der Rechtsprechung auch für die ganz „normale“ Berechnung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens durchsetzt, und ob der BGH alsbald Gelegenheit bekommt, diese Frage allgemein nicht nur den Elternunterhalt zu entscheiden. Bis dahin wird es bei der Rechtsunsicherheit verbleiben, ob Tilgungsleistungen bis zum Wohnwert (Mieteinnahme) abzugsfähig sind oder nicht. Nach Auffassung des Verfassers ist ganz eindeutig der Abzugsfähigkeit bis zum Wohnwert (Mieteinnahme) der Vorzug zu geben, da das Argument, dass ohne Aufnahme eines Darlehens dieser Wohnwert (Mietwert) niemals geschaffen worden wäre oder geschaffen hätte werden können, mehr als stichhaltig ist.