Vermögensrecht
BGH, Beschluss vom 16.11.2022 – Az. XII ZB 100/22 – §§ 749, 1353, 1365 BGB; § 180 ZVG; § 771 ZPO
FamRZ 2023, Seite 352; NZFam 2023, Seite 253
- Der Schutz des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe und der grundsätzlich bis zur Rechtskraft der Scheidung fortbestehende Charakter der ehelichen Immobilie als Ehewohnung gebieten es nicht, eine Teilungsversteigerung der Ehegattenimmobilie in der Trennungszeit ohne eine Abwägung der beiderseitigen Interessen, generell als unzulässig anzusehen.
- Die schutzwürdigen Belange des teilungsunwilligen Ehegatten werden durch ein Schrankensystem aus materiell-rechtlichen Einwendungen nach §§ 1365, 1353 Abs. 1 Satz 2, 242 BGB, die im Drittwiderspruchsverfahren geltend zu machen sind, und vollstreckungsschützenden Vorschriften im Teilungsversteigerungsverfahren nach § 180 Abs. 2 und 3 ZVG, § 765 a ZPO gewahrt.
Ein getrenntlebendes Ehepaar stritt sich um die Zulässigkeit der Teilungsversteigerung einer in ihrem jeweils hälftigen Miteigentum stehenden Immobilie nach bereits 3-jähriger Trennungszeit. Das Haus bestand aus zwei Wohnungseigentumseinheiten. Die eine Einheit wurde von den Eheleuten mit ihren beiden Töchtern bewohnt. Die andere Einheit wurde in zwei Mietwohnungen unterteilt und vermietet. Die Immobilie war kreditfinanziert. Beiden Eheleuten gehörte noch ein Ferienhaus in der Türkei. Der Ehemann und Vater ist mit der Trennung ausgezogen, Mutter und Kinder blieben in der Wohnung. Die Mutter bezog eine Erwerbsminderungsrente (ca. 1100 €) und hat die Mieten eingenommen, auf der anderen Seite aber auch die Kreditraten, die in etwa den Mieteinnahmen entsprachen, getragen. Der Ehemann und Vater bezog Sozialleistungen, leistete keinen Kindes- bzw. Getrenntlebendunterhalt und hat die Teilungsversteigerung beantragt. Die Ehefrau wehrte sich hiergegen mit der sogenannten Drittwiderspruchsklage und hat insbesondere eingewandt, dass aufgrund des Rücksichtnahmegebots gemäß § 1353 BGB bis zur Rechtskraft einer Scheidung der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe vorrangigen Schutz genieße und daher in der Trennungszeit eine Teilungsversteigerung stets ausgeschlossen sei.
Eine Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO ist dann erfolgreich, wenn eine Teilungsversteigerung hinderndes Recht vorliegt. Sowohl Amtsgericht als auch OLG hatten derartige hindernde Rechte verneint. Weder aus § 1365 BGB (Verfügung über Vermögen im Ganzen) noch aus § 1353 BGB (Verpflichtung zur ehelichen Rücksichtnahme) könne ein solches Recht hergeleitet werden. Da beide Eheleute neben dem streitgegenständlichen Haus noch werthaltige Ferienwohnungen hatten, stellt das streitgegenständliche Haus nicht „das Vermögen im Ganzen“ dar, sodass mit diesem Argument die Ehefrau nicht durchdringt. Auch das in § 1353 BGB normierte Rücksichtnahmegebot begründet kein allgemeines Verbot einer Teilungsversteigerung. Insoweit ist eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. Nach Auffassung des BGH ist keinesfalls einzelnen Entscheidungen von Oberlandesgerichten zuzustimmen, die einen grundsätzlichen Ausschluss während der Trennungszeit geurteilt haben (OLG Hamburg, FamRZ 2017, Seite 1829). Vielmehr verweist der BGH auf die herrschende Rechtsprechung, wonach die Belange des anderen Ehegatten zunächst durch § 1365 BGB (Verfügung über Vermögen im Ganzen) oder im Vollstreckungsschutz nach § 180 ZVG (Abwägung widerstreitender Interessen und Einstellung der Teilungsversteigerung bei Gefährdung des Kindeswohls) bzw. im Teilungsversteigerungsverfahren gemäß § 765 a ZPO (Gefährdung des teilungsunwilligen Ehegatten) ausreichend geschützt sind und maßgebend sind.
Der BGH macht dann eine umfangreiche Interessenabwägung. Er führt aus, dass das über 3 Jahre hinausgehende Getrenntleben nahelegt, dass dem räumlich-geschützten Bereich der offensichtlich gescheiterten Ehe und der „nachehelichen“ Solidarität keine durchgreifende Bedeutung mehr beizumessen sind. In die Interessenabwägung ist auch eingeflossen, dass der Mann in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und daher der Erzielung eines Versteigerungserlöses der Vorzug zu geben ist. Hinzu kam, dass die Immobilie erst im Jahr 2017 bezogen wurde und das gemeinsame Zusammenleben bis zur räumlichen Trennung kaum ein Jahr andauerte. Der BGH hat dem OLG bestätigt, dass es eine ausreichende Interessenabwägung vorgenommen hat. Auch Kindsbelange (eine Tochter war noch minderjährig) wurden ausreichend bedacht, Insbesondere hat das Beschwerdegericht nach Auffassung des BGH auch keinen Sachvortrag der Beschwerdeführerin übergangen.
Mit dieser Entscheidung hat der BGH dem Rechtsstreit ein Ende gesetzt, wonach immer wieder vorgetragen wurde, dass während der Trennungszeit ein Teilungsversteigerungsverfahren grundsätzlich unzulässig sei. Dem hat der BGH eine Absage erteilt (so schon OLG Thüringen, FamRZ 2019, Seite 515; OLG Stuttgart, FamRZ 2021, Seite 663 mit Anmerkung Wever; OLG Dresden, FamRZ 2022, Seite 1724; Kogel, FamRZ 2022, Seite 1661 u.v.a.; andere Ansicht: OLG Hamburg, FamRZ 2017, Seite 1829; Erbarth, NZFam 2018, Seite 34). Näheres zur Zwangs- und Teilungsversteigerung in Merkblatt Nr. 72 des Verbandes ISUV.
Namensrecht
BGH, Beschluss vom 25.01.2023 – Az. XII ZB 29/20 – § 1618 BGB
http://www.bundesgerichtshof.de
- Wird die Beschwerde in einer Familiensache beim nicht empfangszuständigen Oberlandesgericht eingelegt und entscheidet dieses trotz Unzulässigkeit der Beschwerde in der Sache, so kann das Rechtsbeschwerdegericht wegen der versäumten Beschwerdeeinlegungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, wenn das fehlende Verschulden des Beschwerdeführers offenkundig ist und die zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung ausreichende Übersendung der Akten an das Amtsgericht von Amts wegen zu erfolgen hatte. Das Rechtsbeschwerdegericht kann in diesem Fall die Aktenübersendung selbst veranlassen.
- Die Ersetzung der Einwilligung in die Einbenennung ist nur dann für das Kindeswohl erforderlich, wenn gewichtige, über die mit der Einbeziehung des Kindes in die Stieffamilie verbundene typische Interessenlage hinausgehende Gründe hierfür vorliegen (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 24. Oktober 2001 – XII ZB 88/99 – FamRZ 2002, 94). Von einer ohne Einbenennung entstehenden Gefährdung des Kindeswohls ist die Ersetzung der Einwilligung hingegen nicht abhängig (teilweise Aufgabe der Senatsbeschlüsse vom 10. März 2005 – XII ZB 153/03 – FamRZ 2005, 889 und vom 9. Januar 2002 – XII ZB 166/99 – FamRZ 2002, 1330).
Ein 2008 ehelich geborenes Kind, welches den Nachnamen des Vaters trägt, wollte (in Vertretung die Kindsmutter) nach der Scheidung im Jahr 2010 und der Wiederverheiratung der Kindsmutter den Namen des neuen Ehemannes annehmen und wollte hierzu die Einwilligung des Kindsvaters (§ 1618 BGB). Das Kind war zu diesem Zeitpunkt 11 Jahre alt.
Das OLG Frankfurt a.M. (FamRZ 2020, Seite 591) hat die Namensänderung zum Wohl des Kindes gemäß § 1618 Abs. 4 BGB für erforderlich gehalten und die fehlende Einwilligung des Kindsvaters ersetzt. Nach Auffassung des OLG reiche eine „Erforderlichkeit“, es bedarf keiner „Gefährdung“ des Kindeswohles. Auch zur Erforderlichkeit bedarf es außerordentlicher Belastungen des Kindes im Einzelfall. Diese ist gegeben, wenn eine Namensänderung des Kindes solche Vorteile mit sich bringt, dass die Aufrechterhaltung des Namensbandes zum anderen Elternteil nicht zumutbar erscheint. In diese Abwägung hat das OLG miteinbezogen, dass das Kind seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zum Vater hatte, was dem Willen des Kindes entsprach. Zudem seien die Belastungen des Kindes durch die Namensverschiedenheit schwerwiegend, diese gingen über bloße Unannehmlichkeiten hinaus. Das Kind war auch in der Anhörung, wenn es um die Namensfrage ging, stetig den Tränen nahe. Es gab auch ein Geschwisterkind aus der neuen Ehe eben mit anderem Namen. Auch der Kindeswille mit 11 Jahren war zu berücksichtigen. Insoweit hat sich das OLG auf die Anhörung in erster Instanz gestützt und keine eigene Anhörung durchgeführt.
Der BGH stellt fest, dass die Entscheidung des OLG auf Ersetzung der Zustimmung des Vaters rechtlicher Nachprüfung nicht standhält, verweist darauf, dass offensichtlich Überlegungen zum „Doppelnamen“ gemäß § 1618 Satz 2 Halbsatz 1 BGB nicht angestellt wurden und auch eine Anhörung des Kindes in 2. Instanz unerlässlich gewesen ist. Der BGH stellt mit seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass durch die Namensdifferenz außerordentliche Belastungen des Kindes notwendig sind, um die Erforderlichkeit der Einbenennung zu bejahen. Als für das Kindeswohl erforderlich ist eine Einbenennung danach zur anzusehen, wenn andernfalls schwerwiegende Nachteile für das Kind zu befürchten wären oder die Einbenennung zumindest einen so erheblichen Vorteil für das Kind darstellen würde, dass ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Einhaltung des Namensbandes nicht bestehen würde (BGH, FamRZ 2002, Seite 94,95). Eine „wünschenswerte“ Namensänderung reicht hierzu nicht. Dies wird schon daraus deutlich, dass im Jahr 1998 in § 1618 der Wortlaut von „Kindswohldienlichkeit“ auf „Kindswohlerforderlichkeit“ verschärft wurde. Die Namensverschiedenheit in einer Stieffamilie ist eine typische Interessenlage, die nicht ausreichend sein kann. Soweit der BGH über die genannten Notwendigkeiten hinaus erst dann es als erforderlich gesehen hat, wenn konkrete Umstände vorliegen, die das Kindeswohl gefährden, und wenn die Einbenennung daher unerlässlich ist, um Schaden von dem Kind abzuwenden, hält hieran der BGH nicht mehr fest (so noch BGH, FamRZ 2005, Seite 889 und FamRZ 2002, Seite 1330 und auch zuletzt OLG Saarbrücken, FamRZ 2022, Seite 1196), wie auch schon OLG Frankfurt, FamRZ 2022, Seite 264 ff.. Dies begründet der BGB nunmehr damit, dass eine Kindswohlgefährdung, welche z. B. bei schwerwiegenden Eingriffen in das Elternrecht nach § 1666 BGB die Eingriffsschwelle darstellt, in § 1618 BGB so nicht normiert ist, obgleich in anderen Normen gerade diese Entscheidung getroffen wird. Neben diesen Vorgaben hätte das OLG zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch die Möglichkeit des Doppelnamens als mildere Maßnahme prüfen müssen, denn so darf die Einwilligung nicht ersetzt werden, wenn durch einen Doppelnamen (additive Einbenennung) ebenso die berechtigten Interessen des Kindes gewahrt werden.
Weil das OLG insoweit keine ausreichende Sachaufklärung durchgeführt hat (Anhörung des Kindes) und auch unabhängig vom langen fehlenden Kontakt des Kindes zum Vater die Aufrechterhaltung des Bandes zum Vater auch durch das Namensrecht gefördert wird, und die Möglichkeit des Doppelnamens nicht in Betracht gezogen hat, verweist der BGH an das OLG zurück. Es durfte vom OLG auch nicht offengelassen werden, warum das Kind den Kontakt zum Vater ablehnt, ein durch ein Elternteil maßgeblich beeinflusster Kindeswille ist grundsätzlich nicht beachtlich (BGH, FamRZ 2010, Seite 1060). Auch das wird das OLG zu klären haben. Auch muss sich das OLG hinsichtlich der entscheidungserheblichen außerordentlichen Belastungen des Kindes durch die Namensverschiedenheit ein persönliches Bild machen und daher eine eigene Kindswohlanhörung durchführen (BGH FamRZ 2017, Seit 1668).
Auch wenn der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung ohne Einschränkung (Hilfsantrag auf Doppelname) gestellt wurde, muss das Gericht auf die Möglichkeit eines solchen Hilfsantrages hinweisen, was nicht erfolgt ist.
Mit dieser Entscheidung stellt der BGH klar, dass für die Umbenennung entgegen bisheriger Entscheidungen keine Kindswohlgefährdung vorliegen muss, jedoch die gesetzlich vorgeschriebene Erforderlichkeit im Einzelfall sehr genau geprüft werden muss, dies unter Einbezug aller Einzelfallumstände. Siehe hierzu auch Merkblatt Nr. 84 des Verbandes ISUV.
Umgangsrecht/Sorgerecht/Wechselmodell
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 19.12.2022 – 6 UF 208/22 – §§ 1671, 1684 BGB
NZFam 2023, Seite 162
- Streiten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern um die Aufteilung der Betreuungszeiten des Kindes – wie hier im Kontext eines ursprünglich einvernehmlich praktizierten Wechselmodells – besteht im Hinblick auf das von Art. 6 II 1 GG geschützte elterliche Sorgerecht kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil.
- Insoweit gebührt einer umgangsrechtlichen Entscheidung über den Fortbestand des Wechselmodells oder der künftigen Betreuungsaufteilung nach § 1684 III 1 BGB der Vorrang gegenüber der Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1671 I 2 Nr. 2 BGB.
Mit dieser Entscheidung ordnet das OLG Frankfurt die Frage des Wechselmodells auf der Linie des BGH (BGH, NJW 2022, Seite 2533) dem Umgangsrecht zu. Insbesondere verweist das OLG darauf, dass die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht notwendigerweise mit einer Entscheidung für ein Residenzmodell oder für ein Wechselmodell verbunden ist. Ein Umgangsmodell wird nicht im Rahmen einer Sorgerechtsentscheidung entschieden.
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 16.12.2021 – 1 UF 113/21 – § 1684 BGB
NZFam 2023, Seite 31
- Werden im Beschwerdeverfahren zum Umgang die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des bisher einvernehmlich gelebten paritätischen Wechselmodells verneint, ist im Rahmen von§ 1684 III BGB unter Anwendung der zum Sorgerecht entwickelten Kindeswohlkriterien inzident (auch) zu klären, ob das Umgangsrecht der Mutter oder das des Vaters zu regeln ist.
- Der Verweis auf die grundsätzliche Beachtlichkeit des Kindeswillens darf nicht dahingehend verstanden werden, dass dem Kind die Entscheidungskompetenz und -verantwortung übertragen wird, zumal ein bestehender Loyalitätskonflikt die Bedeutung des Kindeswillens im Einzelfall mindern kann.
Die Eltern hatten sich ohne Gericht auf ein Wechselmodell geeinigt. Aufgrund nicht näher zu nennender Gründe wollte die Mutter gerichtlich eine Umgangsregelung im 14-tägigen Rhythmus (Vater) durchsetzen, insbesondere, weil der Vater die Mutter auf Kommunikationsplattformen abgeschnitten hatte (fehlenden Kommunikation). Der Vater wollte die Beibehaltung des Wechselmodells, was auch der Verfahrensbeistand empfohlen hat (Kontinuität). Das OLG hat entschieden, dass aufgrund des Sachverhaltes eine Kooperationsfähigkeit der Eltern nicht vorliegt, die Kommunikation der Eltern eingeschränkt sei und der Vater aktiv die Kinder miteinbezogen hat, was zu entsprechenden Loyalitätskonflikten führt. Das OLG hat einen Umgang 14-tägig freitags bis montags sowie in der Folgewoche einen Nachmittag für den Vater geregelt (einschließlich Ferienumgang).
Nach Auffassung des OLG kann der Kontinuität eines Wechselmodells dann kein Vorrang gegeben werden, wenn im Übrigen keine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit vorliegt. Das OLG musste darüber entscheiden, wessen Umgang – des Vaters oder der Mutter – zu regeln ist. Das OLG hat danach geprüft, wo zukünftig der Lebensmittelpunkt sein soll – ähnlich wie bei Sorgerechtsverfahren. Daran sieht man auch, dass die strikte Trennung zwischen Umgangsverfahren und Sorgeverfahren schwer möglich ist. Für die Praxis bedeutet dies, dass im Falle einer Aufkündigung eines Wechselmodells im Rahmen eines Umgangsverfahrens es völlig offen ist, wer das Kind zukünftig mehr/weniger betreut und ein Gericht letztendlich inzident Sorgerechtsfragen/Aufenthaltsrechtsfragen zu prüfen hat.
OVG Bremen, Beschluss vom 12.07.2022 – 2 LA 362/21 – § 1 UVG
FamRZ 2022, Seite 1687
- Zur Gewährung von Leistungen nach dem UVG bei nicht bekannter Vaterschaft.
- Ein Anspruch auf Leistungen nach dem UVG scheidet aus, wenn der Elternteil, bei dein das die Leistungen nach dem UVG begehrende Kind lebt, keine zumutbaren Angaben zur Ermittlung der Vaterschaft macht, insbesondere wenn die Angaben widersprüchlich sind, sodass die behauptete Unkenntnis der Vaterschaft nicht glaubhaft erscheint.
OVG Münster, Beschluss vom 04.07.2022 – Az. 12 A 3583/20 – § 1 UVG
FamRZ 2022, Seite 1687; NZFam 2022, Seite 907
- Zum Begriff des „alleinerziehenden Elternteils“ S. des § 1 I Nr. 2 UVG, wenn die Eltern auf der Grundlage eines vereinbarten Wechselmodells ihr gemeinsames Kind betreuen, die Betreuungsanteile jedoch von einem paritätischen Wechselmodell abweichen.
- Umfasst der Betreuungsanteil eines Elternteils aufgrund der zwischen ihnen getroffenen Vereinbarung zum jeweiligen Anteil des Aufenthalts des Kindes mehr als ein Drittel der Gesamtzeit, erfüllt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil nicht die Voraussetzungen
- des § 1 I Nr. 2 UVG.
In beiden Entscheidungen geht es um die Frage, ob Unterhaltsvorschuss gezahlt wird im Hinblick auf das notwendige Tatbestandsmerkmal „alleinerziehender Elternteil“.
Wenn jemand UVG-Leistungen will, muss er hieran mitwirken und insbesondere zumutbare Angaben zur Ermittlung der Vaterschaft machen, denn hier ist auch noch das Tatbestandsmerkmal „Unkenntnis der Vaterschaft“ zu klären.
Der häufigere Fall, und hier im Rahmen der Wechselmodellrechtsprechung von Bedeutung, ist die Frage, ob im Wechselmodell zumindest für einen Elternteil Unterhaltsvorschussleistungen erbracht werden können. Im paritätischen Wechselmodell liegt das Merkmal „alleinerziehend“ nicht vor, sodass keine Unterhaltsvorschussleistungen durch den Staat zu erbringen sind. Die Verwaltungsgerichte gehen weiterhin davon aus, dass wenn eine Betreuungsaufteilung 1/3 zu 2/3 erfolgt, kein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistung gegeben ist – auch und insbesondere für denjenigen nicht, der 2/3 der Betreuungsleistung erbringt.
Auch diese verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen machen deutlich, dass die vielleicht kindswohlgerechte Aufteilung der Betreuung eines Kindes häufig auch am Finanziellen scheitert. Wechselmodelle werden häufig deshalb von einem Elternteil abgelehnt, weil dadurch finanzielle Einbußen hinzunehmen sind, entweder im Rahmen der Barunterhaltszahlung durch den anderen Elternteil oder beim Bezug von Unterhaltsvorschussleistungen.
Das Wechselmodell ist in vielen Bereichen des Sozialrechts ohnehin nicht angekommen. Jedenfalls tut man sich schwer in der Einordnung. So hat das Bundessozialgericht im Hinblick auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende nach dem SGB II entschieden, dass beim paritätischen Wechselmodell beide Elternteile für die Hälfte der Zeit alleinerziehend sind und daher jeder Elternteil bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Hälfte des Zuschlags erhält (BSG. NJW 2010, Seite 1309).
Das OVG Münster hat in der obigen Entscheidung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen, die auch eingelegt wurde (Az. 5 C 9/229).
OLG Dresden, Beschluss vom 27.04.2022 – Az. 21 UF 71/22 – § 1684 BGB
NZFam 2022, Seite 939
§ 1696 I 1 BGB gebietet die Änderung einer Anordnung zum Umgang, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Umständen angezeigt ist. Zweck der Regelung ist die Anpassung an eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse. Die Vorteile der Neuregelung haben die mit der Abänderung verbundenen Nachteile zu überwiegen.
Bei dieser Entscheidung handelt es sich um die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells nach § 1696 BGB. Zunächst wurde Umgang ausgeübt alle 14 Tage, der Vater strebt ein paritätisches Wechselmodell an. Vormalige Kommunikationsschwierigkeiten seien überwunden. Das Amtsgericht hatte den Antrag auf „Wechselmodell“ abgewiesen, da das Wechselmodell nicht mehr dem Kindeswohl entspräche als jedes andere Betreuungsmodell. Auch hätten sich die Kinder (3 und 6 Jahre“!) nicht eindeutig für ein Wechselmodell ausgesprochen, die Eltern hätten das Kindeswohl aus dem Blick verloren.
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen, denn eine Änderung ist nur dann geboten, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Umständen angezeigt ist. Umgangsregelungen haben eine gewisse Bestandskraft, die ohne Änderung der Sach- und Rechtslage nicht durchbrochen werden dürfe. Triftige Umstände sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Das Wechselmodell zielt nicht darauf ab, elterliche Erwartungen und Wünsche zu erfüllen. Alleiniger Maßstab ist das Kindeswohl.
Das OLG weist darauf hin, dass bei Kleinkindern häufige Wechsel erheblichen Stress bedeuten können. Es besteht sogar ein Entwicklungsrisiko. Auch ist der Kindeswille in dem Alter nicht maßgeblich, da dieser durch den elterlichen Loyalitätsdruck mitgeprägt wird, wie hier. Auch dürfte das Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils nur selten kindswohldienlich sein.
Diese Entscheidung blieb nicht kritiklos. Wenn eine Änderung der Sach- und Rechtslage Grundlage für eine Abänderung ist, ist nicht nachvollziehbar, warum das OLG sogar von einer persönlichen Anhörung der Beteiligten abgesehen hat. Fragen zur Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft sind im Rahmen persönlicher Anhörung zu klären. Aber auch diese Entscheidung zeigt, dass Entscheidungen zum Wechselmodell sehr einzelfallbezogen sind und schwer voraussehbar.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 16.09.2022 – 9 UF 74/22 – § 1628 BGB
FamRZ 2022, Seite 1929; NZFam 2022, Seite 1138
- Betreuen die Eltern ihr Kind im Rahmen eines paritätischen Wechselmodells, kann es zur Geltendmachung von Barunterhaltsansprüchen nicht durch einen Elternteil gemäß § 1629 II 2 BGB vertreten werden. Erforderlich ist vielmehr die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil nach § 1628 BGB oder die Bestellung eines Ergänzungspflegers. Zwischen beiden Möglichkeiten besteht ein Wahlrecht.
- Die Anwendung des § 1628 BGB scheidet nur aus, wenn ein auf den Einzelfall bezogener Interessenkonflikt feststellbar ist.
Die Eltern betreuen ihr Kind im Wechselmodell, sie hatten sich gegenseitig von Kindesunterhaltsansprüchen freigestellt, nachdem der Kindsvater nunmehr deutlich höheres Einkommen erzielt, begehrt die Kindsmutter auf der Grundlage der Unterhaltsberechnung im Wechselmodell entsprechend der BGH-Rechtsprechung Unterhalt für das Kind. In der vorherigen Vereinbarung hatten die Eltern eine Abänderungsmöglichkeit der gegenseitigen Freistellung vertraglich geregelt gehabt.
Nachdem der Vater neben inhaltlichen Dingen eingewandt hat, dass zur Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen im Wechselmodell nicht die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis auf die Mutter der richtige Weg sei, sondern ein Ergänzungspfleger einzusetzen sei, hat das OLG ausdrücklich entschieden, dass der Weg über die Ersetzung der Alleinentscheidungsbefugnis gemäß § 1628 BGB der richtige Weg ist. Das Amtsgericht hatte zunächst den Antrag nach § 1628 BGB zunächst zurückgewiesen. Im paritätischen Wechselmodell fehlt nach herrschender Auffassung eine alleinige Vertretungsbefugnis eines Elternteils zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen (§ 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB).
Die herrschende Rechtsauffassung gibt einem Elternteil in diesem Fall ein Wahlrecht zwischen der Einsetzung eines Ergänzungspflegers und den Weg über die Ersetzung der Einwilligung nach § 1628 BGB. Das OLG sieht auch den Ersetzungsweg deshalb für sinnvoller, weil er Kosten für einen Ergänzungspfleger spart.
Die Frage, ob dann tatsächlich ein Abänderungsanspruch besteht, ist allein in einem Unterhaltsverfahren dann zu klären. Wie man sieht, hat das Wechselmodell auch seine Tücken (BVerfG, FamRZ 2022, Seite 1954 u. a.).
OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.07.2022 – Az. 13 UF 149/20 – §§ 1601, 1603, 1606, 1615 BGB
NZFam 2023, Seite 83
Der Unterhaltsbedarf des Kindes bemisst sich im Fall des paritätischen Wechselmodells nach dem beiderseitigen Einkommen der Eltern und umfasst neben dem sich daraus ergebenden – erhöhten – Bedarf insbesondere die Mehrkosten des Wechselmodells (vor allem Wohn- und Fahrtkosten), so dass der von den Eltern zu tragende Bedarf regelmäßig deutlich höher liegt als beim herkömmlichen Residenzmodell.
Die Eltern betreuen ihr Kind im Wechselmodell. Sie sind nicht verheiratet. Die Mutter bezieht Sozialleistungen, der Sozialhilfeträger macht gegen den Vater Unterhaltsansprüche für die Mutter gemäß § 1615 l BGB geltend (Mutterunterhalt). Der Vater wendet ein, weil das Kind im Wechselmodell betreut wird, dass auch die Kindsmutter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen hätte und sogar Erwerbseinkünfte erziele. In jedem Fall müsse bei jedweder Bemessung des Unterhalts für die Kindsmutter die Tatsache der hälftigen Betreuung des Kindes dadurch berücksichtigt werden, dass sein Einkommen erheblich gekürzt wird.
Das OLG hat entschieden, dass der Kindesunterhaltsanspruch ansich unstreitig sei. Der Unterhaltsbedarf bemisst sich im Fall des Wechselmodells nach dem beiderseitigen Einkommen der Eltern und umfasst die Mehrkosten des Wechselmodells. Zu berechnen ist der Kindesunterhalt entsprechend einer Quotenberechnung gemäß § 1606 Abs. 3 BGB. Im vorliegenden Fall geht das Gericht davon aus, das die Mutter nicht am Kindesunterhalt zu beteiligen ist, dass sie weder tatsächlich noch fiktiv leistungsfähig ist. Ihr könne allenfalls eine halbschichtige Tätigkeit zugemutet werden, fiktive Einkünfte können ihr allenfalls in der Höhe des hälftigen Einkommens, welches sie vor der Geburt des Kindes bezogen hat, zugerechnet werden, mithin maximal 740 €. Dies ist auf das Elterngeld von 870€ anzurechnen, mit der Folge, dass kein Kindesunterhalt geschuldet ist. Im Leitsatz steht nicht, dass der Kindesunterhalt sich natürlich bei Leistungsunfähigkeit des mitbetreuenden Elternteils maximal aus dem Einkommen des leistungsfähigen Elternteils zu errechnen hat (BGH, NJW 2008, Seite 3635). Weiterhin hat das OLG dann berechnet, dass der Barunterhalt nur in Höhe der Hälfte geschuldet ist, auf dieser Grundlage hat das Gericht dann den Mutterunterhalt berechnet.
Eine genaue Berechnungsmethode des Kindesunterhaltes im Wechselmodell findet sich in Merkblatt Nr. 23 des Verbandes ISUV.
Getrenntlebendunterhalt
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.02.2021 – Az. II-3 WF 134/20 – §§ 1361, 1578 b BGB
FamRZ 2022, Seite 1609
- Zur Bestimmung des Trennungsunterhalts nach § 1361 I S. 1 BGB vor Ablauf des Trennungsjahres i. S. des § 1565 II BGB.
- Einen längere Zeit nicht oder nur geringfügig erwerbstätig gewesenen Ehegatten trifft regelmäßig im ersten Trennungsjahr keine Erwerbsobliegenheit bzw. Obliegenheit zur Ausweitung der Erwerbstätigkeit.
- Hiervon kann nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, wie z. B. ein sehr kurzes eheliches Zusammenleben, Kinderlosigkeit und noch geringes Lebensalter des bedürftigen Ehegatten, abgewichen werden.
- Eine zeitliche Befristung des Anspruchs auf Trennungsunterhalt kann nicht in entsprechender Anwendung des § 1578 b BGB, der die Herabsetzung und Befristung nur beim nachehelichen Unterhalt aus Billigkeitsgründen regelt, erfolgen.
Dieses Urteil stellt den Grundsatz dar, wonach im ersten Trennungsjahr den unterhaltsberechtigten Ehegatten keine Verpflichtung trifft, seine bisherige Erwerbstätigkeit zu verändern/auszuweiten. Das gilt letztendlich grundsätzlich für sämtliche Lebensumstände im ersten Trennungsjahr. Im 3. Leitsatz werden jedoch Ausnahmen beschrieben, sodass im Einzelfall das Dogma des „Erhalts der Lebensumstände zum Zeitpunkt der Trennung“ durchbrochen werden kann.
Das Gericht hatte hierüber zu befinden, und hat entschieden, dass bereits ab Februar 2020 eine erhöhte Erwerbsobliegenheit der unterhaltsbegehrenden Frau besteht, weil im Einzelfall zwar die Trennung erst Ende Oktober 2019 stattgefunden hat, aber sie mit ihrem jetzigen Lebenspartner bereits im Februar 2020 zusammengezogen ist und somit der Schutzgedanke der Ehe nicht mehr greift und die Ehe war kinderlos. Die Ehe dauerte nur 4 Jahre (so auch OLG Köln, FamRZ 1996, Seite 1219). Aufgrund weiterer Einzelumstände (Alter von schon 50 Jahren) haben dazu geführt, dass ab Februar 2020 „nur“ ein Einkommen aus erhöhter Erwerbsobliegenheit angenommen wurde und erst mit Ablauf des Trennungsjahres eine vollschichtige Erwerbstätigkeit zugrunde gelegt wurde.
Nachdem das Amtsgericht auch eine zeitliche Befristung des Unterhaltes bestimmt hatte, hat das OLG diesem eine Absage erteilt, da § 1578 b BGB nur für nachehelichen Unterhalt gilt, eine Reduzierung des Unterhaltes oder gar Befristung ist im hier vorliegenden Fall auf die Frage einer verfestigten nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Frau zu reduzieren. Das wird im Normalfall – wie hier – nicht vor Ablauf von 2 Jahren der Fall sein.
Diese Entscheidung wiederholt letztendlich die herrschende Auffassung zur Thematik, dass im ersten Trennungsjahr grundsätzlich keine weitergehende Erwerbsobliegenheit greift und auch eine Reduzierung/Befristung nicht vor Ablauf von 2 Jahren bei einer verfestigten neuen nichtehelichen Lebensgemeinschaft gegeben ist.