OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.07.2020 – Az. 9 WF 444/20 – § 89 FamFG
(nicht veröffentlicht)
Die Verweigerung des Umgangs wegen des allgemeinen Infektionsrisikos führt nicht automatisch zu einem schuldhaften Verstoß gegen eine bestehende Umgangsregelung. Im vorliegenden Einzelfall ist das gemäß § 89 FamFG auszuübende Ermessen dahingehend auszulegen, dass eine Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht verhältnismäßig war.
Für die Zukunft und für den Fall einer zweiten Corona-Welle ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass aufgrund besserer Datenlage und entwickelter Hygiene- und Schutzmaßnahmen ohne Hinzutreten besonderer Umstände Umgangskontakte nicht ohne Sanktionen zu verweigern sind.
Bei dieser Entscheidung handelt es sich um die zweitinstanzliche Entscheidung des zugrundeliegenden Sachverhaltes AG Hersbruck, Az. 08 F 83/19 (siehe Urteilsbank ISUV-Report Nr. 164, Seite 19). Das OLG hat die Ordnungsgeldentscheidung des Amtsgerichtes aufgehoben und erkannt, dass in der „Hochzeit“ der Pandemie März/April große Unsicherheit herrschte und aufgrund unterschiedlicher Infektionsrisiken in der Familie der Mutter und der des Vaters die Kindsmutter „entschuldbar“ den Kontakt zum Vater zunächst ausgesetzt hat aber auch nach erfolgter Teilaufhebung des „Lockdowns“ unverzüglich den Umgang wieder gewährt hat. Das OLG hat sein Ermessen dahingehend ausgeübt, dass die Sorge um das Kind für die Mutter zum damaligen Zeitpunkt hinsichtlich der Corona-Pandemie zumindest nachvollziehbar war (Einzelfall auch im Hinblick der nicht unterbrochenen Umgangskontakte per Video und der Tatsache, dass zumindest im März beim Kind auch Krankheitssymptome erkennbar waren). Das OLG hat hier anders wie viele andere Gerichte nicht nur die strikte „Verletzung“ einer gerichtlichen Umgangsregelung gesehen, mit der Folge der Verhängung eines Ordnungsgeldes, sondern eine umfassende Ermessensabwägung vorgenommen. Hat die Kindsmutter „einmalig“ entschuldigt, aber auch den Finger erhoben und angemahnt, dass bei einem zweiten Lockdown das in dieser Form wohl nicht mehr zugunsten der Mutter entschieden werden würde.
Insgesamt ist anzuraten, nicht im Wege der Selbstjustiz den Umgang einfach zu unterbrechen, sondern im Wege einer einstweiligen Anordnung eine bestehende vollstreckungsfähige Umgangsregelung abändern zu lassen, um über diesen Weg Rechtssicherheit zu erhalten.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.07.2020 – Az. 1 WF 102/20 – § 89 FamFG
(nicht veröffentlicht)
Ein familiengerichtlich geregelter Umgang darf ohne rechtfertigende Änderungsentscheidung des Familiengerichts nicht unter Hinweis auf die Kontaktbeschränkungen wegen der Verbreitung des Corona-Virus verweigert werden. Gegen einen Elternteil, der den Umgang gleichwohl nicht gewährt, kann ein Ordnungsgeld verhängt werden.
Im hier vorliegenden Fall hat die Kindsmutter trotz Vorliegens einer vollstreckbaren Umgangsregelung Ende März 2020 dem Vater mitgeteilt, dass sie den Umgang aussetzt, da im Haushalt Corona-Risikogruppen lebten. Telefonkontakt etc. wurde ausdrücklich angeboten. Das Amtsgericht hat ein Ordnungsgeld gegen die Mutter festgesetzt. Das OLG hat diese Entscheidung bestätigt. Es liegt nicht in der Dispositionsfreiheit der Mutter sich über eine gerichtliche Umgangsregelung hinwegzusetzen. Das gilt auch und insbesondere in der Corona-Pandemie. Schon das Bundesministerium der Justiz hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Umgangsrechte aufgrund der Corona-Pandemie nicht auszuschließen sind. Die Empfehlung, soziale Kontakte möglichst zu vermeiden, beziehen sich nicht auf die Kernfamilie – was auch getrennt lebende Eltern sind. Auch Eltern in verschiedenen Haushalten sind Kernfamilie. Allein der Umstand, dass sich die Mutter zu ihrem Vorgehen berechtigt gefühlt hat, lässt ihr Verschulden im Hinblick auf die Verhängung eines Ordnungsgeldes (hier 300 €) nicht entfallen. Das OLG weist ausdrücklich darauf hin, dass auch die freiwillig auferlegte Quarantäne wegen der im Haus lebenden Großeltern unbeachtlich sei, die Entscheidung, auch das Kind einer freiwilligen Quarantäne zu unterstellen, unterliegt der gemeinsamen elterliche Sorge und hätte gemeinschaftlich entschieden werden müssen.
Zudem hätte sie vorrangig die bestehende gerichtliche Umgangsregelung ggf. im Wege einer einstweiligen Anordnung angreifen müssen.
Diese Entscheidung liegt im „Trend“, insoweit wird verwiesen auf ISUV-Report Nr. 164 und die dortige Urteilsbank und der dort mitgeteilten Entscheidungen zum Umgangsrecht.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2020 – Az. 13 WF 100/20 – § 89 FamFG
(NZFam 2020, Seite 780)
Die Ausübung des Ermessens in welcher Höhe ein Ordnungsgeld festzusetzen ist, hat sich am Kindeswohl sowie am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren.
Bei der Höhe des Ordnungsgeldes ist der Umfang/Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, die Intensität des Verstoßes und dessen Auswirkungen, der Vorteil des Umgangsverpflichteten und die Gefahr zukünftiger Verletzungshandlungen zu berücksichtigen.
Wie man anhand der Formulierungen schon erkennen kann, ist hier ein großer Ermessensspielraum eröffnet. Ein Gericht muss jedoch die Höhe ggf. „revisionssicher“ begründen. Hauptkriterium wird die Leistungsfähigkeit desjenigen sein, der Umgang verweigert, aber auch die Intensität. Wie aus der Entscheidung des OLG Nürnberg (siehe oben) zu erkennen ist, kann die Ermessensausübung auch dazu führen, dass kein Ordnungsgeld festgesetzt wird. Auch das OLG Brandenburg hat darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die damals beginnende Pandemie eine äußerst unsichere Faktenlage vorlag und selbst Wissenschaftler sich über Art und Weise der Pandemie nicht einig waren.
Durch zahlreiche Entscheidungen der Oberlandesgerichte kann wohl als gesichert festgestellt werden, dass die Corona-Pandemie allein der Durchführung des Umgangs nicht entgegensteht. Bei Verstoß hiergegen ist die Verhängung eines Ordnungsgeldes der Regelfall. Die Sorge des Elternteils, bei dem das Kind lebt, um dessen Gesundheit und eine zugegebenermaßen unklare Pandemielage entlasten jedoch.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.04.2020 – Az. 13 UFH 2/20 – § 1664 BGB
(nicht veröffentlicht)
Der Verstoß gegen die Corona-Ausgangsbeschränkungen rechtfertigt nicht den Obhutswechsel des Kindes von einem Elternteil zum anderen Elternteil.
Der Vater beantragte im Eilverfahren, dass die Kinder statt bei der Mutter zunächst bei ihm leben sollten, weil die Mutter die Corona-Ausgangsbeschränkungen nicht ernst nehme und zählt Kontaktpersonen auf, mit denen sich die Mutter entgegen der Ausgangsbeschränkungen getroffen hat. Der Vater sieht hierin die Erziehungsungeeignetheit.
Das OLG hat in dieser Frage den Antrag abgewiesen, da die Bußgeldverordnungen des Landes ausreichend sind, um die Mutter von entsprechenden Verstößen abzuhalten. Weitere Fragen über die Erziehungsfähigkeit können dann nur im Hauptsacheverfahren geprüft werden. Ein sofortiger Wechsel der Kinder zum Vater sei vorgreiflich und würde ggf. zu einem „Hin und Her“ führen, was dem Kindeswohl nicht förderlich ist.
Mit dieser Entscheidung hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Corona-Pandemie nicht dazu genutzt werden kann, entscheidende Fragen zum Aufenthalt der Kinder in einem Eilverfahren zu lösen.
Amtsgericht Aachen, Beschluss vom 15.05.2020 – Az. 220 F 136/20 – §§ 1628, 1687 BGB
(FamRZ 2020, Seite 1177)
Die betreuende Mutter entscheidet allein über die Notbetreuung der Kinder während der Corona-Pandemie, auch wenn der Vater betreuungsbereit ist.
Beide Eltern sind sorgeberechtigt. Die Besonderheit ist, dass die Mutter mit den Kindern in Deutschland lebt, der Antragsgegner in Großbritannien. Die Mutter beantragt, ihr die Alleinentscheidungsbefugnis zu erteilen, dass die Kinder in eine Notbetreuung gehen können, weil sie in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. Das Amtsgericht hat entschieden, dass selbst dann wenn der Vater bis auf Weiteres im Homeoffice von Deutschland aus agieren könnte, ist es ungewiss, wie lange er dies mit seinen Aufgaben im Hochschulbetrieb in England vereinbaren kann. Auch die Besorgnis, dass die Teilnahme der Kinder bei einer Notbetreuung ein höheres Infektionsrisiko in sich birgt, teilt das Amtsgericht nicht. Auch in einer Notbetreuung ist ein qualifizierter pädagogischer Ansatz zu erblicken und die Außenkontakte sind für die kindliche Entwicklung förderlich. Ob da in gleichem Maße für eine ständige Isolation im häuslichen Umfeld beim Vater im Homeoffice der Fall ist, sei zumindest fraglich. Die schulische Notbetreuung erscheint sogar kindeswohlgerechter.
Deshalb hat das Amtsgericht Aachen der Mutter die Alleinentscheidungsbefugnis für die Notbetreuung übertragen.
Diese Entscheidung geht in die völlig andere Richtung, als die Entscheidung des Amtsgerichts München vom 23.03.2020, Az. 566 F 2876/20 – siehe ISUV-Report Nr. 164, Seite 20. Daran erkennt man, dass für nahezu identische Sachverhalte Gerichte auch völlig anders urteilen können. Wie sagten schon die Politiker: „Für eine solche Pandemie gibt es keine Blaupause.“, das gilt auch für Juristen und deren Entscheidungen.
OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.07.2020 – Az. 2 UF 88/20 – §§ 1628, 1687, 1696 BGB
(NZFam 2020, Seite 781)
Die Flugreise eines Kindes nach Mallorca – zum damaligen Zeitpunkt kein Risikogebiet – ist in Zeiten der Corona-Pandemie eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung und keine Angelegenheit des täglichen Lebens, mit der Folge dass bei Uneinigkeit der Sorgeberechtigten die Alleinentscheidungsbefugnis auf ein Elternteil zu übertragen ist.
Das OLG Braunschweig hat mit dieser Entscheidung nur ausdrücklich erklärt, dass in Zeiten der Corona-Pandemie – anders wie zu normalen Zeiten – auch eine Flugreise ins europäische Ausland nicht mehr der Alleinentscheidungsbefugnis eines Elternteiles unterliegt, sondern der Zustimmung beider Sorgeberechtigter bedarf. Jede Auslandsreise ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung (insbesondere Flugreisen), da die Infektionsausbreitung zu Einschränkungen im Luftverkehr führen kann, neue Sperren möglich sind und somit erhebliche Unsicherheiten vorliegen, die insbesondere im Zusammenhang mit Flugreisen bestehen (Planungssicherheit bzgl. Rückflug, bzgl. staatlicher Restriktionen, wie Quarantäne etc.).
Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht demjenigen die Entscheidungsbefugnis übertragen, der gegen die Auslandsreise war, da die gebuchte Reise nicht das gerichtlich geregelte Umgangsrecht des Vaters respektiert hatte. Wie das Oberlandesgericht bei einem „Patt“ entschieden hätte, kann schwerlich vorausgesagt werden. Das wird wohl davon abhängig sein, in welcher „Pandemie-Situation“ man sich befindet (Stichwort: zweite Welle etc.). Wie schnell man vom Risiko-Gebiet oder umgekehrt zum Nicht-Risiko-Gebiet wird, sieht man bei Spanien/Mallorca/Kanaren oder umgekehrt Belgien/Luxemburg (Anfang September 2020). Das wird immer eine Momentaufnahme sein. Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 13.03.2020, Az. 7 UF 17/20, in der Hochzeit der Pandemie entschieden, dass bei einer Flugreise eine Infektion mit anderen Mitreisenden möglich ist und somit das Kindeswohl gefährdet ist. Ist es richtig, dass in einem Flugzeug Verhältnisse wie in einem OP-Saal vorherrschen? Das sind immer Abwägungsentscheidungen, in diesem Fall auch für Juristen, immer unter Kindeswohlgesichtspunkten.
Anmerkung:
Die Corona-Pandemie beschäftigt zwar derzeit hauptsächlich die Verwaltungsgerichte im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Verordnungen des Staates (Maskenpflicht, Quarantänepflicht, Veranstaltungsverbote etc.), jedoch wird auch das Familienrecht auch in Zukunft „Pandemie-Entscheidungen“ zu treffen haben. Auch im Familienrecht prallen – und wenn es nur um des Streiten Willens geht – unterschiedliche Auffassungen aufeinander. Die Justiz folgt zumeist der „herrschenden“ Meinung, die dann ggf. auch durch Gutachter oder anderweitige Rechtsgutachten zu unterlegen ist. Schon in der Vergangenheit haben sich getrennt lebende Eltern darüber gestritten, welche „normalen“ Schutzimpfungen einem Kind anzugedeihen sind. Für seinen eigenen Körper kann jeder selbst entscheiden, für ein gemeinsames minderjähriges Kind entscheiden eben grundsätzlich die beiden sorgeberechtigten Eltern gemeinschaftlich. Gelingt dies nicht, bleibt im Einzelfall nur die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis für einzelne Fragen auf ein Elternteil. Da werden sich übelicherweise Gerichte an wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse halten, so auch bislang an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut. So wird es dann wohl auch bei möglichen Corona-Schutzimpfungen sein. Ob das dann immer der Weisheit letzter Schluss ist, ist natürlich für einem Juristen auch schwer prüfbar.
Solche „Corona-Abwägungen“ unter dem Blickwinkel des Kindeswohls wird es weiterhin geben. Wenn zu Beginn der Pandemie staatliche Auflagen von der Justiz zum Großteil bestätigt wurden, so zeigt sich in der Phase des Verfassens dieser Zeilen, dass Rechtsverordnungen der Länder/Gemeinden immer mehr auch von der Justiz hinterfragt und auf die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Grundrechte überprüft werden und auch aufgehoben werden. Nichts anderes kann für die Rechtsprechung im Familienrecht gelten, es bedarf einer ständigen Abwägung zwischen dem Kindeswohl und der damit zusammenhängenden Ermessensentscheidungen durch pandemie-bedingte Veränderungen. Da wird und muss man auf den demokratischen Rechtsstaat zu vertrauen haben.
Unterhaltsrecht
OLG Hamm, Beschluss vom 23.04.2020 – Az. II-2 UF 152/19 – § 1361 BGB
(NZFam 2020, Seite 821)
Die tatsächliche Vermutung, dass ein Familieneinkommen bis zur Höhe des Doppelten des höchsten in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Einkommensbetrags (derzeit 2 x 5500 € = 11000 €) vollständig für den Lebensbedarf verwendet worden ist, kann von dem Unterhaltspflichtigen entkräftet werden. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt der Unterhaltspflichtige.
Die Eheleute streiten um Getrenntlebendunterhalt. Das gemeinsame Einkommen lag zusammen über 11000 €, wobei der Mann ca. 10000 €, die Frau ca. 3000 € verdienten. Vorgerichtlich wurde ein konkreter Bedarf von 3076 € begehrt, im gerichtlichen Verfahren ein Quotenunterhalt von 3049 €. Das Familiengericht hat zu einem Gesamtunterhalt von ca. 600 € verurteilt. Hiergegen hat die Frau Beschwerde eingelegt.
Das Familiengericht hat den Unterhaltsanspruch anhand des vorprozessual konkret dargelegten Bedarfs ermittelt und nicht nach einer Quote. Der BGH hat in FamRZ 2018, Seite 260 sowie FamRZ 2020. Seite 21, entschieden, dass eine tatsächliche Vermutung für den Verbrauch des Familieneinkommens spricht, soweit dieses derzeit die 11000 € nicht übersteigt, d. h. bis rechnerisch 11000 € kann der Unterhaltsberechtigte nach der für ihn günstigeren Quotenberechnung Unterhalt geltend machen.
Das OLG führt aus, dass diese Vermutung lediglich ein Anscheins- oder Indizienbeweis sei. Allein die ursprünglich vorgenommene konkrete Ermittlung des Elementarbedarfs spricht schon gegen die Annahme, die Ehegatten hätten ein Gesamteinkommen von 11.000 € im Monat verlebt. Diese Verbrauchsvermutung von 11000 € im Monat wurde auch im Verfahren dadurch widerlegt, dass der Unterhaltspflichtige ein während der Ehe geführtes Haushaltsbuch vorgelegt hat, aus welchem hervorgeht, dass vom Einkommen insbesondere auch Kreditverbindlichkeiten auf Eheimmobilien oder private Altersvorsorge verwendet wurden. Insoweit geht auch das OLG davon aus, dass die Verbrauchsvermutung von 11000 € im Monat nicht nur erschüttert sondern sogar widerlegt ist (§ 113 FamFG i.V.m. § 286 ZPO). Weil der Bedarf vorgerichtlich mit 3076 € angesetzt war und die Ehefrau selbst 2598 € verdient hat, konnte an Unterhalt nur der Differenzbetrag ausgeurteilt werden.
Praxishinweis:
Die Rechtsprechung des BGH führt grundsätzlich dazu, dass bei der 3/7-Methode und einem bereinigten Familieneinkommen von 11000 € dann ein Ehegattenunterhalt in Höhe von 4714 € geltend gemacht werden kann (bei 45 % – Süddeutsche Leitlinien sogar 4950 €). Auszugehen ist bei dieser Rechtsprechung von einem bereinigten Nettoeinkommen, d. h. nach Abzug von Steuern, KV, PV, gestatteter privater Altersvorsorge sowie anderweitiger unterhaltsrechtlich relevanter Abzüge und nach Abzug von etwaigem anderweitigem Kindesunterhalt. Das OLG gestattet nunmehr dem Unterhaltspflichtigen, die Verbrauchsvermutung dieser 11000 € zu widerlegen. Nach Auffassung des Verfassers ist diese Möglichkeit der „Gegendarstellung“ zu begrüßen, nachdem ohnehin die Grenze eines Einkommens von 11000 €, bis zu der ein Quotenunterhalt berechnet werden darf, zu hoch angesetzt ist. Die vom BGH aufgestellte Vermutung, dass bis 11000 € bereinigtem Einkommen das Geld auch verbraucht wurde, erschein realitätsfremd. Vormals hatten die Gerichte unterschiedliche „Obergrenzen“, teilweise bis maximal zur obersten Grenze der Düsseldorfer Tabelle, in Höhe von 5500 €. Wer tatsächlich in der Familie 11000 € netto verbraucht hat, ist dann auch in der Lage, im Rahmen einer konkreten Bedarfsberechnung die oben genannten Unterhaltsbeträge knapp unter 5000 € darzulegen und nachzuweisen. Es gibt jedoch diese wohl verfestigte Rechtsprechung des BGH, sodass man dem Unterhaltsverpflichteten dann richtigerweise zumindest die Möglichkeit geben muss, den Einkommensverbrauch von 11000 € netto zu widerlegen, und nicht wegen der „einfacheren“ Unterhaltsberechnung nach Quote dies untersagen (so jedoch Riegner, NZFam 2020, Seite 821, in seiner Anmerkung). Der Verfasser geht auch davon aus, dass der BGH die Möglichkeit des Widerlegens der Verbrauchsvermutung von 11000 € für möglich erachtet, gegenteiliges ist nicht bekannt.
Kindschaftsrecht
AG Frankenthal (Pfalz), Beschluss vom 25.06.2020 – Az. 71 F 79/20 e. A. – § 1628 BGB
(NZFam 2020, Seite 824)
Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis „Schulwahl“ auf den Elternteil, wo das Kind seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt hat.
Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern streiten um die Schulwahl bei der Einschulung (Waldorfschule Mutter / Regelschule Vater). Das Kind hatte seinen Lebensmittelpunkt bei der Mutter. Die Mutter hat das Konzept der Waldorfschule dargelegt, die Nachmittagsbetreuung erläutert und zudem möchte auch das Kind dorthin. Der Vater wollte die ganz normale Regelschule am Wohnort der Tochter.
Ein Gericht kann nicht selbst entscheiden auf welche Schule das Kind geht, das läge in der ausschließlichen Entscheidungskompetenz der Eltern (BVerfG, FamRZ 2003, Seite 511). Deshalb ist gemäß § 1628 BGB die Alleinentscheidungsbefugnis auf ein Elternteil zu übertragen, was jedoch faktisch nichts anderes bedeutet. Ein Gericht – hier AG Frankenthal – hat die Vorschläge der Eltern konkret abzuwägen, insbesondere welche Auswirkungen die Schulwahl auf das soziale Umfeld des Kindes hat und dabei natürlich die Kindesinteressen zu beachten hat.
Das AG hat dann in den Vordergrund gestellt, dass die Mutter ganz überwiegend von den Folgen der zu treffenden Entscheidung betroffen ist, da das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei ihr hat. Der mögliche Teilverlust des bisherigen sozialen Umfelds des Kindes spreche zwar eher für den Vater, das sei jedoch bei jeder Neueinschulung so. Auch die Wohnortnähe spricht eher für den Vater, auf der anderen Seite will auch das Kind in die Waldorfschule. Die Mutter hat sich intensiv mit der Schulart auseinandergesetzt und mit dem Kind beide Schulen besucht. Der Vater hingegen lehnt das Modell eher unbegründet ab, hat es auch mit seiner Tochter nicht besprochen. Zudem ist die Waldorfschule eine staatlich anerkannte Ersatzschule und stellt nicht per se eine Gefahr für das Kindeswohl dar (so schon AG Lemgo, FamRZ 2004, Seite 49). Durch den Besuch der Waldorfschule wird der Vater auch nicht in seinen Umgangskontakten beeinträchtigt.
Anmerkung:
Diese Entscheidung zeigt, dass generell derjenige Elternteil die „besseren Karten“ hat, bei dem das Kind lebt, da dieser Elternteil auch im täglichen Umgang mit den Schulproblemen konfrontiert ist. Wer aber eine Schulwahl treffen möchte, die außerhalb der Regelschule liegt, muss trotzdem aufzeigen, warum die anderweitige Schulwahl auch für das Kindeswohl geeignet ist. Mit einer solchen Entscheidung ist keine Entscheidung über die Kostentragung verbunden. Das Instrumentarium der Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis in Einzelfragen des Sorgerechts findet hauptsächlich bei Fragen der Kindergartenwahl, Hortwahl, Schulwahl aber auch bei Fragen der Impfpflicht oder der Gestattung einer Auslandsreise ins nichteuropäische Ausland (in Normalzeiten) am häufigsten Anwendung. Man muss immer beachten, dass man bevor ein Sorgerechtsantrag gestellt wird, das es die vorrangige Möglichkeit der „Einzelfallentscheidung“ über § 1628 BGB gibt.