Obergerichtliche Rechtsprechung

Obergerichtliche Rechtsprechung

Unterhaltsrecht

BGH, Beschluss vom 18.05.2022 – Az. XII ZB 325/20 – §§ 1602, 1606, 1610 BGB

FamRZ 2022, Seite 1366 ff.

  1. Das mietfreie Wohnen beeinflusst nicht die Höhe des Kindesunterhalts. Die kostenfreie Zurverfügungstellung von Wohnraum wird vorrangig im unterhaltsrechtlichen Verhältnis zwischen den Eltern ausgeglichen. Ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich kann auch darin bestehen, dass der Betreuungselternteil keinen Anspruch auf Trennungsunterhalt geltend machen kann, weil nach der Zurechnung des vollen Wohnwerts keine auszugleichende Einkommensdifferenz zwischen den Eltern mehr besteht.
  2. Die Eltern können eine – nach den Umständen des Einzelfalls gegebenenfalls auch konkludente – Vereinbarung darüber treffen, dass die Wohnungskosten durch den Naturalunterhalt des Barunterhaltspflichtigen abgedeckt werden. Für die Erfüllung des Barunterhaltsanspruchs (§ 362 BGB) aufgrund einer solchen Vereinbarung trifft den Barunterhaltsschuldner die Darlegungs- und Beweislast.
  3. Bevor die Haftungsquote für den anteiligen Mehrbedarf bestimmt wird, ist von den Erwerbseinkünften des betreuenden Elternteils der Barunterhaltsbedarf der Kinder nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen auf den Barunterhalt entfallenden Kindergelds und abzüglich des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. In der verbleibenden Höhe leistet der betreuende Elternteil neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Die andere Hälfte des Kindergelds, die der betreuende Elternteil erhält, ist nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29. September 2021 – XII ZB 474/20 – FamRZ 2021, 1965).

Im Rahmen eines Abänderungsverfahrens zum Kindesunterhalt stellte sich die Frage, ob die teilweise Deckung des Unterhaltsbedarfs der Kinder mittels Gewährung von Wohnraum bei der Bemessung des Kindesunterhalts zu berücksichtigen ist oder nicht. Das OLG (OLG Frankfurt, FamRZ 2021, Seite 191) hat den Unterhaltsanspruch um eine Einkommensgruppe herabgestuft mit dem Argument, dass die Deckung des Wohnbedarfs der Kinder dadurch angemessen berücksichtigt sei. Im vorliegenden Fall hat der betreuende Elternteil (Mutter) weder Ehegattenunterhalt geltend gemacht, noch, dass der barunterhalspflichtige Elternteil (Vater) eine Nutzungsentschädigung für die Überlassung der gemeinsamen Wohnung an den betreuenden Elternteil geltend gemacht hat.

Bei der Berechnung eines Mehrbedarfs/Sonderbedarfs hat das OLG der Mutter das mietfreie Wohnen bei der Einkommensbemessung und der Ermittlung der Beteiligungsquote am Mehrbedarf/Sonderbedarf als Wohnvorteil zugerechnet.

Der BGH hat das Urteil des OLG für teilweise „fehlerhaft“ erachtet und insbesondere zu folgenden Rechtsfragen Stellung genommen:

  1. Mietfreies Wohnen

Die Frage der Behandlung des Überlassens von Wohnraum an das Kind kommt nach Auffassung des BGH auch dem Kind zugute, wodurch der Barunterhaltspflichtige dadurch Naturalunterhalt leistet und somit von der Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind teilweise befreit sein kann (so BGH, FamRZ 2013, Seite 191). Auch die überwiegende Auffassung in der Literatur erkennt die Möglichkeit einer bedarfsdeckenden Wirkung. Danach ist von Bedeutung, von wem das Kind den Wohnvorteil erhält.

a) Bei Wohnungsgewährung durch den betreuenden Elternteil findet keine Anrechnung statt, weil es sich insoweit um eine Drittleistung handelt, die den Barunterhaltspflichtigen nicht entlasten soll.

b) Bei Wohnungsgewährung durch den Barunterhaltspflichtigen ist das anders, durch die Wohnungsgewährung erfolgt insoweit Teilerfüllung der Unterhaltspflicht. Wenn die Praxis in diesen Fällen eine Kürzung des Tabellensatzes um 20 % durchführt, handele es sich um eine vereinfachte Form der Anrechnung als Erfüllung.

In den allermeisten Fällen liegt jedoch der Fall so, dass dem Kind die Wohnung vom betreuenden Elternteil zur Verfügung gestellt wird und somit das kostenfreie Wohnen des Kindes nicht den Kindesunterhaltsanspruch zwischen Barunterhaltspflichtigem und Kind beeinflusst. Das gilt auch, wenn z. B. der Wohnwert bereits im Rahmen der Berechnung eines Ehegattenunterhaltes oder bei einer Nutzungsentschädigung Berücksichtigung gefunden hat und das Kind den Wohnraum vom unterhaltsberechtigten, betreuenden Elternteil (letztendlich Fall b) von oben) zur Verfügung gestellt erhält.

Der BGH führt in seiner Entscheidung aus, dass grundsätzlich das mietfreie Wohnen des Kindes die Höhe des Kindesunterhaltes nicht beeinflusst. Die kostenfreie Zurverfügungstellung von Wohnraum wird vorrangig im unterhaltsrechtlichen Verhältnis zwischen den Eltern ausgeglichen (BGH, FamRZ 2013, Seite 191). So kann ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich auch dadurch bestehen, dass der betreuende Elternteil keinen Anspruch auf Ehegattenunterhalt geltend machen kann, weil nach der Zurechnung des vollen Wohnwerts auf seiner Seite sich rechnerisch kein Ehegattenunterhalt mehr ergibt. Auch in diesen Fällen hat sich der betreuende Elternteil den Wohnwert zurechnen lassen und eine nochmalige Berücksichtigung des Wohnwerts (anteilig) beim Kindesunterhalt ist nicht geboten.

In Leitsatz 2 hält der BGH fest, dass die Eltern auch eine interne Vereinbarung treffen können, dass die Wohnkosten anteilig durch den Naturalunterhalt des Barunterhaltspflichtigen abgedeckt werden und somit von ihm bei der Barunterhaltspflicht in Abzug gebracht werden können. Insoweit ist jedoch der Barunterhaltsschuldner darlegungs- und beweisbelastet. Allein die Miteigentümerstellung reicht hierfür nicht aus.

Auch allein die Tatsache, dass weder Trennungsunterhalt von der Frau verlangt wird, noch, dass Nutzungsentschädigung vom Mann verlangt wird, ist nicht ausreichend. Denn die Tatsache, dass kein Trennungsunterhalt gezahlt bzw. verlangt wird kann auch der Tatsache geschuldet sein, dass, wie oben schon erwähnt, der Wohnwert bei der Ehefrau bei der Einkommensbemessung zur Berechnung eines Ehegattenunterhaltes eingestellt wurde und die Thematik des Wohnvorteils somit schon „verbraucht“ ist. Eine doppelte Berücksichtigung bei der Berechnung des Ehegattenunterhaltes und der nochmaligen Berücksichtigung durch Abzug von 20 % vom Kindesunterhalt darf es nicht geben.

Der erste und zweite Leitsatz dieses Beschlusses stellen klar, dass nur unter besonderen Voraussetzungen die Zurverfügungstellung von Wohnraum durch den Barunterhaltspflichtigen beim Kindesunterhalt als Naturalunterhaltsleistung und somit als Abzugsbetrag in die Unterhaltsbemessung eingestellt werden kann und der Barunterhaltspflichtige die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass der Wohnwertvorteil nicht schon anderweitig Berücksichtigung (z. B. bei der Ehegattenunterhaltsberechnung) gefunden hat.

  • Berechnung Haftungsquote/Einkommen betreuender Elternteil

Im dritten Leitsatz beschreibt der BGH am Beispiel von Mehrbedarf und Sonderbedarf, was der Unterschied zwischen Mehrbedarf und Sonderbedarf ist. Zudem setzt der BGH seine neueste Rechtsprechung fort, dass bei der Einkommensermittlung des betreuenden Elternteils auch dessen Naturalleistungen für Kinder auf deren Barunterhalt zu berücksichtigen sind (so schon der BGH zum Elternunterhalt in BGH, FamRZ 2017, Seite 711 und zum Ehegattenunterhalt, BGH, FamRZ 2021 Seite 1965).

Zur Einordnung von zusätzlichen Bedarfsbeträgen hält er fest, dass Mehrbedarf (regelmäßig wiederkehrender Bedarf) solche Kosten sind, welche ihrer Art nach nicht in den Tabellenbedarf und mithin auch nicht in die Steigerungsbeträge bis 200 % des Mindestunterhaltes einkalkuliert sind. Hieran hat sich der betreuende Elternteil grundsätzlich im Verhältnis der Einkommensverhältnisse zu beteiligen, wobei bei der Gegenüberstellung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten Einkünfte der Eltern bei beiden Elternteilen ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehaltes abzuziehen ist.

Einschub des Verfassers:

Bei dieser Definition von Mehrbedarf durch den BGH darf die Frage erlaubt sein, warum nach allen Leitlinien der Krankenversicherungsbedarf bei privater Krankenversicherung des Kindes (wenn das Kind nicht bei einem Elternteil familienmitversichert ist oder sein kann) dieser allein vom Barunterhaltspflichtigen zu übernehmen ist und nicht als Mehrbedarf angesehen wird. Der private Krankenversicherungsbedarf ist nicht im Tabellenbedarf der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt und müsste dann qua Definition des BGH Mehrbedarf sein, der quotal auf die Elternteile aufzuteilen wäre.

Den Sonderbedarf beschreibt der BGH als einen unregelmäßigen, außergewöhnlich hohen Bedarf, welcher neben dem Barunterhalt auch für die Vergangenheit verlangt werden kann. Dieser Sonderbedarf muss überraschend aufgetreten sein und der Höhe nach nicht voraussehbar.

Im Leitsatz 3 spiegelt sich dann wider, wie der BGH nach neuester Rechtsprechung die Haftungsquote zur Berechnung von Mehrbedarf/Sonderbedarf ermittelt, insbesondere, wie das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des betreuenden Elternteiles zu ermitteln ist.

Der BGH weist darauf hin, dass bei der Berechnung des Einkommens bei der betreuenden Mutter auch der von ihr zu tragende Naturalunterhalt für die Kinder abzuziehen ist und somit sich die Haftungsquote zugunsten der betreuenden Mutter verändert. Der BGH begründet dies damit, dass der Bedarf eines Kindes sich nach dem gemeinsamen Einkommen beider Elternteile grundsätzlich bestimmt, der Barunterhaltspflichtige aber nur zur Zahlung des Unterhalts verpflichtet ist, den er bei Berücksichtigung nur seines Einkommens zu bezahlen hat. So verbleibt häufig ein offener Bedarf des Kindes. Daher sei von den Erwerbseinkünften des betreuenden Elternteils der Barunterhaltsbedarf der Kinder nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen auf den Barunterhalt des Vaters entfallenden Kindergeldes und abzüglich des vom Vater geleisteten Barunterhalts abzusetzen.

Beispiel:

Kindesunterhalt nach zusammengezähltem Einkommen der Eltern,

15. Einkommensgruppe DT                                                                             1066,00 €,

abzüglich derzeit hälftiges Kindergeld                                                             109,50 €,

                                                                                                                         =    956,50 €,

abzüglich des aus dem Einkommen des Vaters alleine zu zahlenden

Unterhaltes aus der 12. Einkommensgruppe nach Abzug von hälftigem

Kindergeld, mithin                                                                                                814,00 €

verbleiben Restbedarf des Kindes i.H.v.                                                   =    142,50 €

das soll der „Naturalunterhalt“ sein, den die Mutter dann noch zu leisten hat und von ihrem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen abzuziehen ist und zu ihren Gunsten die Verteilungsquote von Mehrbedarf/Sonderbedarf verändert.

Diese Rechtsprechung des BGH übersieht nach diesseitiger Auffassung § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB, wonach den betreuenden Elternteil keine Barunterhaltspflicht trifft und faktisch der oben errechnete Betrag von 142,50 € den Geldbeutel des betreuenden Elternteiles nicht belastet. Nicht umsonst erfährt diese Rechtsprechung Kritik. Mag zur Minimierung des nachrangigen Elternunterhaltes, bei dem diese Argumentation aufgekommen ist (BGH, FamRZ 2017, Seite 711), dies noch hinzunehmen sein, so steht bei der Bemessung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens des betreuenden Elternteiles dies eben im Widerspruch, wonach der betreuende Elternteil eben seiner Unterhaltspflicht allein durch die Betreuung nachkommt (§ 1606, Abs. 3 Satz 2 BGB). Ob diese Rechtsprechung nunmehr bei jeder Berechnung eines Ehegattenunterhaltes im Zusammenhang mit betreuenden Eltern anzuwenden ist, bleibt offen, denn im hier vorliegenden Fall geht es letztendlich nur um die Quotenermittlung für Mehr- und Sonderbedarf und beim im Leitsatz 3 zitierten Urteil um die Erfüllung eines höheren Wohnbedarfs von Kindern (ebenso kritisch Werner Schwamb in Famrb 2022, Seite 344 u. a.).

Weil das OLG insbesondere entscheidende Fragen zum Wohnwertvorteil und zur Bestimmung der jeweiligen Einsatzeinkommen beim Mehrbedarf/Sonderbedarf nicht beachtet hat und somit Feststellungen fehlen, hat der BGH das Verfahren an das OLG zurückverwiesen und dem OLG noch einige Hinweise für die weitere Sachbehandlung erteilt. So z. B. der Hinweis, dass bei Ermittlung der Unterhaltsquote keine fiktiven Einkünfte der Mutter einzustellen sind. Insbesondere weist der BGH darauf hin, dass wenn sich herausstellen sollte, dass die Mutter nicht wegen des vollen Wohnwertvorteils von der Geltendmachung eines Getrenntlebendunterhaltes abgesehen hat (und somit der Wohnwertvorteil noch nicht „verbraucht“ ist), dass dann nach der Rechtsprechung des BGH der Miteigentumsanteil des Vaters an der Wohnung zu einer teilweisen Deckung des Barbedarfs der Kinder führen wird.

Bedauerlicherweise wirft dieses Urteil viele Fragen auf und bürdet dem Unterhaltspflichtigen eine erhöhte Darlegungslast auf, indem der BGH fordert, dass letztendlich er in jedem Fall rechnerisch darlegen muss, dass der Wohnwert noch an keiner anderen Stelle bei finanziellen Ausgleichszahlungen (Unterhalt oder Nutzungsentschädigung) Berücksichtigung gefunden hat.

Ehescheidung

OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.02.2021 – Az. 13 WF 123/20 – §§ 43, 44 FamGKG

NZFam 2022, Seite 559

Vorhandenes Vermögen der Ehegatten ist bei der Festsetzung des Verfahrenswertes für ein Scheidungsverfahren i. H. v. 5 % des Betrages zu berücksichtigen, um den es einen Freibetrag von 60.000 € je Ehegatte und 10.000 € je minderjährigem Kind übersteigt.

Das Familiengericht hat aufgrund er Nettoeinkommen der beiden Ehegatten i. H. v. 2.600 € und 2.300 €, in der Summe 4.900 € den Gegenstandswert für die Scheidung entsprechend § 43 Abs. 2 FamGKG mit dem 3-fachen Monatsbetrag, somit i. H. v. 14.700 € festgesetzt (hinzu kam der Gegenstandswert für den Versorgungsausgleich i. H. v. 10 % des Verfahrenswertes der Scheidung für jedes Versorgungsanrecht). Die Beteiligten hatten im Verfahren den Wert der unbelasteten Immobilien mit 130.000 € und ein Bankguthaben von 110.000 € mitgeteilt. Das Gericht hat jedoch die Vermögenswerte nicht beim Verfahrenswert der Scheidung berücksichtigt, hiergegen hat der Rechtsanwalt eines beteiligten Ehegatten Beschwerde eingelegt.

Zurecht hat das OLG der Beschwerde stattgegeben und den Vermögenswert von insgesamt 240.000 € (auch wenn diesbezüglich keinerlei Streitpunkte vorlagen) wie folgt für den Gegenstandswert miteinbezogen:

§ 43 Abs. 1 FamGKG sind die Vermögensverhältnisse der Beteiligten angemessen zu berücksichtigen. In welcher Höhe dies zu geschehen hat, wird von den Oberlandesgerichten (derartige Fragen gelangen grundsätzlich nicht zum BGH, da der Instanzenzug beim OLG endet) unterschiedlich gehandhabt. Grundsätzlich werden vom Nettovermögen zunächst Freibeträge von 60.000 € pro Ehegatten abgezogen und für minderjährige Kinder pro Kind 30.000 € (z. B. OLG Nürnberg), das OLG Brandenburg geht von 10.000 € Abzugsbetrag pro minderjährigem Kind aus. Im vorliegenden Fall waren von den 240.000 € Reinvermögen 2 mal 60.000 € für die Ehegatten abzuziehen (keine minderjährigen Kinder vorhanden), somit verblieben 120.000 €. Hiervon hat das Gericht dann 5 %, mithin 6.000 € dem Verfahrenswert der Scheidung hinzuaddiert, mit der Folge, dass der Gegenstandswert der Scheidung sich dann auf 20.700 € erhöht. Der Gegenstandswert des Versorgungsausgleichs wird weiterhin berechnet aus dem 3-fachen Familieneinkommen ohne Erhöhung durch Berücksichtigung des Vermögens bzw. ohne Verminderung durch Berücksichtigung von Freibeträgen für Kinder (weiterhin dann 10 % aus 14.700 € für jedes Versorgungsanrecht).

Die Oberlandesgerichte gehen zumeist von 5 % des um Freibeträge bereinigten Nettovermögens für die Berechnung des zusätzlichen Gegenstandswertes aus. Das OLG Stuttgart hatte im Jahr 2009 lediglich 2,5 % angesetzt, das OLG Düsseldorf im Jahr 2010 10 %, Das OLG Brandenburg hat hier 5 % angesetzt, was nach Kenntnis des Verfassers auch in fast allen Oberlandesgerichtsbezirken so gemacht wird. Nach der Gesetzeslage verbleiben den Gerichten jedoch weiterhin Ermessensspielräume, eines ist jedoch klar: nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 43 Abs. 1 FamGKG ist das Vermögen im Rahmen der Verfahrenswertfestsetzung zu berücksichtigen. Der Rechtsanwalt ist berechtigt, gemäß §§ 32 Abs. 2 RVG, 59 FamGKG in eigenem Namen Beschwerde einzulegen. Die beteiligten Eheleute sind natürlich bestrebt, den Verfahrenswert möglichst gering zu halten, die Gesetzeslage gibt jedoch vor wie der Gegenstandswert zu berechnen ist und dass das Vermögen hierbei angemessen zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall ergab sich eine Erhöhung der Nettogebühren von ca. 200 €.

Exkurs Gebührenrecht Scheidung:

Der Verfahrenswert der Scheidung ergibt sich zum einen aus dem Verfahrenswert der Scheidung (3-faches Nettofamilieneinkommen zzgl. etwaiger erhöhter Verfahrenswert aus bestehendem Vermögen, mindestens 3.000 €, maximal 1 Mio. €) zzgl. weiterer Verfahrenswerte für die sog. Scheidungsfolgesachen wie Versorgungsausgleich, möglicherweise Unterhalt, Zugewinn, elterliches Sorgerecht etc.. Zu dem Vermögen, welches im Regelfall mit 5 % nach Abzug von Freibeträgen dem Verfahrenswert für die Ehescheidung hinzuaddiert wird, gehört sämtliches Vermögen beider Eheleute, wie Grundeigentum, Sparguthaben Lebensversicherungen, Aktiendepots, Bausparguthaben etc.. Dies ist unabhängig von einer Zugewinnberechnung, bei der etwaige Anfangsvermögenswerte oder privilegierte Anfangsvermögenswerte (Erbschaften/Schenkungen während der Ehe) vom Endvermögen abgezogen werden. Abzuziehen sind natürlich bestehende Verbindlichkeiten, letztendlich das gesamte aktive Vermögen beider Eheleute zum Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrages. Auch für die Bemessung des Verfahrenswertes aus Einkommen ist maßgeblich der Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrages.

Zu den Anwaltskosten kommen noch Gerichtskosten, die von Gesetzes wegen direkt vom Gericht mit den Parteien abgerechnet werden. Insoweit verlangt das Gericht, bevor der Scheidungsantrag zugestellt wird, eine sogenannte 2-fache Gerichtskostengebühr, die das Gericht aus den vorläufigen Angaben im Scheidungsantrag bemisst und ggf. festsetzt. Spätestens mit dem Scheidungsendbeschluss nach Anhörung der beteiligten Eheleute im Scheidungsverfahren, in welchem diese sowohl Angaben zum Einkommen und zum Vermögen zum Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrages machen müssen (Anhörung), wird dann der Verfahrenswert endgültig festgesetzt. Hiernach bestimmen sich Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren.

Jede Partei hat üblicherweise die Hälfte der tatsächlich anfallenden Gerichtskosten zu tragen (Kostenaufhebung). Der Antragsteller im Scheidungsverfahren, ebenso ein Antragsteller in anderen familienrechtlichen Verfahren, muss mit der Antragseinreichung zunächst die vollen Gerichtskosten einbezahlen. Mit Abschluss des Verfahrens erfolgt dann ein sogenanntes Kostenfestsetzungsverfahren, in welchem dann ein Kostenausgleich stattfindet.

Die Gerichtskosten eines Scheidungsverfahrens werden grundsätzlich geteilt, d. h., jede der Parteien hat die Hälfte der Gerichtskosten zu tragen. Die Kosten für den Rechtsanwalt hat jeder Ehegatte selbst zu tragen (Grundsatz der Kostenaufhebung). Wenn somit bei einer einvernehmlichen Scheidung nur der/die Antragsteller/in einen Anwalt beauftragt, hat der andere (Scheidungsgegner) keine Anwaltskosten zu tragen, es sei denn, bei einer einvernehmlichen Scheidung einigen sich die Parteien darauf, dass die Kosten einschließlich der Anwaltskosten des/der Antragstellers/in geteilt werden.

Ist man sich bei einer einvernehmlichen Scheidung einig darüber, dass die Kosten hälftig geteilt werden, sollte man im Gerichtsverfahren bereits beantragen, dass die Kosten nicht gegeneinander aufgehoben werden, sondern dass die Kosten hälftig geteilt werden. Ein solcher Kostenausspruch führt dazu, dass dann auch die Anwaltskosten des einen Ehepartners hälftig zwischen den Parteien aufzuteilen sind.

Mit der Scheidung aber auch während des laufenden Scheidungsverfahrens können sogenannte Scheidungsfolgesachen anhängig gemacht (geltend gemacht) werden. Damit diese Folgesache im sogenannten Scheidungsverbund mitentschieden wird, muss diese mindestens 2 Wochen vor einem anberaumten Scheidungstermin bei Gericht anhängig gemacht werden (bis spätestens 24.00 Uhr des Vortages der 2-Wochen-Frist). Durch derart kurzfristige Einreichung von Folgesachen kann ein Scheidungsverfahren hinausgezögert werden.

Jede Scheidungsfolgesache erhöht den Verfahrenswert. Bei einer Scheidung muss das Gericht von Amts wegen neben der Scheidung nur den Versorgungsausgleich mitregeln. In dem seit 01.09.2009 in Kraft getretenen FamGKG bestimmt § 50, dass für jedes Versorgungsanrecht 10 % des Verfahrenswertes der Scheidung (20 % bei schuldrechtlichem VA) angesetzt werden, mindestens 1.000 €.

Wie bereits oben dargelegt, wird in einem Scheidungsverfahren von einem Familienrichter nichts Weiteres geregelt als die Scheidung selbst und der Versorgungsausgleich, es sei denn, sog. Folgesachen werden von einer Partei in das Scheidungsverfahren eingeführt und entsprechende Anträge gestellt. Anträge stellen kann nur derjenige, der anwaltlich vertreten ist.

Der Verfahrenswert von Folgesachen berechnet sich wie folgt:

  • Sorgerecht: Im Scheidungsverfahren ist der Verfahrenswert für die Scheidung gem. § 44 Abs. 2 FamGKG für jede Kindschaftssache um 20 % zu erhöhen, höchstens um jeweils 4.000 €.
  • Umgangsrecht: Hier gilt das zum Sorgerecht Gesagte.
  • Unterhalt: Als zusätzlicher Verfahrenswert wird der 12-fache Monatsbetrag des geltend gemachten Unterhalts zzgl. eines etwaigen Rückstands zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags angesetzt. Bei einer Unterhaltsforderung z. B. in Höhe von 500 € beträgt dann der weitere Verfahrenswert 500 € x 12 Monate, somit 6.000 € (§ 51 Abs. 1,2 FamGKG).
  • Zugewinnausgleich: Verfahrenswert ist der geforderte Betrag, der als Zugewinnausgleichsforderung geltend gemacht wird, ggf. addiert mit dem Zugewinnbetrag, den der Verfahrensgegner im Wege des Widerantrages geltend macht.
  • Rechtsverhältnis an Ehewohnung und Haushaltssachen: In Wohnungszuweisungssachen im Zusammenhang mit der Scheidung beträgt der Verfahrenswert 4.000 € (§ 48 Abs. 1 FamGKG). In Haushaltssachen beträgt der Verfahrenswert im Zusammenhang mit der Scheidung 3.000 € (§ 48 Abs. 2 FamGKG).
  • Einstweilige Anordnungen: Im Scheidungsverbund können Folgesachen, wie Unterhalt, Hausrat, Ehewohnung, Sorge- und Umgangsrecht in einem sog. Schnellverfahren vorläufig geregelt werden; dies nennt man einstweilige Anordnungen. Der Verfahrenswert von einstweiligen Anordnungen wird in der Regel unter Berücksichtigung der geringeren Bedeutung gegenüber der Hauptsache zu ermäßigen sein. Dabei ist nach § 41 FamGKG von der Hälfte des für die Hauptsache des bestimmten Wertes auszugehen. In Wohnungszuweisungssachen beträgt der Verfahrenswert einer einstweiligen Anordnung somit im Regelfall 2.000 €, für Haushaltssachen 1.500 €. In Unterhaltssachen bestimmt sich der Verfahrenswert nach dem 6-monatigen Unterhaltsbetrag.

Grundsätzlich werden im Scheidungsverfahren sämtliche Verfahrenswerte der einzelnen Scheidungsfolgesachen zusammengezählt. Hieraus wird deutlich, dass die Kosten einer Scheidung dadurch verringert werden können, dass möglichst viele Scheidungsfolgesachen (Unterhalt/Zugewinn etc.) außergerichtlich geregelt werden. Wenn natürlich außergerichtlich Rechtsanwälte hiermit beauftragt werden, fallen außergerichtlich Rechtsanwaltsgebühren an, die im Regelfall jedoch deutlich geringer sind, zumal es nicht mehrere Instanzen geben kann.

Im Regelfall fällt im Scheidungsverfahren eine sog. 1,3-Verfahrensgebühr sowie eine sog. 1,2-Terminsgebühr aus dem Verfahrenswert zzgl. Auslagenpauschale zzgl. MwSt. an.

Die Gebührentabelle und die Höhe der Gebühren ergeben sich aus dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Gibt es zu Scheidungsfolgesachen einen Vergleich, so kommt eine weitere 1,5-Einigungsgebühr aus dem Verfahrenswert über den man sich geeinigt hat, hinzu. Werden im Scheidungstermin Angelegenheiten mitverglichen, so wird auch dies im Rahmen der Gebühren berücksichtigt. Einzelheiten zum Scheidungsrecht und insbesondere zu den Kosten inkl. Gebührentabellen finden Sie im Merkblatt Nr. 5 des Verbandes ISUV.

Wechselmodell

OLG Dresden, Beschluss vom 12.04.2022 – 21 UF 304/21 – §§ 1684, 1696 BGB

NZFam 2022, Seite 610

Ein Wechselmodell kann gegen den Willen eines Elternteils auch bei einer erheblichen Störung der elterlichen Kommunikation gerichtlich angeordnet werden, wenn das Wechselmodell seit geraumer Zeit tatsächlich gelebt wird, es dem beachtlichen Willen des Kindes entspricht (Kind 12 Jahre alt) und nachteilige Auswirkungen auf das Kind nicht feststellbar sind.

Die Eltern haben seit Ende 2018 einen erweiterten Umgang, 14-tägig von Donnerstag bis Dienstag, gelebt. Das Familiengericht hat auf Antrag des Vaters Anfang des Jahres 2021 ein paritätisches Wechselmodell beschlossen, gestützt auf den Kindeswillen. So wurde es auch für knapp ein Jahr bis zur Entscheidung des OLG gelebt. Eine außergerichtliche Mediation war gescheitert, eine direkte Kommunikation hat nicht mehr stattgefunden, sogar eine Strafanzeige des Vaters gegen die Mutter lag vor. Die Mutter hat sich gegen ein Wechselmodell ausgesprochen, da keine Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit zwischen den Eltern vorliegt. Das OLG hat das Wechselmodell bestätigt und sogar von einem Sachverständigengutachten abgesehen, obwohl Verhaltensauffälligkeiten beim Kind von der Mutter vorgetragen wurden.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 14.03.2022 – 9 UF 191/21 – §§ 1684, 1697 a BGB

NZFam 2022, Seite 749

Kommunizieren die Eltern ausschließlich per E-Mail oder über ihre Rechtsanwälte und sind sie nicht in der Lage, im Interesse des gemeinsamen Kindes aufeinander zuzugehen und organisatorische Aspekte der Kinderbetreuung zu besprechen, fehlt es an der für die Anordnung des Wechselmodells erforderlichen Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern.

Hier war das Kind 7 Jahre alt, die Wohnorte liegen ca. 20 km auseinander. Beide Elternteile sind berufstätig, arbeiten jeweils Teilzeit. Seit der Trennung lediglich Kommunikation per E-Mail oder über Rechtsanwälte. Gestützt auf den Willen des Kindes hat das Amtsgericht Ende 2021 ein paritätisches Wechselmodell im wöchentlichen Wechsel angeordnet und den Ferienumgang hälftig aufgeteilt. Die Mutter legt hiergegen Beschwerde ein. Vater, Jugendamt und Verfahrensbeistand verteidigen die Entscheidung des Amtsgerichts.

Das OLG hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben. Es hat dem Umgang des Kindes mit dem Vater – wie zuvor praktiziert – auf die ungeraden Kalenderwochen von Donnerstag bis zum darauffolgenden Montag festgelegt und den hälftigen Ferienumgang belassen. Das OLG stellt fest, dass sich die Eltern feindselig und unversöhnlich gegenüberstehen, eine Kompromissbereitschaft sei bei beiden nicht zu erkennen. Allein dieser Streit der Eltern wird auf dem Rücken des Kindes ausgetragen. Auch wenn der Kindeswille in Richtung eines Wechselmodells geht, befindet sich das Kind in einem Loyalitätskonflikt und kann in seinem Alter die Tragweite noch gar nicht erfassen. Da die Umgangsregelung die vormals bestand funktioniert hat, ist darauf zurückzugreifen.

Das OLG stellt ausschließlich auf die fehlende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern ab.

OLG Dresden, Beschluss vom 27.04.2022 – 21 UF 71/22 – §§ 1684, 1696 BGB

FamRZ 2022, Seite 1208

  1. Zu den Voraussetzungen der Begründung eines Wechselmodells im Wege der Abänderung einer bestehenden gerichtlichen Umgangsregelung – hier verneint –, da kein gemeinsamer Elternwille.
  2. Bei Kleinkindern bestehen im Hinblick auf ihre seelischen Bedürfnisse Bedenken gegen die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells.

Die Kinder sind 3 und 5 Jahre alt. Es besteht eine familiengerichtlich gebilligte Umgangsregelung im erweiterten 2-Wochen-Rhythmus. Der Vater begehrt ein paritätisches Wechselmodell, der größere Sohn habe diesen Wunsch öfters geäußert. Die Mutter wendet ein, dass die Kommunikationsebene der Eltern schlecht sei.

Das Familiengericht hat das Wechselmodell abgelehnt, da es keinen Grundsatz gäbe, dass ein paritätisches Wechselmodell dem Kind mehr entspräche, als jedes andere Betreuungsmodell. Das Familiengericht stellt fest, dass bei der Frage zur Betreuungssituation beide Eltern das Wohl ihrer Kinder aus dem Blickwinkel verloren hätten und nicht bereit seien, ihre eigenen Wünsche/Bedürfnisse gegenüber denen ihrer Kinder hintanzustellen. Hiergegen legt der Vater Beschwerde ein, das OLG weist die Beschwerde zurück.

Das OLG sieht eine Abänderungsmöglichkeit einer vormaligen gerichtlichen Umgangsregelung nur dann, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist (§ 1696 BGB). Zudem führt das OLG aus, dass auch hiervon unabhängig Bedenken bestehen. Das Wechselmodell als Umgangsrecht dient nicht dazu, den Wunsch eines Elternteils nach gleichwertiger Teilhabe am Lebens des Kindes zu verwirklichen. Auch ein Umgang – wie praktiziert – alle 14 Tage von Freitagnachmittag bis Dienstagmorgen erfüllt die Grundbedürfnisse von Kindern auf Umgang. Auch das Alter des Kindes ist von Bedeutung. Bei 3-jährigen Kleinkindern bestehen Bedenken für ein Wechselmodell, häufige Wechsel können für Kleinkinder einen erheblichen Stress bedeuten (Salzgeber, NZFam 2014, Seite 921 ff.; Heilmann, NJW 2015, Seite 3346; Kindler/Walper, NZFam 2016, Seite 822; Castellanos/Hertkorn, Psychologische Sachverständigengutachten im Familienrecht, Teil II, Rz. 285).

Auch wenn die Kinder oder das größere Kind den Wunsch geäußert haben auf mehr Zeit mit dem Vater, so kann das in dem Alter auch mit einem Loyalitätsdruck erklärt werden (BVerfG, FamRZ 2015, Seite 210). Zudem mag zwar ein Konsens der Eltern zum Wechselmodell keine Voraussetzung für ein Wechselmodell sein, trotz alledem wird in der Praxis die gerichtliche Anordnung eines paritätischen Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils nur in wenigen Fällen kindeswohldienlich sein, denn dem Kind wird diese Ablehnung auf Dauer nicht verborgen bleiben (OLG Dresden, FamRZ 2021, Seite 1805; OLG Bremen, FamRZ 2018, Seite 1908).

OLG Brandenburg, Beschluss vom 16.09.2021 – 10 UF 34/21 – §§ 1684, 1697 a BGB

FamRZ 2022, Seite 1210

Bei hoher elterlicher Konfliktbelastung und entgegenstehendem Willen des 14-jährigen Kindes entspricht die Anordnung eines Wechselmodells nicht dem Kindeswohl.

Mit dieser Entscheidung fasst das OLG Brandenburg die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zusammen und begründet die Ablehnung eines Wechselmodells für ein 14-jähriges Kind zum einen mit der hohen elterlichen Konfliktbelastung, zum anderen mit dem maßgeblichen Kindeswillen. Im Verfahren war es unklar, was das Kind selbst „will“, beim OLG hat sich dann herausgestellt, dass das Kind den 14-tägigen Umgangsrhythmus für gut befindet.

Das OLG schickt in seiner Begründung voraus, dass der entscheidende Maßstab immer das Kindeswohl ist. Es ist immer die Reglung zu treffen, die dem Kindeswohl nach § 1697 a BGB am besten entspricht (BVerfG, FamRZ 2010, Seite 1622). Die Anordnung eines Wechselmodells ist dabei unter dem Gesichtspunkt des Umgangsrechts auch gegen den Willen eines Elternteils zulässig (grundlegend BGH, FamRZ 2017, Seite 532, ebenso u. a. OLG Brandenburg, FamRZ 2021, Seite 34). Die Kriterien können wie folgt zusammengefasst werden:

  • ungefähr gleiche Erziehungskompetenzen der Eltern
  • sichere Bindungen des Kindes zu beiden Eltern
  • gleiche Beiträge beider Eltern zur Entwicklungsförderung
  • Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Eltern zur Bewältigung des erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarfs
  • keine Erwartung oder Verschärfung eines Loyalitätskonflikts des Kindes durch die Konfliktbelastung der Eltern
  • autonom gebildeter, stetiger Kindeswille

Das Wechselmodell ist danach anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht (BGH, FamRZ 2020, Seite 258). An diesen Kriterien erkennt man, dass immer im Einzelfall zu entscheiden ist. Im vorliegenden Fall ging das OLG davon aus, dass das 14-jährige Kind seinen Willen autonom gebildet hat und hat auch zu bedenken gegeben, dass auch dann, wenn der Kindeswille nicht immer dem Kindeswohl entspricht, dass der Kindeswille für eine gerichtliche Entscheidung umso mehr wiegt, je älter das Kind ist und dessen Persönlichkeit gereift ist. Starre Altersgrenzen gibt es insoweit nicht, bei dem hier 14-jährigen Kind ist das Gericht von entsprechender Persönlichkeitsreife ausgegangen. Das Kind hat sich gegen ein Wechselmodell ausgesprochen.

Darüber hinaus hat das OLG darauf hingewiesen, dass das Wechselmodell bei der vorlegenden hohen elterlichen Konfliktbelastung (fortwährende sorgerechtliche und umgangsrechtliche Streitigkeiten vor Gericht seit der Trennung 2014/hochstrittige Elternschaft) in der Regel ohnehin nicht dem Kindeswohl entspricht. In derartigen Fällen sind die Kinder mit dem elterlichen Streit konfrontiert und geraten durch den von den Eltern oftmals ausgeübten „Koalitionsdruck“ in Loyalitätskonflikte. Zudem ist es den Eltern aufgrund ihres Streits oft nicht möglich, die für die Erziehung des Kindes nötige Kontinuität und Verlässlichkeit zu schaffen (BGH, FamRZ 2020, Seite 255; FamRZ 2017, Seite 532 u. a.). Für die Anordnung des Wechselmodells ist ein Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern erforderlich. Wer über Jahre hinweg durch zahlreiche Gerichtsverhandlungen zeigt, dass man nicht miteinander kann, kann auch kein Wechselmodell.

Mit dieser Entscheidung fasst das OLG Brandenburg den derzeitigen „Meinungsstand“ zum Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils zusammen. Weit ausführlicher der zu dieser Thematik veröffentlichte Aufsatz von Born in NZFam 2022, Seite 821 ff. oder die Zusammenfassung der Rechtsprechungsübersicht des Jahres 2021 bis heute im Aufsatz von Opitz, NZFam 2022, Seite 773:

Zwischenzeitlich erscheint es in der Rechtsprechung eindeutig, dass dem Grunde nach Fragen des Wechselmodells umgangsrechtlicher Natur sind und daher in sogenannten umgangsrechtlichen Verfahren zu klären sind (zuletzt BGH, FamRZ 2022, Seite 601). Die Unterscheidung und Klarstellung ist deshalb von Bedeutung, da es sich bei Sorge- und Umgangsrecht um eigenständige Verfahrensgegenstände handelt. Soweit diese formale Frage durch die zuletzt genannte BGH-Entscheidung geklärt zu sein scheint, so ist und wird weiterhin die Bandbreite der Einschätzungen zur Kindswohldienlichkeit eines Wechselmodells groß und naturgemäß einzelfallabhängig sein.

Auch wenn oftmals aufgrund „moderner“ Entwicklungen der Gesellschaft die Auffassung vertreten wird, beim Wechselmodell handele es sich um einen Regelfall/Normalfall, eine sogenannte gesetzliche Vermutung, so ist dies nicht richtig. Auch die gesetzliche Normierung in anderen Ländern hilft hier nicht weiter. Es gibt in Deutschland weiterhin relativ wenige Forschungsergebnisse, die generelle Vorteile des Wechselmodells gegenüber dem Residenzmodell bejahen (näheres hierzu bei Born, NZFam 2022, Seite 821 mit Verweis auf weitere Literatur). Wenn in der Praxis bereits ein paritätisches Wechselmodell gelebt wurde und macht ein Elternteil dann einen Rückzieher, hat der andere Elternteil gute Aussichten auch vor Gericht das Wechselmodell auch für die Zukunft beizubehalten. Der ablehnende Elternteil muss dann plausible Gründe für eine Abänderung des bislang gelebten Wechselmodells vortragen. Dies gilt selbst dann, wenn erhebliche Kommunikationsstörungen der Eltern zwischenzeitlich vorliegen und nachteilige Wirkungen auf das Kind nicht feststellbar sind (OLG Dresden, NZFam 2022, Seite 610).

Viel häufiger sind jedoch die gerichtlichen Fälle, wonach ein Wechselmodell noch nicht praktiziert wurde und ein Elternteil ein solches begehrt. Dann greifen die Kriterien, die oben schon genannt sind. Soll eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst durch das Wechselmodell „herbeigeführt“ werden, scheidet ein Wechselmodell aus (BGH, FamRZ 2017, Seite 532). Auf der anderen Seite dürfen an die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden, denn anderenfalls würde durch Blockadehaltung des ablehnenden Elternteils ohne triftigen Grund eine gerichtliche Anordnung zum Wechselmodell verhindert werden können, ein derartiges „Vetorecht“ hat der BGH ausdrücklich abgelehnt (BGH, FamRZ 2017, Seite 532). Für ein Wechselmodell sprechen geringe Entfernungen der Wohnorte der Eltern, große Entfernungen sprechen dagegen. Letztendlich muss bei Schulkindern die Schule von beiden Haushalten gut erreichbar sein (OLG Frankfurt a.M., FamRZ 2022, Seite 362 u. a. bei Zuzug eines Elternteils in die Nähe des Wohnortes des Kindes). Dass auch der Wille des Kindes ab einem gewissen Alter von Bedeutung ist, ist bereits oben anhand der OLG-Entscheidung skizziert worden.

Zusammenfassung:

  • Die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells ist auch dann möglich, wenn ein Elternteil eine solche Regelung ablehnt.
  • Kriterium ist das Kindeswohl, nicht der Wunsch eines Elternteils.
  • An Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden/Einzelfall.
  • Anlehnung an die Rechtslage in anderen Ländern, wonach das Wechselmodell als Regelfall ausdrücklich normiert ist, ist erstrebenswert (Belgien, Frankreich, Italien u. a., näheres hierzu bei Helms/Schneider, FamRZ 2020, Seite 813).

Die Gerichte werden auch in Zukunft damit beschäftigt sein im Einzelfall über die Anordnung eines Wechselmodells zu entscheiden, da letztendlich jedes Kind individuelle ist, als auch jede Konfliktsituation der Eltern seine eigene Dynamik hat. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird es nur gelingen, Leitplanken zu setzen und Entscheidungskriterien festzuhalten. Lediglich der Gesetzgeber könnte in dieser Frage eingreifen, indem z. B. das Wechselmodell als gesetzlicher Regelfall normiert wird (so wie das gemeinsame Sorgerecht der gesetzliche Regelfall ist).

Werbung

Rechtsprechung kompakt

Unterhaltsrecht

BGH, Beschluss vom 09.03.2022 – Az. XII ZB 233/21 – § 1603 BGB
FamRZ 2022, Seite 781 ff.; NZFam 2022, Seite 402 ff.

Auch beim Kindesunterhalt können grundsätzlich bis zur Höhe des Wohnvorteils neben den Zinszahlungen zusätzlich die Tilgungsleistungen berücksichtigt werden, die der Unterhaltspflichtige auf ein Darlehen zur Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie erbringt (Fortführung BGHZ 2013, 288 = FamRZ 2017, Seite 519/NZFam 2017, Seite 303 und BGH v. 15.12.2021, Az. XII ZB 557/20 = FamRZ 2022, Seite 434/NZFam 2022, Seite 208).


Überschreitet der Schuldendienst für die Immobilie den dadurch geschaffenen Wohnvorteil nicht, ist aber gleichwohl der Mindestunterhalt minderjähriger Kinder gefährdet, kann dem gesteigert Unterhaltspflichtigen zwar nicht eine vollständige Aussetzung der Tilgung, wohl aber nach den Umständen des Einzelfalls ausnahmsweise eine Tilgungsstreckung zugemutet werden. Die kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn eine besonders hohe Tilgung vereinbart wurde oder die Immobilie bereits weitgehend abbezahlt ist.

Der BGH hat in dieser Sache überraschend schnell entschieden, denn das Beschwerdegericht (OLG Oldenburg, Az. 3 UF 29/21) hatte erst am 08.04.2021 die zugrundeliegende Entscheidung getroffen (NZFam 2021, Seite 604/ISUV-Report Nr. 168, Seite 19). Eine BGH-Entscheidung vor Ablauf eines Jahres ist eher ungewöhnlich, offensichtlich wollte der BGH zu der gesamten Rechtsproblematik zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen weitergehende Klarheit schaffen.

Mit der vorliegenden Entscheidung vollzieht der BGH eine weitere Klarstellung zur Korrektur seiner älteren Rechtsprechung, wonach es sich bei Tilgungsleistungen von Immobiliendarlehen um einseitige Vermögensbildung handele und daher bei der Bemessung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens nicht zu berücksichtigen sei. Tilgungsleistungen sind nunmehr beim Eltern-, Ehegatten- und Kindesunterhalt bis zur Höhe des Wohnwertes von diesem in Abzug zu bringen, dies bis zum maximalen objektiven Wohnwert. Liegt ein Mangelfall vor, sind Möglichkeiten der Tilgungsstreckungen zu prüfen.

Die den Wohnwert übersteigenden Tilgungsleistungen können bis zu den jeweiligen Obergrenzen von 4 % bzw. 5 % des Bruttoeinkommens als zusätzliche Altersvorsorge abgezogen werden. Dies gilt nicht für den Mangelfall.

Bereits mit der Entscheidung BGH, Beschluss vom 15.12.2021, Az. XII ZB 557/20, NZFam 2022, Seite 208/FamRZ 2022, Seite 434 und ISUV-Report Nr. 169, Seite 18, hat der BGH die oben genannte Rechtsprechung zur selbstgenutzten Immobilie/Wohnwert in entsprechender Anwendung ausgedehnt für die Darlehenstilgung bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, d. h. diese Rechtsprechung gilt auch für die fremdfinanzierte, an Dritte vermietete Immobilie. Diese BGH-Entscheidung erfolgte für einen Fall des Ehegattenunterhaltes, es ist nicht ersichtlich, warum dies nicht auch für den Kindesunterhalt entsprechend gelten soll.

Es gilt somit der Grundsatz: Ohne Tilgungsleistungen kein Wohnwert / Ohne Tilgungsleistungen keine Mieteinnahme.

Wenn bei der Berechnung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens ein Wohnwert oder eine Mieteinnahme auf der Einkommensseite berücksichtigt wird, ist es nur folgerichtig, dass auch bis zu diesen unterhaltsrechtlich relevanten Zurechnungen die damit zusammenhängenden Kosten zur Finanzierung (Zins- und Tilgungsleistungen) einkommensmindern zu berücksichtigen sind.

Der Verfasser hat noch nie die alte Rechtsprechung verstanden, wonach Wohnwert/Mieteinnahmen zu berücksichtigen sind, aber Finanzierungsaufwendungen als einseitige Vermögensbildung nicht akzeptiert wurden. Dies hat der BGH nunmehr mit seiner Rechtsprechung seit dem Jahr 2017 und der Fortführung dieser Rechtsprechung bis zur hiesigen Entscheidung korrigiert.

Diese Rechtsprechung des BGH wird z. B. im Ehegattenunterhalt auch umgekehrt anzuwenden sein, d. h. auch wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte eine eigene Immobilie finanziert, gilt der Grundsatz des Abzugs von Zins- und Tilgungsleistungen bis zum Wohnwert. Dies gilt ebenso, wenn ein Ehegatte dem anderen seinen Miteigentumsanteil abkauft, dies finanzieren muss und sich dafür dann einen Wohnwert zurechnen lassen muss. Problematisch wird es dann, wenn bei einem solchen „Abkauf“ auch zugewinnrechtliche Fragen mitgeregelt werden und über den Kredit auch der Zugewinn mitfinanziert wird, denn die Kosten der Finanzierung des Zugewinns können grundsätzlich beim Ehegattenunter bei der Einkommensberechnung nicht berücksichtigt werden. Sonst würde ja der eine die Zugewinnauseinandersetzung des anderen über den Ehegattenunterhalt mitfinanzieren. Diese Abgrenzung wird in der Praxis Schwierigkeiten bereiten.

Möglicherweise sind diese Grundsätze/Überlegungen zum Wohnwert und zur fremdfinanzierten Immobilie auch auf andere Ratenzahlungskredite übertragbar, wenn auf der anderen Seite ein Nutzungsvorteil einkommensrechtlich Berücksichtigung findet. Auch in Zukunft wird man Kreditbelastungen nach Zins- und Tilgungsanteil darlegen müssen, um eine eventuelle Obliegenheit zur Tilgungsstreckung prüfen zu können, bzw. eine zusätzliche Altersvorsorge ermitteln zu können.

Es ist davon auszugehen, dass der BGH sich nunmehr seit 2017 in dieser Frage „ausgetobt“ hat und allenfalls noch eine Entscheidung zu dieser Thematik zu erwarten ist, dies für den Fall der fremdfinanzierten Immobilie beim Kindesunterhalt. Alle weiteren Fallkonstellationen scheinen vom BGH „abgearbeitet“.
Ausführlich zu dieser Thematik auch ISUV-Merkblatt Nr. 11 – RA Heinzel, „Das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen“, Seite 20 ff..

Umgangsrecht

BVerfG, Beschluss vom 17.02.2022 – Az. 1 BvR 743/21 – § 1684 BGB, § 89 FamFG, Art. 2 I, 1 I, 6 I GG
NZFam 2022, Seite 397; FamRZ 2022, Seite 794

Eine Verpflichtung zum Umgang mit dem Kind greift in das Persönlichkeitsrecht eines Elternteils ein, welches den Umgang gar nicht oder nicht in der gerichtlich geregelten Weise ausüben will. Dieser Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist im Hinblick auf die Elternverantwortung gerechtfertigt, § 1684 BGB trägt diesem dadurch Rechnung, dass der Umgang mit dem Kind zur elterlichen Pflicht erhoben ist.


Ein Umgang mit dem Kind der nur mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann, dient in der Regel nicht dem Kindeswohl. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, wenn ein umgangsberechtigter Elternteil den Umgang wünscht, diesen aber nur in geringerem Umfang wahrnehmen möchte, als gerichtlich festgelegt.


Der Hinweis nach Ordnungsmittel nach § 89 Abs. 2 FamFG führt nicht zwingend bei Verstoß gegen eine Umgangsregelung zu einem Ordnungsmittel.

Der Vater von drei Söhnen aus einer geschiedenen Ehe hat das gemeinsame Sorgerecht mit der Kindsmutter. Er lehnte einen Umgang mit allen drei Kindern gleichzeitig ab, die Mutter beantragte hierzu gerichtliche Regelung. Das Gericht hat alle 14 Tage in der Zeit von Samstagvormittag bis Sonntagnachmittag Umgang mit allen drei Kindern festgelegt, darüber hinaus auch jeweils die erste Hälfte aller Schulferien. Das Oberlandesgericht hat diese Entscheidung bestätigt, insbesondere auch die hälftige Ferienregelung.

Das BVerfG stellt fest, dass es einem Elternteil grundsätzlich zumutbar ist, auch unter Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitssphäre zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem Kindeswohl dient (so schon BVerfG, FamRZ 2008, Seite 845). Auf eine Gefährdung des Kindeswohles durch einen erzwungenen Umgang kommt es grundsätzlich nicht an (Abgrenzung zu BVerfG, FamRZ 2008, Seite 845). Die Kindswohldienlichkeit war hier festgestellt worden. Es reicht nicht, dass ein Umgang dem Kindeswohl nicht schaden würde, sondern der Umgang muss dem Kind überwiegend Vorteile bringen. Aufgrund des Sachverhaltes hat das BVerfG dies bejaht.

Die Abgrenzung zur vormaligen Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2008 ist zu begrüßen. Aus der Sicht des Kindes macht es einen erheblichen Unterschied, ob ein Elternteil sich grundsätzlich weigert, Umgang zu pflegen (so OLG Frankfurt, FamRZ 2021, Seite 432) oder ob grundsätzliche Bereitschaft besteht, Umgang zu pflegen, der dem Umgangspflichtigen „nicht zu anstrengend ist“ und seinen Urlaubsplänen nicht entgegensteht. Die Grundrechtsposition „Persönlichkeitsrecht Vater“ und das Kindeswohl sind im Einzelfall abzuwägen. Eine gerichtliche Umgangsregelung ist für den umgangsberechtigten Elternteil grundsätzlich verpflichtend, ob bei Verstoß ein Ordnungsgeld festzusetzen ist, ist dann Frage des Ordnungsgeldverfahrens. Wenn ein Vater keine grundlegende Abneigung gegen das Kind hegt und keine Kindswohlgefährdung zu erblicken ist, ist auch das Kindeswohl nicht gefährdet, sodass der Umgang auch gegen den Willen des Vaters festgelegt und auch zwangsweise durchgesetzt werden kann.

Schmerzensgeld

OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.01.2022 – 11 UF 801/21 – § 207 BGB
NZFam 2022, Seite 475

§ 207 BGB soll den Familienfrieden vor Störungen durch klageweise Geltendmachung von Ansprüchen schützen. Dazu stünde im Widerspruch, wenn der geschädigte Ehegatte nach einem erfolgten Versöhnungsversuch mit dem anderen Ehegatten zur Vermeidung des Eintritts von Verwirkung zur zeitnahen Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen nach einer häuslichen Auseinandersetzung angehalten wäre.

Der Ehemann hat im Februar des Jahres 2017 der Ehefrau anlässlich eines Streites eine Nasenbeinfraktur zugefügt. Nachdem der Ehefrau zunächst nach dem Gewaltschutzgesetz die gemeinsame Wohnung zugewiesen war, haben sich die Eheleute versöhnt, der Ehemann ist im Mai 2017 wieder eingezogen. Die endgültige Trennung der Eheleute erfolgte dann Mitte 2020, die Ehefrau hat wegen der Verletzungshandlung im Jahr 2017 Schmerzensgeld geltend gemacht sowie den Ersatz von Behandlungs- und Anwaltskosten. Der Ehemann hat sich auf Verwirkung berufen und zusätzlich eingewandt, er habe in Notwehr gehandelt. Das Amtsgericht – Familiengericht – hat den Antrag der Ehefrau abgewiesen. Hiergegen hat die Ehefrau Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt.

Das OLG hat entschieden, dass der Ehemann das Vorliegen einer Notwehrsituation nicht hat beweisen können. Das OLG hat auch eine Verwirkung wegen des Zeitabstandes von mehr als 3 Jahren zwischen Verletzungshandlung und Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs nicht bestätigt. Verwirkung setzt voraus, dass man sich wegen Untätigkeit des Anderen bei objektiver Betrachtung darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Allein das erneute Zusammenleben stellt keinen Verzicht auf bereits entstandene Schmerzensgeldansprüche dar, auch kann der Versöhnungsversuch für sich genommen nicht dazu führen, dass der Ehemann dauerhaft davon ausgehen konnte und durfte, dass die Ehefrau ihre Schmerzensgeldansprüche nicht weiterverfolgt. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber in § 207 BGB eine Hemmung der Verjährung von Ansprüchen zwischen Eheleuten gesetzlich normiert. Eine Verwirkung ist zwar während der Verjährungshemmung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, die Norm wäre jedoch sinnentleert, wenn schon bei Vorliegen eines Versöhnungsversuchs Verwirkung einträte. Durch die Verjährungshemmung soll der Familienfrieden geschützt werden. Würde jetzt die Ehefrau aufgrund einer Gefahr der Verwirkung gehalten sein, ihre Ansprüche geltend zu machen, würde dieser Rechtsgedanke unterlaufen werden. Es bedürfe weiterer, aus dem Verhalten der Ehefrau abgeleitete Umstände, um beim Ehemann ein schutzwürdiges Vertrauen auszulösen. Der reine Zeitablauf seit der Versöhnung reicht hierfür nicht.

Das OLG hat dann noch die Schmerzensgeldhöhe reduziert (unterhalb der für Nasenbeinfrakturen üblichen Schmerzensgeldbeträge), dies im Hinblick auch darauf, dass der sogenannte Genugtuungsgedanke aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr so stark wirkt, wie wenn der Anspruch zeitnah geltend gemacht worden wäre.

Die Kürzung des Schmerzensgeldanspruchs durch das OLG erscheint fragwürdig, da ja hierüber wiederum dem Geschädigten letztendlich auferlegt wird – auch und insbesondere während der Verjährungshemmung bei einer Ehe und bei Versöhnungsversuchen – derartige Schmerzensgeldansprüche zeitnah weiterzuverfolgen. Dies widerspricht auch dem Rechtsgedanken des BGB, wonach gerade im ersten Trennungsjahr Eheleuten Versöhnungsversuche ermöglicht werden sollen. Wenn dann aber parallel gerichtliche Verfahren wegen Schmerzensgeld geführt werden, um nicht eine Kürzung des Schmerzensgeldes befürchten zu müssen, erscheint dies kontraproduktiv. Richtigerweise hat das OLG eine Verwirkung des Schmerzensgeldanspruches abgelehnt, aber nach diesseitiger Auffassung durch die Kürzung des Schmerzensgeldes seine vorherige Linie verlassen. Ob andere Gerichte in diesen Fällen eine Kürzung des Schmerzensgeldes vornehmen, bleibt abzuwarten, nach diesseitiger Auffassung ist eine solche Kürzung nicht gerechtfertigt.

Umgangsrecht/Sorgerecht

OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.04.2022 – Az. 13 WF 52/22 – § 114 ZPO
NZFam 2022, Seite 516

In der Regel ist ein Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für ein umgangsrechtliches Verfahren mutwillig und daher zurückzuweisen, wenn der Antragsteller sich nicht zunächst an das Jugendamt gewandt hat. Anders verhält es sich dann, wenn eine Vermittlung durch das Jugendamt bereits fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos ist, oder wenn die Sache besonders dringlich ist.

Der Maßstab für die „Mutwilligkeit“ nach Verfahrenskostenhilferecht ist derjenige, wie sich ein Antragsteller, der nicht hilfebedürftig ist, verhalten würde. Dieser würde im Regelfall zunächst das kostenfrei Angebot des Jugendamtes auf Vermittlung annehmen. Es ist Aufgabe des hilfebedürftigen Antragstellers, selbst die Initiative zu ergreifen und zunächst beim Jugendamt Hilfe zu suchen. Da dies im vorliegenden Fall nicht gegeben war und auch die anderweitigen Gründe in Satz 2 des Leitsatzes nicht vorlagen, wurde Verfahrenskostenhilfe abgelehnt.

Diese Entscheidung gilt für umgangsrechtliche Verfahren, möglicherweise nicht für sorgerechtliche Verfahren (OLG Hamm, NZFam 2022, Seite 420). Hier ist jedoch zu bedenken, dass auch in sorgerechtlichen Verfahren zunächst außergerichtlichen Regelungen der Vorrang zu geben ist, insbesondere etwa durch eine sogenannte Sorgerechtsvollmacht. Hierzu die Entscheidung:

OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2022, Az. 10 UF 43/21 – § 1671 BGB
NZFam 2022, Seite 493

Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn dem Kindeswohl nicht durch mildere Mittel als die Sorgerechtsübertragung entsprochen werden kann.


Bei Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht entfällt trotz ihrer uneingeschränkten Widerruflichkeit im Regelfall die Erforderlichkeit eines gerichtlichen Eingriffs in die elterliche Sorge, soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt.


Auch soweit in der erteilten Sorgevollmacht das Aufenthaltsbestimmungsrecht insoweit ausgenommen wird, als die Vollmacht sich hier nur auf die Aufenthaltsbestimmung bei Klassenfahrten und Reisen innerhalb der Europäischen Union beschränkt, besteht ein Bedürfnis für die Aufhebung der gemeinsamen Sorge in diesem Teilbereich auch dann nicht, wenn Reisen des betreuenden Elternteils in sein hiervon ausgenommenes Heimatland und ein Umzug mit den Kindern im Raum stehen.

Hier hat das OLG die Antragsabweisung der Kindsmutter bestätigt, diese hatte die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge beantragt, obwohl der Kindsvater der Mutter eine umfassende Sorgerechtsvollmacht überlassen hatte – auch wenn diese nicht unwiderruflich war.

Das OLG hat „lehrbuchsmäßig“ die Kriterien zusammengefasst, nach denen eine gemeinsame Sorge in Betracht kommt, bzw. nicht in Betracht kommt (BGH, NJW 2016, Seite 2497).

• Nachhaltiger tiefgreifender Elternkonflikt
• Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge
• Tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern
• Keine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern, die befürchten lässt, dass das Kind dadurch erheblich belastet wird, u.a.

Allein der Umstand, dass das Alleinsorgerecht „vieles leichter machen würde“, reicht nicht aus. Nach den festgestellten Umständen hat das OLG wohl eher dazu tendiert, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben, im Hinblick auf eine vom Vater während des Beschwerdeverfahrens vorgelegte Sorgerechtsvollmacht es jedoch bei der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen. Es war unerheblich, dass die Kindsmutter diese Sorgerechtsvollmacht nicht mitunterzeichnet hatte, da eine Vollmacht eine einseitige, nicht annahmebedürftige Erklärung des Vollmachtgebers ist. Dass die Vollmacht jederzeit widerrufen werden kann, steht der Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht im Wege. Das Sorgerecht liegt nicht in der freien „Verfügbarkeit“ der Eltern und kann schon aus diesem Grund nicht wirksam unwiderruflich erteilt werden. Zudem stünde das ja dann faktisch einer Alleinsorge der Mutter gleich. Erst wenn eine solche Vollmacht widerrufen wird, sind die Gründe hierfür zu beurteilen und führen dann ggf. zu einer anderen Entscheidung. Eine solche Vollmacht lässt die Erforderlichkeit eines Eingriffs in die elterliche Sorge entfallen.

Obwohl die Bindungen des Vaters zu den Kindern als auch die Bindungen der Kinder zum Vater als mäßig einzustufen waren und auch die Kinder sich für ein Alleinsorgerecht der Mutter ausgesprochen hatten (ein Kind 13 Jahre alt, das andere Kind unter 12 Jahre), hat das OLG im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Veranlassung gesehen, die gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich Gesundheitsfürsorge, Behördenangelegenheiten, Vermögenangelegenheiten und schulische Angelegenheiten aufzuheben. Dies im Hinblick auf die Sorgerechtsvollmacht, durch die die Mutter vollständige Handlungsbefugnisse hatte. Beim Aufenthaltsbestimmungsrecht hatte der Vater in der Vollmacht Einschränkungen formuliert, wonach sich die Vollmacht nicht auf Reisen der Mutter mit den Kindern in ihr Heimatland erstreckte. Auch hat sich die Vollmacht nicht erstreckt auf die Möglichkeit des Umzuges in einen anderen Wohnort. Diese Beschränkungen stehen nach Auffassung des OLG der Beibehaltung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht entgegen. Auch wenn der Vater bislang nur sehr dürftig sein Umgangsrecht mit den Kindern wahrgenommen hat, hat er nicht nur vor dem OLG bekundet, in Zukunft mehr Umgang wahrnehmen zu wollen, sondern hat sogar ein umgangsrechtliches Verfahren bei Gericht eingeleitet. Diese Bemühungen rechtfertigen auch die Einschränkungen in der Vollmacht, wonach der Mutter kein Freibrief für einen Umzug mit den Kindern gegeben werden soll.

In der Gesamtschau hat das OLG daher die Sorgevollmacht für ausreichend erachtet, den Antrag auf Übertragung der Alleinsorge abzuweisen. Das OLG hat auch darauf verwiesen, dass wenn es zukünftig Probleme bzw. Meinungsverschiedenheiten bei Reisen in das außereuropäische Heimatland der Mutter mit den Kindern geben sollte oder ein Wohnortwechsel nicht akzeptiert wird, dass dann immer noch ein Verfahren nach § 1628 BGB auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis in einem Einzelfall möglich ist. Der BGH hatte schon in seiner Entscheidung BGH, NJW 2020, Seite 2182, auf die Bedeutung von Sorgerechtsvollmachten hingewiesen, Sorgerechtsvollmachten nehmen in der Praxis an Bedeutung zu. Eine Sorgerechtsvollmacht ist nicht nur eine Alternative zur gerichtlichen Sorgerechtsübertragung nach § 1671 BGB, sondern wird wohl auch als „vorrangig“ zu bezeichnen sein (insbesondere bei sorgerechtlichen Verfahren, die mit Verfahrenskostenhilfe geführt werden sollen). Dann werden möglicherweise Rechtsstreite nicht über die Übertragung von Sorgerecht geführt werden, sondern über die einzelnen Inhalte und die Ausformulierung von Sorgerechtsvollmachten.

Alleinentscheidungsbefugnis (§ 1628 BGB) und Corona-Pandemie

Das Rechtsinstitut des Antrags auf Alleinentscheidungsbefugnis eines Elternteiles im Rahmen der gemeinsamen elterlichen Sorge, bezog sich hauptsächlich auf Schulwahl, Kindergartenwahl, Religionswahl, aber auch auf Einzelfragen des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder die Verwaltung von Kindesvermögen. Auch in der Vergangenheit waren schon die „üblichen, von der STIKO empfohlenen Impfungen im Rahmen der sogenannten U-Untersuchungen für Kinder Gegenstand derartiger Verfahren. Im Regelfall haben die Gerichte dann demjenigen Elternteil die Alleinentscheidungsbefugnis übertragen, der den Empfehlungen der STIKO gefolgt ist. Durch die Corona-Pandemie haben sich weitere bzw. vermehrte Aufgabenfelder für derartige sorgerechtliche Fragen ergeben. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie, sodass die Rechtsprechung hierzu kurz dargestellt werden soll.

Aufenthaltsbestimmungsrecht/Reisen des Kindes

Vor der Pandemie bedurfte es lediglich für Reiseziele, die für das Kind mit über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Gefahren verbunden war, einer Zustimmung des anderen Elternteils. Unabhängig davon gibt und gab es Einreisebestimmungen/Flugbestimmungen, die es notwendig machen und machten, dass ein mitsorgeberechtigter Elternteil grundsätzlich oder vorsorglich eine entsprechende schriftliche Erklärung den Reisenden mitgibt. Durch die Pandemie sind Auslandsreisen stets als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung angesehen worden, dies wegen Ansteckungsgefahr etc. So hat das OLG Frankfurt bereits im März 2020 eine Nicaragua-Reise gestoppt (OLG Frankfurt, NZFam 2020, Seite 537). Nachfolgend gab es eine Vielzahl von derartigen Entscheidungen, je nach „Corona-Lage“ = Inzidenz-Lage und der wissenschaftlichen Einordnung dieser Zahlen unter Berücksichtigung der aktuellen Corona-Maßnahmen. Im Jahr 2021 (Juli) hat z. B. das OLG Dresden (NZFam 2021, Seite 750) eine zweiwöchige USA-Reise des Vaters mit seinem 6-jährigen Kind zum Besuch der Großeltern nach dem Wegfall der Einstufung als Risikogebiet und nach Aufhebung der Reisewarnung nicht als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung eingestuft. Das allgemeine Infektionsrisiko stelle nur eine abstrakte Gesundheitsgefahr dar.Es bleibt zu hoffen, dass die Zahlen weiterhin gering bleiben (bzw. diese Zahlen so wie heute interpretiert werden), vor einem Anstieg der Zahlen im Herbst wird schon gewarnt. COVID-19 bleibt spannend, auch in der Beurteilung der Rechtsauslegung.


Kindesbetreuung

Wegen der Pandemie gab es Schulschließungen, aber auch vermehrt Homeoffice. Da stellte sich sorge- und umgangsrechtlich die Frage, ob im Hinblick auf die veränderten Rahmenbedingungen andere Betreuungsmodelle sinnvoll erscheinen. War eine Notbetreuung in Einrichtungen „gefährlicher“ als eine erweiterte Betreuung durch ein Elternteil, welches durch Homeoffice Betreuungsmöglichkeiten aufweisen konnte? So hat das AG München eine Kindsgefährdung in Gemeinschaftseinrichtungen gesehen und dem Vater mehr Umgang gewährt (AG München, NJW 2020, Seite 2039).Nachdem die Politik Schulschließungen als „ultima ratio“ ansieht und in jedem Fall derartiges verhindern will, bleibt zu hoffen, dass derartige Fragen nicht mehr den Gerichten zugeführt werden.


Impfung

Die Impfung von Kindern – je nach Empfehlungsstand der STIKO – war häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen nach § 1628 BGB. Nahezu einhellig handelt es sich hierbei um eine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung. Das OLG München sieht es nicht als Aufgabe der Gerichte, sämtliche für oder gegen eine Impfung sprechende Gesichtspunkte zusammenzutragen und damit letztendlich anstelle der Eltern die Entscheidung über die Impfung zu treffen. Auch ein medizinisches Gutachten ist nicht notwendig, die Entscheidung ist zugunsten desjenigen Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt. Bei allen Schutzimpfungen sind die Empfehlungen der STIKO entscheidend, deren Empfehlungen sind medizinischer Standard. Wenn eine Empfehlung der STIKO nicht vorliegt, müssen auch andere Kriterien für die Übertragung des Bestimmungsrechts geprüft werden (sehr dezidiert AG Hamburg, NZFam 2022, Seite 128). In diesem Zusammenhang wird auch immer die Frage gestellt, ob eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz (Schnellverfahren) möglich ist. Auch hier gehen letztendlich die Meinungen je nach Einzelfall auseinander, eine Zusammenfassung zu dieser Gesamtthematik findet man bei Prof. Löhnig, NZFam 2022, Seite 245 ff.. Auch in der Urteilsbank des ISUV im Report Nr. 168, Seite 18/19 findet man eine Zusammenstellung darüber, wer überhaupt für eine entsprechende Impfung zustimmen kann, zustimmen muss, etc. Nachfolgend die neuesten Entscheidungen im Leitsatz zu dieser Thematik, auch die Rechtsprechung wird sich aller Voraussicht nach noch länger mit der Corona-Pandemie beschäftigen. Daher auch Rechtsprechung zu Corona außerhalb der Alleinentscheidungsbefugnis gemäß § 1628 BGB.

OLG München, Beschluss vom 18.10.2021 – Az. 26 UF 928/21 – § 1628 BGB
NZFam 2022, Seite 223

Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für eine Impfung ist von der Impfempfehlung der STIKO auszugehen, da diese als medizinischer Standard anerkannt ist. Dies gilt auch für die Covid 19- Impfung, da die STIKO sehr sorgfältig geprüft hat.


Das Verfahren erledigt sich nicht mit der Grundimmunisierung des Kindes, da eine Entscheidung über die Impfung gegen Covid 19 sinnvollerweise nur einheitlich zu treffen ist, so dass die Übertragung der Befugnis nicht nur die Erst- und Zweitimpfung, sondern auch etwaig empfohlene Folgeimpfungen erfasst.

OLG Bremen, Beschluss vom 09.02.2022 – Az. 5 UF 5/22 – § 1628 BGB
NZFam 2022, Seite 415

Muss das Familiengericht wegen Uneinigkeit der Kindeseltern einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis über die Impfung
des gemeinsamen Kindes gegen COVID-19 allein übertragen,
entspricht es regelmäßig der Billigkeit, dass die Eltern die Gerichtskosten jeweils zur Hälfte und ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen.

AG Düsseldorf, Beschluss vom 06.01.2022 – Az. 217 F 195/21 – § 1628 BGB
NZFam 2022, Seite 416

Wenn eine Empfehlung der STIKO für die Durchführung einer COVID-19-Schutzimpfung zwar existiert, das betroffene Kind aber nicht unter den Personenkreis fällt, dem die Schutzimpfung angeraten wird, ein Elternteil die Impfung aber gleichwohl durchführen lassen möchte, ist die Entscheidungsbefugnis regelmäßig nicht auf ihn zu übertragen.

OLG Dresden, Beschluss vom 28.01.2022 – Az. 20 UF 875/21 – § 1628 BGB
NZFam 2022, Seite 216

Streiten Eltern über die Durchführung einer Covid-19-Schutzimpfung für ihr gemeinsames Kind, so kommt eine Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis hierfür auf denjenigen Elternteil, der eine solche Impfung befürwortet, im Wege eines Eilverfahrens jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die erforderliche Aufklärung des über 14 Jahre alten Kindes, obwohl von diesem ausdrücklich erbeten, weder stattgefunden hat noch betrieben wird und das Kind (auch) deswegen die Impfung ablehnt.

AG Bad Iburg, Beschluss vom 14.01.2022 – Az. 5 F 458/21 – § 1628 BGB
FamRZ 2022, Seite 696

Zur Übertragung der Entscheidungsbefugnis für eine Corona-Schutzimpfung eines 12- und eines 14-jährigen Kindes auf einen Elternteil, nachdem sich die Eltern zunächst vergleichsweise dahingehend geeinigt hatten, sich diesbezüglich an die Empfehlung der behandelnden Kinderärztin zu halten, die Mutter sich aber später gegen diese Empfehlung stellte und eine Impfung der Kinder generell ablehnte.
Der Kindeswille ist bei der Entscheidung über eine Corona-Schutzimpfung nicht zu beachten, wenn ein Elternteil das Kind massiv beeinflusst und Angst erzeugt hat.

AG Brandenburg a. d. Havel, Beschluss vom 18.02.2022 – Az. 40 F 5/22 – § 1628 BGB
FamRZ 2022, Seite 697

Liegt eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) für eine Impfung eines 6-jährigen Kindes gegen Covid-19 nicht vor, kann ohne weitere Umstände nicht davon ausgegangen werden, dass die Impfung des Kindes für das Kindeswohl förderlicher ist als das Absehen von einer Impfung.

OLG Dresden, Beschluss vom 28.01.2022 – Az. 20 UF 875/21 – § 1628 BGB
FamRZ 2022, Seite 528

Streiten Eltern über die Durchführung einer Covid-19-Schutzimpfung für ihr gemeinsames Kind, so kommt eine Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis hierfür auf denjenigen Elternteil, der eine solche Impfung befürwortet, im Wege eines Eilverfahrens jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die erforderliche Aufklärung des über 14 Jahre alten Kindes, obwohl von diesem ausdrücklich erbeten, weder stattgefunden hat noch betrieben wird und das Kind (auch) deswegen die Impfung ablehnt.

OLG Koblenz, Beschluss vom 05.08.2021 – Az. 7 UF 407/21 – § 1628 BGB
NZFam 2022, Seite 224

Zur Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis über eine Auslandsurlaubsreise in „Coronazeiten“ auf einen Elternteil, wenn im Zielgebiet (hier: Türkei) deutlich höhere lnzidenzwerte bestehen und das betroffene Kind ungeimpft ist.

BGH, Urteil vom 02.03.2022 – Az. XII ZR 36/21 – § 543 BGB
NZFam 2022, Seite 449

Kann eine Hochzeitsfeier aufgrund der zu diesem Zeitpunkt zur Bekämpfung der COVID-19- Pandemie geltenden Maßnahmen nicht wie geplant durchgeführt werden, wird dem Vermieter der hierfür gemieteten Räumlichkeiten die von ihm geschuldete Leistung nicht unmöglich.
Der Umstand, dass die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von 70 Personen aufgrund verschiedener Regelungen in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht zulässig war, führt nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands im Sinne von § 536 I 1 BGB.


Für einen Mieter, der Räume zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 1 BGB in Betracht, wenn die Veranstaltung aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann

OLG Bamberg, Beschluss vom 31.03.2022 – Az. 2 UF 23/22 – § 1361 BGB
NZFam 2022, Seite 459

  1. Einnahmen aus der Corona-Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen (Überbrückungshilfe III) sind gewinnerhöhend bei der Ermittlung des unterhaltsrechtlichen Einkommens des Leistungsbeziehers zu berücksichtigen (in Abgrenzung zu OLG Frankfurt a. M. NZFam 2021, 697 bespr. v. Obermann für die in den ersten Monaten der Pandemie ausgezahlte Corona-Soforthilfe).
  2. Anders als Corona-Soforthilfen, die in den ersten Monaten der Pandemie als reine Billigkeitsleistung nicht an entgangene Umsätze anknüpften, sondern allein der Hilfe in existentieller Notlage dienten, bestimmt sich die Höhe des Überbrückungsgeldes III nach betrieblichen Kennzahlen zum Ausgleich erheblicher Umsatzausfälle.
  3. Der gesetzgeberische Zweck der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz erfasst nach Sinn und Zweck die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beihilfebeziehers und damit sekundär auch die wirtschaftlich von diesem abhängigen Unterhaltsberechtigten. Demgegenüber diente die Corona-Soforthilfe nicht dem Ersatz entgangener Umsätze und Gewinne.

BGH Rechtsprechung

Unterhaltsrecht

BGH, Beschluss vom 15.12.2021 – Az. XII ZB 557/20 – §§ 1361, 1573, 1578 BGB

FamRZ 2022, Seite 434 ff.; NZFam 2022, Seite 208 ff.

  1. Steuerliche Abschreibungen für die Abnutzung von Gebäuden berühren das unterhaltsrechtlich maßgebende Einkommen nicht (Bestätigung des Senatsurteils vom 1. Dezember 2004 – XII ZR 75/02 – FamRZ 2005, 1159).
  2. Bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die mittels kreditfinanzierter Immobilien erzielt werden, ist bis zur erzielten Miete nicht nur die – die Einkünfte bereits steuerrechtlich vermindernde – Zins-, sondern auch die Tilgungsleistung unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen (Fortführung von Senatsbeschlüssen BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519 und vom 4. Juli 2018 – XII ZB 448/17 – FamRZ 2018, 1506).
  3. Selbständige können in der Summe 24 % ihres Bruttoeinkommens des jeweiligen Jahres für die Altersvorsorge aufwenden und damit – soweit eine solche Vorsorge tatsächlich betrieben wird – von ihrem unterhaltsrelevanten Einkommen absetzen (im Anschluss an Senatsurteil BGHZ 177, 272 = FamRZ 2008, – 2 – 1739). Im Rahmen der Ermittlung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte Tilgungsleistungen sind auf diese Altersvorsorgequote nicht anzurechnen (Fortführung von Senatsbeschluss BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519).
  4. Werden die mit der Berufsausübung verbundenen höheren Aufwendungen bereits pauschal oder konkret bei der Einkommensermittlung berücksichtigt, bedarf es im Einzelnen einer Begründung des Tatgerichts, wenn es mehr als ein Zehntel des Erwerbseinkommens der Bedarfsbemessung entzieht.

Diese Entscheidung setzt konsequent die jüngste Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung von Zins- und Tilgungsleistungen im Rahmen der Einkommensberechnung im Unterhaltsrecht fort. Daneben werden weitere grundlegende Ausführungen zum Unterhaltsrecht getätigt und festgeschrieben.

  1. Steuerliche Abschreibung für Abnutzung von Gebäuden (Leitsatz 1)

Der BGH stellt nochmals ausführlich fest, dass Abschreibungen für die Abnutzung von Gebäuden das unterhaltsrechtlich maßgebende Einkommen nicht berühren, weil diesen Abschreibungen lediglich ein Verschleiß von Gegenständen des Vermögens zugrunde liegt und die steuerlichen Pauschalen vielfach über das tatsächliche Ausmaß der Wertminderung hinausgehen. Zudem ist entscheidend, dass der steuerlich bedachte Verschleiß durch eine günstige Entwicklung des Immobilienmarktes ausgeglichen wird und der Wertverlust eines Gebäudes – soweit er denn überhaupt eintritt – sich regelmäßig über einen so langen Zeitraum erstreckt, dass er gegenüber der Unterhaltspflicht vernachlässigt werden kann (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Auflage, § 1 Rn. 457).

  • Zins- und Tilgungsleistungen für kreditfinanzierte Immobilien (Leitsatz 2)

Zins- und Tilgungsleistungen bei unterhaltsrechtlicher Berücksichtigung eines Wohnwertes

Der BGH hat bereits im Jahr 2017 im Rahmen des Elternunterhalts entschieden, dass dem grundsätzlich einkommenserhöhenden Wohnvorteil nicht nur die Zinsleistung gegenzurechnen ist, sondern auch die Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnwerts (BGH, FamRZ 2017, Seite 519). Zur Begründung hat der BGH richtigerweise ausgeführt, dass es sich bei den Tilgungsleistungen nicht um eine Vermögensbildung „zu Lasten“ des Unterhaltsberechtigten handelt, da es ohne Zins und Tilgung den Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht gäbe. Ebenso hat der BGH beim Ehegattenunterhalt entschieden (BGH, FamRZ 2018, Seite 1506), die Rechtsprechung hat dies auch übernommen für den Kindesunterhalt, soweit der Mindestkindesunterhalt gedeckt ist (OLG Frankfurt, NZFam 2019, Seite 1054). Das OLG Oldenburg (NZFam 2021, Seite 604) geht sogar beim Kindesunterhalt noch weiter, wonach der Abzug von Tilgungsleistungen bis zum Wohnwert auch im Mangelfall gilt. Der BGH hat überraschend schnell die zu dieser Entscheidung eingelegte Revision verbeschieden und hat die Entscheidung des OLG bestätigt (BGH, Beschluss vom 09.03.2022, Az. XII ZB 233/21). Zwar schränkt der BGH ein, dass im Mangelfall ggf. eine Tilgungsstreckung zuzumuten wäre – falls überhaupt faktisch möglich – eine völlige Aussetzung der Tilgung ist ohnehin unzumutbar. Im zugrundeliegenden Fall war der Tilgungssatz von Anfang an 2 % und daher üblich, das Darlehen wurde erst seit 2017 bedient. Nur im Ausnahmefall, wenn z. B. eine hohe Tilgungsrate Vertragsgegenstand ist oder die Abbezahlung des Darlehens kurz vor dem Ende ist, könnte eine Tilgungsstreckung zumutbar sein. Im vorliegenden Fall war daher keine Tilgungsstreckung geboten, Zins- und Tilgungsleistungen bis zur Höhe des objektiven Wohnwerts waren zu berücksichtigen. Der BGH entscheidet nach dem einprägsamen Grundsatz:

Zwar handle es sich bei der Tilgung des Immobilienkredits um eine Vermögensbildung, aber ohne Zins und Tilgung gäbe es den unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete erst gar nicht.

Der BGH betont, dass diese grundlegenden Erwägungen für alle Unterhaltstatbestände gelten, insbesondere auch für den Kindesunterhalt.

Diese Rechtsansicht hat sich nunmehr für die Anrechnung von Tilgungsleistungen bei der selbstgenutzten Immobilie und dem damit zusammenhängenden Wohnwert durchgesetzt (Borth, FamRZ 2019, Seite 160 ff., Schürmann, FamRZ 2018, Seite 104, Engels FF 2017, Seite 325, Finke, Forum Familienrecht 2019, Seite 2 ff.).

Zins- und Tilgungsleistungen bei unterhaltsrechtlicher Berücksichtigung von Mieteinnahmen bei kreditfinanzierter Immobilie

Der BGH hatte mit der Entscheidung, Az. XII ZB 557/20 (Leitsatz 2 siehe oben) nunmehr darüber zu entscheiden, ob dies auch für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die mittels kreditfinanzierter Immobilie erzielt werden, gilt. Der BGH hat dies ausdrücklich bejaht und im zweiten Leitsatz formuliert, dass bis zur erzielten Kaltmiete nicht nur die bereits steuerrechtlich vermindernden Zinskosten abzugsfähig sind, sondern ebenso die Tilgungsleistungen. Das Argument ist letztendlich das gleiche wie bei der Berücksichtigung von Tilgungsleistungen beim Wohnwert: Ohne die erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen werden die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht erzielt, sodass bis zur Höhe der Mieteinkünfte auch die erforderlichen und tatsächlich geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen unterhaltsrechtlich abzugsfähig sind. Schließlich wird auch die Mieteinnahme unterhaltsrechtlich als Einnahme berücksichtigt. Diese Entscheidung war überfällig und bringt zu dieser Frage Rechtsklarheit.

Die letzte wohl noch offene Frage ist, ob bei kreditfinanzierten Immobilien, deren Mieteinnahme unterhaltsrechtlich berücksichtigt wird, auch im Mangelfall die Tilgungsleistungen in voller Höhe abzugsfähig sind. Wie gesagt, für die Abzugsfähigkeit im Mangelfall bei Berücksichtigung des Wohnwertes hat der BGH bereits in diese Richtung entschieden (siehe oben BGH, Beschluss vom 09.03.2022, Az. XII ZB 233/21), sodass davon auszugehen ist, dass der BGH auch bei der kreditfinanzierten Immobilie dies so sieht.

  • Zusätzliche Altersvorsorge (Leitsatz 3)

Der BGH hat ausdrücklich klargestellt, dass Selbständige bis zu 24 % ihres Bruttoeinkommens für die Altersvorsorge aufwenden dürfen. Im Hinblick auf die derzeitige gesetzliche Rentenversicherung in Höhe von ca. 19 % des Bruttoeinkommens und der zusätzlichen Altersvorsorge gemäß Rechtsprechung in Höhe von 4 % gehen auch einige Gerichte von lediglich 23 % Gesamtaltersvorsorge aus. Auch Nichtselbständige können und dürfen bis zur sogenannten Beitragsbemessungsgrenze neben der gesetzlichen Rente 4 % zusätzliche Altersvorsorge betreiben und bei Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze wie ein Selbständiger 23 %/24 %. Der BGH stellt klar, dass Zins- und Tilgung bis zur Höhe der Mieteinnahmen unabhängig von dieser zusätzlichen Altersvorsorge abzugsfähig sind, Tilgungsleistungen, die darüber gehen, können dann bis zur entsprechenden Höhe als zusätzliche Altersvorsorge in Abzugsgebracht werden, da auch die Bildung von Immobilieneigentum durch Tilgungsleistungen als adäquate Altersvorsorge zu akzeptieren sind. Bemessungsgrundlage für den Prozentsatz ist grundsätzlich nicht das Einkommen des Vorjahres, sondern wie bei der gesetzlichen Rentenversicherung das jeweils laufende Einkommen.

  • Erwerbstätigenbonus (Leitsatz 4)

Der BGH schreibt nunmehr fest, dass als Erwerbstätigenbonus nur 10 % pauschal abzugsfähig sind und nicht 1/7. Dies ist ansich auch schon in den Unterhaltsleitlinien, Stand 01.01.2022, umgesetzt. Der BGH begründet dies damit, dass die mit der Berufsausübung verbundenen höheren Aufwendungen beim Selbständigen bereits im Rahmen der Gewinnermittlung Berücksichtigung finden und beim Nichtselbständigen zumeist in den pauschalen berufsbedingten Aufwendungen in Höhe von 5 %. Deshalb geht der BGH von einem Erwerbstätigenbonus von nur noch 10 % aus (so schon vormals die Süddeutschen Leitlinien). Ein höherer Abschlag wäre konkret darzulegen.

Unterhaltsrecht

BGH, Beschluss vom 27.10.2021 – Az. XII ZB 123/21 – §§ 1601, 1603, 1606, 1607 BGB

FamRZ 2022, Seite 180 ff.; NZFam 2022, Seite 15 ff.

  1. Das Vorhandensein von für den Enkelunterhalt leistungsfähigen Großeltern führt dazu, dass sich die Leistungsfähigkeit der Eltern für den Kindesunterhalt allein nach § 1603 Abs. 1 BGB richtet und damit unter Berücksichtigung des sog. angemessenen Selbstbehalts zu ermitteln ist. Die gesteigerte Unterhaltspflicht des § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB mit der Reduzierung auf den sog. notwendigen Selbstbehalt greift dann nicht ein.
  2. Der auf Unterhalt für sein minderjähriges Kind in Anspruch genommene Elternteil trägt die Darlegungs- und Beweislast für seine eigene Leistungsunfähigkeit und damit sowohl dafür, dass bei der begehrten Unterhaltszahlung sein angemessener Selbstbehalt nicht gewahrt wäre, als auch dafür, dass andere leistungsfähige Verwandte im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BGB vorhanden sind.

Dieses Urteil befasst sich mit dem sogenannten Enkelunterhalt. In der Presse hat man den „Aufschrei“ gehört: „BGH nimmt Großeltern in die Pflicht“. Veröffentlichte Fälle zum Enkelunterhalt sind selten, da es auch nur seltene Fallkonstellationen gibt, in denen Großeltern in Anspruch genommen werden. Dies erklärt sich auch daraus, dass dem unterhaltsbedürftigen Enkel ein Sozialhilfeanspruch, ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder ein Unterhaltsvorschussanspruch zusteht. Der Bedarf des unterhaltsberechtigten Enkels wird durch öffentliche Sozialleistungen befriedigt. Der jeweilige Sozialhilfeträger kann jedoch den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch des Enkels gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB XII nicht auf sich überleiten – anders beim Unterhaltsanspruch zwischen Kind und Elternteil bzw. beim sogenannten Elternunterhalt.

Im hier vorliegenden Fall hat ein Bundesland als Träger der Unterhaltsvorschusskasse gegenüber dem Vater eines unterhaltsberechtigten Kindes nach übergegangenem Recht (Teil-)Rückzahlung verlangt, mit dem Argument, er sei aufgrund eines Selbstbehalts von 1160 € (teil-)leistungsfähig. Der Vater hat eingewandt, dass er nur leistungsfähig sei oberhalb des sogenannten angemessenen Selbstbehalts in Höhe von 1400 €, ihn keine gesteigerte Unterhaltspflicht treffe, da zumindest ein leistungsfähiger Großelternteil vorhanden ist. Zwar geht die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern derjenigen der Großeltern für ihre Enkel vor (§1606 Abs. 2 BGB), aber wenn der vorrangige Elternteil nicht leistungsfähig ist, greift die nachrangige Unterhaltspflicht von Großeltern. Der BGH hat nunmehr entschieden, dass dann, wenn leistungsfähige Großeltern vorhanden sin, die gesteigerte Unterhaltspflicht von Eltern für minderjährige Kinder entfällt und der Vater sich daher berechtigterweise auf den angemessenen Selbstbehalt von 1400 € berufen hat, nachdem die Großeltern Nettoeinkünfte von fast 3.500 € bzw. 2.200 € hatten. Großeltern haften insoweit gemäß § 1607 BGB. Der BGH führt weiter aus, dass die Ersatzhaftung der Großeltern weiterhin die Ausnahme darstellt. Dafür sorgt nicht nur die Anordnung des Vorrangs der elterlichen Unterhaltspflicht, sondern auch, dass Großeltern gegenüber ihren Enkeln ein deutlich höherer angemessener Selbstbehalt zusteht (derzeit 2000 € zzgl. der Hälfte des über 2000 € liegenden Einkommens). Dass der Staat für Unterhaltsvorschusszahlungen keinen Regress (§ 7 Abs. 1 Satz 1 UVG) bei Großeltern nehmen kann, ist eine ganz bewusste gesetzgeberische Entscheidung und ist nicht dafür maßgeblich, welchen Umfang die zivilrechtliche Unterhaltspflicht der Eltern hat. Zur Erinnerung: Hier ging es um den Rückforderungsanspruch der Unterhaltsvorschusskasse gegen den Vater.

Die Ersatzhaftung der Großeltern tritt somit nicht erst dann ein, wenn der notwendige Selbstbehalt der Eltern unterschritten wird, sondern sobald der angemessene Selbstbehalt des Elternteils gegenüber dem Kind unterschritten wird. Da der Unterhaltsbedarf des Kindes/Enkel sich immer nach den Lebensverhältnissen der Eltern richtet, wird bei leistungsunfähigen Eltern der Bedarf des Kindes auch gegenüber den Großeltern nicht über dem Mindestunterhalt liegen, selbst wenn die Großeltern in guten/sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Grundsätzlich käme auch die betreuende Mutter als weitere leistungsfähige Verwandte in Betracht, wenn sie ausreichend Einkommen erzielen würde (BGH, FamRZ 2011, Seite 1041), der Vater hat jedoch im hiesigen Regressprozess nicht auf die Inanspruchnahme der Mutter verwiesen (unabhängig davon, dass auch das Einkommen der Mutter unterhalb des angemessenen Selbstbehalt gelegen hätte).

Dass ein Regress des Staates auch nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nicht möglich ist, ist gleichlautend mit den bereits oben genannten sozialhilferechtlichen Ansprüchen. Bereits seit 1974 geht das Sozialhilferecht davon aus, dass die Belastung entfernterer Verwandter nicht sachgemäß ist. Im Unterhaltsrecht geht/ging man davon aus, dass eine Unterhaltspflicht von Großeltern dann besteht (nachrangig), wenn der Selbstbehalt des Elternunterhaltes (2000 € zzgl. der Hälfte des über 2000 € liegenden Einkommens) überschritten ist. Diese Zahlen stammen aus der Rechtsprechung und den unterhaltsrechtlichen Leitlinien zum sogenannten Elternunterhalt, bevor das Angehörigenentlastungsgesetz in Kraft getreten ist. Seitdem finden sich diese Zahlen zum Selbstbehalt von Eltern nur noch in wenigen Leitlinien, es wird für die Bemessung eines angemessenen Selbstbehaltes auf Zweck- und Rechtsgedanken des Angehörigenentlastungsgesetztes verwiesen, was wohl dazu führt, dass die Ersatzhaftung der Großelterngeneration möglicherweise zum Auslaufmodell wird (so berechtigterweise Schürmann, FamRZ 2022, Seite 185). Der BGH sagt hierzu bedauerlicherweise gar nichts. Aber, wie gesagt, es ist zu trennen zwischen dem zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch und der Frage, ob sich ein Elternteil auf den angemessenen Selbstbehalt berufen kann und dem nicht bestehenden sozialhilferechtlichen Regressanspruch gegenüber Großeltern.

Güterrecht

BGH, Beschluss vom 08.12.2021 – XII ZB 402/20 – §§ 1373 ff. BGB

NZFam 2022, Seite 161

  1. Ist ein Steuererstattungsanspruch beim Eintritt des Güterstandes noch nicht entstanden, ist er auch nicht im Anfangsvermögen zu berücksichtigen.
  2. Eine nach dem Endstichtag anfallende Vorfälligkeitsentschädigung ist bei der Beendigung des Güterstandes genauso wenig zu berücksichtigen wie es Zinsbelastungen sind, die bei einer Darlehensvaluta erst nach dem Stichtag eintreten.

Die Eheleute haben am 31.12.2000 geheiratet, Scheidungsantrag wurde am 30.01.2015 zugestellt.

Der Mann will eine Steuererstattung für das Steuerjahr 2000 zu seinen Gunsten im Anfangsvermögen berücksichtigt wissen, weil man erst am 31.12.2000 geheiratet hat und daher diese Erstattung sein Anfangsvermögen – wenn auch erst in 2001 ausbezahlt – erhöht. Weiterhin sei von seinem Endvermögen entsprechend den Grundsätzen der latenten Steuerlast bei Unternehmensveräußerungen bei ihm eine Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen, die zur Ablösung eines Kredits für die im Mai 2015 veräußerte Familienimmobilie bezahlt werde musste.

Das OLG hat das Amtsgericht bestätigt, wonach Einkommensteuerschulden und
-erstattungen mit dem Zeitpunkt ihres Entstehens im Zugewinn einzustellen sind. Voraussetzung hierfür ist es, dass der Veranlagungszeitraum zum Stichtag bereits abgelaufen ist. Nachdem der Ehemann durch die Hochzeit am 31.12. 2000 berechtigt war, die steuerlichen Vorteile der Eheschließung für das gesamte Jahr geltend zu machen, ist umgekehrt als Folge des strengen Stichtagsprinzips hinzunehmen, dass die Steuererstattung – wenn auch denkbar knapp – zum Zeitpunkt der Hochzeit noch nicht fällig gewesen ist, sondern eben erst ab dem 1.1. des Folgejahres.

Auch ist die Vorfälligkeitsentschädigung im Endvermögen nicht abzuziehen, da die Immobilie erst nach dem Endvermögensstichtag veräußert worden ist. Auch die Grundsätze der latenten Steuerlast sind nicht anzuwenden, da die Vorfälligkeitsentschädigung nicht zwingend und nicht unvermeidbar für jede Immobilienveräußerung greift.

Der BGH hat in beiden Punkten das OLG bestätigt. Der BGH hält an seinem strikten Stichtagsprinzip fest und bestätigt seine Rechtsprechung zum Abzug von latenten Kosten, dann wenn es sich um unvermeidbare Veräußerungskosten bei Unternehmen, Grundstücken, Wertpapieren oder Lebensversicherungen handelt.

Die Entscheidung des BGH ist derart eindeutig, dass es keiner weiteren Erläuterungen hierzu bedarf, auch wenn in der Literatur zu diesem Problemkreis bislang jedenfalls auch andere Meinungen vertreten wurden. Auch konnte sich der Mann nicht auf § 1381 BGB berufen, wonach in besonders gelagerten Einzelfällen eine Korrektur des rechnerischen Ergebnisses möglich ist. Dies gilt jedoch nur, wenn die Gewährung und Berechnung des Ausgleichsanspruchs in der vom Gesetz vorgesehenen Art und Weise dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde (BGH, FamRZ 2018, Seite 1415). Das sieht der BGH hier nicht, insbesondere wiederholt der BGH für den Steuererstattungsanspruch im Anfangsvermögen die Argumentation des OLG, wonach man ja durch die Eheschließung am letzten Tag des Jahres für das gesamte Steuerjahr 2000 den Splittingvorteil erhalten hat.

Wechselmodell

BGH, Beschluss vom 19.01.2022 – Az. XII ZA 12/21 – §§ 1671, 1684, 1696 BGB

Die Abänderung eines im Umgangsrechtsverfahrens vereinbarten Wechselmodells kann nur in einem solchen Verfahren und nicht in einem Sorgerechtsverfahren erreicht werden (Fortführung BGH, FamRZ 2017, Seite 532; FamRZ 2020, Seite 255).

Die Mutter erstrebt die Beendigung eines Wechselmodells, welches im Jahr 2018 in einem umgangsrechtlichen Beschwerdeverfahren vereinbart wurde. Dies in einem sorgerechtlichen Verfahren in welchem sie das Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragt hat, mit dem Ziel, dass das Kind mehr Tage bei ihr verbringt als beim Vater. Das OLG (FamRZ 2021, Seite 691) führt aus, dass der gestellte Antrag zum Aufenthaltsbestimmungsrecht in einem falschen Verfahren (Sorgerecht) gestellt ist, obwohl Grundlage des Wechselmodells eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung ist. Nach § 1671 BGB müssten Gründe vorgetragen werden, aus denen sich eine förmliche Veränderung des Lebensmittelpunktes des Kindes ergäbe. Will die Mutter eine Veränderung der Betreuungssituation – wie hier – müsste ein Antrag im umgangsrechtlichen Verfahren gestellt werden.

Der BGH bestätigt diese Rechtsauffassung. Bei Sorge- und Umgangsrechtsverfahren handelt es sich um eigenständige Verfahrensgegenstände. Beim Sorgerecht handelt es sich um Fragen der Rechtszuständigkeit der Eltern, das Umgangsrecht betrifft die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge ohne in das Statusrecht der elterlichen Sorge einzugreifen. Daher besteht keine übergreifende Bindungswirkung für den jeweils anderen Verfahrensgegenstand (BGH, FamRZ 2020, Seite 255).

Nachdem bereits in einem nachfolgenden Umgangsrechtsverfahren das OLG entschieden hatte, war darüber hinaus die hier beantragte Verfahrenskostenhilfe „mutwillig“, und daher die beantragte Verfahrenskostenhilfe nicht zu gewähren.

Auch diese Entscheidung zeigt, dass das Wechselmodell zum Umgangsrecht „gehört“ und daher zu empfehlen ist, eine Frage des Wechselmodells im umgangsrechtlichen Verfahren zu klären.

BGH, Beschluss vom 19.01.2022 – Az. XII ZB 276/21 – § 115 ZPO, § 76 FamFG

http://www.bundesgerichtshof .de

Im Fall der Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell sind vom Einkommen eines um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Elternteils ein hälftiger Unterhaltsfreibetrag i.S.v. § 76 FamFG i.V.m. § 115 ZPO und der tatsächlich für das Kind gezahlte Barunterhalt abzusetzen.

Das paritätische Wechselmodell ist in vielen Bereichen „noch nicht angekommen“. So wird das Kindergeld nur an ein Elternteil ausbezahlt, im Sozialhilferecht ist es unklar, wie und wo ein Kind im Wechselmodell Berücksichtigung findet. Unterhaltsvorschuss wird nicht gewährt, weil keine „Alleinerziehung“. Auch melderechtlich besteht Unklarheit, wo das Kind seinen „Wohnsitz“ begründet.

Hier hat der BGH im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe entschieden, dass der sogenannte Unterhaltsfreibetrag, der im Rahmen der Berechnung der Verfahrenskostenhilfe gesetzlich festgeschrieben ist, im Wechselmodel hälftig anzusetzen ist. Dass der tatsächlich bezahlte Barunterhalt abzuziehen ist, erscheint ohnehin klar.

Das OLG hatte noch den „vollen“ Unterhaltsfreibetrag berücksichtigt und kam daher zu einer sehr geringen Verfahrenskostenhilferate. Das OLG hatte seine Entscheidung damit begründet, dass bei intakter Ehe der Kinderfreibetrag auch von beiden Elternteilen in voller Höhe in Anspruch genommen werden kann. Die Staatskasse hat hiergegen Beschwerde eingelegt.

Der BGH entscheidet, dass nur der hälftige Kinderfreibetrag beim Wechselmodell im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe in Abzug gebracht werden darf. Wegen der Kostenentlastung von Eltern während des Zeitraums, in welchem das Kind beim anderen Elternteil ist, geht der BGH davon aus, dass nur der hälftig Betrag Berücksichtigung finden darf. Für jeden Elternteil, welcher Verfahrenskostenhilfe begehrt, ist zu prüfen, ob dieser Elternteil bedürftig ist. Der BGH macht weitere tiefgreifende rechtliche Ausführungen, die jedoch für die hiesige Darstellung nicht von Belang sind, entscheidend für die Praxis ist es, dass im Fall des Wechselmodells der verfahrenskostenhilferechtliche Freibetrag nur hälftig bei jedem Elternteil – soweit bedürftig – zu berücksichtigen ist. Darüber hinaus ist der tatsächlich volle Barunterhalt in Abzug zu bringen. Diese hälftige Teilung des Kinderfreibetrags ist auch geboten, wenn durch das Leben des Kindes in zwei Haushalten Mehrkosten vorhanden sind, denn zu einer Verdoppelung der Kosten kommt es in keinem Fall.

 Rechtsprechung kompakt

Sorgerecht

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17.08.2021 – Az. 6 UF 120/21  – §§ 1628, 1687 BGB

FamRZ 2021, Seite 1533, NZFam 2021, Seite 872

Auch bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit in eine Corona-Schutzimpfung bei einem fast 16-jährigen Kind bedarf es eines Co-Konsenses mit den sorgeberechtigen Eltern. Können diese sich in der Frage nicht einigen, ist die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die STIKO und bei einem die Impfung befürwortenden Kindeswillen auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet.

Am 16.08.2021 hat die STIKO ihre Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren aktualisiert und empfiehlt aufgrund einer Risiko-Nutzen-Abwägung diese Impfung.

Drei Konfliktsituationen sind denkbar:

  • Die Eltern eines Jugendlichen sind sich über seine COVID-19-Impfung nicht einig.
  • Die Eltern möchten, dass der Jugendliche sich gegen COVID-19 impft, der Jugendliche lehnt dies jedoch ab.
  • Ein Jugendlicher möchte die Impfung, die Eltern hingegen nicht.

Fall 1:

Es ist anerkannt, dass die Schutzimpfung eines Minderjährigen regelmäßig eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1687 Abs. 1 BGB und für ihre Durchführung deshalb das Einvernehmen der Eltern erforderlich ist (BGH, NJW 2017, Seite 2826). Begründet wird dies damit, dass sowohl das durch die Impfung vermeidbare Krankheitsrisiko als auch das mit ihr verbundene Risiko eines Impfschadens keine Alltagsangelegenheit ist.

Wenn die Eltern unterschiedliche Standpunkte diesbezüglich haben, hat das Familiengericht auf Antrag demjenigen Elternteil die Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB allein zu übertragen, der unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls das für das Kind bessere Lösungskonzept verfolgt.

Besteht keine Impfpflicht, wird das Familiengericht der Empfehlung der STIKO zugunsten einer Impfung regelmäßig ausschlaggebenden Gewicht zumessen und die Alleinentscheidungsbefugnis auf den impfwilligen Elternteil übertragen. So letztendlich auch die Entscheidung des OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021, Az. 6 UF 120/21. Hier hat das OLG auch noch darauf hingewiesen, dass es bei einem fast 16-jährigen eines sogenannten Co-Konsenses bedürfte, wenn der Jugendliche selbst impfbereit ist, sodass auch in diesem Fall eine Entscheidung nach § 1628 BGB (Alleinentscheidungsbefugnis eines Elternteils) geboten ist. Das OLG hat sich auch mit dem Kindeswillen nach § 1697 a BGB auseinandergesetzt, und festgehalten, dass der fast 16-Jährige aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung im Stande sei, sich eine eigene Meinung über den Nutzen und die Risiken der Corona-Schutzimpfung zu bilden (wenn das Kind sich im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreits bilden kann, was bei einem fast 16-jährigen im Regelfall zutrifft, hierzu auch noch Fall 2/3).

Fall 2:

In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Jugendliche eine sogenannte Eigenzuständigkeit hat. Mit zunehmender Reife gewinnt die Selbstbestimmung des Kindes an Gewicht und die elterliche Kompetenz zur Personensorge tritt zurück.

Eine Impfung ist ein Heileingriff und an sich eine Körperverletzung. Durch wirksame Einwilligung der einwilligungsfähigen Person in seine körperliche Unversehrtheit wird dies gerechtfertigt. Maßgeblich ist, ob das Kind/Jugendlicher nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs zu ermessen vermag. Die Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit sind umso höher, je schwerwiegender, gefährlicher und komplexer ein Eingriff ist und je mehr vom medizinischen Standard abgewichen wird. Eine starre Altersgrenze lässt sich insoweit nicht ziehen. Aufgrund anderer Rechtsnormen wird teilweise eine grundsätzliche Einwilligungsfähigkeit mit Vollendung des 14. Lebensjahres angenommen, sofern keine schwere und nachhaltige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zu befürchten steht.

Liegt nach diesen Maßstäben eine Einwilligungsfähigkeit des Kindes vor, hat es auch ein Vetorecht. Regelmäßig nimmt man dies ab dem 14. Lebensjahr an. Gegen den Willen des 14-jährigen und älteren Kindes wird eine Impfung nicht möglich sein.

Fall 3:

Auch hier ist die sogenannte Einwilligungsfähigkeit des Jugendlichen von maßgeblicher Bedeutung. Ein einwilligungsfähiger Jugendlicher kann daher nach ausreichender ärztlicher Aufklärung über Risiken und Nutzen rechtswirksam in die Impfung einwilligen.

Nicht abschließend geklärt ist, ob impfunwillige Eltern die Impfung durch ihr Veto verhindern könnten. Dies wird bei schwierigen und möglicherweise folgenreichen medizinischen Eingriffen/Operationen teilweise noch vertreten (BGH, NJW 1972, Seite 235; OLG Frankfurt a. M., FamRZ 2020, Seite 336). Diese Rechtsprechung wird systemwidrig verneint (OLG Hamm, NJW 2020, Seite 1373), da das Recht zur Einwilligung als Ausdruck partieller Mündigkeit nicht vom elterlichen Zutun abhängig gemacht werden kann. Dieser Rechtsgedanke findet sowohl in § 630 d BGB (Behandlungsvertrag) als auch in § 1697 a BGB wieder. Einen elterlichen Zustimmungsvorbehalt kennen diese Normen nicht.

Danach dürfte bei Jugendlichen über 14 Jahre eine alleinige Entscheidungskompetenz hinsichtlich der COVID-19-Schutzimpfung vorliegen, selbstverständlich nur weil es die Empfehlung der STIKO gibt (so auch Landgericht München, Entscheidung vom 22.09.2020, Az. I O 4890/17 zu einer Kreuzbandplastik). Der Jugendliche ist zumindest ab dem 14. Lebensjahr als teilmündig anzusehen.

Dass das OLG Frankfurt a. M. mit Beschluss vom 17.08.2021 noch einen Co-Konsens für notwendig erachtet hat, ist wohl nur damit zu erklären, dass hier die Eltern unterschiedlicher Meinung waren und daher „vorsichtshalber“ noch für den impfwilligen Jugendlichen ein impfwilliger Elternteil „an die Seite gestellt wurde“. Ob das OLG Frankfurt a. M. einen Co-Konsens mit einem Elternteil für notwendig erachtet hätte, wenn beide Elternteile ihre Einwilligung zur Impfung verweigert hätten, ist fraglich und wäre nach diesseitiger Auffassung bei einem einwilligungsfähigen Jugendlichen wohl nicht zu rechtfertigen (so auch Opitz, NZFam 2021, Seite 767-769, mit OLG Hamm, LG München, siehe oben). In dieser Frage sind sich die „Gelehrten“ noch uneins. So vertritt auch Schmidt in NJW 2021, Seite 2688 ff. die Auffassung, dass mit dem OLG Frankfurt a. M. sowohl die Einwilligung des einsichtsfähigen Kindes als auch der Sorgeberechtigten erforderlich ist, bzw. zumindest eines Sorgeberechtigten, dem im Streitfall die Alleinentscheidungsbefugnis übertragen wurde (sogenannter Co-Konsens).

Auch in der Praxis verlangt z. B. das Impfzentrum oder mobile Impfzentren die Einwilligung bei Minderjährigen der Eltern. Auch da ist die Handhabe nach der Erfahrung sehr unterschiedlich, ob die Einwilligung eines Elternteils oder beider Elternteile verlangt wird. Das Verlangen der Einwilligung von Eltern ist in einem Impfzentrum nachvollziehbar, da schon aus Zeitgründen zumindest in den Stoßzeiten der Impfung eine ärztliche Aufklärung für einen Minderjährigen nicht ausreichend gewährleitstet war. In Arzt- oder Kinderarztpraxen wird dies auch unterschiedlich gehandhabt. Immer abhängig davon, ob der jeweilige Arzt die Impfung schnell durchführen will und letztendlich nicht die Zeit für ein Aufklärungsgespräch investieren will. Dann wird in der Praxis die Einwilligung eines Elternteils – an sich zu wenig – oder beider Elternteile verlangt. Wenn sich ein Arzt die Zeit nimmt für die entsprechende Aufklärung, wird er auch bei entsprechender Einsichtsfähigkeit des Kindes, welches ab dem 14. Lebensjahr angenommen wird, ohne Einwilligung der Eltern eine Impfung vornehmen können. Ob der Mut der Ärzte in solchen Fallkonstellationen vorhanden ist, wird einzelfallabhängig sein. Ein Arzt wird jedoch zur Vermeidung von Haftungsrisiken eine Corona-Impfung auch bei einsichtsfähigen minderjährigen Kindern ohne Einwilligung kaum durchführen. Beim einsichtsfähigen Kind bedarf es also seiner Zustimmung als auch das aller Sorgeberechtigten. Ob ein Arzt dann es für ausreichend erachtet, wenn ein Kind mit einem Elternteil zum Impftermin erscheint, wird in der Praxis wohl unterschiedlich gehandhabt. Ganz streng genommen wäre bei der vertretenen Rechtsauffassung, dass ein einsichtsfähiger Minderjähriger einen Co-Konsens mit den Sorgeberechtigten benötigt, von allen Sorgeberechtigten benötigt. Vertritt man die Rechtsauffassung, dass wenn ein einsichtsfähiger Minderjähriger die Impfung will und dies ausreichend ist, dann bedarf es keiner Einwilligung von Sorgeberechtigten.

Die Praxis wird zeigen, wie es die Ärzte bei der Impfung handhaben, vertretbar ist in dieser Frage bei einsichtsfähigen Minderjährigen „alles“. Interessant hierzu auch die Kommentierung von Opitz in NZFam 2021, Seite 874, die auch nach Auffassung des Verfassers die „Co-Einwilligung“ eines Elternteils bei Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Kindes, wie es das OLG Frankfurt sieht, berechtigt kritisiert.

Unterhaltsrecht

OLG Oldenburg, Beschluss vom 08.04.2021 – Az. 3 UF 29/21 – §§ 1601, 1603 BGB

NZFam 2021, Seite 604

Zins- und Tilgungsleistungen, die dem Erwerb einer selbstbewohnten Immobilie dienen, sind auch im Mangelfall bis zur Höhe des anzurechnenden Wohnvorteils zu berücksichtigen.

Die Entscheidung, wonach Tilgungsleistungen auch im Mangelfall auf den Wohnvorteil anzurechnen sind, gab es in dieser Klarheit bislang nicht. Schon immer hat die Rechtsprechung dem Einkommen einen sogenannten Wohnwertvorteil zugerechnet, der mit Ausnahme im Trennungsjahr beim Ehegattenunterhalt in Höhe der objektiven Marktmiete anzusetzen ist. Die vormalige Rechtsprechung des BGH ging davon aus, dass nur Zinskosten von diesem Wohnwertvorteil abzuziehen sind, da Tilgungsleistungen einseitige Vermögensbildung darstellen und somit nicht abzugsfähig waren (so noch BGH, FamRZ 2007, Seite 879 oder FamRZ 2014, Seite 1098). Tilgungsleistungen wurden lediglich im Rahmen der zusätzlichen Altersvorsorge (4 % des Bruttoeinkommens) akzeptiert. In einer Entscheidung zum Elternunterhalt hat der BGH dann auch Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnwertes zugelassen, dies mit dem Argument, dass ohne die Finanzierungsleistung einschließlich der Tilgung es nicht zu einer Bildung des Wohnwerts kommen würde (BGH FamRZ, 2017, Seite 519). Diese Entscheidung hat der BGH in BGH, FamRZ 2018, Seite 1506 verstärkt und auch auf andere Unterhaltstatbestände außerhalb des Elternunterhalts erweitert (Palandt, 80. Auflage, § 1361 BGB, Rdn 37, Schürmann FamRZ 2018, Seite 1041). Das bestätigt in der hiesigen Entscheidung das OLG auch für den Kindesunterhalt und geht sogar so weit, dass dies auch im sogenannten Mangelfall gilt. Dass dies auch im sogenannten Mangelfall gelten soll, d. h. wenn aufgrund der Abzugsbeträge noch nicht einmal der Mindestunterhalt für das Kind gesichert ist, ist „neu“.

Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit darauf verwiesen, dass die 4 % aus dem Bruttoeinkommen für zusätzliche Altersvorsorge nicht abzugsfähig sind, wenn der Mindestunterhalt nicht abgedeckt ist (BGH, NJW 2013, Seite 1005). Das ist jedoch keine Aussage zur Berücksichtigung der Tilgungsleistung zur Generierung des vollen Wohnwerts.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass allgemeine Tilgungsleistungen, die der sonstigen Vermögensbildung dienen und im Mangelfall nicht berücksichtigungsfähig sind, von solchen Tilgungsleistungen zu unterscheiden sind, die dem Erwerb des selbstbewohnten Eigenheims dienen und damit erst die Möglichkeit schaffen, dem Unterhaltspflichtigen einen Wohnwert anzurechnen. Soweit auf einen möglichen Widerspruch hingewiesen wird, wonach durch Anerkennung von Tilgungsleistungen Vermögen aufgebaut wird und im Mangelfall aber auch der Vermögensstamm heranzuziehen ist, so gilt dies jedenfalls nicht, sofern es um die angemessene, selbstbewohnte Immobilie geht. Diesbezüglich besteht auch in der Regel keine Verwertungspflicht für diesen Vermögensstamm (OLG Hamm, FamRZ 2019, Seite 531).

Das Argument was letztendlich greift ist, dass ohne Zins- und Tilgung der Wohnwert nicht geschaffen worden wäre und der Unterhaltsberechtigte nicht einseitig an den Wohnwert teilhaben kann und darf. Es ist daher auch berechtigt weiterzudenken, ob diese Argumentation nicht auch bei einer fremdvermieteten Immobilie gelten muss, da es auch ohne die Tilgungsleistung nicht zur Bildung des Vermögenswertes und somit nicht zu den Einkünften aus Vermietung kommen würde, die schließlich auch beim Einkommen des Unterhaltspflichtigen als positive Einkünfte nach Abzug von Steuern berücksichtigt werden. Warum dann nicht auch hier etwaige Zins- und Tilgungsleistungen bis zu den Mieteinnahmen abzüglich Steuern anrechnen? Rechtsprechung hierzu ist noch nicht bekannt.

Sehr interessant hierzu auch der Aufsatz von Finke (Forum Familienrecht 2019, Seite 2 ff.), der auch darauf verweist, dass nicht nur beim Wohnvorteil der selbstgenutzten Immobilie, sondern auch bei der fremdvermieteten Immobilie diese als Einkommen zuzurechnenden Mieteinnahmen auch um Tilgungsleistungen bis zur Höhe der unterhaltsrechtlich relevanten Mieteinnahmen abzugsfähig sein müssen. Dies muss auch nach diesseitiger Auffassung zumindest gelten außerhalb des Mangelfalls.

Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnwertes oder der unterhaltsrechtlich relevanten Mieteinnahmen stellen keine Vermögensbildung zu Lasten des Unterhaltsberechtigten dar, wenn auf der anderen Seite in die Berechnung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens beim Unterhaltspflichtigen sowohl der Wohnwert als auch die Mieteinkünfte einfließen. Ohne die Aufnahme der Schulden für ein mietfreies Wohnen oder einer fremdvermieteten Immobilie gäbe es weder einen zurechenbaren Wohnwert, noch eine zu berücksichtigende Mieteinnahme. Es muss daher auch bei einer fremdvermieteten Immobilie die Tilgungsleistung entsprechend berücksichtigt werden.

Diese Rechtsansicht hat sich für die Anrechnung von Tilgungsleistung bei der selbstgenutzten Immobilie und dem damit zusammenhängenden Wohnwert durchgesetzt (Borth, FamRZ 2017, Seite 682; Engels, FF 2017, Seite 325; Schürmann, FamRZ 2018, Seite 1041; BGH, FamRZ 2018, Seite 1506). Dies sogar im Mangelfall beim Kindesunterhalt – siehe die hiesige Entscheidung OLG Oldenburg – das OLG hat die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen, die Beschwerde wurde eingelegt und wird beim BGH unter dem Az. XII ZB 233/21 geführt. Es bleibt abzuwarten, ob diese Rechtsprechung sich auch auf die fremdvermietete Immobilie erstrecken wird (so Finke, FF 2019, Seite 2 ff.), konsequent, logisch, nachvollziehbar und wünschenswert wäre es.

Ehegattenunterhalt

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.05.2020 – Az. II-3 UF 14/20 – §§ 1573 Abs. 2, 1579 Nr. 2 BGB

FamRZ 2021, Seite 1027

  1. Die Annahme einer zur Versagung des nachehelichen Unterhalts nach § 1579 Nr. 2 BGB führenden verfestigten Lebensgemeinschaft setzt nicht zwingend voraus, dass die Partner räumlich zusammenlebten und einen gemeinsamen Haushalt führten.
  2. Ein Wiederaufleben des einmal gemäß § 1579 Nr. 2 BGB versagten Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 II BGB kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn trotz der für eine gewisse Zeit verfestigten neuen Lebensgemeinschaft noch ein Maß an nachehelicher Solidarität festgestellt werden kann, die eine fortdauernde nacheheliche Unterhaltspflicht rechtfertigt.
  3. Gegen das Wiederaufleben eines bereits versagten Unterhalts kann die Tatsache sprechen, dass der erneut einen Unterhaltsanspruch geltend machende (geschiedene) Ehegatte wieder in einer Lebensgemeinschaft lebt.

Der erste Leitsatz der Entscheidung macht deutlich, dass es zwar ein wichtiges Indiz ist, eine verfestigte Lebensgemeinschaft anzunehmen, wenn die handelnden Personen zusammenleben, dies aber nicht zwingend notwendig ist für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft. Aufgezählt werden in der Entscheidung beispielshaft ein über einen längeren Zeitraum geführter gemeinsamer Haushalt, größere gemeinsame Investitionen, aber auch das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit. Als Maßstab gilt eine verfestigte Lebensgemeinschaft von 2 bis 3 Jahren, festlegen lässt sich dies jedoch nicht allgemeinverbindlich (BGH, FamRZ 2011, Seite 1498). Auch eine wirtschaftliche Verflochtenheit ist ein Indiz. Wenn das äußere Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit eine verfestigte Lebensgemeinschaft unterstellen lässt, kommt es nicht auf die subjektive Einstellung zu ihrer Beziehung an. Halten jedoch die Partner ihre Lebensbereiche getrennt und ihre Beziehung bewusst auf Distanz, ist diese in Eigenverantwortung getroffene Entscheidung über die Lebensgestaltung auch grundsätzlich zu respektieren.

Zu den Fragen, wann von einer verfestigten Lebensgemeinschaft auszugehen ist, wird verweisen auf die Entscheidung des OLG Brandenburg, NZFam2020, Seite 881, besprochen im ISUV-Report Nr. 166, Seite 20/21.

In der hiesigen Entscheidung ist die Frage des „Wiederauflebens“ eines Aufstockungsunterhaltes von Bedeutung, wenn aufgrund einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft Verwirkung eingetreten ist und dann diese nichteheliche Lebensgemeinschaft aufgelöst wird. Ein Wiederaufleben kommt nur ausnahmsweise in Betracht, und nur dann, wenn trotz der vormaligen nichtehelichen Lebensgemeinschaft noch ein Maß an nachehelicher Solidarität aus der vorherigen Ehe vorhanden ist, was nur ganz selten der Fall sein wird. Im hier vorliegenden Fall kam ein Wiederaufleben eines Unterhaltsanspruchs insbesondere deshalb in Betracht, weil sich die Frau bereits wieder in einer Beziehung befunden hat, die zwar noch nicht als verfestigt bezeichnet werden konnte, aber aus diesem Grund eine eheliche Solidarität nicht mehr einfordern konnte.

Anders wie früher in § 66 EheG spricht § 1579 BGB nicht von einer Verwirkung des Anspruchs, was dazu führen würde, dass ein Wiederaufleben niemals in Betracht kommt, trotzdem wird in den meisten Fällen, wenn Kindesinteressen nicht tangiert sind, ein Wiederaufleben nicht in Betracht kommen, weil die nacheheliche Solidarität „überstrapaziert“ wäre (BGH-Entscheidungen zum Wiederaufleben: FamRZ 1986, Seite 443; FamRZ 1987, Seite 689; FamRZ 1987, Seite 1238; FamRZ 2008, Seite 1739).

Umgangsrecht

OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.06.2021 – Az. 2 UF 47/21 – § 1685 BGB

Der Umgang von Großeltern mit ihrem Enkelkind ist zu versagen, wenn das Verhältnis der Großeltern zu einem Elternteil so zerrüttet ist, dass das Kind in einen Loyalitätskonflikt geraten und der elterliche Erziehungsvorrang missachtet werden würde.

Das Gesetz sieht in § 1685 BGB auch den Umgang eines Kindes mit anderen Bezugspersonen vor. Dazu gehören normalerweise auch Großeltern. Ein Umgangsrecht muss jedoch kindeswohldienlich sein. Wenn z. B. eine empfindliche Störung der Beziehung zwischen beiden Eltern des Kindes, die auch nicht voneinander getrennt leben, und den Großeltern besteht und die Eltern ein Umgangsrecht der Großeltern ablehnen, wird auch im Hinblick auf Loyalitätskonflikte ein Umgangsrecht der Großeltern abgelehnt (BGH, FamRZ 2017, Seite 1668). Selbiges gilt auch bei getrennt lebenden Eltern, wenn zwar der umgangsberechtigte Elternteil einen Umgang seiner eigenen Eltern mit dem Kind befürwortet (neben seinem eigenen Umgangsrecht), aber zwischen dem anderen Elternteil und den Großeltern die Beziehung derart stark belastet ist, dass das Kindeswohl tangiert ist und bei dem Umgang das Kind in einen Loyalitätskonflikt käme. Hier hatten die Großeltern (Akademiker) die Mutter des Kindes im Hinblick auf die ihre Herkunft aus dem Osten und des Berufes der Großmutter mütterlicherseits als Reinigungskraft mehrfach beleidigt und haben sich selbst besser geeignet gesehen, die Förderung des Kindes voranzutreiben. Aufgrund dieser feindseligen Haltung der Großeltern gegenüber der Mutter bestand die erhebliche Gefahr des Loyalitätskonfliktes des Kindes zwischen der Mutter und den Großeltern, mit der Folge, dass ein Umgangsrecht abzulehnen ist.

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 06.07.2021 – Az. 3 UF 144/20 – § 1684 BGB

NZFam 2021, Seite 890

Ein funktionierendes Umgangsmodell (Residenzmodell), das dem konstant geäußerten Willen des Kindes entspricht, ist nicht zugunsten eines Wechselmodelles bei mangelnder Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft abzuändern.

Das OLG weist darauf hin, dass die Ausweitung eines seit geraumer Zeit praktizierten Residenzmodelles dann, wenn es von den Kindern gut angenommen ist, nicht geboten ist. Insbesondere weil die Kinder die bisherige Regelung favorisieren. Das OLG führt aus, dass bei 11 bis 13-jährigen Kindern die Fähigkeit besteht, einen selbstbestimmten Willen zu entwickeln. Die Kinder hier waren 9 bzw. 12 Jahre alt und haben nach Auffassung des Gerichts nach Anhörung ausreichende verstandesmäßige Reife, um die Bedeutung des Umgangs zu verstehen. Deshalb hat das OLG den Wunsch der Kinder als reif und reflektiert angesehen und deren Willen respektiert.

Hinzu kam, dass die Eltern ohnehin nur eine äußerst geringe und insoweit schlechte Kommunikation und Kooperation an den Tag legten, was sich auch dadurch gezeigt hat, dass die gemeinsame Elternberatung gescheitert ist und selbst der Tausch einzelner Ferientage nicht möglich gewesen ist.

Abschließend sei jedoch darauf hingewiesen, dass der Kindeswille nach bisheriger Rechtslage wohl erst ab 14 Jahren „maßgeblich“ ist und das Stützen der Entscheidung auf dem Willen von 9 bzw. 12-jährigen Kindern nur der Tatsache geschuldet ist, dass das Residenzmodell vorher über eine längere Zeit praktiziert wurde und darüber hinaus es an der notwendigen Kooperationsfähigkeit gefehlt hat. Man sollte eine gerichtliche Umgangsregelung bei Kindern unter 14 Jahren nicht allein darauf stützen „was die Kinder wünschen“.

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 11.05.2021 – Az. 4 WF 55/21 – § 1684 BGB, § 89 FamFG

NZFam 2021, Seite 606

Die Festsetzung eines Ordnungsmittels unterbleibt nur dann, wenn derjenige, der gegen einen gerichtlich gebilligten Umgangsvergleich zuwiderhandelt, detailliert Umstände darlegt, warum er an der Vereinbarung gehindert war. Der vorübergehende Unwillen des betroffenen Kindes zur Teilnahme an den Kontakten zählt grundsätzlich nicht dazu.

Im vorliegenden Fall war es anders als bei den vielen anderen Entscheidungen. Hier hat das Kind beim Vater gelebt, die Mutter hatte Umgangsrecht. Diese hat jedoch den festgelegten Umgang an jedem zweiten Wochenende nicht mehr wahrgenommen und hat das damit begründet, dass der Sohn den Umgang nicht wolle. So hat der Sohn sie auch bei zufälligen Treffen ignoriert, Hassgefühle ihr gegenüber bekundet. Zudem hat das Jugendamt ihre geraten, den Umgang nicht gegen den Willen des Sohnes durchzuführen.

Trotzdem hat das OLG die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt, wonach ein Ordnungsmittel gegen die Mutter festgesetzt wurde. Das OLG hat dies damit begründet, dass sich die Mutter deshalb nicht entlasten könne, da zum einen zwischenzeitlich heimliche Umgangskontakte stattgefunden habe, was deutlich macht, dass das ablehnende Verhalten des Sohnes allenfalls Ausdruck eines tiefgreifenden Loyalitätskonfliktes (pubertätsbedingt) des 13-Jährigen Jungen ist und keine manifestierte Weigerung gewesen sei.

Diese Entscheidung erscheint doch etwas gewagt, denn wenn ein Kind zum Ausdruck bringt, den Umgang nicht zu wollen und der Umgangsberechtigte respektiert dies (siehe vorherige Entscheidung zum „Respekt“ eines Kindes), erscheint ein Ordnungsgeld deswegen bei Beachtung des Kindeswillen fraglich. Vermutlich müsste man noch nähere Kenntnis des Einzelfalles haben, um die Entscheidung des OLG Frankfurt verstehen zu können. In jedem Fall ist jedoch zu beachten, dass sowohl beim Umgangsberechtigten als auch beim Umgangspflichtigen Gründe für die Nichteinhaltung von gerichtlichen Entscheidungen einer gründlichen Begründung bedürfen, damit man sich bei Zuwiderhandlung entlastet.

Prozessrecht

BGH, Beschluss 21.07.2021 – XII ZB 21/21 – § 137 FamFG

FamRZ 2021, Seite 1521

Liegen die Voraussetzungen des § 137 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor, tritt der sogenannte Scheidungsverbund automatisch ein. Die Eheleute haben vor Rechtskraft der Scheidung kein Wahlrecht, ob eine Folgesache in einem isolierten Verfahren oder im Verbundverfahren mit der Scheidung entschieden werden soll.

Der Ehemann hat Scheidungsantrag gestellt. Nachdem die Auskünfte zum Versorgungsausgleich eingeholt wurden, hat das Gericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 28.04.2020 bestimmt. Die Ehefrau hat am 14.04.2020 einen Antrag auf nachehelichen Unterhalt gestellt. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass die notwendige Frist von 2 Wochen gemäß § 137 Abs. 2 FamFG nicht eingehalten ist und das Gericht hat sodann die Ehescheidung ausgesprochen, den Versorgungsausgleich durchgeführt und das Verfahren zum nachehelichen Unterhalt isoliert.

Hinzu kam, dass der Ehemann kurz nach Einreichung des Scheidungsantrages einen sogenannten Stufenantrag zum Zugewinn in einem isolierten Verfahren beantragt hat. Das Amtsgericht hat nach Anerkenntnis der Ehefrau durch Anerkenntnisbeschluss die Ehefrau zur Auskunft verpflichtet.

Die Ehefrau hat gegen den Scheidungsbeschluss inkl. VA und Abtrennung des nachehelichen Unterhalts Beschwerde eingelegt. Das OLG hat dieser Beschwerde stattgegeben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. Hiergegen wendet sich der Ehemann mit der Rechtsbeschwerde an den BGH.

Der BGH hat unmissverständlich erklärt, dass das OLG die ursprüngliche Entscheidung zurecht aufgehoben hat, da die Verfahrensweise des Amtsgerichts unzulässig war. Wenn die Voraussetzungen des § 137 Abs. 2 FamFG – wie hier – vorliegen, tritt der Verbund für Scheidungs- und Folgesache kraft Gesetzes ein, ohne dass die Ehegatten hierüber disponieren können. Ebenso unbeachtlich ist das fehlerhafte Führen der Folgesache in einem isolierten Verfahren, wie es das Amtsgericht getan hat. Es besteht Zwangsverbund.

Deshalb konnte das Amtsgericht die Scheidung nicht aussprechen, weil die Folgesache „Güterrecht“ nicht entscheidungsreif war. Richtig war es, dass das Amtsgericht grundsätzlich die Folgesache „Unterhalt“ als verspätet angesehen hat, da die 2-Wochen-Frist des § 137 FamFG so zu errechnen ist, dass zwischen Einreichung der Folgesache (hier Unterhalt) und dem Scheidungstermin 14 Tage liegen müssen, mit der Folge, dass im konkreten Fall die Folgesache bis 13.04.2020, 24:00 Uhr hätte eingereicht werden müssen (häufiger Fristenfehler). Nachdem jedoch die Folgesache Güterrecht von Gesetzeswegen im Scheidungsverbund behandelt werden muss – und nicht isoliert – war die 2-Wochen-Frist des § 137 FamFG nicht in Gang gesetzt worden.

Das heißt letztendlich, dass bei Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens eine Folgesache zur Scheidung zwangsweise im Verbund zu behandeln ist. Folgesachen in den Verbund einzubinden führt normalerweise zu geringeren Kosten als wenn man isolierte Verfahren führt, trotzdem kann es im Interesse des Scheidungsantragsstellers sein, zunächst eine „schnelle“ Scheidung herbeizuführen ohne langwierige Folgesachen abwarten zu müssen. Die Ausführungen des BGH hierzu haben in erster Linie dogmatische Bedeutung, denn es gibt eine Reihe von Gründen, warum z. B. der Zugewinn außerhalb des Verbundes und erst nach der Scheidung innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemacht werden soll. Insbesondere können bei hohen güterrechtlichen Ansprüchen nur dann Zinsansprüche geltend gemacht werden (5 % über dem Basiszinssatz, derzeit 4,12 %, jedenfalls mehr als auf der Bank), wenn der güterrechtliche Anspruch erst nach Rechtskraft der Scheidung geltend gemacht wird, da Zinsen erst ab Rechtskraft der Scheidung denkbar sind.

Die Entscheidung des BGH besagt letztendlich, dass es während der Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens es nicht in der Entscheidungsgewalt der Parteien und auch nicht des Gerichtes liegt, ob eine Folgesache im Verbund – d. h. mit der Ehescheidung – zu entscheiden ist, sondern kraft Gesetzes gemeinschaftlich entschieden werden muss. Wer das nicht will und lieber schnell geschieden werden will und ggf. auf Zinsen spekuliert, muss eine Folgesache „Güterrecht“ eben erst nach Rechtskraft der Scheidung bei Gericht einreichen. Natürlich kann ein solches Ansinnen vom Prozessgegner durchkreuzt werden, indem dieser entsprechende Folgesacheanträge stellt und sie somit in den Scheidungsverbund zieht.

Sorgerecht

BVerfG, Beschluss vom 14.09.2021 – 1 BvR 1525/20 – § 1666 BGB; Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG

Pressemitteilung Nr. 88/2021 vom 14.10.2021

Überfordert ein Elternteil ein Kind fortwährend in schulischen Belangen, liegt eine Kindeswohlgefährdung vor mit der Folge, dass der Entzug von Teilen der elterlichen Sorge gerechtfertigt ist.

Die Mutter hat die Tochter am Gymnasium angemeldet, obwohl diese einen mehrfach nachgewiesenen IQ von nur 63 – 74 hat. Bereits in der Grundschulzeit ist ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Lernen“ festgestellt worden. Die Mutter hat gegen den Rat der Fachkräfte gehandelt. Das Kind wurde von der Mutter unter massiven Leistungsdruck gesetzt, trotz mehrfachem Schulwechsel scheiterte das Kind immer wieder. Es kam zu Konflikten mit Lehrern und Mitschülern. Auf Initiative des Jugendamtes wurde ein Sorgerechtsverfahren eingeleitet, in welchem dann der Mutter die Regelung schulischer Belange entzogen wurde. Das OLG hat die amtsgerichtliche Entscheidung bestätigt. Hiergegen hat die Kindsmutter Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Das BVerfG hat keine Verletzung des Elternrechtes feststellen können, da das OLG aufgrund des Sachverhaltes eine Kindswohlgefährdung i.S.d. § 1666 Abs. 1 BGB rechtsfehlerfrei festgestellt hat. So wurde festgestellt, dass die Mutter die Tochter unter permanenten Leistungsdruck gesetzt hat. Die Mutter hat die Tochter stundenlang auch abends „lernen lassen“ und hat auf schlechte Noten mit verbalen und auch körperlichen Übergriffen reagiert. Die Belastung des Kindes fand in aggressivem Verhalten in der Schule, Traurigkeit, Verzweiflung und fehlender Lebenslust bis hin zu Suizidgedanken ihren Ausdruck.

Das BVerfG führt in seiner Entscheidung noch weiter aus, und trotz einer solchen strengen verfassungsrechtlichen Prüfung hat das BVerfG festgestellt, dass der Beschluss des OLG verfassungskonform ist.

Da das Elternrecht ein hoch anzusiedelndes Grundrecht ist, hat das BVerfG hier im Einzelfall entschieden, dass der Teilentzug des Sorgerechts verfassungskonform ist, aber wohl nur deshalb, weil es sich schon um einen Fall gehandelt hat, der weit über das „Normale“ hinausging. Die ebenso häufige Überforderung von Kindern in einem weniger intensiven Kontext wird wohl nicht dazu führen, dass das Sorgerecht teilweise entzogen werden kann. Das wird auf extreme Einzelfälle beschränkt bleiben. Gerade in Scheidungsfällen zeigt sich sehr häufig, dass Kinder aufgrund der Trennung der Eltern auch schulisch überfordert sein können. Aber wie gesagt, der normale „Überforderungsfall“, der sehr häufig vorkommt (Stichwort: Helikoptereltern), ist sorgerechtlich nicht justitiabel, das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht kann nur in extremen Ausnahmefällen beschnitten werden.

Quo vadis Düsseldorfer Tabelle?

Wer die Düsseldorfer Tabelle (DT) aufmerksam liest, hat zum 01.01.2021 festgestellt, dass für Einkünfte ab 5.501 € nicht mehr die Anmerkung „nach Umständen des Falles“ zu lesen ist, sondern auf den Beschluss des BGH vom 16.09.2020, Az. XII ZB 499/19, verwiesen wird.

Der BGH hat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung eine Fortschreibung der Bedarfsbeträge bis zur Höhe des Doppelten der in der DT ausgewiesenen Einkommensbeträge nicht ausgeschlossen. Das heißt letztendlich, dass die DT fortzuschreiben ist über die 10. Einkommensgruppe hinaus bis hin zu einem Einkommen in Höhe von netto 11.000 € monatlich. Dies ist auch der Schwellenbetrag, den der BGH ansetzt für die Geltendmachung eines sogenannten Quotenunterhaltes im Ehegattenunterhalt, d. h. bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € wird angenommen, dass dieses Geld auch für den Familienunterhalt verbraucht wurde und daher auch im Unterhaltsrecht zur Bemessung eines Unterhalts heranzuziehen ist (Gegenteiliges müsste der Unterhaltsschuldner beweisen). Erst ab Einkünften über 11.000 € greift die sogenannte konkrete Darlegung des Bedarfs.

Der BGH hat dies nunmehr auch für den Kindesunterhalt als geboten angesehen, sodass zu erwarten steht, dass neben der „üblichen“ Erhöhung der Unterhaltssätze der DT zum 01.01.2022 auch eine Fortschreibung der DT bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € erfolgt.

Soweit bislang ab 5.500 € Einkommen des Unterhaltspflichtigen das unterhaltsberechtigte Kind darlegen und nachweisen musste, dass es einen höheren Bedarf als den Höchstsatz der DT hat (Umstände des Falles), so wird zukünftig die DT von 5.501 € bis 11.000 € fortgeschrieben werden, mit der Folge, dass bis 11.000 € der Unterhaltsberechtigte seinen Bedarf nicht konkret darlegen und beweisen muss, sondern dann erst wieder ab 11.001 € netto.

Wie diese Rechtsprechung des BGH sich in den Tabellenwerken der Oberlandesgerichte wiederspiegeln wird, ist noch nicht bekannt, bislang gibt es letztendlich 2 „Vorschläge“ von renommierten Unterhaltsrechtlern, wie zukünftig ein Grundgerüst der DT aussehen könnte:  

  • Helmut Borth, Präsident des AmtsG a. D., hat bereits in FamRZ 2021, Seite 339 ff., eine neue Struktur der DT vorgestellt. Diese geht von weiteren 10 Einkommensstufen aus, fortgeschrieben dann von 160 % des Mindestunterhaltes bis zu 240 % des Mindestunterhaltes. Diesen Vorschlag unterstützen Dr. Rubenbauer/Dose in NZFam 2021, Seite 661 ff.. Insoweit ist anzumerken, dass es sich bei Dose um den Vorsitzenden des XII. Senats des BGH (Familiensenat) handelt.
  • Die Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages e. V. (Berichterstatter Birgit Niepmann, Mathias Denkhaus, Heinrich Schürmann) haben eine Fortschreibung in nur weiteren 5 Einkommensgruppen vorgeschlagen, bis zu einem Maximalbetrag von 200 % des Mindestunterhaltes bei einem Einkommen bis 11.000 € (FamRZ 2021, Seite 924 ff.). Zudem wird dafür plädiert, dass der Sockelbetrag (100 % des Mindestunterhaltes) zum 01.01.2022 nicht erneut angehoben wird, auf der anderen Seite man über die Erhöhung der Selbstbehaltssätze nachzudenken hat. Auch die Erhöhung des Festbetrages für auswärtig lebende volljährige Kinder von bislang 860 € ist zu überdenken, etwa dahingehend, dass bei guten Einkommensverhältnissen der Eltern auch die Geltendmachung des Tabellenunterhaltes möglich ist. Diesem Vorschlag, den Höchstsatz auf 200 % des Mindestunterhaltes zu beschränken, schließt sich Born, NZFam 2021, Seite 709 ff. uneingeschränkt an.

Entscheidend ist bei der Höhe des Kindesunterhaltes, woraus sich dieser herleitet. Da minderjährige Kinder bis zum Abschluss einer Ausbildung noch keine eigene Lebensstellung haben, sondern diese von ihren Eltern ableiten, stellt sich die Frage, bis zu welchem Einkommen der Eltern (Unterhaltspflichtigen) ohne konkrete Darlegung des Bedarfs Tabellenbeträge herangezogen werden dürfen/können. Wie oben erwähnt, hat der BGH mit seiner Entscheidung vom 16.09.2020, Az. XII ZB 499/19, eine Fortschreibung der Tabellensätze bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € befürwortet. Insoweit lehnt sich der BGH an seine Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt an, wonach eine Vermutung bestünde, dass bis zu 11.000 € auch ein Verbrauch des Einkommens stattfindet und somit Kinder ebenso an der Lebensstellung ihrer Eltern teilhaben. Inwieweit dann ggf. der Unterhaltspflichtige konkret darlegen und beweisen kann, dass er sein Einkommen nicht vollständig verbraucht, bleibt derzeit offen. Folgende Gesichtspunkte sich entscheidend:

  • Die Teilhabe an der Lebensführung gilt auch für Kinder von Eltern, die in besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen leben.
  • Eine Gewöhnung des Kindes an diese Verhältnisse ist nicht erforderlich, Kinder profitieren auch vom Splittingvorteil des Unterhaltspflichtigen aus einer neuen Ehe oder auch an einem Karrieresprung.
  • Eine Teilhabe am Luxus soll nicht stattfinden.

Dass man zwischen diesen unterschiedlichen Zielvorstellungen einen Spagat machen muss, liegt auf der Hand. Die Gefahr eines „Luxusniveaus“ bei Fortschreibung der Tabelle wird vom BGH verneint unter Hinweis auf die Orientierung des Steigerungssatzes am Mindestunterhalt und der Verminderung (degressive Verringerung) der Beteiligungsquote des Kindes am Elterneinkommen mit der Folge einer nur moderaten Steigerung des Unterhalts. Dies auch die Argumentation von Borth/Dr. Rubenbauer/Dose für eine Forstschreibung der Tabelle bis zu 240 % des Mindestunterhaltes. Bis dahin soll der Grundsatz „keine Teilhabe am Luxus“ gewahrt sein.

Die Unterhaltskommission/Born gehen auch bei einem Einkommen bis 11.000 € davon aus, dass bis maximal 200 % des Mindestunterhaltes eine Erweiterung der DT ausreichend ist, bezweifeln sogar die sachliche Notwendigkeit, die DT bis 11.000 € fortzuschreiben, nachdem bei Einkommensverhältnissen über 5.500 € netto es sich nur um ein kleines „Premiumsegment“ handelt. Trotzdem wird auch hier jedoch begrenzt auf 200 % des Mindestunterhaltes eine Fortschreibung errechnet. Die Unterhaltskommission denkt jedoch sogar weiter und plädiert, den notwendigen Selbstbehalt auf 1.230 € für Erwerbstätige und auf 1.000 € für Nichterwerbstätige anzuheben. Ebenso wird angeregt, die in den Selbstbehaltssätzen enthaltenen Wohnkosten um zumindest 20 € zu erhöhen. Es wird berechtigterweise darauf hingewiesen, dass allein der Mindestunterhalt im Zeitraum von 2008 bis 2021 um insgesamt 40 % gestiegen ist. Hintergrund war natürlich die Neubewertung der Regelbedarfssätze, trotzdem wird wohl berechtigterweise dafür plädiert, den Mindestunterhalt für die DT 2022 nicht zu erhöhen.

Nach diesseitiger Auffassung sind die deutlich differenzierteren Begründungen der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages e. V. nachvollziehbar und letztendlich der „moderaten“ Steigerung der Unterhaltssätze bei einem Einkommen zwischen 5.500 € bis 11.000 € zuzustimmen. Die Unterhaltskommission plädiert weiterhin in ihrem Thesenpapier dafür, dass der Erwerbstätigenbonus einheitlich mit 1/10 bemessen wird (entsprechend Süddeutscher Leitlinien), dies auf der Grundlage der Entscheidung des BGH, FamRZ 2020, Seite 171. Der zuletzt genannte Punkt hat jetzt mit den Tabellensätzen der DT nichts zu tun, wird jedoch zur Vervollständigung des Inhalts des Thesenpapiers des Deutschen Familiengerichtstags e. V. ergänzend erwähnt.

Im Anhang die Tabellenwerke bis 240 % (Borth/Dr. Rubenbauer/Dose) bzw. bis 200 % (Unterhaltskommission/Born) bezogen auf die derzeitigen Unterhaltsbeträge. Wie letztendlich die DT und deren Tabellenwerk zum 01.01.2022 aussehen wird, kann bei Drucklegung nicht vorausgesagt werden, ob mit Erscheinen des Reports da schon nähere Erkenntnisse vorliegen, ist nicht vorauszusagen. Fest steht jedoch wohl, dass bei Einkommensbeträgen des Unterhaltspflichtigen über 5.500 € netto eine Tabellenfortschreibung erfolgen wird und somit in diesem Einkommensbereich höhere Unterhaltsbeträge gefordert werden als bislang bei der „Deckelung“ mit 160 % des Mindestunterhaltes.

Borth/Dr. Rubenbauer/Dose

Nettoeinkommen des Barunter­haltspflichtigen (Anm. 3, 4)Altersstufen in Jahren § 1612a Abs. 1 BGB)Prozent­satzBedarfs­kontrollbetrag (Anm. 6)
 0 – 56 – 1112 – 17ab 18  
Alle Beträge in Euro
1.bis 1.900393451528564100960/1160
2.1.901 – 2.3004134745555931051.400
3.2.301 – 2.7004334975816211101.500
4.2.701 – 3.1004525196086491151.600
5.3.101 – 3.5004725426346771201.700
6.3.501 – 3.9005045786767221281.800
7.3.901 – 4.3005356147197681361.900
8.4.301 – 4.7005666507618131442.000
9.4.701 – 5.1005986868038581522.100
10.5.101 – 5.5006297228459031602.200
11.5.501 – 6.0506617588889481682.450
12.6.051 – 6.6006927949309931762.700
13.6.601 – 7.1507248309721.0381842.950
14.7.151 – 7.70075586610141.0831923.200
15.7.701 – 8.2507869021.0561.1282003.450
16.8.251 – 8.8008189391.0991.1742083.700
17.8.801 – 9.3508499751.1411.2192163.950
18.9.351 – 9.9008811.0111.1831.2642244.200
19.9.901 – 10.4509121.0471.2251.3092324.450
20.10.451 – 11.0009441.0831.2681.3542404.700
                ab 11.001nach den Umständen des Falles

Unterhaltskommission/Born

Nettoeinkommen des Barunter­haltspflichtigen (Anm. 3, 4)Altersstufen in Jahren § 1612a Abs. 1 BGB)Prozent­satzBedarfs­kontrollbetrag (Anm. 6)
 0 – 56 – 1112 – 17ab 18  
Alle Beträge in Euro
1.bis 1.900393451528564100960/1160
2.1.901 – 2.3004134745555931051.400
3.2.301 – 2.7004334975816211101.500
4.2.701 – 3.1004525196086491151.600
5.3.101 – 3.5004725426346771201.700
6.3.501 – 3.9005045786767221281.800
7.3.901 – 4.3005356147197681361.900
8.4.301 – 4.7005666507618131442.000
9.4.701 – 5.1005986868038581522.100
10.5.101 – 5.6006297228459031602.200
11.5.601 – 6.2006617588889481682.450
12.6.201 – 7.0006927949309931762.700
13.7.001 – 8.0007248309721.0381842.950
14.8.001 – 9.50075586610141.0831923.200
15.9.501 – 11.0007869021.0561.1282003.450
                ab 11.001nach den Umständen des Falles

Mit Spannung wird der Veröffentlichung der DT, Stand 01.01.2022, entgegengesehen.

Corona-Rechtsprechung

Pfändungsschutz

BGH, Beschluss vom 10.03.2021 – Az. VII ZB 24/20  – §§ 850k Abs. 4, 851 ZPO

  1. Bei der Corona-Soforthilfe (Bundesprogramm „Corona-Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Selbständige“ und ergänzendes Landesprogramm z. B. „NRW-Soforthilfe 2020“) handelt es sich um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbare Forderung.
  2. Im Hinblick auf die Verwirklichung der mit dieser Soforthilfe verbundenen Zweckhilfe ist in Höhe des bewilligten und auf einem Pfändungsschutzkonto des Schuldners gutgeschriebenen Betrags der Pfändungsfreibetrag in entsprechender Anwendung des § 850k Abs. 4 ZPO zu erhöhen.

Im zugrunde liegenden Fall hat ein Gläubiger gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer titulierten Forderung betrieben. Insoweit war und ist es nicht von Bedeutung, ob es sich bei den titulierten Forderungen um Unterhaltsrückstände handelt oder nicht. Der Schuldner hatte ein sogenanntes Pfändungsschutzkonto bei seiner Bank, der Gläubiger hat in die „Corona-Hilfen“, die auf diesem Pfändungsschutzkonto eingegangen waren, hineingepfändet. Die Bewilligung der Corona-Hilfen erfolgte mit der Zweckbindung, dass diese ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens/Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgen. In diesen Bescheiden ist auch festgehalten, dass mit Kreditlinien des kontoführenden Kreditinstitutes nicht aufgerechnet werden darf und dass ein Rückforderungsanspruch besteht, wenn die Sofort-Hilfe nicht zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz/Ausgleich Liquiditätsengpass benötigt wird.

Der Schuldner und Kontoinhaber hat beim Vollstreckungsgericht beantragt, dass die Bank ihm den Sofort-Hilfe-Betrag von 9000 € auszubezahlen hat, was die Bank jedoch verweigert hat. Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – hat den pfändungsfreien Betrag um 9000 € erhöht und somit eine Auszahlung an den Vollstreckungsgläubiger verhindert. Hiergegen hat der Gläubiger die sofortige Beschwerde eingelegt, die das OLG zurückgewiesen hat. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

Der BGH hat sich letztendlich im Ergebnis der Entscheidung des OLG angeschlossen und somit ein „Pfändungsverbot“ für Altverbindlichkeiten bezüglich der Corona-Soforthilfen bestätigt. Der BGH bestätigt, dass es sich bei Corona-Soforthilfen und auch bei anderweitigen Soforthilfen oder auch Überbrückungshilfen um zweckgebundene Leistungen handelt und an der Quelle (beim Staat) unpfändbar sind. Diese Unpfändbarkeit erlischt jedoch grundsätzlich im Zeitpunkt der Gutschrift dieser Sonderzahlung auf einem Konto des Schuldners. Handelt es sich hierbei um ein Pfändungsschutzkonto, ist jedoch in entsprechender Anwendung des § 850k Abs. 4 ZPO der gutgeschriebene Betrag aus der Soforthilfe dadurch pfändungsfrei zu stellen, indem abweichend von den normalen Bestimmungen der Pfändungsfreibetrag hochzusetzen ist. Mag der Gesetzgeber eine solche Soforthilfe in dem Katalog der §§ 850a ff. ZPO nicht vorgesehen haben, so ist diese Lücke zu schließen, weil das Gesetz insoweit planwidrig unvollständig ist. Die Soforthilfe ist letztendlich vergleichbar mit einer Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes, sodass auch bei der Corona-Soforthilfe der Pfändungsfreibetrag entsprechend zu erhöhen ist (so schon AG Zeitz, Beschluss vom 02.09.2020, Az. 14 M 222/20, LG Köln, Beschluss vom 23.04.2020, Az. 39 T 57/20; BFH, Entscheidung vom 09.07.2020, Az. VII S 23/20).

Wäre die staatliche Hilfe auf ein „normales“ Konto geflossen, hätte eine Pfändungsmöglichkeit bestanden, da für diese Regelungen die §§ 850a ff. keine Anwendung finden. Diese Rechtsprechung ist wohl auch auf die Corona-Prämien/Überbrückungshilfen Ende des Jahres 2020/Anfang 2021 anzuwenden, ebenso auch auf den sogenannten Pflegebonus/Kinderbonus wegen der Zweckgebundenheit.

Masken- und Testpflicht für Kinder an Schulen

AG Weimar, Beschluss vom 08.04.2021 – Az. 9 F 148/21 – und AG Weilheim, Beschluss vom 13.04.2021 – Az. 2 F 192/21 – § 1666 BGB

NZFam 2021, Seite 419

Ein Familienrichter in Weimar hat mit einem ausführlichen Beschluss (ca. 170 Seiten) die öffentlich-rechtliche Bestimmung zu Maskenpflicht und Coronatestpflicht an zwei Schulen aus Gründen des Kindeswohles aufgehoben. Das Gericht geht von einer Verfassungswidrigkeit aus und bewertet die Maskenpflicht während des Schulunterrichts als unzulässigen, die Gesundheit gefährdenden, Eingriff in die körperliche Integrität der Kinder. Vorausgegangen war die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens gemäß § 1666 BGB, wonach das Familiengericht Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren für das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern treffen kann, in Angelegenheiten der Personensorge auch Maßnahmen mit Wirkung gegen Dritte. Das Familiengericht hatte zunächst in einem Hauptsacheverfahren sachverständig klären lassen, ob die in Schulen verordnete Maskenpflicht für Kinder schädliche Auswirkungen auf deren Gesundheit hat. Nach Eingang des Gutachtens hat das Familiengericht Weimar dann per einstweiliger Anordnung den Schulen bzw. Lehrern untersagt, die Kinder in der Schule zum Maskentragen/Testpflicht zu zwingen. Ähnlich hat das AG Weilheim entschieden

Gegen diese beiden Entscheidungen wurde von Seiten der Behörden „Sturm gelaufen“. Viele andere Amtsgerichte haben entsprechende Anträge, die bei Gericht eingegangen sind, nicht weiterverfolgt und auch kein Verfahren eingeleitet, da – ungeachtet der Frage der Zuständigkeit der Familiengerichte – jedenfalls keine konkreten Kindswohlgefährdungen ersichtlich seien. Sowohl die Weimarer Staatsanwaltschaft als auch die Weilheimer Staatsanwaltschaft prüft Anzeigen gegen den/die Richter/in wegen Rechtsbeugung.

In chronologischer Reihenfolge hat dann das Verwaltungsgericht Weimar (Beschluss vom 20.04.2021, Az. 8 E 416/21) die Entscheidung des AG Weimar (Familiengericht) als offensichtlich rechtswidrig eingestuft und darauf verwiesen, dass das Familiengericht keine Befugnis hat, Anordnungen gegenüber Behörden zu treffen und insoweit Behörden auch keine „Dritte“ im Sinne des § 1666 Abs. 4 BGB sind. Die gerichtliche Kontrolle von Behörden und Schulen obliegt ausschließlich den Verwaltungsgerichten. Gleichzeitig hat das Verwaltungsgericht die Maskenpflicht im Unterricht bestätigt und einen dahingehenden Eilantrag abgelehnt. Es bestünden keine durchgreifenden gesundheitlichen Bedenken, es gäbe auch keine wissenschaftlich fundierten Quellen. Das Verwaltungsgericht hat hierzu entschieden, weil dieselben Antragsteller, die auch Antragsteller im Verfahren des AG Weimar sind, Az, 9 F 148/21, parallel am Verwaltungsgericht entsprechenden Antrag gestellt hatten. Auch das OLG Frankfurt a. M. hat mit Beschluss vom 05.05.2021, Az. 4 UF 90/21 entschieden, dass das Familiengericht nicht für die Prüfung von Corona-Maßnahmen an Schulen zuständig ist. Zuständig sind ausschließlich die Verwaltungsgerichte.

Auch alle anderen Gerichte haben die Corona-Regelungen für Schulunterricht für verfassungsgemäß gehalten und die jeweiligen Verordnungen bestätigt:

  • OVG Magdeburg, Beschluss vom 16.04.2021, Az. 3 R 94/21 (Ausschluss vom Präsenzunterricht bei fehlender Schnelltesteinwilligung)
  • OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.04.2021, Az. 13 MN 192/21 (Schulbetretungsverbot bei Verweigerung von Coronaschnelltest)
  • BayVerfGH, Entscheidung vom 22.04.2021, Az. Vf. 26 – VII – 21 (Bestätigung Testpflicht an Schulen und Ablehnung auf Außervollzugsetzung der betreffenden Verordnung)
  • VGH Mannheim, Beschluss vom 29.04.2021, Az. 1 S 1204/21 (Ablehnung von Eilanträgen gegen die angeordnete Testpflicht an Schulen wegen Unbegründetheit und in diesem Fall auch wegen Unzulässigkeit, da die antragsstellende Kindsmutter nicht Adressatin der Testpflicht ist; abgelehnt wurde auch ein Antrag einer Lehrerin im Verfahren 1 S 1340/21)
  • OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.04.2021, Az. 20 WF 70/21 (Ein Familiengericht kann selbst entscheiden, ob überhaupt ein Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet werden kann oder darf. Gibt es hierfür keinen Grund, kann das Familiengericht die Angelegenheit selbst beendet, es bedarf keiner Abgabe an das Verwaltungsgericht.)
  • VG Münster, Beschluss vom 03.05.2021, Az. 5 L 276/21 (Verpflichtung von Lehrern bei Anwendung von Selbsttests die Schüler anzuleiten und zu beaufsichtigen)
  • OVG Schleswig, 3 MB 23/21 und 3 MB 25/21 (Verpflichtung eines Coronatests für Teilnahme am Präsenzunterricht rechtmäßig)
  • VerfG Brandenburg, Beschluss vom 05.05.2021, Az. 8/21 EA (Eilantrag gegen Testpflicht an Schulen zurückgewiesen – Grundrechtseingriffe sind hinzunehmen.)
  • VG Ansbach, Urteil vom 12.05.2021, Az. An 2 K 21.00257 (Schüler, die dem Präsenzunterricht unentschuldigt fernbleiben, müssen ein amtsärztliches Attest vorlegen, wenn ernsthafte Zweifel am Bestehen einer Erkrankung vorliegen. Dies gilt insbesondere, wenn sie oder ihre Eltern als Gegner der schulischen Maskenpflicht bekannt sind.)
  • AG Garmisch-Partenkirchen, Beschluss vom 03.05.2021, Az. 1 F 128/21 und 1 F 125/21: Dem Familiengericht fehlt jede Kompetenz, nach § 1666 Abs. 4 BGB Anordnungen gegenüber Schulbehörden zu treffen. Wer – Eltern – durch ins Internet gestellte Musteranträge veranlasst, wegen der Maskenpflicht wegen Gefährdung des Kindeswohles beim Familiengericht Verfahren einzuleiten, handelt grob schuldhaft, ihm können daher die Kosten des familiengerichtlichen Verfahrens auferlegt werden. Wie alle hier zitierten Entscheidungen, reiht sich diese in eine Reihe von Beschlüssen, mit denen offenbar Gerichte ein Zeichen gegen die Überflutung mit Kindsschutzverfahren setzen wollen. So hat das AG Wittenberg (Beschluss vom 08.04.2021, Az. 5 F 140/21) den Gebrauch einer Mustervorlage zum Anlass genommen, die Erziehungseignung und Erziehungsfähigkeit des Sorgeberechtigten zu überprüfen. Das AG Leipzig (Beschluss vom 15.04.2021/16.04.2021, Az. 335 F 1187/21) hat einen Verfahrenswert, der eigentlich in solchen Verfahren zwischen 2000 € (Eilverfahren) und 4000 € (Hauptsacheverfahren) liegt, auf astronomische 1,4 Millionen €, später korrigiert auf 500.000 € festgesetzt, mit der Begründung, dass eben nicht nur eine Person (Antragsteller) von der Tragkraft einer solchen Entscheidung betroffen ist. Hier will man offensichtlich den Internetaufrufen zur massenhaften Verfahrensanregung wirksame Contrapunkte entgegensetzen. Keuter in NZFam 2021, Seite 512, warnt jedoch vor einem „Kreativitätswettbewerb“, der am Ende den Kritikern der Corona-Maßnahmen das unzutreffende Argument liefert, sie sollten mundtot gemacht werden.
  • OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.04.2021, Az. 9 WF 342/21 und 9 WF 343/21 (Für die gerichtliche Überprüfung coronabedingter Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung (hier: Maskenpflicht, Testpflicht etc.) besteht keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. § 1666 Abs. 4 BGB erfasst nicht Maßnahmen gegenüber den Trägern der staatlichen Gewalt.)
  • LVerfG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.05.2021, Az. LVG 21/21 (Präsenzunterricht darf an Corona-Testungen gekoppelt werden, Testregelung ist durch Infektionsschutz gerechtfertigt.)

Zwischenzeitlich hat das OLG Jena mit Beschluss vom 14.05.2021, Az. 1 UF 136/21, die Entscheidung des AG Weimar aufgehoben. Das OLG hat den Rechtsweg zum Familiengericht für unzulässig erklärt, es besteht keine Anordnungskompetenz gegenüber staatlichen Behörden etc., derartiges ergibt sich auch nicht aus § 1666 Abs. 4 BGB. Der Freistaat Thüringen hat gegen die Entscheidung des AG Weimar Beschwerde eingelegt, und zwar ohne Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG, sondern als sofortige Beschwerde als auch als außerordentliche Beschwerde. Das OLG hat zwar das Recht zu einer außerordentlichen Beschwerde mit Überspringen des Antrags auf mündliche Verhandlung abgelehnt, jedoch der Beschwerde als sofortige Beschwerde stattgegeben. Dies wegen des fehlenden Beschlusses des Amtsgerichtes im Vorfeld über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu entscheiden. Einzelheiten der dogmatischen juristischen Zulässigkeitsfragen sind an dieser Stelle nicht von Bedeutung, letztendlich hat das OLG Jena den berühmt-berüchtigten Beschluss des AG Weimar zur Maskenpflicht und zum Präsenzunterricht aufgehoben (NZFam 2021, Seite 555). Letztendlich hat das OLG Jena so entschieden, wie zu erwarten stand und letztendlich auch bis zum Verfassen dieses Artikels sämtliche anderen Obergerichte entschieden hatten. Es verbleibt die Hoffnung, dass mit Erscheinen dieser Urteilsbesprechung die Brisanz derartiger Fragen nicht mehr so hoch ist.

Elterliche Sorge und Umgangsrecht

AG Marl, Beschluss vom 29.12.2020 – Az. 36 F 347/20 – § 1687 BGB

NZFam 2021, Seite 272/FamRZ 2021, Seite 761

Corona-Tests bei Kindern gehören zur Alltagszuständigkeit des jeweils betreuenden Elternteiles. Getrennt lebende Eltern dürfen bei der Abwägung zwischen Infektionsschutz und Kindeswohl unterschiedliche Auffassungen haben und in ihrer Betreuungszeit umsetzen.

Der getrennt lebende mitsorgeberechtigte Vater von zwei Kindern lebt mit seinem eigenen Vater zusammen, der zu einer Corona-Hochrisikogruppe gehört. Die Kinder pflegen regelmäßigen Umgang mit ihrem Vater, zum Schutz des Großvaters testet er zu jedem Umgang die beiden Kinder durch eine Ärztin, zudem müssen die Kinder im Haushalt Masken tragen und Abstand halten. Der Vater selbst hatte versucht die Kinder aus der Schulnotbetreuung herauszunehmen (zum Schutz des Großvaters). Das Familiengericht sah bereits in der Entscheidung der Mutter, die Kinder in die Notbetreuung zu geben, eine Angelegenheit des täglichen Lebens, über die die Mutter alleine entscheiden durfte. Jetzt versucht die Mutter den Umgang mit dem Vater komplett auszusetzen, da der Umgang mit ständigen Corona-Tests und Maske nicht kindeswohlgerecht sei.

Das Amtsgericht hält die Corona-Testung ebenso für eine Angelegenheit des täglichen Lebens, sodass auch hier der Vater im Rahmen seines Umgangs hierüber frei entscheiden kann. Tests werden auch anlasslos für Urlaubsreisen durchgeführt, Zudem erfolgt die Testung dem anzuerkennenden Zweck, den Großvater zu schützen. Ein solcher Testabstrich ist den Kindern zumutbar, es handelt sich auch nicht um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Körperverletzung). Das Gericht führt näher aus, dass ebenso ein Test sicherlich keine Schmerzen verursacht. Selbiges gilt insgesamt auch für das Tragen der Masken.

In die gleiche Richtung gehen auch andere Entscheidungen (z. B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.03.2020, Az. 13 UFH 2/20), wonach es keiner Gerichtsentscheidung dazu bedarf, welchen Corona-Infektionsschutz der jeweils andere im Rahmen der Betreuung seiner Kinder zu beachten habe. Dazu sind die staatlichen Bußgeldvorschriften ausreichend und im Übrigen verbleibt es bei dem Grundsatz gemäß § 1687 BGB, wonach jeder Elternteil in seiner Zeit mit dem Kind alle Entscheidungen treffen kann, die den anderen nicht betreffen (Alltagsangelegenheiten). Grenzen sind nur durch § 1666 BGB (Kindeswohlgefährdung) gesetzt, dann auch Umgangsregelung einschließlich eventueller Auflagen möglich (§ 1684 Abs. 3 BGB).

Die Corona-Pandemie führt nicht dazu, dass die getrennt lebenden Eltern sich gegenseitig im Rahmen ihrer Umgangszeiten „gängeln“ können. Bedauerlicherweise meinen streitsüchtige Eltern auf der Spielwiese „Corona-Pandemie“ ihre Grenzen neue definieren zu wollen. So hat z. B. auch völlig unabhängig von umgangsrechtlichen Fragen eine Mutter nach einer vom Gesundheitsamt durchgeführten Corona-Schnelltestung in der Schulklasse ihres Kindes eine Anklage wegen Körperverletzung erzwingen wollen. Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 10.05.2021, Az. 1 WS 141/21) erteilte diesem Ansinnen jedoch mangels hinreichendem Tatverdacht eine Absage. Die Mutter hatte ein Attest einer Allgemeinärztin vorgelegt, wonach ihr Kind durch diese Testung unter anderem eine schwere psychische Traumatisierung erlitten haben soll. Eine Strafverfolgung wurde abgelehnt, da ein Test insgesamt verhältnismäßig ist und den Tatbestand einer Körperverletzung nicht erfülle. Der Beweiswert des Attestes der Mutter wurde in Frage gestellt, insbesondere, dass eine Ärztin in einem einzigen Termin die Diagnose einer schweren psychischen Traumatisierung habe stellen können. Nach Auffassung des OLG Oldenburg ergibt sich vielmehr der Anfangsverdacht des Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses gemäß § 278 StGB. Ob ein Ermittlungsverfahren gegen die Ärztin eingeleitet wird, bliebe abzuwarten.

Auch an dieser Entscheidung sieht man, welche „Blüten“ die Corona-Pandemie hervorbringt.

AG Mainz, Beschluss vom 04.05.2021 – Az. 34 F 126/21 – § 1628 BGB

NZFam 2021, Seite 563

Die Teilnahme eines schulpflichtigen Kindes am Präsenzunterricht ist geeignet, nachhaltig Einfluss auf die schulische und seelische Entwicklung eines Kindes zu nehmen, vor allem nach längerem pandemie-bedingtem Distanzunterricht. Entscheidungen über die Teilnahme an COVID-19-Tests sind dann von erheblicher Bedeutung i. S. § 1628 BGB, wenn das Veto eines Elternteils das Kind von Präsenzunterricht ausschließt.

Die Schule hatte bei einer Viertklässlerin, die bei der Mutter lebt, aufgrund der staatlichen Verordnung CORONA-Schnelltests zur Teilnahme am Präsenzunterricht die Unterschrift beider sorgeberechtigter Elternteile verlangt. Der Vater hat verweigert. Die Mutter hat im Eilverfahren die Alleinentscheidungsbefugnis über die Teilnahme am Testverfahren beantragt. Das Familiengericht hat der Mutter die Alleinentscheidungsbefugnis übertragen, da es sich hierbei um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i. S. vom § 1628 BGB handelt. Das Amtsgericht konnte keine Gesundheitsgefahren erkennen, dass es diese Maßnahme nicht als Alltagsangelegenheit eingeordnet hat – wie das AG Marl (siehe oben) -, hängt mit dem Zweck des Tests zusammen. Wenn das AG Marl COVID-19-Tests als Alltagangelegenheit und das AG Mainz als erhebliche Angelegenheit eingeordnet hat (ebenso AG Dresden, Beschluss vom 13.04.2021, Az. 310 F 879/21), so liegt das am unterschiedlichen Anlass und Zweck der Testung.

Beim AG Marl ging es dem umgangsberechtigten Vater darum, während seiner Betreuungszeit „freiwillig“ zu testen und die Mutter wollte den Umgang untersagen. Hier hat das AG entschieden, dass bei solchen freiwilligen Tests jeder Elternteil im Rahmen seiner Alltagzuständigkeit dies entscheiden kann und darf. Im Fall des AG Mainz hatte die Entscheidung zu den Corona-Tests eine Ausstrahlung in den Bereich außerhalb der eigenen Betreuungszeit (Entwicklung des Kindes im Rahmen des Präsenzunterrichts), sodass es sich in diesem Fall um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung gehandelt hat und somit eine Entscheidung nach § 1628 BGB geboten war.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.04.2021 – Az. 10 UF 72/21 – § 1684 BGB

NZFam 2021, Seite 562

Umgangskontakte können nicht davon abhängig gemacht werden, dass die umgangsberichtigte Person gegen das Corona-Virus geimpft ist, unter bestimmten Voraussetzungen können Umgangskontakte davon abhängig gemacht werden, dass der Umgangsberechtigte sich eines COVID-19-Schnelltests unterzieht (mit negativem Ausgang).

Das Familiengericht hat bei der Festlegung eines begleiteten Umgangs eine Verpflichtung zur vorherigen Testung des Umgangsberechtigten verneint. Diese würde den Umgangsberechtigten in seinem verfassungsgemäß gewährleisteten Recht auf Umgang einschränken. Hiergegen wurde zum OLG Beschwerde eingelegt auch mit der Begründung, der Umgangsberechtigte hätte aufgrund der beruflichen Tätigkeit eine Vielzahl von Kontakten, sodass eine massive Ansteckungsgefahr bestünde. Zudem würden die Kinder es wollen, dass der Umgangsberechtigte geimpft ist. In der Verhandlung hat der Umgangsberechtigte erklärt, dass er bereit sei einen PCR-Test oder Schnelltest vorzunehmen. Trotz Anregung des OLG, deshalb die Beschwerde doch zurückzunehmen, wurde nunmehr auch beantragt, dass eine Impfung erforderlich sei.

Das OLG hat in diesem Fall eine Impfpflicht ausdrücklich abgelehnt, jedoch eine Verpflichtung ausgesprochen, vor jedem Umgang einen Corona-Test durchzuführen. Das OLG weist ausdrücklich darauf hin, dass die Corona-Pandemie ohne Hinzutreten konkreter gefahrerhöhender Umstände es nicht rechtfertigt, den Umgang zu beschränken oder gar auszusetzen. Das allgemeine Risiko des Arbeitens als Lagerarbeiter reicht dafür auch nicht aus. Es besteht auch keine Verpflichtung einer Testung quasi „auf Vorrat“. Da sich der Umgangsberechtigte jedoch freiwillig bereiterklärt hat sich einer Testung zu unterziehen, erfolgte ein solcher Beschluss. Eine Schutzimpfung kann in keinem Fall verlangt werden. Es bestehe schon keine generelle Impfpflicht.

Auch dieser Fall bewertet den offenkundigen Versuch eines umgangsunwilligen Elternteils, die Corona-Pandemie dafür zu missbrauchen, den Kindesumgang zu hintertreiben. Auch das OLG Braunschweig (NZFam 2020, Seite 598) hatte schon unmissverständlich klargestellt, dass auch das Verlangen einer Testung grundsätzlich nur dann möglich ist, wenn typische COVID-Symptome vorhanden sind oder bereits Kontakt mit einer erkrankten Person im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Umgang vorlag. Das OLG hat auch darauf verwiesen, dass aufgrund der Impfstoffknappheit ein Verlangen auf Impfung de facto auf einen Umgangsausschluss hinauslaufen würde, was so nicht geboten ist. Ob Gerichte anders entscheiden, wenn alle Impfwilligen ein Impfangebot haben, bleibt abzuwarten. Ohne Impfpflicht erscheint jedoch eine Abhängigkeit zwischen Umgang und Impfung nach diesseitiger Auffassung nicht möglich. Anderenfalls würde der Umgang zu einer indirekten Impfpflicht führen, dem ist eine Absage zu erteilen.

Unterhaltsrecht

AG Pankow/Weißensee, Beschluss vom 08.12.2020 – Az. 13 F 6681/18 – §§ 1361, 1528 BGB

FamRZ 2021, Seite 423

  1. Tritt bei einem Selbständigen eine – kurzfristige – Minderung der Leistungsfähigkeit ein, so ist diese unbeachtlich, wenn sie vorhersehbar war und für ihre Dauer eine Vorsorge in Form von Rücklagen gebildet werden konnte.
  2. Diese Voraussetzungen können im Hinblick auf die Corona-Pandemie nicht angenommen werden. Eine aktuell bestehende Leistungsunfähigkeit aufgrund der Corona-Krise ist in der Weise zu berücksichtigen, dass vorläufig kein Unterhalt geschuldet wird.

Auf der Grundlage von Einkünften i. H. v. ca. 3000 € netto wurde der Unterhaltsschuldner Anfang 2019 verpflichtet, einen Unterhalt i. H. v. ca. 1000 € zu bezahlen. Der Unterhaltsverpflichtete ist/war selbständiger Gastronom (einschließlich Catering), die Unterhaltsberechtigte ist nach wie vor nicht erwerbstätig. Der Unterhaltsschuldner trägt vor, dass letztendlich sein Geschäft mit Beginn März 2020 zum Erliegen gekommen ist, er monatliche Verluste von mehr als 25.000 € erwirtschaftet und seine Ersparnisse aufgebraucht hat. Mit seinen 60 Jahren hätte er keine Möglichkeit mehr in ein Angestelltenverhältnis zu gehen. Er begehrt ab dem 01.09.2020 keinen Unterhalt mehr leisten zu müssen. Die Unterhalsberechtigte verweist darauf, dass der Durchschnitt der letzten drei Jahre zu errechnen sei und nicht kurz zurückliegende Einkommenszahlen. Gewinnschwankungen sind einzukalkulieren, Rücklagen zu bilden oder Kredite aufzunehmen (so auch Niepmann, Unterhalt in den Zeiten von Corona, NZFam 2020, Seite 383).

Das Amtsgericht hat in dem hiesigen einstweiligen Anordnungsverfahren darauf verwiesen, dass die Pandemie nicht vorhersehbar war. Es mag sein, dass für ein paar Monate die Einschränkung der Leistungsfähigkeit noch nicht zu beachten ist, dies auch wegen staatlicher Hilfen. Gastronomie/Catering lägen jedoch brach (Entscheidung aus Dezember 2020). Daher ist nach Auffassung des Amtsgerichtes die gegenwärtige Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben. Bei einem zugrunde gelegten Einkommen von damals 3000 € besteht auch keine Möglichkeit der Rücklagenbildung. Im einstweiligen Anordnungsverfahren wurde daher dem Antrag stattgegeben, im Hauptsacheverfahren wird dann zu klären sein, wie sich der Ausfall der Einkünfte tatsächlich ausgewirkt hat (unter Berücksichtigung von Corona-Hilfen etc.).

AG Bergheim, Beschluss vom 12.10.2020 – Az. 61 F 68/20 – §§ 1601, 1612b BGB

FamRZ 2021, Seite 102

Der sogenannte Kinderbonus (Corona-Bonus für Kinder) ist wie das Kindergeld hälftig zur Deckung des Barbedarfs des Kindes zu verwenden.

Im September 2020 wurde ein Kinderbonus von 200 €, im Oktober 2020 in Höhe von 100 € und im Mai 2021 in Höhe von 150 € an den Kindergeldberechtigten ausbezahlt.

Der Barbedarf eines Kindes wird neben dem hälftigen Kindergeld auch durch den Kinderbonus hälftig gedeckt. Der Kinderbonus ist auf den Barunterhalt zur Hälfte anzurechnen. Dies gilt in seinem Grundsatz sofern zumindest der Mindestunterhalt vom Unterhaltspflichtigen bezahlt wird. Soweit ein gerichtlicher Unterhaltsvergleich oder ein Unterhaltstitel i. S. des § 239 Abs. 1 FamFG (Jugendamtsurkunde) vorliegt, kann auch rückwirkend eine Abänderung beantragt werden, da die sogenannte Rückschlagsperre des § 238 Abs. 3 Satz 1 FamFG nicht eingreift (BGH, FamRZ 2017, Seite 611). Liegt hingegen ein Endbeschluss zum Unterhalt vor und wurde ein Abänderungsantrag nicht in dem Monat gestellt, in dem der Bonus zur Auszahlung kam, oder wurde nicht nach § 218 Abs. 3 Satz 3 FamFG (außergerichtliche Aufforderung auf hälftige Anrechnung des halben Bonus und Aufforderung, in dieser Höhe auf die Unterhaltszahlungen zu verzichten) die Voraussetzung für die Abänderung geschaffen, ist es umstritten, ob ein nachträglicher Ausgleich (hälftige Anrechnung) über den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch verlangen kann. Zuviel gezahlter Unterhalt kann grundsätzlich nur zurückverlangt werden ab Stellung eines Abänderungsantrages. Da es vorliegend jedoch um eine gesetzgeberische Entlastung im Rahmen der Betreuung und Erziehung gemeinsamer Kinder geht, ist in Höhe des hälftigen Betrages beim Kinderbonus ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch anzuerkennen (Borth, FamRZ 2021, Seite 104).

Zu beachten ist jedoch immer, dass rückwirkend die hälftige Berücksichtigung nur dann noch bei einem zugrundeliegenden Endbeschluss/Urteils eines Gerichts möglich ist, wenn die negativen Verzugsvoraussetzungen (siehe oben) geschaffen wurden. Erfolgte das nicht, wird man rückwirkend den hälftigen Kinderbonus auch nicht mehr geltend machen können. Bei zugrundeliegenden gerichtlichen Vergleichen oder einer Jugendamtsurkunde oder keiner Titulierung hingegen schon. Das einfachste wäre immer gewesen, direkt bei der Monatszahlung des Unterhalts den hälftigen Kinderbonus abzuziehen, oder noch besser im Vorfeld die Gegenseite aufzufordern, diesbezüglich auf die Zahlung des Kindesunterhaltes für den entsprechenden Monat zu verzichten, zumindest im Vorfeld die Kürzung anzukündigen.

Wenn also ein Urteil/Beschluss die Grundlage der Unterhaltszahlung ist, kann ohne vorherige Aufforderung zum Teilverzicht im Nachhinein eine Rückzahlung oder die Kürzung eines nachfolgenden Monatsunterhaltes nicht verlangt werden. Ob über den von Borth favorisierten Ausgleichsanspruch die Rückschlagsperre des § 238 Abs. 3 FamFG ausgehebelt werden kann, ist zumindest fraglich.

BGH – ohne Corona

Ehewohnung

BGH, Beschluss vom 10.03.2021 – Az. XII ZB 243/20 – §§ 985, 1568a BGB; §§ 200, 266 FamFG

(FamRZ 2021, Heft 11)

  1. Solange der Anwendungsbereich des § 1568a BGB und damit das Ehewohnungsverfahren nach § 200 FamFG eröffnet ist, ist ein Herausgabeanspruch aus dem Eigentum gemäß § 985 BGB als sogenannte sonstige Familiensache i. S. des § 266 FamFG auch nach Rechtskraft der Scheidung nicht zulässigerweise durchsetzbar.
  2. Der Anwendungsbereich des § 1568a BGB und auch der Anspruch auf Überlassung der Ehewohnung gemäß § 1568a Abs. 1 und Abs. 2 BGB erlischt ein Jahr nach Rechtskraft der Ehescheidung, wenn er nicht vorher rechtshängig gemacht worden ist.

Der Ex-Ehemann verlangt von der Ex-Ehefrau, von der er seit Dezember 2015 rechtskräftig geschieden ist, die Herausgabe einer in seinem Alleineigentum stehenden Wohnung (§ 985 BGB). Die Ex-Ehefrau lebt in dieser Wohnung seit der Trennung im Jahr 2014, sie zahlt weder Miete noch Nutzungsentschädigung. Der Mann hatte schon mal im Jahr 2017 einen Herausgabeantrag auf § 985 BGB gestützt, was ihm das Amtsgericht verwehrt hat, mit dem Hinweis, dass nur eine sogenannte Ehewohnungszuweisungssache in Betracht käme. Nachfolgend hat er dann eine solche Ehewohnungssache gemäß § 200 FamFG eingeleitet. Das Amtsgericht hat zwar dann die Herausgabe der Wohnung an den Mann angeordnet, woraufhin das OLG die Entscheidung wiederum aufgehoben hat, mit dem Hinweis, dass nach seiner Rechtsauffassung gerade diese Verfahrensart entgegen des Amtsgerichtes für unzulässig erachtet, weil die Jahresfrist des § 1568a Abs. 6 BGB (ein Jahr nach Rechtskraft der Scheidung) verstrichen sei. Daraufhin hat der Mann erneut einen Herausgabeantrag nach § 985 BGB gestellt, wie er ihn eigentlich schon im Jahr 2017 gestellt hatte. Das Amtsgericht hat jetzt dem Herausgabeantrag stattgegeben. Hiergegen hat jetzt die Ex-Ehefrau Beschwerde zum OLG eingelegt, jedoch im Hinblick auf die vorherige OLG-Entscheidung folgerichtig ohne Erfolg. Die zugelassene und von der Ex-Ehefrau eingelegte Rechtsbeschwerde zum BGH hatte keinen Erfolg. Der BGH hat die Rechtsauffassung bestätigt, wonach unabhängig von Eigentumsverhältnissen der Anspruch auf Überlassung der Ehewohnung ein Jahr nach Rechtskraft der Scheidung erlischt und das auf das Eigentum gestützte Herausgabeverlangen gemäß § 985 BGB begründet ist.

Der Mann hatte hier offensichtlich eine „Verfahrens-Odyssee“, in der die zahlreichen Juristen sich offensichtlich nicht einig waren, welcher Verfahrensweg denn überhaupt der richtige ist und wie § 1568a BGB in der Summe auszulegen ist. Umso erfreulicher, dass nicht nur eine Rechtsbeschwerde zugelassen wurde, sondern der BGH auch die Gelegenheit hatte, diese Fragen zu beantworten:

  • Ob es sich um eine Ehewohnung handelt, ist nach der Situation im Zeitpunkt der Rechtskraft der Ehescheidung zu beurteilen. Der Anwendungsbereich des § 1568a BGB ist immer dann eröffnet, wenn es sich bei den Räumen auch während des Getrenntlebens um die Ehewohnung gehandelt hat (BGH, FamRZ 2017, Seite 22).
  • Eine Ehewohnungssache muss nicht zwingend im Scheidungsverbund geltend gemacht werden, sondern kann auch erst nach Rechtskraft der Scheidung anhängig gemacht werden.
  • § 1568a Abs. 6 BGB normiert, dass bei Mietverhältnissen mit Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft der Scheidung die Gestaltungsmöglichkeiten auf Eintritt in eine Mietverhältnis oder auf die Begründung eines solchen Mietverhältnisses erlöschen. Diese Sperrwirkung ist ebenso gültig für den Überlassungsanspruch gemäß § 1568a Abs.1/2 BGB und kann daher vom Nichteigentümer nach Ablauf eines Jahres nicht mehr geltend gemacht werden.
  • Ein auf § 985 BGB gestütztes Herausgabeverlangen des Eigentümers ist daher grundsätzlich begründet.

Der BGH hat sich für Rechtsklarheit entschieden, wonach mit Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft der Scheidung nur noch die Eigentumsverhältnisse eine Rolle spielen. Auch Belange des Kindeswohles sind insoweit unbeachtlich, weil der Zeitraum von einem Jahr ab Rechtskraft der Scheidung jedenfalls ausreichend ist, um noch eine Wohnungsüberlassung i. S. des § 1568a BGB zu beantragen. Wer dies versäumt kann sich auf Billigkeitsgründe oder Kindeswohlgründe nicht mehr berufen. Da der Ex-Ehefrau auch aus anderen Gründen ein Recht zum Besitz an der Wohnung nicht zustand (etwa eine sonstige Vereinbarung zwischen den Beteiligten auf Nutzung der Wohnung), hat der BGH die Verpflichtung zur Herausgabe an den Mann/Eigentümer bestätigt.

Rechtsprechung kompakt

BVerfG, Beschluss vom 09.11.2020 – Az. 1 BvR 697/20  – Art. 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG, §§ 1603, 1609 BGB

NZFam 2021, Seite 74

Die Auferlegung unverhältnismäßiger Unterhaltspflichten verletzt die Handlungsfreiheit der Betroffenen.

Das BVerfG hatte über eine Fall zu entscheiden, in dem die Unterhaltsschuldnerin (in dem Fall die Mutter eines minderjährigen Kindes) Einkünfte aus einer Teilzeitbeschäftigung (20 Stunden) erzielte sowie ergänzende Sozialhilfeleistungen. Zur Erfüllung ihrer gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Kind wurden ihr vom OLG fiktive Einkünfte aus einer Tätigkeit von 48 Stunden in ihrem erlernten, aber seit langem nicht ausgeübten Beruf einer Floristin zugerechnet. Dies führte zur Verurteilung zur Bezahlung des Mindestunterhaltes.

Das BVerfG hält weiterhin die Zurechnung fiktiver Einkünfte als verfassungsrechtlich unbedenklich (so schon BVerfG, FamRZ 2012, Seite 1283 u. a.). Dies ergibt sich auch aus Art. 6 Abs. 2 GG, der niedergelegten Pflicht zur Pflege und Erziehung der Eltern ihrer Kinder (dies ergibt sich ebenso aus § 1603 BGB). Sollte jedoch vom Unterhaltsschuldner subjektiv oder objektiv Unmögliches verlangt werden, würde das gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners muss gegeben sein, um das bei fiktiver Zurechnung von Einkünften beurteilen zu können, sind die Entscheidungsgrundlagen in einem Urteil/Beschluss offenzulegen. Das sieht das BVerfG in der zugrundeliegenden OLG-Entscheidung als verletzt an.

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt voraus, dass subjektive Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners fehlen. Danach muss ein arbeitsloser Unterhaltsschuldner sich intensiv um Arbeit bemühen. Dazu reicht nicht die Stellensuche beim Jobcenter, sondern auch Eigeninitiative ist notwendig (über Vermittlungsagenturen etc.). Notfalls muss eine Tätigkeit angenommen werden, die außerhalb des erlernten Berufs ist, bis hin zu Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten. Fiktive Einkünfte sind jedoch nur dann zuzurechnen, wenn solche Einkünfte objektiv erzielbar sind. Um die reale Beschäftigungschance zu beurteilen, sind die persönlichen Umstände des Schuldners zu berücksichtigen, das sind Alter, berufliche Qualifikation, Gesundheitszustand sowie objektiv das Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen. Beweispflichtig ist der Unterhaltsschuldner (BGH, FamRZ 2017, Seite 109).

Legt der Unterhaltsschuldner dies alles dar, haben die Gerichte im Einzelnen darzulegen, welches unterhaltsrechtliche Einkommen der Unterhaltsschuldner erzielen muss/kann, um den Unterhalt aufbringen zu können. Dazu muss das Gericht feststellen, welches Brutto-/Nettoeinkommen hierfür notwendig wäre. Am Ende dieser Berechnungen hat ein konkreter Einkommensbetrag zu stehen, der dann zur weiteren Prüfung führt, ob dann dieses Einkommen nach den persönlichen Voraussetzungen des Schuldners und den objektiven Gegebenheiten am Arbeitsmarkt erzielbar ist. Hier reichen bloße Behauptungen zum Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen nicht aus. Die Gerichte müssen Erkundigungen bei den Jobcentern einholen und die in der Region erzielbaren Einkommen über das Internet ermitteln. Eine unzureichende Arbeitssuche ist nur bei festgestelltem Fehlen einer realen Beschäftigungschance aufgrund schlechter Arbeitsmarktlage (z. B. wegen COVID-19-Pandemie) oder subjektiver Hemmnisse (z. B. fehlende Qualifikation, Krankheit etc.) unschädlich, im Normalfall ist eine ausreichende Arbeitssuche vom Unterhaltsschuldner darzulegen. Das BVerfG moniert im vorliegenden Fall, dass das OLG die Aussage, die Unterhaltsschuldnerin könne 48 Stunden pro Woche als Floristin arbeiten, unreflektiert in der Entscheidung niedergelegt hat ohne dies ausreichend begründet zu haben.

Die Instanzgerichte neigen dazu, sehr schnell fiktive Einkünfte anzunehmen, dem schiebt das BVerfG einen Riegel vor und verlangt eine intensive Begründung. Richtschnur kann dabei sein der gesetzliche Mindestlohn, aber auch der ist aufgrund subjektiver Umstände (Krankheit etc.) zu hinterfragen.

Weil das OLG keine tragfähigen Feststellungen hierzu beinhaltet, ist es nicht ausgeschlossen, dass bei einer gebotenen umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine Festlegung von Kindesunterhalt zumindest in der beschlossenen Höhe nicht geboten gewesen wäre. Da das BVerfG einen Eingriff in das Grundrecht sieht, wenn unverhältnismäßige Unterhaltspflichten auferlegt werden, haben zukünftig die Gerichte sehr detailliert ihre Entscheidung hinsichtlich der Zurechnung fiktiver Einkünfte zu begründen. Ob dadurch die Zurechnung fiktiver Einkünfte zukünftig „weniger“ werden, bleibt zu bezweifeln, da in jedem Einzelfall letztendlich der Begründungsnotwendigkeit des BVerfG Rechnung getragen werden kann und auch wird, eben mit einem etwas höheren Begründungsaufwand der Gerichte verbunden.

BGH, Beschluss vom 16.09.2020 – Az. XII ZB 499/19 – §§ 1605, 1606 Abs. 3, 1610 BGB

FamRZ 2021, Seite 28

  1. Ein Auskunftsanspruch des Kindes gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil entfällt nicht allein aufgrund der Erklärung des Unterhaltspflichtigen, er sei „unbegrenzt leistungsfähig“ (im Anschluss an Senatsbeschluss BGH, FamRZ 2018, 260).
  2. Eine begrenzte Fortschreibung der in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Bedarfsbeträge bis zur Höhe des Doppelten des höchsten darin (zur Zeit) ausgewiesenen Einkommensbetrags ist nicht ausgeschlossen (Fortführung von BGH FamRZ 2018, Seite 260 und BGH FamRZ 2020, Seite 21; teilweise Aufgabe BGH FamRZ 2000, Seite 358 und FamRZ 2001, Seite 1603).
  3. Übersteigt das Einkommen des Unterhaltspflichtigen diesen Betrag, bleibt eine Einkommensauskunft bei Geltendmachung eines neben dem Tabellenbedarf bestehenden Mehrbedarfs erforderlich, um die jeweilige Haftungsquote der Eltern bestimmen zu können.

Auf diese Entscheidung ist in der Düsseldorfer Tabelle ab 01.01.2021 ausdrücklich nach der 10. Einkommensgruppe, somit für Einkünfte des Unterhaltsverpflichteten ab 5.501 €, hingewiesen.

Bislang gingen die Rechtsprechung und der BGH davon aus, dass bei Einkünften oberhalb der 10. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle ein höherer Bedarf als der, der sich aus 160 % des Mindestunterhalts errechnet, nur durch eine konkrete Unterhaltsbedarfsdarlegung geltend gemacht werden kann. Bislang wurde in der Düsseldorfer Tabelle auf die „Umstände des Einzelfalles“ verwiesen. Aus diesem Grund war es bislang dem Unterhaltspflichtigen möglich, sich für „unbegrenzt leistungsfähig“ zu erklären und sich zu verpflichten 160 % des Mindestunterhaltes zu bezahlen. Da das unterhaltsberechtigte Kind höheren Unterhalt nur durch eine konkrete Bedarfsdarlegung verlangen konnte, bestand auch grundsätzlich in diesen Fällen keine Auskunftsverpflichtung. Im zugrundeliegenden Fall war der Sachverhalt exakt dieser. Die minderjährige Tochter, vertreten durch die Mutter, verlangte Auskunft vom Vater, obwohl er sich unbegrenzt leistungsfähig erklärt hatte. Nachdem schon das Amtsgericht als auch das OLG die grundsätzliche Auskunftspflicht des Vaters bejaht hatten, hat der BGH diese Entscheidungen bestätigt und wie folgt begründet:

Ein Kind leitet seinen Unterhaltsanspruch von der Lebensstellung und somit auch von dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen ab, ohne dabei einen Anspruch auf Teilhabe am Luxus zu haben. Der Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle ist insoweit kein Maßstab, um dies beurteilen zu können, vielmehr kommt es auf das tatsächliche Einkommen an, es macht eben einen Unterschied, ob der barunterhaltspflichtige Elternteil 6.000 € netto erzielt oder z. B. 20.000 €. Erst bei Kenntnis des tatsächlichen Einkommens kann man Aussagen darüber treffen, ob etwaige Zusatzaufwendungen des Kindes oder höhere Ausgaben des Kindes als diejenigen, die in den Unterhaltsbeträgen prozentual „eingearbeitet“ sind, angemessen sind oder Luxus darstellen. Da das Kind seine Lebensstellung vom Unterhaltspflichtigen ableitet, ist es daher schon von Bedeutung, ob monatliche/jährliche Urlaubsausgaben in einem 3-Sterne-Hotel oder in einem 4/5-Sterne-Hotel als Luxus zu bezeichnen sind oder nicht.

Die Düsseldorfer Tabelle ist insoweit für Nettoeinkommen bis 5.500 € „schematisiert“. Ab 5.501 € erlaubt der BGH nunmehr auch eine angemessene Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle zumindest bis zum Doppelten der obersten Einkommensgruppe der DT (11.000€). Insoweit bezieht sich der BGH auf seine neue Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt wonach auch bis zu diesem Nettoeinkommen eine schematisierte Quotenunterhaltsberechnung nach dem Halbteilungsgrundsatz möglich ist und daher erst darüber hinaus eine konkrete Bedarfsdarlegung verlangt wird (zuletzt BGH, FamRZ 2020, Seite 21). Dies wendet der BGH nunmehr auch auf den Kindesunterhalt an und lässt eine schematisierte/pauschalierte Erhöhung der 160 % des Mindestunterhaltes zumindest bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € zu – darüber hinaus verbleibt es bei der Verpflichtung zur konkreten Darlegung des Unterhaltes. Der BGH verweist zudem darauf, dass sogar anders als beim Ehegattenunterhalt ein Kind an Karrieresprüngen des Unterhaltspflichtigen teilhat und auch vom Splittingvorteil von einer neuen Ehe profitiert.

Einschränkend weist der BGH darauf hin, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes nicht dazu führen kann, dass das Kind am Luxus der Eltern teilnimmt und insbesondere, dass Unterhalt nicht zur Vermögensbildung dient. Trotzdem ist eine sogenannte degressive (stetig abnehmende) Fortschreibung der DT bis 11.000 € möglich, zudem verbleibt natürlich dem Kind die konkrete Darlegung eines höheren Bedarfs.

Aus diesem Grund kann der Unterhaltspflichtige sich seiner Auskunftsverpflichtung nicht dadurch entziehen, dass er sich uneingeschränkt leistungsfähig erklärt, und daher hat der BGH den Vater zur Auskunft verpflichtet. Letztendlich gesteht der BGH mit der Fortschreibung der DT über 5.501 € hinaus dem Kind erhöhte Bedarfspositionen zu, die in der Struktur der DT grundsätzlich enthalten sind (wie z. B. erhöhter Wohnbedarf, erhöhter Urlaubsbedarf, erhöhter Freizeitbedarf). Zusätzlich kann ein Kind einen darüber hinaus gehenden Mehrbedarf/Sonderbedarf, der in der Struktur der DT nicht beinhaltet ist zusätzlich geltend machen.

Die Auskunftsverpflichtung besteht nicht nur deshalb, um etwa bei einem Mehrbedarf/Sonderbedarf eine Quote im Verhältnis zum anderen Elternteil ermitteln zu können, sondern auch und insbesondere um eine mögliche Fortschreibung der DT über die 10. Einkommensgruppe hinaus beurteilen zu können und um festzustellen, ob im Verhältnis zur Lebensstellung des Unterhaltspflichtigen von Luxusansprüchen des Kindes zu sprechen ist oder ob die Höhe des Unterhalts noch als angemessener Bedarf zu werten ist.

Für die Praxis wird das in Zukunft bedeuten, dass bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € die unterhaltsberechtigten Kinder ihren Unterhaltsanspruch auch über die 160 % des Mindestunterhaltes hinaus beziffern werden, ohne ihren konkreten Bedarf darlegen zu müssen, sondern ausschließlich indem durch degressive Fortschreibung der DT eine Art „erhöhten Tabellenbetrag“ geltend gemacht wird. Wer also mehr als 5.500 € netto erzielt, wird sich darauf einstellen müssen, in Zukunft mehr als die 160 % des Mindestunterhaltes bezahlen zu müssen. Es steht zu erwarten, dass ab dem Jahr 2022 die Düsseldorfer Tabelle bis zu einem Einkommen von 11.000 € fortgeschrieben wird und diese Entscheidung in Tabellenform umgesetzt wird.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11.11.2020 – Az. 3 UF 156/20 – § 1684 BGB; Art. 6 GG

NZFam 2021, Seite 124

Ein getrennt lebender Kindesvater ist auch gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen zum Umgang mit den Kindern verpflichtet, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient.

Die Eheleute leben getrennt, aus der Ehe sind drei Söhne hervorgegangen, Umgangskontakte finden nur sporadisch statt. Die Mutter hat ein Umgangsverfahren eingeleitet, um die in § 1684 BGB normierte Umgangspflicht durchzusetzen, nachdem sich die Kinder mit dem Vater einen regelmäßigen Umgang wünschten. Der Vater will nur „das Beste“ für seine Kinder, es sei ihm jedoch derzeit nicht möglich, Umgang wahrzunehmen, er sei erneut Vater geworden, stünde unter starkem beruflichen Druck und schlafe täglich maximal 4 Stunden und sei in Therapie. Das Amtsgericht hat Umgang festgelegt an jedem ersten Sonntag im Monat in der Zeit von 9.00 bis 19.00 Uhr, darüber hinaus auch Ferienumgangszeiten. Das Gericht ist insoweit dem Wunsch der Kinder gefolgt, Umgang mit dem Vater zu haben und hat dabei auch die begrenzten zeitlichen Ressourcen des Vaters berücksichtigt. Der Vater hat hiergegen Beschwerde eingelegt und insbesondere darauf verwiesen, dass seine Ablehnungshaltung insbesondere von gesundheitlichen Überlegungen motiviert ist und verweist auf die Gefahr eines Zusammenbruchs aufgrund der psychischen/physischen Gesamtbelastung, die ihm medizinisch attestiert ist.

Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Vaters abgewiesen, und dies damit begründet, dass in § 1684 BGB nicht umsonst eine Umgangspflicht normiert ist, die auf Art. 6 GG zurückzuführen ist. Zwar können danach Eltern grundsätzlich frei darüber entscheiden, wie sie ihrer Elternverantwortung gerecht werden, Richtschnur ist aber immer das Wohl des Kindes. Durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist den Eltern die Pflicht auferlegt, ihr Kind zu pflegen und zu erziehen. Die Elternverantwortung ist dem Wohl des Kindes verpflichtet, zumal die Eltern das gemeinsame Sorgerecht haben. Die Verweigerung eines Umgangs stellt eine Vernachlässigung eines wesentlichen Teils der auferlegten Erziehungspflicht dar. Die Umgangspflicht ist geeignet, die Beziehung zwischen dem Kind und dem Elternteil zu fördern. Es ist auch nicht auszuschließen, dass ein zum Umgang verpflichteter Elternteil, selbst wenn er zunächst an einem regelmäßigen Umgang kein Interesse hatte, sich durch die auferlegte Umgangspflicht in seiner Haltung verändert. Das Oberlandesgericht führt hierzu noch weiter aus und kommt zu dem Ergebnis, dass es einem Elternteil zumutbar ist, auch unter Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitssphäre zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem Kindeswohl dient.

Dem steht auch nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, FamRZ 2008, Seite 845, entgegen, denn im hiesigen Fall dient der Umgang dem Kindeswohl, sodass allein der entgegenstehende Wille des Umgangsverpflichteten nicht ausschlaggebend ist. Das Gericht hat in Anhörungen sowohl der Kinder als auch aus den Stellungnahmen des Verfahrensbeistandes entnommen, dass eine Sehnsucht der Kinder nach dem Vater in erheblichem Maße feststellbar ist. Auch das Jugendamt hat einen Umgang zum Wohle der Kinder mehr als befürwortet. Die eingeschränkte Umgangsverpflichtung, wie sie das Amtsgericht entschieden hat, ist daher nicht abzuändern.

Das Oberlandesgericht macht deutlich, dass das Umgangsrecht letztendlich auch ein grundrechtlich normiertes Recht des Kindes ist. In der Diskussion sind immer wieder die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, im Rahmen des Schutzes und der Fürsorge ist das Recht auf Umgang bereits im Grundgesetz festgeschrieben. Grundsätzlich muss daher ein Gericht eine Umgangsregelung treffen und kann nur in ganz engen Grenzen hiervon absehen. Problematisch ist, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG (FamRZ 2008, Seite 845) ein umgangsunwilliger Elternteil nicht unter Androhung von Ordnungsmitteln zum Umgang gezwungen werden kann. Dies hat das BVerfG damit begründet, dass das Kindeswohl bei zwangsweisem Umgang gefährdet sein wird, weil nicht davon auszugehen ist, dass der umgangsunwillige Vater den Umgang dann kindeswohlgerecht gestaltet. Ausnahmsweise kann dies jedoch anders sein, wenn im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass auch ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen wird. So lag der Fall hier, denn der Vater hatte ja bekundet, dass er in Sorge um seine Kinder sei und grundsätzlich Umgang pflegen wollte, aber die jetzigen Umstände dies nicht zuließen. Er hatte auch bis zur Trennung mit seinen Kindern zusammengelebt. Anders der Fall des BVerfG, dort ging es um ein nichtehelich geborenes Kind, welches der Vater seit der Geburt abgelehnt hatte, weil er nur so seine Ehe und die aus der Ehe stammenden Kinder schützen könne.

Wie man sieht zwei grundsätzlich unterschiedliche Fälle, die wohl auch anders zu beurteilen sind. Im Fall des BVerfG hatten die Gerichte einen erzwungenen Umgang als nicht kindeswohldienlich eingestuft, im Fall des OLG Frankfurt wird ein erzwungener Umgang als kindeswohldienlich bejaht. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Vater seine Kinder im Rahmen des erzwungenen Umgangs „abstößt“ oder irgendwie schlecht behandelt, was im Fall des BVerfG befürchtet wurde. Diese Einschätzung des OLG Frankfurt erscheint nachvollziehbar, der Vater wird sein „Zeitmanagement“ zwar umstellen müssen, dies scheint jedoch zum Wohle der Kinder möglich und angezeigt. Das OLG hat sich sehr viel Mühe gegeben, hier im Einzelfall eine Umgangsverpflichtung auszusprechen und hat diese Entscheidung nachvollziehbar begründet und ist daher zu begrüßen. Die Entscheidung einem Elternteil eine Umgangspflicht zwangsweise aufzuerlegen bedarf im Einzelfall einer umfangreichen Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Sachlage und ist nur im Einzelfall zu beurteilen. Daher soll die Entscheidung des OLG Frankfurt aufzeigen, dass eine Ablehnung einer zwangsweisen Umgangspflicht, wie sie das BVerfG seinerzeit ausgesprochen hatte, nicht auf alle Fälle anzuwenden ist und durchaus Spielraum für die Auferlegung einer Umgangspflicht verbleibt.

Die Entscheidung, auch trotz Verweigerungshaltung eines Elternteiles eine Umgangspflicht festzusetzen, ist begrüßenswert, da nicht einem Elternteil alleine die Last der Kinderbetreuung auferlegt werden soll. Auf der anderen Seite muss dann aber auch das Umgangsrecht beachtet werden und Verweigerungshaltungen des betreuenden Elternteiles im Rahmen des Umgangsrechtes des nicht betreuenden Elternteiles entgegengewirkt werden, indem nur in besonderen Ausnahmefällen eine Umgangseinschränkung möglich ist. Ebenso wie nur in besonderen Ausnahmefällen eine Umgangspflicht ausgeschlossen werden kann. Grundsätzlich sollten beide Elternteile dieselben Rechte und Pflichten haben und der Maßstab für „Ausnahmefälle“ gleichermaßen angewandt werden.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.06.2020 – Az. 9 UF 254/19 – § 1579 Nr. 2 BGB

(NZFam 2020, Seite 881)

  1. Eine verfestigte Lebensgemeinschaft im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB kann angenommen werden, wenn objektive, nach außen tretende Umstände wie etwa ein über einen längeren Zeitraum hinweg geführter gemeinsamer Haushalt, das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, größere gemeinsame Investitionen wie der Erwerb eines gemeinsamen Familienheims oder die Dauer der Verbindung den Schluss auf eine verfestigte Lebensgemeinschaft nahelegen.
  2. Für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB kommt es darauf an, ob die Partner ihre Lebensgemeinschaft so aufeinander eingestellt haben, dass sie wechselseitig füreinander einstehen, indem sie sich gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewähren und damit das Zusammenleben ähnlich gestalten wie Ehegatten.
  3. Vor Ablauf einer gewissen Mindestdauer wird sich in der Regel nicht verlässlich beurteilen lassen, ob die Partner nur „probeweise“ zusammenleben oder ob sie auf Dauer in einer gefestigten Gemeinschaft leben. Je fester allerdings die Verbindung nach außen in Erscheinung tritt, umso kürzer wird die erforderliche Zeitspanne anzunehmen sein.
  4. Die Voraussetzungen für die Anwendung von § 1579 Nr. 2 BGB können erst nach einer Dauer der Beziehung von regelmäßig zwei bis drei Jahren angenommen werden. Die Zeitspanne kann kürzer sein, wenn aufgrund besonderer Umstände schon früher auf eine hinreichende Verfestigung geschlossen werden kann, insbesondere bei einer bereits umgesetzten gemeinsamen Lebensplanung, z. B. in Form von gemeinsamen erheblichen Investitionen.
  5. Bei einer Beziehung, die nicht überwiegend durch ein Zusammenwohnen und auch nicht durch ein gemeinsames Wirtschaften geprägt ist, ist eine verfestigte Beziehung dann erreicht, wenn die Partner seit fünf Jahren in der Öffentlichkeit, bei gemeinsamen Urlauben und der Freizeitgestaltung als Paar auftreten und Feiertage und Familienfeste zusammen mit Familienangehörigen verbringen.

Das Gesetz kennt beim Ehegattenunterhalt Einschränkungsmöglichkeiten bei grober Unbilligkeit. Dies ist in § 1579 BGB normiert. Häufig wir die grobe Unbilligkeit darauf gestützt, dass der Unterhaltsberechtigte in einer verfestigten Lebensgemeinschaft mit einem neuen Partner lebt. Es müssen Umstände vorliegen, die eine fortwirkende Unterhaltsverpflichtung unzumutbar erscheinen lassen. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob die neuen Lebenspartner ihre Lebensverhältnisse so aufeinander eingestellt haben, dass sie wechselseitig füreinander einstehen und die neue Lebensgemeinschaft gleichsam an die Stelle einer Ehe getreten ist. Die Rechtsprechung versucht immer wieder Kriterien herauszuarbeiten, ab wann dies der Fall ist. Angenommen wird dies bei einer Dauer von 2 – 3 Jahren, wenn nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles schon früher auf eine hinreichende Verfestigung geschlossen werden kann. Dies liegt vor, wenn durch erhebliche gemeinsame Investitionen eine gemeinsame Lebensplanung schon umgesetzt ist. Selbiges gilt bei der Geburt eines Kindes aus der neuen Gemeinschaft oder auch der Anmietung einer gemeinsamen Wohnung nach wenig mehr als einem Jahr. Ein räumliches Zusammenleben ist grundsätzlich nicht Voraussetzung, wenn die Partner jedoch in getrennten Wohnungen leben, wird eine Verfestigung nur schwer nachzuweisen sein. Der Unterhaltsberechtigte wird die Lebensbereiche mit dem neuen Partner möglichst getrennt halten und darauf hinweisen, dass im Hinblick auf die Erfahrungen der vorausgegangenen Beziehung die neue bewusst auf Distanz gehalten wird und diese Form der Lebensgestaltung zu respektieren ist, mit der Folge, das Unterhalt weiter geschuldet ist (BGH, FamRZ 2002, Seite 23; BGH, FamRZ 2011, Seite 1498). Auch das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit kann zur Annahme einer verfestigten Gemeinschaft führen, so das „Auftreten als Paar“ in Gestalt gemeinsamer Urlaube, gemeinsame Familienfeste, aber auch ein gemeinsames Erscheinen in öffentlichen Netzwerken (Stichwort: Facebook). Besonders ausgiebiges Posten bzgl. des „neuen Glücks“ führt sehr leicht zur Unterhaltsverwirkung.

Das OLG Brandenburg hatte den Fall zu entscheiden, bei der die Unterhaltsberechtigte zweimal mit dem neuen Mann im Urlaub war und überwiegend der „Neue“ bei der Unterhaltsberechtigten gewohnt hat (Ergebnis der Beauftragung eines Detektivbüros). Sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht hat den Unterhaltspflichtigen zur weiteren Zahlung von Unterhalt verpflichtet, da es im Einzelfall noch keine ausreichende Verfestigung der neuen Lebensgemeinschaft feststellen konnte. Wenn die neuen Partner zusammenwohnen, geht die Rechtsprechung von einer Verfestigung wie schon erwähnt erst nach ca. 2/3 Jahren aus, leben sie nicht zusammen und sind trotzdem nach den Kriterien der Rechtsprechung Gemeinsamkeiten vorhanden, die eine Verfestigung begründen, wird diese erst nach ca. 5 Jahren anzunehmen sein. Dies bekräftigt das Oberlandesgericht in den Leitsätzen Nr. 4/5. Zwei gemeinsame Reisen und „gegenseitige Besuche“ reichen grundsätzlich nicht aus, es muss festgestellt werden, dass die neuen Partner füreinander einstehen, sie sich gegenseitige Hilfe und Unterstützung gewähren, auch durch regelmäßige Unterstützungsleistungen bei getrennten Wohnsitzen etc. Bloße wechselseitige Besuche der in verschiedenen Wohnungen lebenden Partner lassen, auch wenn sie sich bei der täglichen Hausarbeit unterstützen, allein noch nicht auf eine Verfestigung schließen (Palandt, 80. Auflage 2021, § 1579 Rdn 11-15 mit weiteren Einzelfallrechtsprechungsnachweisen).

Mit dieser Entscheidung soll aufgezeigt werden, dass der Nachweis einer verfestigten Lebensgemeinschaft als Verwirkungsgrund für Ehegattenunterhalt zumeist schwer zu führen sein wird, und insbesondere bei fehlendem Zusammenleben kaum vor Ablauf von 5 Jahren trotz entsprechendem Auftreten in der Öffentlichkeit hiervon ausgegangen werden kann.

AG Dieburg, Beschluss vom 07.12.2020 – Az. 51 F 308/20 – §§ 1628, 1687 BGB

(NZFam 2021, Seite 174)

Für eine soziale Entwicklung von Kindern ist der Kindergartenbesuch in der Regel förderlich, sodass die Masernimpfung dem Wohl des Kindes in der Regel auch dienlich ist und auch den Impfempfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO) entspricht.

Das AG Dieburg hat in einem Verfahren auf Übertragung der Entscheidungsbefugnis in einer sorgerechtlichen Frage (§ 1628 BGB) darüber zu befinden gehabt, ob ein Kind geimpft wird, insbesondere um auch den Kindergartenbesuch nicht zu gefährden. Der Kindergarten schreibt eine Masernimpfung vor. Der Vater verweigerte seine Zustimmung zu den Impfungen, entgegen der STIKO-Empfehlungen.

Der Vater hat – wie in diesen Fällen üblich – auf Impfgefahren hingewiesen, er hat auch damit argumentiert, dass er arbeitslos sei und er das Kind betreuen könnte und es daher nicht in den Kindergarten müsse. Das Amtsgericht hat sich die Impfempfehlungen der STIKO zu Eigen gemacht und auf die von der STIKO vorgenommene Risikoabwägung hingewiesen. Zudem die Kindswohldienlichkeit eines Kindergartenbesuches bejaht, sogar darauf hingewiesen, dass ein Kindergartenbesuch für die soziale Entwicklung von Kindern förderlich ist.

Diese Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des BGH (NZFam 2017, Seite 561), wonach Schutzimpfungen nach den Empfehlungen der STIKO der Vorrang zu geben ist. Es steht zu erwarten, dass diese Rechtsprechung angesichts der anstehenden Corona-Schutzimpfungen auch für Minderjährige zukünftig erheblich an Bedeutung gewinnen wird.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.08.2020 – Az. 9 UF 119/20 – § 1684 BGB

(NZFam 2020, Seite 976)

  1. Der Ort, an dem der Umgang auch für den Ferien-/Feiertagsumgang stattfinden soll, wird bis zur Grenze der Kindeswohlgefährdung vom Umgangsberechtigten bestimmt, weshalb es seine Aufgabe ist, das bereits zur Umgangszeit zählende Abholen und Zurückverbringen des Kindes zu organisieren und die entsprechenden Kosten zu tragen.
  2. Organisiert der Umgangsberechtigte einen Abhol-Transport des Kindes und ist dieser wegen des Ausfalls eines Transportmittels nicht möglich, ist dies letztendlich seinem Risikobereich zuzuweisen. Sollte durch den Ausfall des Transportmittels ein Umgang nicht möglich sein, fällt dieser ersatzlos aus, sofern die Eltern nicht einverständlich eine Ersatzregelung vereinbaren.
  3. Auflagen betreffend FFP2-Masken als Schutzmaßnahmen gegen Corona sind gegenüber dem Antragsteller bzw. den Kindeseltern schlechthin nicht angezeigt. Ein Anspruch auf Einhaltung der Corona-Regeln während der Wahrnehmung von Umgang besteht jedenfalls im Regelfall nicht. Es versteht sich von selbst, dass der Umgangsberechtigte im Rahmen der Ausgestaltung der Umgangskontakte die von der (Landes) Regierung getroffenen Maßnahmen einhalten wird, um sich, seine Kinder und Dritte nicht unnötig der Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus auszusetzen.

Können sich Eltern nicht über die Ausgestaltung des Umgangsrechtes einigen, muss das Familiengericht gemäß § 1684 BGB entscheiden. Daher ist vonnöten, dass über Art und Zeit des Umgangs (Tag, Uhrzeit, Ferien, Geburtstag, Umgangsfrequenz etc.) eine konkrete Regelung getroffen ist. Grundsätzlich gehört hierzu auch, wer das Abholen und das Zurückbringen zu erledigen hat. Gibt es hierzu keine Regelung, gilt der Grundsatz, dass der Umgangsberechtigte diese Fahrten/Weg zu erledigen hat. Selbiges gilt hinsichtlich der Kostentragungspflicht, auch während der Umgangszeiten. Wo der Umgang stattfindet obliegt ausschließlich dem Umgangsberechtigten, es sei denn der Ort wäre kindeswohlgefährdend (z. B. Spielhölle). Nähere Vorgaben kann der jeweils andere nicht verlangen und muss ein Gericht auch nicht in einem Beschluss umsetzen. Selbstverständlichkeiten, wie z. B. das Einhalten von Corona-Regeln, sind nicht zu beschließen und auch nicht geboten. Häufig erwartet der Elternteil, der das Kind hauptsächlich betreut, eine detaillierte Handlungsanweisung an den Umgangsberechtigten, was jedoch, wie oben dargelegt, seine Grenzen hat.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.12.2020 – Az. 20 UF 56/20 – §§ 1671 Abs. 1, 126 Abs. 3 Satz 1 BGB

(NZFam 2021, Seite 175)

  1. Zur Frage, ob und inwieweit die Ermöglichung einer geteilten Betreuung im Sinne eines Wechselmodells auch im Rahmen eines Sorgerechtsstreits (Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts) erfolgen kann (hier: offengelassen).
  2. Ein Wechselmodell ist auf Seiten des Kindes nur in Betracht zu ziehen, wenn eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen besteht. Wesentlicher Aspekt ist zudem, vor allem bei Kindern im Jugendalter, der vom Kind geäußerte Wille. Im Verhältnis der Eltern erfordert das Wechselmodell regelmäßig einen erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarf, so dass bei bestehender hoher elterlicher Konfliktbelastung ein Wechselmodell in der Regel nicht dem Kindeswohl entspricht (vgl. BGH NZFam 2017, 206).
  3. Kommt danach ein Wechselmodell nicht (mehr) in Betracht, kann das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht beibehalten werden, weil die Eltern sich über den künftigen Lebensmittelpunkt ihres Sohnes nicht einig sind.

Das Wechselmodell kann von einem Gericht nur dann per Beschluss angeordnet werden, wenn auf Seiten der Eltern Konsens- und Kompromissfähigkeit festgestellt werden kann. Die großen Probleme des Wechselmodells finden sich nicht in der Frage, ob Grundlage einer Wechselmodellanordnung ein umgangsrechtliches oder sorgerechtliches Verfahren sein muss, viel problematischer sind die praktischen Auswirkungen. Warum schafft es der Gesetzgeber nicht, Regelungen zu finden, die gerade im Wechselmodell grundsätzlich zu einer hälftigen Teilhabe führen? Das gilt insbesondere für das Kindergeld, für Pflegegelder behinderter Kinder, für das sogenannte Landespflegegeld oder andere staatliche Leistungen, die nur an einen berechtigten ausgezahlt werden. Warum kann ein Kind nur bei einem Elternteil seinen Erstwohnsitz haben? Wer ist Inhaber des Melderechts gegenüber Meldebehörden? Vielleicht sieht der Gesetzgeber zwar den zunehmenden Wunsch auf ein Wechselmodell, erkennt jedoch auch, dass Konfliktpotential, was dann mit ständigem Wechsel einhergehen könnte. Wechselmodell und alleiniges Sorgerecht schließen sich letztendlich inhaltlich aus. Trotzdem wird es immer wieder zumindest Entscheidungen nach § 1628 BGB geben, wonach auch im Wechselmodell die Alleinentscheidungsbefugnis für spezielle Fragen des Sorgerechts auf ein Elternteil zu übertragen ist. Häufen sich jedoch derart gerichtliche Konflikte, wird das Wechselmodell auf Dauer nicht der richtige Ansatz sein. Einem Familienrichter sind ohnehin insoweit die Hände gebunden, da er bei Feststellung fehlender Kooperationsfähigkeit der Eltern ein Wechselmodell nicht anordnen kann, selbst wenn die Eltern dieses wollen. Das Kindeswohl steht im Mittelpunkt. Wenn die Eltern sich im Wechselmodell schlichtweg nicht einig sind, erscheint das Kindeswohl gefährdet. Ob dann ein Gericht überhaupt eine gerichtliche Vereinbarung der Eltern eines Wechselmodells gerichtlich „billigen“ kann und darf, ist offen. Denn wenn die Eltern sich über die Ausgestaltung von Sorgerechtsfragen nicht einig sind, wird insbesondere im Wechselmodell dann der Streit der Eltern auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Diese stehen praktisch „zwischen den Stühlen“, was ja ohnehin gegeben ist, da sie ständig einem Loyalitätskonflikt ausgesetzt sind. Es ist daher schon zu überlegen, ob das Wechselmodell in allen Fällen der richtige Weg ist.

Corona kompakt

OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.07.2020 – Az. 9 WF 444/20 – § 89 FamFG

(nicht veröffentlicht)

Die Verweigerung des Umgangs wegen des allgemeinen Infektionsrisikos führt nicht automatisch zu einem schuldhaften Verstoß gegen eine bestehende Umgangsregelung. Im vorliegenden Einzelfall ist das gemäß § 89 FamFG auszuübende Ermessen dahingehend auszulegen, dass eine Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht verhältnismäßig war.

Für die Zukunft und für den Fall einer zweiten Corona-Welle ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass aufgrund besserer Datenlage und entwickelter Hygiene- und Schutzmaßnahmen ohne Hinzutreten besonderer Umstände Umgangskontakte nicht ohne Sanktionen zu verweigern sind.

Bei dieser Entscheidung handelt es sich um die zweitinstanzliche Entscheidung des zugrundeliegenden Sachverhaltes AG Hersbruck, Az. 08 F 83/19 (siehe Urteilsbank ISUV-Report Nr. 164, Seite 19). Das OLG hat die Ordnungsgeldentscheidung des Amtsgerichtes aufgehoben und erkannt, dass in der „Hochzeit“ der Pandemie März/April große Unsicherheit herrschte und aufgrund unterschiedlicher Infektionsrisiken in der Familie der Mutter und der des Vaters die Kindsmutter „entschuldbar“ den Kontakt zum Vater zunächst ausgesetzt hat aber auch nach erfolgter Teilaufhebung des „Lockdowns“ unverzüglich den Umgang wieder gewährt hat. Das OLG hat sein Ermessen dahingehend ausgeübt, dass die Sorge um das Kind für die Mutter zum damaligen Zeitpunkt hinsichtlich der Corona-Pandemie zumindest nachvollziehbar war (Einzelfall auch im Hinblick der nicht unterbrochenen Umgangskontakte per Video und der Tatsache, dass zumindest im März beim Kind auch Krankheitssymptome erkennbar waren). Das OLG hat hier anders wie viele andere Gerichte nicht nur die strikte „Verletzung“ einer gerichtlichen Umgangsregelung gesehen, mit der Folge der Verhängung eines Ordnungsgeldes, sondern eine umfassende Ermessensabwägung vorgenommen. Hat die Kindsmutter „einmalig“ entschuldigt, aber auch den Finger erhoben und angemahnt, dass bei einem zweiten Lockdown das in dieser Form wohl nicht mehr zugunsten der Mutter entschieden werden würde.

Insgesamt ist anzuraten, nicht im Wege der Selbstjustiz den Umgang einfach zu unterbrechen, sondern im Wege einer einstweiligen Anordnung eine bestehende vollstreckungsfähige Umgangsregelung abändern zu lassen, um über diesen Weg Rechtssicherheit zu erhalten.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.07.2020 – Az. 1 WF 102/20 – § 89 FamFG

(nicht veröffentlicht)

Ein familiengerichtlich geregelter Umgang darf ohne rechtfertigende Änderungsentscheidung des Familiengerichts nicht unter Hinweis auf die Kontaktbeschränkungen wegen der Verbreitung des Corona-Virus verweigert werden. Gegen einen Elternteil, der den Umgang gleichwohl nicht gewährt, kann ein Ordnungsgeld verhängt werden.

Im hier vorliegenden Fall hat die Kindsmutter trotz Vorliegens einer vollstreckbaren Umgangsregelung Ende März 2020 dem Vater mitgeteilt, dass sie den Umgang aussetzt, da im Haushalt Corona-Risikogruppen lebten. Telefonkontakt etc. wurde ausdrücklich angeboten. Das Amtsgericht hat ein Ordnungsgeld gegen die Mutter festgesetzt. Das OLG hat diese Entscheidung bestätigt. Es liegt nicht in der Dispositionsfreiheit der Mutter sich über eine gerichtliche Umgangsregelung hinwegzusetzen. Das gilt auch und insbesondere in der Corona-Pandemie. Schon das Bundesministerium der Justiz hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Umgangsrechte aufgrund der Corona-Pandemie nicht auszuschließen sind. Die Empfehlung, soziale Kontakte möglichst zu vermeiden, beziehen sich nicht auf die Kernfamilie – was auch getrennt lebende Eltern sind. Auch Eltern in verschiedenen Haushalten sind Kernfamilie. Allein der Umstand, dass sich die Mutter zu ihrem Vorgehen berechtigt gefühlt hat, lässt ihr Verschulden im Hinblick auf die Verhängung eines Ordnungsgeldes (hier 300 €) nicht entfallen. Das OLG weist ausdrücklich darauf hin, dass auch die freiwillig auferlegte Quarantäne wegen der im Haus lebenden Großeltern unbeachtlich sei, die Entscheidung, auch das Kind einer freiwilligen Quarantäne zu unterstellen, unterliegt der gemeinsamen elterliche Sorge und hätte gemeinschaftlich entschieden werden müssen.

Zudem hätte sie vorrangig die bestehende gerichtliche Umgangsregelung ggf. im Wege einer einstweiligen Anordnung angreifen müssen.

Diese Entscheidung liegt im „Trend“, insoweit wird verwiesen auf ISUV-Report Nr. 164 und die dortige Urteilsbank und der dort mitgeteilten Entscheidungen zum Umgangsrecht.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2020 – Az. 13 WF 100/20 – § 89 FamFG

(NZFam 2020, Seite 780)

Die Ausübung des Ermessens in welcher Höhe ein Ordnungsgeld festzusetzen ist, hat sich am Kindeswohl sowie am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren.

Bei der Höhe des Ordnungsgeldes ist der Umfang/Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, die Intensität des Verstoßes und dessen Auswirkungen, der Vorteil des Umgangsverpflichteten und die Gefahr zukünftiger Verletzungshandlungen zu berücksichtigen.

Wie man anhand der Formulierungen schon erkennen kann, ist hier ein großer Ermessensspielraum eröffnet. Ein Gericht muss jedoch die Höhe ggf. „revisionssicher“ begründen. Hauptkriterium wird die Leistungsfähigkeit desjenigen sein, der Umgang verweigert, aber auch die Intensität. Wie aus der Entscheidung des OLG Nürnberg (siehe oben) zu erkennen ist, kann die Ermessensausübung auch dazu führen, dass kein Ordnungsgeld festgesetzt wird. Auch das OLG Brandenburg hat darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die damals beginnende Pandemie eine äußerst unsichere Faktenlage vorlag und selbst Wissenschaftler sich über Art und Weise der Pandemie nicht einig waren.

Durch zahlreiche Entscheidungen der Oberlandesgerichte kann wohl als gesichert festgestellt werden, dass die Corona-Pandemie allein der Durchführung des Umgangs nicht entgegensteht. Bei Verstoß hiergegen ist die Verhängung eines Ordnungsgeldes der Regelfall. Die Sorge des Elternteils, bei dem das Kind lebt, um dessen Gesundheit und eine zugegebenermaßen unklare Pandemielage entlasten jedoch.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.04.2020 – Az. 13 UFH 2/20 – § 1664 BGB

(nicht veröffentlicht)

Der Verstoß gegen die Corona-Ausgangsbeschränkungen rechtfertigt nicht den Obhutswechsel des Kindes von einem Elternteil zum anderen Elternteil.

Der Vater beantragte im Eilverfahren, dass die Kinder statt bei der Mutter zunächst bei ihm leben sollten, weil die Mutter die Corona-Ausgangsbeschränkungen nicht ernst nehme und zählt Kontaktpersonen auf, mit denen sich die Mutter entgegen der Ausgangsbeschränkungen getroffen hat. Der Vater sieht hierin die Erziehungsungeeignetheit.

Das OLG hat in dieser Frage den Antrag abgewiesen, da die Bußgeldverordnungen des Landes ausreichend sind, um die Mutter von entsprechenden Verstößen abzuhalten. Weitere Fragen über die Erziehungsfähigkeit können dann nur im Hauptsacheverfahren geprüft werden. Ein sofortiger Wechsel der Kinder zum Vater sei vorgreiflich und würde ggf. zu einem „Hin und Her“ führen, was dem Kindeswohl nicht förderlich ist.

Mit dieser Entscheidung hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Corona-Pandemie nicht dazu genutzt werden kann, entscheidende Fragen zum Aufenthalt der Kinder in einem Eilverfahren zu lösen.

Amtsgericht Aachen, Beschluss vom 15.05.2020 – Az. 220 F 136/20 – §§ 1628, 1687 BGB

(FamRZ 2020, Seite 1177)

Die betreuende Mutter entscheidet allein über die Notbetreuung der Kinder während der Corona-Pandemie, auch wenn der Vater betreuungsbereit ist.

Beide Eltern sind sorgeberechtigt. Die Besonderheit ist, dass die Mutter mit den Kindern in Deutschland lebt, der Antragsgegner in Großbritannien. Die Mutter beantragt, ihr die Alleinentscheidungsbefugnis zu erteilen, dass die Kinder in eine Notbetreuung gehen können, weil sie in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. Das Amtsgericht hat entschieden, dass selbst dann wenn der Vater bis auf Weiteres im Homeoffice von Deutschland aus agieren könnte, ist es ungewiss, wie lange er dies mit seinen Aufgaben im Hochschulbetrieb in England vereinbaren kann. Auch die Besorgnis, dass die Teilnahme der Kinder bei einer Notbetreuung ein höheres Infektionsrisiko in sich birgt, teilt das Amtsgericht nicht. Auch in einer Notbetreuung ist ein qualifizierter pädagogischer Ansatz zu erblicken und die Außenkontakte sind für die kindliche Entwicklung förderlich. Ob da in gleichem Maße für eine ständige Isolation im häuslichen Umfeld beim Vater im Homeoffice der Fall ist, sei zumindest fraglich. Die schulische Notbetreuung erscheint sogar kindeswohlgerechter.

Deshalb hat das Amtsgericht Aachen der Mutter die Alleinentscheidungsbefugnis für die Notbetreuung übertragen.

Diese Entscheidung geht in die völlig andere Richtung, als die Entscheidung des Amtsgerichts München vom 23.03.2020, Az. 566 F 2876/20 – siehe ISUV-Report Nr. 164, Seite 20. Daran erkennt man, dass für nahezu identische Sachverhalte Gerichte auch völlig anders urteilen können. Wie sagten schon die Politiker: „Für eine solche Pandemie gibt es keine Blaupause.“, das gilt auch für Juristen und deren Entscheidungen.

OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.07.2020 – Az. 2 UF 88/20 – §§ 1628, 1687, 1696 BGB

(NZFam 2020, Seite 781)

Die Flugreise eines Kindes nach Mallorca – zum damaligen Zeitpunkt kein Risikogebiet – ist in Zeiten der Corona-Pandemie eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung und keine Angelegenheit des täglichen Lebens, mit der Folge dass bei Uneinigkeit der Sorgeberechtigten die Alleinentscheidungsbefugnis auf ein Elternteil zu übertragen ist.

Das OLG Braunschweig hat mit dieser Entscheidung nur ausdrücklich erklärt, dass in Zeiten der Corona-Pandemie – anders wie zu normalen Zeiten – auch eine Flugreise ins europäische Ausland nicht mehr der Alleinentscheidungsbefugnis eines Elternteiles unterliegt, sondern der Zustimmung beider Sorgeberechtigter bedarf. Jede Auslandsreise ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung (insbesondere Flugreisen), da die Infektionsausbreitung zu Einschränkungen im Luftverkehr führen kann, neue Sperren möglich sind und somit erhebliche Unsicherheiten vorliegen, die insbesondere im Zusammenhang mit Flugreisen bestehen (Planungssicherheit bzgl. Rückflug, bzgl. staatlicher Restriktionen, wie Quarantäne etc.).

Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht demjenigen die Entscheidungsbefugnis übertragen, der gegen die Auslandsreise war, da die gebuchte Reise nicht das gerichtlich geregelte Umgangsrecht des Vaters respektiert hatte. Wie das Oberlandesgericht bei einem „Patt“ entschieden hätte, kann schwerlich vorausgesagt werden. Das wird wohl davon abhängig sein, in welcher „Pandemie-Situation“ man sich befindet (Stichwort: zweite Welle etc.). Wie schnell man vom Risiko-Gebiet oder umgekehrt zum Nicht-Risiko-Gebiet wird, sieht man bei Spanien/Mallorca/Kanaren oder umgekehrt Belgien/Luxemburg (Anfang September 2020). Das wird immer eine Momentaufnahme sein. Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 13.03.2020, Az. 7 UF 17/20, in der Hochzeit der Pandemie entschieden, dass bei einer Flugreise eine Infektion mit anderen Mitreisenden möglich ist und somit das Kindeswohl gefährdet ist. Ist es richtig, dass in einem Flugzeug Verhältnisse wie in einem OP-Saal vorherrschen? Das sind immer Abwägungsentscheidungen, in diesem Fall auch für Juristen, immer unter Kindeswohlgesichtspunkten.

Anmerkung:

Die Corona-Pandemie beschäftigt zwar derzeit hauptsächlich die Verwaltungsgerichte im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Verordnungen des Staates (Maskenpflicht, Quarantänepflicht, Veranstaltungsverbote etc.), jedoch wird auch das Familienrecht auch in Zukunft „Pandemie-Entscheidungen“ zu treffen haben. Auch im Familienrecht prallen – und wenn es nur um des Streiten Willens geht – unterschiedliche Auffassungen aufeinander. Die Justiz folgt zumeist der „herrschenden“ Meinung, die dann ggf. auch durch Gutachter oder anderweitige Rechtsgutachten zu unterlegen ist. Schon in der Vergangenheit haben sich getrennt lebende Eltern darüber gestritten, welche „normalen“ Schutzimpfungen einem Kind anzugedeihen sind. Für seinen eigenen Körper kann jeder selbst entscheiden, für ein gemeinsames minderjähriges Kind entscheiden eben grundsätzlich die beiden sorgeberechtigten Eltern gemeinschaftlich. Gelingt dies nicht, bleibt im Einzelfall nur die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis für einzelne Fragen auf ein Elternteil. Da werden sich übelicherweise Gerichte an wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse halten, so auch bislang an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut. So wird es dann wohl auch bei möglichen Corona-Schutzimpfungen sein. Ob das dann immer der Weisheit letzter Schluss ist, ist natürlich für einem Juristen auch schwer prüfbar.

Solche „Corona-Abwägungen“ unter dem Blickwinkel des Kindeswohls wird es weiterhin geben. Wenn zu Beginn der Pandemie staatliche Auflagen von der Justiz zum Großteil bestätigt wurden, so zeigt sich in der Phase des Verfassens dieser Zeilen, dass Rechtsverordnungen der Länder/Gemeinden immer mehr auch von der Justiz hinterfragt und auf die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Grundrechte überprüft werden und auch aufgehoben werden. Nichts anderes kann für die Rechtsprechung im Familienrecht gelten, es bedarf einer ständigen Abwägung zwischen dem Kindeswohl und der damit zusammenhängenden Ermessensentscheidungen durch pandemie-bedingte Veränderungen. Da wird und muss man auf den demokratischen Rechtsstaat zu vertrauen haben.

Unterhaltsrecht

OLG Hamm, Beschluss vom 23.04.2020 – Az. II-2 UF 152/19 – § 1361 BGB

(NZFam 2020, Seite 821)

Die tatsächliche Vermutung, dass ein Familieneinkommen bis zur Höhe des Doppelten des höchsten in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Einkommensbetrags (derzeit 2 x 5500 € = 11000 €) vollständig für den Lebensbedarf verwendet worden ist, kann von dem Unterhaltspflichtigen entkräftet werden. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt der Unterhaltspflichtige.

Die Eheleute streiten um Getrenntlebendunterhalt. Das gemeinsame Einkommen lag zusammen über 11000 €, wobei der Mann ca. 10000 €, die Frau ca. 3000 € verdienten. Vorgerichtlich wurde ein konkreter Bedarf von 3076 € begehrt, im gerichtlichen Verfahren ein Quotenunterhalt von 3049 €. Das Familiengericht hat zu einem Gesamtunterhalt von ca. 600 € verurteilt. Hiergegen hat die Frau Beschwerde eingelegt.

Das Familiengericht hat den Unterhaltsanspruch anhand des vorprozessual konkret dargelegten Bedarfs ermittelt und nicht nach einer Quote. Der BGH hat in FamRZ 2018, Seite 260 sowie FamRZ 2020. Seite 21, entschieden, dass eine tatsächliche Vermutung für den Verbrauch des Familieneinkommens spricht, soweit dieses derzeit die 11000 € nicht übersteigt, d. h. bis rechnerisch 11000 € kann der Unterhaltsberechtigte nach der für ihn günstigeren Quotenberechnung Unterhalt geltend machen.

Das OLG führt aus, dass diese Vermutung lediglich ein Anscheins- oder Indizienbeweis sei. Allein die ursprünglich vorgenommene konkrete Ermittlung des Elementarbedarfs spricht schon gegen die Annahme, die Ehegatten hätten ein Gesamteinkommen von 11.000 € im Monat verlebt. Diese Verbrauchsvermutung von 11000 € im Monat wurde auch im Verfahren dadurch widerlegt, dass der Unterhaltspflichtige ein während der Ehe geführtes Haushaltsbuch vorgelegt hat, aus welchem hervorgeht, dass vom Einkommen insbesondere auch Kreditverbindlichkeiten auf Eheimmobilien oder private Altersvorsorge verwendet wurden. Insoweit geht auch das OLG davon aus, dass die Verbrauchsvermutung von 11000 € im Monat nicht nur erschüttert sondern sogar widerlegt ist (§ 113 FamFG i.V.m. § 286 ZPO). Weil der Bedarf vorgerichtlich mit 3076 € angesetzt war und die Ehefrau selbst 2598 € verdient hat, konnte an Unterhalt nur der Differenzbetrag ausgeurteilt werden.

Praxishinweis:

Die Rechtsprechung des BGH führt grundsätzlich dazu, dass bei der 3/7-Methode und einem bereinigten Familieneinkommen von 11000 € dann ein Ehegattenunterhalt in Höhe von 4714 € geltend gemacht werden kann (bei 45 % – Süddeutsche Leitlinien sogar 4950 €). Auszugehen ist bei dieser Rechtsprechung von einem bereinigten Nettoeinkommen, d. h. nach Abzug von Steuern, KV, PV, gestatteter privater Altersvorsorge sowie anderweitiger unterhaltsrechtlich relevanter Abzüge und nach Abzug von etwaigem anderweitigem Kindesunterhalt. Das OLG gestattet nunmehr dem Unterhaltspflichtigen, die Verbrauchsvermutung dieser 11000 € zu widerlegen. Nach Auffassung des Verfassers ist diese Möglichkeit der „Gegendarstellung“ zu begrüßen, nachdem ohnehin die Grenze eines Einkommens von 11000 €, bis zu der ein Quotenunterhalt berechnet werden darf, zu hoch angesetzt ist. Die vom BGH aufgestellte Vermutung, dass bis 11000 € bereinigtem Einkommen das Geld auch verbraucht wurde, erschein realitätsfremd. Vormals hatten die Gerichte unterschiedliche „Obergrenzen“, teilweise bis maximal zur obersten Grenze der Düsseldorfer Tabelle, in Höhe von 5500 €. Wer tatsächlich in der Familie 11000 € netto verbraucht hat, ist dann auch in der Lage, im Rahmen einer konkreten Bedarfsberechnung die oben genannten Unterhaltsbeträge knapp unter 5000 € darzulegen und nachzuweisen. Es gibt jedoch diese wohl verfestigte Rechtsprechung des BGH, sodass man dem Unterhaltsverpflichteten dann richtigerweise zumindest die Möglichkeit geben muss, den Einkommensverbrauch von 11000 € netto zu widerlegen, und nicht wegen der „einfacheren“ Unterhaltsberechnung nach Quote dies untersagen (so jedoch Riegner, NZFam 2020, Seite 821, in seiner Anmerkung). Der Verfasser geht auch davon aus, dass der BGH die Möglichkeit des Widerlegens der Verbrauchsvermutung von 11000 € für möglich erachtet, gegenteiliges ist nicht bekannt.

Kindschaftsrecht

AG Frankenthal (Pfalz), Beschluss vom 25.06.2020 – Az. 71 F 79/20 e. A. – § 1628 BGB

(NZFam 2020, Seite 824)

Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis „Schulwahl“ auf den Elternteil, wo das Kind seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt hat.

Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern streiten um die Schulwahl bei der Einschulung (Waldorfschule Mutter / Regelschule Vater). Das Kind hatte seinen Lebensmittelpunkt bei der Mutter. Die Mutter hat das Konzept der Waldorfschule dargelegt, die Nachmittagsbetreuung erläutert und zudem möchte auch das Kind dorthin. Der Vater wollte die ganz normale Regelschule am Wohnort der Tochter.

Ein Gericht kann nicht selbst entscheiden auf welche Schule das Kind geht, das läge in der ausschließlichen Entscheidungskompetenz der Eltern (BVerfG, FamRZ 2003, Seite 511). Deshalb ist gemäß § 1628 BGB die Alleinentscheidungsbefugnis auf ein Elternteil zu übertragen, was jedoch faktisch nichts anderes bedeutet. Ein Gericht – hier AG Frankenthal – hat die Vorschläge der Eltern konkret abzuwägen, insbesondere welche Auswirkungen die Schulwahl auf das soziale Umfeld des Kindes hat und dabei natürlich die Kindesinteressen zu beachten hat.

Das AG hat dann in den Vordergrund gestellt, dass die Mutter ganz überwiegend von den Folgen der zu treffenden Entscheidung betroffen ist, da das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei ihr hat. Der mögliche Teilverlust des bisherigen sozialen Umfelds des Kindes spreche zwar eher für den Vater, das sei jedoch bei jeder Neueinschulung so. Auch die Wohnortnähe spricht eher für den Vater, auf der anderen Seite will auch das Kind in die Waldorfschule. Die Mutter hat sich intensiv mit der Schulart auseinandergesetzt und mit dem Kind beide Schulen besucht. Der Vater hingegen lehnt das Modell eher unbegründet ab, hat es auch mit seiner Tochter nicht besprochen. Zudem ist die Waldorfschule eine staatlich anerkannte Ersatzschule und stellt nicht per se eine Gefahr für das Kindeswohl dar (so schon AG Lemgo, FamRZ 2004, Seite 49). Durch den Besuch der Waldorfschule wird der Vater auch nicht in seinen Umgangskontakten beeinträchtigt.

Anmerkung:

Diese Entscheidung zeigt, dass generell derjenige Elternteil die „besseren Karten“ hat, bei dem das Kind lebt, da dieser Elternteil auch im täglichen Umgang mit den Schulproblemen konfrontiert ist. Wer aber eine Schulwahl treffen möchte, die außerhalb der Regelschule liegt, muss trotzdem aufzeigen, warum die anderweitige Schulwahl auch für das Kindeswohl geeignet ist. Mit einer solchen Entscheidung ist keine Entscheidung über die Kostentragung verbunden. Das Instrumentarium der Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis in Einzelfragen des Sorgerechts findet hauptsächlich bei Fragen der Kindergartenwahl, Hortwahl, Schulwahl aber auch bei Fragen der Impfpflicht oder der Gestattung einer Auslandsreise ins nichteuropäische Ausland (in Normalzeiten) am häufigsten Anwendung. Man muss immer beachten, dass man bevor ein Sorgerechtsantrag gestellt wird, das es die vorrangige Möglichkeit der „Einzelfallentscheidung“ über § 1628 BGB gibt.

Rechtsprechung kompakt

Corona und Familienrecht

 

Wenn in der Presse von einer Vielzahl von Eilanträgen in der Corona-Zeit berichtet wird, so sind das hauptsächlich Anträge zu den Verwaltungsgerichten/Oberverwaltungsgerichten mit direktem Bezug zu den von den Staatregierungen erlassenen Verordnungen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes. Im Zivilrecht sind Entscheidungen mit direktem Bezug zur Corona-Krise eher spärlich. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass von Mitte März 2020 bis Anfang/Mitte Mai 2020 ein sehr eingeschränkter Gerichtsbetrieb stattfand, d. h. bei den meisten Fällen wurden Gerichtstermine verschoben, die Verfahren teilweise unterbrochen etc. Nur in äußerst dringlichen Einzelfällen wurden ohne mündliche Verhandlung vorläufige Eilentscheidungen getroffen. Im Familienrecht beschränkte sich dies hauptsächlich auf Verfahren zum Umgangsrecht, sowie Gewaltschutzverfahren, wobei auch hier kein markanter Anstieg der Gerichtsverfahren zu verzeichnen war (Gewaltfälle, die mangels sozialer Kontrolle wie z. B. Schule und Kindergarten nicht nach außen gedrungen sind, wird man als Dunkelziffer bezeichnen müssen).

 

Nachdem auch eine solche Pandemie noch nicht Gegenstand der juristischen Auseinandersetzung gewesen ist, wird nunmehr in der Folgezeit die juristische Aufarbeitung erfolgen. Das gilt in vielen Bereichen des Rechts, insbesondere im Arbeitsrecht, im gewerblichen Mietrecht und auch im Familienrecht zu Fragen der Unterhaltsabänderung etc.

 

In Unterhaltsfragen gibt es natürlich schon erste Literaturansätze. Hier stellt sich zunächst die entscheidende Frage, ob bei coronabedingter Einkommensveränderung (z. B. durch Kurzarbeitergeld aber auch durch erhebliche Gewinneinbußen eines Selbständigen) unverzügliche Abänderungsmöglichkeiten bestehen oder übliche „Nachhaltigkeitsgesichtspunkte“ zu berücksichtigen sind. So vertritt Borth (FamRZ 2020, Seite 653 ff.) die Auffassung, dass die Grundlage der Unterhaltsberechnung von einem abgeschlossenen Jahreszeitraum beim Nichtselbständigen nicht angemessen ist, er vertritt die Auffassung, dass bereits mit dem Eintritt der wesentlichen Änderung gemäß § 238 ff. FamFG und dem dort verankerten Grundsatz der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB eine Zäsur vorliegt und die eingetretene Minderung der Einkommensverhältnisse heranzuziehen ist. Niepmann in NZFam 2020, Seite 383 ff. vertritt hingegen die Auffassung, dass eine weite Sicht in die Zukunft nicht möglich sei und daher weiterhin der Unterhalt aus dem letzten abgeschlossenen Jahreszeitraum zu berechnen wäre. Eine kurzfristige Reaktion auf coronabedingte Veränderung sei daher im Unterhaltsrecht nicht möglich. Der zuletzt genannten Meinung von Niepmann (Direktorin des AG Bonn und anerkannte familienrechtliche Autorin) kann nach diesseitiger Auffassung nicht gefolgt werden. Eine coronabedingte Veränderung stellt wie Borth eine Zäsur dar, bei der noch nicht einmal wie bei Arbeitslosigkeit ein Nachhaltigkeitszeitraum von 3 Monaten abzuwarten ist. Natürlich muss man wirtschaftliche Entlastungsmaßnahmen des Staates in Anspruch nehmen, ggf. auch das Vermögen zur Überbrückung von Einkommensminderungen im Einzelfall einsetzen, trotzdem gebietet der nichtverschuldete Einkommensrückgang eine rasche Möglichkeit der Reaktion hierauf/Unterhaltsabänderung. Problematischer ist es natürlich bei einem Selbständigen, bei dem ohnehin der Durchschnitt der letzten 3 Jahre üblicherweise herangezogen wird, und Einkommensschwankungen „üblich“ sind. Da wird es nach Auffassung aller „Experten“ nicht sogleich zu einer Abänderung kommen. Entscheidungen zum Unterhaltsrecht/Abänderung sind bislang nicht bekannt und nicht veröffentlicht.

 

Im Kindschaftsrecht gibt es zwischenzeitlich wenige veröffentlichte Entscheidungen zum Umgangsrecht. Zur Rechtslage verweise ich auf die Ausführungen zu dieser Thematik auf der Homepage des ISUV. Auch hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass immer nur im Einzelfall zu entscheiden ist, ob ein Umgang aus coronabedingten Gründen eingeschränkt werden kann oder nicht, wobei der Grundsatz lautet, dass die abstrakte Coronagefahr kein Grund für die Aussetzung des Umgangs ist, sondern besondere Einzelfallumstände allenfalls hierzu berechtigen könnten. Wie ist es, wenn z. B. der Umgangsberechtigte in der Coronastation eines Krankenhauses arbeitet und das Kind ansonsten bei der Mutter lebt, die z. B. im Homeoffice tätig ist? So ist im umgekehrten Fall eine Entscheidung bekannt geworden, wonach das AG München die Hauptbetreuung in „Coronazeiten“ von der Mutter zum Vater hin verändert hat, weil die Mutter systemrelevant oder auch „gefährdet“ gearbeitet hat, deshalb das Kind in der Kita-Notbetreuung war und der Vater selbst daheim im Homeoffice tätig war. Alle bislang ergangenen Entscheidungen sind letztendlich Einzelfallentscheidungen, hierauf sei ausdrücklich hingewiesen.

 

Nachfolgend die veröffentlichten amtsgerichtlichen Entscheidungen mit Bezug zur Coronapandemie.

 

 

 

AG Frankfurt a. M., Beschluss vom 16.04.2020 – Az. 456 F 5086/20 – § 89 FamFG

NZFam 2020, Seite 447

 

Verstößt ein Elternteil gegen eine gerichtliche Anordnung des begleiteten Umgangs zur Anbahnung von Umgangskontakten mit dem anderen Elternteil nur unter Verweis auf die abstrakte Gefahr einer Infektion mit dem Coronavirus, so ist für jeden Verstoß ein Ordnungsgeld festzusetzen.

 

Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht schon in der Coronazeit am 31.03.2020 einen begleiteten Umgang per Beschluss festgelegt. Dem vorausgegangen war schon eine einstweilige Anordnung gegen die die Mutter schon einmal verstoßen hatte und zu einem Ordnungsgeld geführt hatte. Die Mutter hat dann per E-Mail am 02.04.2020 dem Träger der begleiteten Umgänge mitgeteilt, dass sich die globale Coronasituation derart verschärft habe, dass zum Schutz der Tochter bis Ende April alle Termine abgesagt werden. Mit gerichtlichem Schreiben sind dann alle Beteiligten am 07.04.2020 darauf hingewiesen worden, dass keine sachlichen Gründe bestünden, die Umgangskontakte nicht durchzuführen, der pauschale Hinweis auf Corona nicht ausreichend ist. Im Beschluss vom 31.03.2020 wurde auf die Folgen der Zuwiderhandlung hingewiesen und bei Zuwiderhandlung auf Ordnungsgeld verwiesen.

 

Das Familiengericht hat auf Antrag des Vaters der Mutter ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 € pro Verstoß, hilfsweise pro 250 € Ordnungsgeld einen Tag Ordnungshaft angeordnet, die Höhe bestimmt sich nach dem Einkommen, welches bei der Mutter pro Monat bei ca. 40.000 € lag (im „Normalfall“ läge so ein Ordnungsgeld wohl weit darunter, ca. 250 €, wobei bei Mehrfachverstoß dann auch gesteigert). Das Gericht weist darauf hin, dass es einen rechtskräftigen Beschluss gibt, der sogar in Kenntnis der Infektionslage ergangen ist, sodass es keine Eigenmächtigkeiten geben kann, dies im Wege der sogenannten Selbstjustiz abzuändern. Es liegt ein schuldhafter Verstoß vor.

 

An dieser Entscheidung sieht man, dass die eigenmächtige Abänderung nicht gerne gesehen wird. Die Mutter hätte ja die Möglichkeit gehabt, wenn sich im Vergleich zur Grundentscheidung (31.03.2020) besondere Veränderungen ergeben hätten, durch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eine Abänderung herbeizuführen. Alleine auf die sich zuspitzende Coronalage zu verweisen sei nicht ausreichend. Hier war auch noch der Sonderfall, dass die Grundentscheidung erst in Coronazeiten ergangen ist. Aber auch bei älteren Umgangsgrundentscheidungen wird der pauschale Hinweis auf die Pandemie nicht ausreichend sein. Die abstrakte Gefährdung reicht nicht, die meisten Coronaverordnungen der Bundesländer weisen hierauf hin. Wenn eine Quarantäne behördlich angeordnet ist oder eine Infektion festgestellt ist, ist Umgang in jedem Fall auszusetzen. „Dazwischen“ kann es im Einzelfall zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen, dann wenn z. B. der Umgangsberechtigte in einem systemrelevanten Bereich „gefährdend“ ständig mit möglicherweise Infizierten in Kontakt tritt und schon dadurch ein erhöhtes Risiko darstellen könnte. Der vielleicht bessere Weg ist dann aber der mit einstweiligen Anordnung die bisherige Umgangsregelung auszuhebeln, statt einfach den Umgang zu verweigern. Auf der anderen Seite kann auch eine einstweilige Anordnung ein wenig dauern und das Gefahrpotential beim Umgangsberechtigten veranlasst schnelles Handeln. Das ist Ermessensfrage, ebenso die dann zu entscheidende Frage, ob im Einzelfall der Umgangspflichtige bei einer Umgangsverweigerung „schuldhaft“ handelt oder nicht.

 

Nachdem die Rechtsprechung erstmalig mit einer solchen Pandemie umgehen muss, wird es in der Summe keine „Patentrezepte“ geben.

 

 

 

AG Frankfurt a. M., Beschluss vom 09.04.2020 – Az. 456 F 5092/20 – § 89 FamFG

COVuR 2020, Seite 87 und NZFam 2020, Seite 401

 

  1. Umgangskontakte sind auch während der Coronapandemie nicht per-se ausgeschlossen.
  2. Unter Abwägung der wegen der Pandemie mit außerhäuslichen Kontakten verbundenen Gesundheitsrisiken einerseits und des Abbruchs der Bindung zwischen den Kindern und ihrem Vater andererseits überwiegt das Interessen an der Aufrechterhaltung der Bindung und Durchführung persönlicher Kontakte zwischen den Kindern und ihrem Vater.

 

Grundlage der Entscheidung war ein gerichtlicher Umgangsvergleich vom Januar 2020. Aufgrund der problematischen Umgangssituation war eine sogenannte Umgangspflegerin eingesetzt, die die Eltern am 16.03.2020 informierte, dass sie Umgänge aufgrund der Coronakrise nur telefonisch begleiten könne, da sie selbst zu einer Risikogruppe gehöre. Das Gericht hat dem Abänderungsantrag des Verfahrenspflegers für das Kind stattgegeben (§ 49 FamFG i. V. m. § 1696 BGB), obwohl hierfür grundsätzlich ein Antrag eines Elternteils vonnöten ist. Weil die Umgangspflegerin sich nicht in der Lage gesehen hat, den Umgang so zu gestalten, wie er im Beschluss festgelegt war, hat der Verfahrensbeistand auch das Recht, einen eigenen Abänderungsantrag zu stellen, der hier so formuliert war, dass der Vater ohne Umgangspflegerin jeden Samstag vom 15:00 Uhr bis 17:00 Uhr Umgang hat.

 

Das Amtsgericht hat hier triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe für die Abänderung gesehen, da anderenfalls möglicherweise gar kein Umgang stattgefunden hätte. Umgangskontakte für das Kindeswohl sind von so entscheidender Bedeutung, dass auch unter Berücksichtigung der Infektionsrisiken solche zu ermöglichen sind. Im vorliegenden Fall waren weder die Kinder noch die Eltern in sogenannten Risikogruppen, sie haben sich auch in den letzten Wochen nicht in einem Risikogebiet befunden. Eine Kontaktaufnahme mit Face time, Skype etc. reichen insoweit nicht aus, insbesondere aufgrund des Alters des Kindes (2,5 Jahre alt). Auch die Verordnungen zur Bekämpfung des Coronavirus sind keine Rechtsgrundlage, auch wenn man im öffentlichen Raum sich grundsätzlich nur alleine oder mit Personen des eigenen Hausstandes aufhalten darf. Umgangskontakte sollen dadurch nicht gekappt werden. Auch wenn in einem Eilverfahren die Anhörung der Beteiligten vorgesehen ist, konnte hier aufgrund des Eilbedürfnisses dieses unterbleiben. Es blieb die Möglichkeit, Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen, ob dieser Antrag gestellt wurde ist nicht bekannt.

 

Anmerkung:

Gerade das Umgangsrecht gehört bei getrenntlebenden Elternteilen zu häufigen Streitpunkten. Die Verunsicherung mit der Infektionslage fördert weitere Bedenken. Auf der anderen Seite wird eine solche Lage ggf. auch „ausgenutzt“. Es müssen schon erhebliche Gründe vorliegen, warum die Pandemie ein Grund für die Verweigerung des Umgangs sein soll. Nach Auffassung des Verfassers ist eine Ermessensauslegung zu eng, wenn nur bei behördlich angeordneter Quarantäne oder bei festgestellter Infektion der Umgang nicht zu gewähren ist. Auch andere Lebenssituationen können zu einer Kindswohlgefährdung führen, wenn z. B. der Umgangsberechtigte sich nachweislich nicht an Coronaverordnungen hält, Kontaktverbote nicht einhält und somit selbst sich einem größeren Risiko aussetzt und letztendlich dem Kind in der Umgangszeit, könnte an eine Umgangsaussetzung gedacht werden.

 

 

 

AG Frankfurt a. M., Beschluss vom 08.04.2020 – Az. 456 F 5080/20 – § 21 FamFG

COVuR 2020, Seite 30

 

Unter Abwägung des Interesses des Vaters an der Festlegung eines Wechselmodells einerseits und der aktuell brisanten Lage sowie der zahlreichen Maßnahmen der Landesregierung zur Verhinderung der raschen Verbreitung des Corona-Virus andererseits ist die weitere Verfahrensförderung, insbesondere die Bestimmung eines Termins binnen eines Monats nach Verfahrensbeginn, wie ihn § 155 Abs. 1 S. 2 FamFG vorsieht, nicht angezeigt, auch wenn die Dritte Verordnung des Hessischen Ministeriums der Justiz zur Bekämpfung des Corona-Virus für Sitzungen und Gerichtstermine eine Ausnahme von der Kontaktsperre vorsieht.

 

Diese Entscheidung ist die dritte Entscheidung des AG Frankfurt a. M., Referat „456 F“. Diese drei Entscheidungen sind auch die einzigen (Stand 29.05.2020) in Fachzeitschriften (FamRZ; NZFam; FF; COVuR) veröffentlichte Entscheidungen von Amtsgerichten zur Coronakrise. Daneben noch eine Entscheidung des AG München, welche nachfolgend kommentiert wird.

 

Im hiesigen Fall geht es „nur“ um die Frage, ob ein Gericht in der Corona-Krise innerhalb der Monatsfrist des §155 FamFG einen Termin bestimmen muss oder nicht. Dies verneint das Amtsgericht. Aus wichtigem Grund kann ausgesetzt werden (§ 21 FamFG). Ohne die Anhörung der Eltern, ohne Anhörung des fast 7 Jahre alten Kindes und ohne gemeinschaftliche Erörterung mit Verfahrensbevollmächtigtem, Verfahrensbeistand und Jugendamt ist eine hinreichend sichere Tatsachenermittlung nicht möglich. Die Frage des Wechselmodells erscheint daher nicht von so großer Brisanz, als dass hierüber schnell entschieden werden müsste. Es findet Umgang zwischen Vater und Kind statt, wenn auch nicht im gewünschten Umfang. Weiterungen sind nicht derartig dringend, als dass eine Aussetzung des Verfahrens sich nicht rechtfertigt (08.04.2020). Nachdem die Gerichte seit Mitte Mai 2020 wieder hochfahren, ist davon auszugehen, dass die Aussetzung zwischenzeitlich zurückgenommen ist. Zwar sieht das Gesetz auch die Verhandlungsführung „online“ vor, trotzdem ist in derartigen Familiensachen eine mündliche Verhandlung kaum ersetzbar. Es bleibt zu hoffen, dass die Pandemie weiter zurückgedrängt wird und auch die Justiz wieder „voll“ arbeitet, spätestens seit Mitte Mai 2020 scheint sich das in ganz Deutschland wieder zu normalisieren.

 

 

 

AG München, Beschluss vom 26.03.2020 – Az. 566 F 2876/20 – § 1696 BGB

COVuR 2020, Seite 146

 

Wenn das Wohl eines Kindes aufgrund des hohen Infektionsrisikos in der Kindertageseinrichtung nachhaltig berührt ist, ist eine vorläufige Abänderung der zwischen den Beteiligten geschlossenen Umgangsvereinbarung erforderlich.

 

Hier war die hauptbetreuende Mutter in einem systemrelevanten Beruf tätig und hatte für ihr Vorschulkind einen Not-Kita-Platz. Der umgangsberechtigte Vater war im coronabedingten Homeoffice und hat beantragt, dass er zur Vermeidung des Kita-Besuches Umgang mit seinem Kind hat, in den Zeiten, in denen die Mutter arbeitsbedingt die Betreuung nicht wahrnehmen kann.

 

Das Amtsgericht München hat in einem einstweiligen Anordnungsverfahren bis zum Ende der bayernweiten Schließung von Kitas den Umgang für die genannten Zeiten dem Vater übertragen und das mit triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen begründet (§ 1696 BGB). Das Amtsgericht stützt sich insoweit auf eine Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 13.03.2020, wonach in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas eine erhebliche Ansteckungsgefahr stecke und eben auch Kinder Überträger des Coronavirus sein können. Zudem habe am 16.03.2020 die Familienministerin ausdrücklich erklärt, dass die Ausbreitung der Infektion in Schulen/Kitas besonders hoch sei. Deshalb auch der Appell, Notbetreuung für Kinder nur in Ausnahmefällen zu nutzen. Ob diese Entscheidung mit Rechtsmitteln angegriffen wurde, ist nicht bekannt. Mit der Öffnung der Kitas ist diese Entscheidung ohnehin überholt, da dann wieder die Altvereinbarung zum Umgang greift.

 

Wie man an der öffentlichen Diskussion zur Einschätzung der Übertragbarkeit bei Kindern sieht, wird immer die Frage offen bleiben, ob die Entscheidungsgründe des AG München auf „festem Boden“ erfolgte oder vielleicht dem zum Zeitpunkt der Entscheidung vorherrschendem „Mainstream“ geschuldet war. Auf der anderen Seite muss man schon auch festhalten, dass bei der Möglichkeit, das Kind aufgrund von Corona-Homeoffice beim Vater zu betreuen, es schon Sinn macht, diese Betreuungsmöglichkeit bei unsicherer „Virologenlage“ zu nutzen. Dies gilt umso mehr, als beide Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind und im Übrigen keine gravierenden (Kindeswohl)-Gründe vorlagen, warum das Kind nicht übergangsweise auch vom Vater tagsüber hauptsächlich betreut werden könnte (erweiterte Umgang).

 

 

 

AG Hersbruck, Beschluss vom 23.04.2020 – Az. 08 F 83/19 – § 89 FamFG

 

Es liegt eine verschuldete Umgangspflichtverletzung vor, wenn nur ein allgemeines Infektionsrisiko bei Umgangsberechtigten besteht, auch wenn ein einmaliger Verstoß gegen Vorschriften zum Infektionsschutz belegt.

 

Die Mutter hatte coronabedingt Homeoffice, keinerlei Außenkontakte, eine Notbetreuung in der Kita war nicht angezeigt, der Sohn wurde von ihr daheim betreut. Der Vater ist selbständiger Fensterbauer, hat sein Geschäft mit Kundenkontakt berechtigterweise weitergeführt, seine bei ihm wohnende Lebensgefährtin ist in einem systemrelevanten Beruf tätig und war auch ständigem Kundenkontakt ausgesetzt. Trotz eines gerichtlich genehmigten Umgangsvergleichs hat die Mutter zunächst wegen Krankheit (starker trockener Husten, aber kein Corona) dann wegen des erhöhten Infektionsrisikos beim Vater dem Umgang ausgesetzt. Nach der Auffassung der Mutter war beim Vater ein erhöhtes Infektionsrisiko allein aus beruflicher Sicht, aber auch weil im Hausstand des Vaters auch die Lebensgefährtin ein höheres Infektionsrisiko darstellte (im Vergleich zum Haushalt bei der Mutter aufgrund der faktischen häuslichen Quarantäne aufgrund Homeoffice). Hinzu kam, dass der Kindsvater über WhatsApp in Zeiten, in denen keinerlei Kontakte zu Dritten erlaubt war, aus seinem häuslichen Bereich Bilder gepostet hat, aus denen ersichtlich war, dass zwei haushaltsfremde Personen (Freunde) sich in der Wohnung des Vaters aufgehalten haben.

 

Ungeachtet dessen hat das Amtsgericht Hersbruck gegen die Kindsmutter wegen insgesamt acht ausgefallenen Umgangsterminen laut Gerichtsvergleich ein Ordnungsgeld von 1000 € festgesetzt und eine schuldhafte Verletzung der Umgangspflicht entschieden. Das Amtsgericht führt aus, dass allein die Tatsache, dass der Kindsvater weiterhin berufstätig ist und Kundenkontakt hat und die Lebensgefährtin systemrelevant arbeitet kein ausreichender Grund sei, ein erhöhtes Infektionsrisiko zu erblicken – auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die betreuende Mutter keinerlei Außenkontakte hat und der Vater nachweislich gegen „Corona-Vorschriften“ – zumindest einmal – verstoßen hat. Weiterhin weist das Amtsgericht darauf hin, dass auch die Möglichkeit bestanden hätte, im Wege der einstweiligen Anordnung die bestehende Umgangsvereinbarung anzugreifen, statt den Umgang faktisch auszusetzen.

 

Diese Entscheidung zeigt, wie unterschiedlich doch Gerichte urteilen. Das Amtsgericht München, siehe oben, hat die erhöhte Infektionsgefahr in einer Kita höher angesiedelt als eine bestehende Umgangsvereinbarung und letztendlich dem Homeoffice des Vaters „den Vorzug“ gegeben. Hier hat das Amtsgericht beim Umgangsberechtigten Elternteil keine erhöhte Gefährdung gesehen und dem Homeoffice der Mutter keinen „Vorrang“ eingeräumt. Die Entscheidung des AG Hersbruck ist nicht rechtskräftig, Beschwerde beim OLG Nürnberg ist eingelegt. Nachdem die Pandemie derzeit eine positive Entwicklung nimmt, werden derartige Fragen wohl nicht mehr so virulent sein, auch Gerichte in der Retrospektive die Infektionsängste möglicherweise nicht mehr so gewichtig erachten.

 

 

Die kindschaftsrechtlichen Fragen – insbesondere zum Umgang – im Rahmen von Corona werden hoffentlich zukünftig nicht mehr Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sein. Bei den wirtschaftlichen Auswirkungen, die dann im Rahmen der Leistungsfähigkeit und der Bedürftigkeit des Unterhaltspflichtigen/Unterhaltsbedürftigen eine Rolle spielen, wird das anders sein und insbesondere im Unterhaltsrecht die Fragen der Abänderbarkeit von Unterhaltsentscheidungen aufwerfen. Im Unterhaltsrechts sind alsbald erste Entscheidungen zur Abänderbarkeit zu erwarten.

 

 

Umgangsrecht in der Corona-Krise

Die Corona-Krise ist eine bislang noch nicht dagewesene Herausforderung – auch für das Familienrecht. Weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung haben natürlich bislang auf alle Fragen bereits Antworten. Wie letztendlich die Rechtsprechung dann einzelne Fallgestaltungen entscheiden wird, kann heute nicht vorausgesagt werden.

 

Vorauszuschicken ist für die Frage des Umgangsrechtes, dass das Umgangsrecht ein eigenständiges Recht neben dem Sorgerecht ist. Es kommt also beim Umgangsrecht nicht darauf an, ob der andere nicht betreuende Elternteil auch Sorgerechtsinhaber ist oder nicht. Das Umgangsrecht gem. § 1684 BGB ist ein eigenständiges Elternrecht (selbiges gilt für Großeltern und Bezugspersonen Umgang gem. § 1685 BGB bzw. Umgang des biologischen Vaters gem. § 1686 a Abs. 1 Nr. 1 BGB). Einer Umgangsregelung ist schon immer immanent, dass Umgangskontakte dann entfallen, wenn dem Umgangsrecht zwingende Gründe entgegenstehen. Gibt es einen gerichtlichen Umgangsbeschluss oder eine vom Gericht gebilligte Einigungslösung, sind derartige Fragen dann im Rahmen der sogenannten Vollstreckung gem. § 89 FamFG zu klären.

 

Dann, wenn der umgangsverpflichtete Elternteil entschuldbar den Umgang nicht gewährt, unterbleibt auch eine Vollstreckung mit Ordnungsmittelfestsetzung. Der gleiche Maßstab ist grundsätzlich anzusetzen bei gerichtlich bislang nicht festgelegten Umgangszeiten. Hier muss dann der Umgangsberechtigte entscheiden, ob er entweder im Wege einer einstweiligen Anordnung oder im Wege eines Hauptsacheverfahrens bei Verweigerung des Umgangs Umgangsanträge bei Gericht stellt. Insoweit ist jedoch zu bedenken, dass auch die Gerichte derzeit im „Notbetrieb“ tätig sind.

 

Ob unter Verweis auf die Corona-Krise ein Umgangskontakt ohne Verschulden entfallen kann und darf, beurteilt sich danach, in welchem Grad die jeweiligen Beteiligten an dieser Pandemie betroffen sind:

 

  • Nachgewiesene Corona-Erkrankung des Kindes:

 

Auch ein zum Umgang berechtigter Elternteil kann sein krankes Kind wie der hauptsächlich betreuende Elternteil versorgen und pflegen, weshalb grundsätzlich nur bei – durch ärztliches Attest zu belegender – Transportunfähigkeit des Kindes kein Verschulden im Sinne des § 89 Abs. 4 FamFG festzustellen ist. Es wird jedoch davon auszugehen sein, dass bei nachgewiesener Corona-Erkrankung des Kindes das Risiko der Übertragung so hoch ist, dass die Verweigerung des Umgangs auch in diesen Fällen der richtige Weg ist und somit der an sich umgangsverpflichtete Elternteil den Ausfall des betreffenden Umgangs nicht zu vertreten hat.

Ist einer der Elternteile oder eine weitere umgangsberechtigte Person nachweislich erkrankt, gilt natürlich Entsprechendes.

 

  • Quarantäneanordnung gem. § 30 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz:

 

Die Anordnung einer häuslichen Quarantäne durch Gesundheitsämter führt zweifelsfrei dazu, dass der Umgang auszusetzen ist. Dies gilt wenn die Anordnung gegenüber dem Umgangselternteil oder dem Kind getroffen worden ist. Selbiges gilt auch für den Fall der Quarantäneanordnung gegenüber dem an sich normalerweise betreuenden Elternteil.

 

  • Freiwillige Quarantäne:

 

Problematisch sind immer die Fälle, in denen sich Beteiligte des Umgangsrechtsverhältnisses unter Verweis auf Corona in freiwillige Quarantäne begeben. Grundsätzlich ist eine solche Selbstrestriktion als Akt besonderer Verantwortung zu respektieren. Für eine Entlastung des normalerweise betreuenden Elternteils muss man wohl verlangen, dass es hinreichende objektive Gründe für den häuslichen Rückzug gibt. Dazu gehören sicherlich Fälle, in denen der Umgangsberechtigte aus einem besonders betroffenen Gebiet in Deutschland oder in Europa oder auch der Welt zurückgekehrt ist oder der Umgangsberechtigte in einem Kontaktverhältnis zu einer infizierten Person gestanden hat. Ob insoweit andere Risikofaktoren ebenso ausreichen, wird sich zeigen. So gibt es Fälle, in denen der Umgangsberechtigte z. B. in einem systemrelevanten Beruf arbeitet, z. B. im Krankenhaus als Arzt oder Arzthelfer etc., und somit berechtigterweise schon ein erhöhtes Risiko anzunehmen ist. Auch wenn der normal betreuende Elternteil sich im Homeoffice befindet und letztendlich nur für die notwendigen Besorgungen nach außen geht, aber der andere Elternteil noch im Kundenkontakt oder im Mitarbeiterkontakt steht, könnte auch dies zu einer solchen Risikoeinschätzung führen.

 

Das ist jedoch wie gesagt dann Aufgabe der Gerichte dies ggf. nach Überwinden der Krise einzuschätzen. So liest man derzeit häufig folgende Hinweise:

 

„Anlässlich der derzeit durch das Corona-Virus bestehenden Situation wird des Weiteren darauf hingewiesen, dass vereinbarte Umgangskontakte in diesem Zusammenhang nur aufgrund eines konkret bestehenden Risikos, nicht aber allein aufgrund der derzeit allgemein bestehenden Infektionsgefahr ausgesetzt werden dürfen.“

 

So häufige Hinweise der Amtsgerichte, wobei dann wieder auszulegen ist, wann es sich um ein „konkret bestehendes Risiko“ handelt oder nicht. Ratschläge sind hier äußerst schwierig zu geben.

 

  • Ausgangssperre:

 

Eine Ausgangssperre haben wir derzeit noch nicht, so dass wir eben in dem Zwiespalt zwischen der oben genannten „freiwilligen Quarantäne“ und eben der angeordneten Sperre sind. Sollte eine Ausgangssperre verhängt werden, ist die Durchführung von Umgangskontakten schlichtweg nicht mehr möglich und eine Umgangsregelung für die Dauer eine solcher Anordnung nicht mehr vollstreckbar.

 

In einer solchen Situation, wie wir sie jetzt haben, sollten pragmatische Lösungen gefunden werden und nicht die Gerichte bemüht werden. Der Ausgang ist ohnehin offen. So gibt es auch Fälle, in denen eben die Betreuungssituation der Kinder schwierig ist und möglicherweise sogar sinnvollerweise die Ausweitung eines Umgangs anzudenken wäre, um eben den beteiligten Eltern noch eine gewisse Arbeitsleistung zu ermöglichen. Dazu ist immer Elternkonsens notwendig. Auch im Bereich des Familienrechtes wird man daher das Wort „Solidarität“ in diesen Zeiten zu bemühen haben. Ob der Gang zum Gericht dann der richtige Weg ist, mag zu bezweifeln sein.

 

Ausdrücklich wird jedoch nochmals darauf hingewiesen, dass das Umgangsrecht vollständig neben dem sogenannten Sorgerecht als Kindschaftsrecht steht und die Frage, ob der normalerweise umgangsberechtigte Elternteil auch Sorgerechtsinhaber ist oder nicht, keine Rolle spielt. In der Sache selbst wird es auf den jeweiligen Einzelfall ankommen.

 

 

 

 

 

 

Rechtsanwalt Simon-Peter Heinzel

Fachanwalt für Familienrecht