RA Simon Heinzel, Fachanwalt für Familienrecht
- Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
BVerfG, Beschluss vom 24.06.2015 – Az. 1 BvR 486/14 – Art. 6 II, 3 I GG; §§1671, 1684 BGB
(FF 2015, Seite 405 ff.)
- Der Gesetzgeber überschreitet seinen verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum nicht dadurch, dass er die Anordnung paritätischer Betreuung nicht als Regelfall vorsieht. Die Einbeziehung aller Eltern in den Schutzbereich des Art. 6 II GG bedeutet nicht, dass allen Müttern und Vätern stets die gleichen Rechte im Verhältnis zu ihrem Kind eingeräumt werden müssen.
- Ob die Anordnung einer paritätischen Betreuung gegen den Willen eines Elternteils – sei es im Wege sorgerechtlicher Regelung, sei es als umgangsrechtliche Regelung – nach dem derzeitigen Fachrecht ausgeschlossen ist, ist eine primär von den Fachgerichten zu klärende Frage.
- Soweit die gerichtliche Anordnung einer paritätischen Betreuung nach geltendem Recht möglich wäre, könnte hierüber nur nach der jeweiligen Lage Einzelfalls unter Berücksichtigung des Kindeswohls und unter Beachtung der berechtigten Interessen der Eltern und des Kindes sachgerecht entschieden werden.
- Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Anordnung einer paritätischen Betreuung unter Hinweis auf im Einzelnen dargelegte erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten sowie eine nachvollziehbar prognostizierte weitere Steigerung des hohen Konfliktpotenzials der Eltern als nicht dem Kindeswohl entsprechend abgelehnt wird.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer (Vater eines 2011 geborenen Kindes) vor allem dagegen, dass die Gerichte ihm kein paritätisches Umgangsrecht (Wechselmodell) eingeräumt haben und beanstandet die Gesetzeslage. Die Vorinstanzen haben ein Wechselmodell nicht angeordnet. Mag zwar das BVerfG die Verfassungsbeschwerde gar nicht zur Entscheidung angenommen haben, so hat das BVerfG in seiner Begründung trotzdem zur der Frage der Verfassungskonformität der aktuellen Gesetzeslage bezüglich der Zuordnung der elterlichen Sorge sowie des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern, als auch einer möglicherweise gegen Verfassungsgrundsätze verstoßenden Auslegung der §§ 1671, 1684 BGB durch die vorangehenden Fachgerichte Stellung genommen. Das BVerfG hat in seinem Beschluss umfassend die in der Rechtsprechung vertretenden Meinungen zu der Frage dargestellt, ob gegen den geklärten Willen eines Elternteiles ein Wechselmodell möglich ist, ohne jedoch hier eine eigene Wertung vorzunehmen. Es wurde klargestellt, dass der Gesetzgeber durch die jetzige Gesetzeslage, die das Wechselmodell nicht als Regelfall vorsieht, seinen Gestaltungsspielraum in nicht zu beanstandender Weise ausfüllt und somit die derzeitige Gesetzeslage verfassungskonform ist. Offen bleibt in der Entscheidung, ob gegen den Willen eines Elternteiles ein Wechselmodell angeordnet werden kann. Das Verfassungsgericht verweist darauf, dass sowohl bei jetziger Rechtslage als auch bei evtl. veränderter Rechtslage immer die Elternverantwortung, die am Kindeswohl ausgerichtet sein muss im Vordergrund zu stehen hat. Das heißt im Klartext: Es muss stets eine tragfähige soziale Beziehung und ein Mindestmaß an Übereinstimmungen zwischen den Eltern bestehen um ein Wechselmodell zu installieren (so auch Clausus FF 2015 Seite 409 ff.). Die auch heute schon wichtige Frage der objektiven Kooperationsfähigkeit und des subjektiven Kooperationswillens der Eltern wird immer im Vordergrund zu stehen haben. Dem Kindeswohl kann es nur entsprechen, wenn durch das gelebte Betreuungsmodell ein nicht zusätzlicher elterlicher Konflikt vorliegt in den das Kind involviert wird. Zentraler Maßstab ist und bleibt das Kindeswohl. Exemplarisch führt das BVerfG aus, dass Eltern, die sich wechselseitig als „geisteskrank“ oder „klagewütig“ verunklimpfen und nicht bereit sind sich auf eine Elternmediation einzulassen deutlich machen, dass ein Wechselmodell nicht der geeignete Weg ist, da ein solches Modell eine intensive und kooperative Zusammenarbeit der Elternteile erfordert.
Es macht keinen Sinn an dieser Stelle die Einzelheiten der Verfassungsgerichtlichen Entscheidung wiederzugeben, klar positioniert hat sich das BVerfG dazu, dass es wohl keine gesetzgeberische Pflicht gibt das Wechselmodell als Regelfall einzuführen, weder aus verfassungsrechtlicher Sicht noch unter dem Blickwinkel UN – Kinderrechtskonvention. Insoweit spielt es überhaupt keine Rolle, ob diese Frage eine Frage der elterlichen Sorge oder eine Frage des Umgangsrechts ist, denn sowohl bei § 1671 BGB (Sorgerecht) als auch bei § 1684 BGB (Umgangsrecht) müssen die Fachgerichte die Grundrechtspositionen der Eltern und insbesondere das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Bei den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Instanzentscheidungen ist diesen Vorrausetzungen Rechnung getragen worden und daher nicht zu beanstanden. Ein Verfassungsverstoß war nicht zu erkennen.
Diese Entscheidung macht deutlich, dass auch das Verfassungsgericht keinen grundsätzlichen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht, im Einzelfall die Instanzgerichte unter Zugrundelegung des Kindeswohles zu entscheiden haben und das Wechselmodell derzeit nicht als „Regelfall“ gesetzlich zu normieren ist. Eine gute Übersicht über die derzeitige Rechtsprechung und über Entscheidungen der Instanzgerichte zu dieser Thematik finden Sie bei Hammer, FamRZ 2015 Seite 1433 ff. Ebenso empfohlen wird die Lektüre ISUV – Schriftenreihe Band 7 „Vom Starren Residenzmodell zum individuellen Wechselmodell“. Das Wechselmodell ist nicht nur bei der Frage seiner „Installierung“ umstritten, sondern insbesondere in Fragen des Kindesunterhaltes/Ehegattenunterhaltes, in verwaltungsrechtlichen Fragen (Wohnsitz, Kindergeldberechtigung, Sozialhilfe etc.) und wird sowohl Rechtsprechung als auch Literatur weiterhin beschäftigen.
- Bundesgerichtshof (BGH)
BGH, Urteil vom 22.07.2015 – Az. VI ZR 437/14 – §133 BGB
(FamRZ 2015 Seite 1883)
Die Erklärung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer, im Falle seines Todes solle „der verwitwete Ehegatte“ Bezugsberechtigter der Versicherungsleistung sein, ist auch im Fall einer späteren Scheidung der Ehe und Wiederheirat des Versicherungsnehmers regelmäßig dahin auszulegen, dass der mit dem Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt der Bezugsrechtserklärung – zumeist bei Abschluss des Versicherungsvertrages – verheiratete Ehegatte bezugsberechtigt sein soll.
Im zugrunde liegenden Fall hat die zweite Ehefrau gegen die Versicherung auf Auszahlung der Versicherungssumme geklagt. Sie war ja schließlich die verwitwete Ehegattin des Versicherungsnehmers und in den Versicherungsbedingungen stand, dass im Todesfall der verwitwete Ehegatte Anspruchsinhaber ist. Der Versicherungsnehmer war in erster Ehe verheiratet. Um Unklarheiten zu beseitigen hatte die Versicherung um die Übersendung einer ausgefüllten Begünstigungserklärung gebeten woraufhin der Versicherungsnehmer bestimmte, dass nach seinem Tote der verwitwete Ehegatte bezugsberechtigt sein soll. Nach dieser Erklärung hat sich der Versicherungsnehmer von seiner ersten Frau scheiden lassen und neu geheiratet. Der Versicherungsnehmer hat nach der neuerlichen Hochzeit sogar bei der Versicherung wegen der Bezugsberechtigung nachgefragt und die Mitteilung erhalten, dass im Todesfall „ihre verwitwete Ehegattin“ begünstigt sei. Jahre später ist der Versicherungsnehmer verstorben. Die Versicherung hat an die erste geschiedene Ehegattin ausbezahlt. Die zweite – verwitwete – Ehegattin hat daraufhin geklagt. Das Landgericht Frankfurt (AZ 23 O 354/12) gab der Klage statt. Die Berufung der Versicherung hat das OLG Frankfurt zurückgewiesen (Az. 3 U 124/13). Hiergegen hat die Versicherung Revision zum BGH eingelegt und hatte Erfolg.
Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass bei der Auslegung der Bestimmung eines Bezugsrechtes aus einer LV auf dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Versicherungsnehmer seine Erklärung abgibt. Zu diesem Zeitpunkt gilt sein Wille. Spätere Umstände, wie Scheidung oder Wiederheirat sind unerheblich. Nachträgliche Änderungen sind unbeachtlich bis sie dem Versicherer so mitgeteilt werden, dass dieser den Inhalt einer beabsichtigten Bezugsrechtsänderung erkennen kann. Der verstorbene Versicherungsnehmer hatte auch bei seiner Nachfrage im Jahr 2003 nicht auf Umstände der Scheidung / Wiederheirat hingewiesen.
Der Verfasser hält diese Entscheidung für bedenklich, zumal für den Versicherungsnehmer der Begriff des „verwitweten Ehegatten“ grundsätzlich so zu verstehen ist, dass es sich um den Ehegatten handelt der zum Zeitpunkt seines Todes dann Witwe / Witwer ist. Gerade mit seiner Nachfrage beim Versicherer – auch wenn der Versicherer den Hintergrund der Nachfrage nicht kannte – hat der Versicherungsnehmer deutlich gemacht, dass er nicht mehr von einer Bezugsberechtigung seiner ersten Ehefrau ausgeht, sondern von einer solchen der zweiten Ehefrau, anderenfalls hätte er nach „gesunden Menschenverstand“ die Bezugsberechtigung ausdrücklich auf die zweite Ehefrau abgeändert. In einem solchen Fall auf den Zeitpunkt der Ursprungserklärung abzustellen erscheint nicht sachgerecht. Es mag schon richtig sein, dass der Versicherer nach seinem Empfängerhorizont keine Änderung des Bezugsrechtes annehmen konnte, aber die Nachfrage des Versicherungsnehmers lässt zumindest die Auslegung zu, dass er sicherstellen wollte, dass seine neue Ehefrau die Bezugsberechtigte ist, denn er ist mit Sicherheit davon ausgegangen, dass ein verwitweter Ehegatte im Falle seines Todes nur seine jetzige Frau sein kann und nicht die geschiedene Ehefrau.
Der BGH bestätigt zwar damit seine Rechtsprechung (BGH FamRZ 2007 Seite 1005), ob sie im hiesigen Einzelfall „richtig“ ist, ist zumindest diskussionswürdig. Da ist schon dem OLG Frankfurt in der Vorinstanz Recht zu geben, wenn wie folgt begründet wird: Der Begriff verwitwete Ehefrau bezeichnet definitionsgemäß die Person, deren Ehepartner während einer bestehenden Ehe verstirbt. Davon muss auch der Versicherungsnehmer ausgegangen sein, weil er aufgrund seiner Nachfrage im Jahr 2003 und der Mitteilung der Versicherung keinen Anlass sah die Bezugsberechtigung zu ändern. Das sieht der BGH anders. Das muss man wissen. Daher kann nur jedem Versicherungsnehmer bei jeder Heirat angeraten werden ausdrücklich die Bezugsberechtigung zu ändern und insbesondere auch dann zu ändern wenn vormals der verwitwete Ehegatte als Begünstigter genannt wurde.
Die Entscheidung des BGH muss zunächst als gegeben hingenommen werden und Versicherungsnehmern ist anzuraten Bezugsberechtigungen zu überprüfen, anzupassen und im Einzelfall abzuändern. Es hilft wenig, wenn man eine höchstrichterliche Rechtsprechung für unrichtig erachtet, (so auch Stumpe, FamRZ 2015 Seite 1885 in der Anmerkung zum hiesigen Urteil des BGH). Ratsam ist sie zu kennen und dementsprechend zu handeln.
III. Bundesfinanzhof (BFH)
BFH, Urteil vom 18.06.2015 – Az. VI R 17/14 – § 33 EStG
(NZFam 2015, Seite 934)
- Die Kosten eines Zivilprozesses sind im Allgemeinen keine außergewöhnlichen Belastungen i.S.d. § 33 EStG (Änderung der Rechtsprechung des BFH)
- Etwas anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn ein Rechtstreit einen für den Steuerpflichtigen existenziell wichtigen Bereich oder den Kernbereich des menschlichen Lebens berührt.
In einem Erbrechtsstreit – die Grundsätze sind jedoch auch für familienrechtliche Streitigkeiten zu übernehmen – wollte der Kläger seine ihm entstandenen Anwalts- und Gerichtskosten im Veranlagungszeitraum 2010 als außergewöhnliche Belastungen absetzen. Insoweit hat sich der Kläger auf das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 12.05.2011 – Az. VI R 42/10 berufen (NJW 2011, S. 3055), wonach sämtliche Zivilprozesskosten als abzugsfähig anerkannt wurden. Im Jahr 2011 hat der BFH entschieden, dass privat veranlasste Zivilprozesskosten abzugsfähig sind, wenn eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und nicht mutwillig erschien. Der BFH hat nunmehr seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2011 aufgegeben und ist zu seiner alten früheren Rechtsprechung zurückgekehrt, wonach derartige Kosten nur dann als außergewöhnliche Belastungen zu behandeln sind, wenn sie den existenziell wichtigen Bereich / Kernbereich des menschlichen Lebens berühren.
Diese neue Rechtsprechung des BFH hat auch auf die Anerkennung von Kosten eines Scheidungsverfahrens und der Folgesachen Auswirkungen. Danach sind Scheidungskosten nur dann absetzbar, wenn der Gerichtsprozess der einzige mögliche Weg war. Das gilt nur für die Scheidung und die Folgesache Versorgungsausgleich, für alle anderen Folgesachen besteht kein sogenannter Zwangsverbund – derartige Dinge können die Leute auch ohne Gericht regeln, wie
z. B. Unterhalt, Zugewinn etc. – sodass keine Zwangsläufigkeit vorliegt. Dies hat zu Folge dass letztendlich nur die Kosten für die Scheidung selbst und den Versorgungsausgleich absetzungsfähig sind.
Diese Entscheidung erfolgte für einen Zeitraum vor dem 01.01.2013. Zum 01.07.2013 hat sich die Gesetzeslage ohnehin geändert, wonach Zivilprozesskosten nur abzugsfähig sind, wenn es sich um Aufwendungen handelt, ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen zu können. Für Veranlagungszeiträume ab 2013 bzw. ab 01.07.2013 stellt sich daher die Frage, ob zumindest die nunmehr korrigierte alte Rechtsprechung anzuwenden ist (so FG Münster Az. 4 K 1829/14E, Revision anhängig beim BFH, Az. VI R 81/14 oder FG Rheinland-Pfalz Az. 4 K 1976/14, Revision anhängig beim BFH Az. VI R 66/14) oder überhaupt keine Absetzungsmöglichkeit besteht weil die Voraussetzungen Existenzgrundlage / lebensnotwendige Bedürfnisse auch für die Kosten einer Scheidung / Versorgungsausgleich diese zu meist nicht tangieren (FG Niedersachsen Az. 3 K 297/14, Revision anhängig beim BFH Az. VI R 19/15).
Einzelheiten hierzu finden Sie im ISUV Report Nr. 144 Seite 15 bzw. ISUV-Merkblatt Nr. 52. Aufgrund der jetzigen Entscheidung des BFH wird man weiterhin anzuraten haben den Steuerabzug beim Finanzamt für Veranlagungszeiträume ab 2013 bzw. ab 01.07.2013 zu beantragen. Dies gilt aber wohl nur noch für die Kosten von Scheidung / Versorgungsausgleich. Auch für Veranlagungszeiträume vor 2013 bzw. bis 30.06.2013 wird man außergewöhnliche Belastungen nur noch für die Kosten der Scheidung / Versorgungsausgleich geltend machen können. Nachdem jedoch der BFH jetzt wieder eine Kehrtwendung gemacht hat kann nicht vorausgesagt werden ob andere Gerichte – ggf. ein anderer Senat des BFH – die ganze Sache wieder anders sieht. Auch der Gesetzgeber hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren mehrfach „verändert“. Es bleibt dabei, die Absetzbarkeit von Scheidungskosten und deren Folgesachen bleibt eine „never ending story“ (siehe Report Nr. 144 Seite 15).
- Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)
BVerwG, Urteil vom 30.09.2015 – Az. 6 C 38/14
Auch abwechselnd bei Vater oder Mutter lebende Kinder (Wechselmodell) können nur einen Hauptwohnsitz haben.
Diese Entscheidung zeigt, dass die Problematik des Wechselmodells (siehe obige Entscheidung des BVerfG) in die verschiedensten Rechtsbereiche hineinreicht. Melderechtlich kann ein Kind nach dieser Entscheidung seine Hauptwohnung nur bei einem Elternteil haben. Die gesetzlichen Bestimmungen des Melderechtes sehen nur eine Hauptwohnung vor. Insoweit besteht beim Wechselmodell dann auch eine Verpflichtung der Eltern sich über den Hauptwohnsitz einig zu werden. Können sich die Eltern nicht einigen, soll Hauptwohnung die Wohnung desjenigen Elternteils sein, dessen Wohnung bislang Hauptwohnung oder alleinige Wohnung des minderjährigen Kindes war. Mit dieser Entscheidung hat das Gericht den Antrag des Vaters das Melderegister zu berichtigen abgelehnt. Mit der Frage des Wohnsitzes und des Hauptsitzes gehen häufig auch andere Fragen einher, wie z.B. die Kindergeldberechtigung, Wohngeldfragen, sozialhilferechtliche Fragen. Das Wechselmodell wirft viele Fragen in verschiedensten Rechtsbereichen auf. Nach der jetzigen Rechtslage wird man damit leben müssen, dass das Gesetz grundsätzlich von dem sogenannten Residenzmodell ausgeht und auch andere rechtliche Normen die Aufsplittung der Zugehörigkeit eines Kindes zu mehreren Eltern nicht kennt.
- Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
BVerfG, Beschluss vom 04.08.2015 – Az. 1 BvR 1388/15 – Art. 6 III GG; § 1671 BGB
(NZFam 2015 S. 1026)
Die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen Elternteil (eheliches Kind) setzt keine Kindeswohlgefährdung voraus, wie sie bei der Trennung des Kindes von seinen beiden Eltern Art. 6 III GG bestehen muss.
Die Instanzgerichte hatten der Mutter die alleinige elterliche Sorge übertragen. Hiergegen wendet sich der Kindsvater. Die Instanzgerichte hatten auf der Grundlage von Jugendamtsberichten, Stellungnahme des Verfahrensbeistandes, des Verfahrensablaufes unter Einstellung der Ergebnisse des Umgangsverfahrens (Sachverständigengutachten), sowie des persönlichen Eindrucks der Beteiligten eine tragfähige soziale Grundlage zwischen den Eltern für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge verneint. Die Verfassungsbeschwerde wurde als unzulässig und in der Sache unbegründet nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Verfassungsgericht führt aus, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge verfassungsrechtlich dann gerechtfertigt ist, wenn es an den tatsächlichen Voraussetzungen für die Ausübung gemeinsamer elterlicher Sorge fehlt. Das liegt insbesondere dann vor, wenn eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen fehlt. Insbesondere ist keine Voraussetzung für die Übertragung der alleinigen Sorge, dass bei fortbestehender gemeinsamer Sorge eine Kindeswohlgefährdung bestünde. Dies wird nur gefordert bei der Trennung eines Kindes von seinen beiden Eltern (Art. 6 III GG).
Mit dieser Entscheidung weist das BVerfG deutlich darauf hin, dass der strenge Prüfungsmaßstab bei Trennung von Kindern von seinen Eltern insgesamt (z. B. BVerfG, NJW 2015, S. 223) bei Entscheidungen zur Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf ein Elternteil nicht anzuwenden ist. Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz wenn der Prüfungsmaßstab hier derjenige ist, dass ein Mindestmaß an Kommunikation und Übereinstimmung der Eltern erforderlich ist und gerade nicht die Kindeswohlgefährdung bei Beibehaltung der gemeinsamen Sorge nachgewiesen werden muss.
Im Zusammenhang mit dem elterlichen Sorgerecht soll an dieser Stelle auch zwei Entscheidungen des OLG Brandenburg zur Thematik der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern Beachtung geschenkt werden:
OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.08.2015 – Az. 13 UF 50/15 – §§ 1626 a, 1671 BGB (NZFam 2015 Seite 935)
In den Sorgerechtsverfahren, die sich bei nichtehelichen Kindern gegen die bisherige Alleinsorge nach § 1626a BGB richten, gilt die gesetzliche Vermutung für die Kindeswohldienlichkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge, also der normative Vorrang dieser Sorgezuordnung (gemeinsame elterliche Sorge bei nichtehelichen Kindern) vor anderen Varianten. Diese gesetzliche Vermutung ist widerleglich.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2015 – Az. 13 UF 96/15 – §§ 1626 a, 1671 BGB (NZFam 2015, S. 1027)
Mit der Neufassung durch das Gesetz vom 16.04.2013 sind grundlegende Rechtsänderungen bewirkt worden: Einer positiven Feststellung der Kindeswohldienlichkeit väterlicher Mitsorge bedarf es nicht mehr. Vielmehr ist eine widerlegbare Vermutung eingeführt worden, ein gesetzliches Leitbild, das zur Geltung zu bringen ist, wenn Einwände gegen die Mitsorge ausbleiben oder nicht überzeugen. Nur wenn sich aus dem Vortrag der Antragsgegnerin oder aus anderen Erkenntnisquellen Gegengründe ergeben, darf es bei der Alleinsorge der Mutter bleiben.
Diese beiden Entscheidungen des OLG Brandenburg befassen sich mit der elterlichen Sorge nichtehelicher Väter. Aus gegebenem Anlass sollen auch diese beiden Entscheidungen unter der Rubrik „höchstrichterliche Entscheidungen“ mit aufgenommen sein, da sie auch das elterliche Sorgerecht betreffen und das BVerfG sich zu den hier aufgeworfenen Themen noch nicht abschließend geäußert hat. In beiden Fällen hatten die Mütter vorgetragen, dass es trotz funktionierenden Umgangs keine Möglichkeit gäbe, wichtige Belange des Kindes miteinander zu besprechen. Die Mütter befürchteten das Einmischen des Vaters in den Alltag. Es wurde vorgetragen, es fehle die nötige Kooperationsfähigkeit der Eltern, zukünftige Streitigkeiten seien vorprogrammiert, was zu erheblichen Belastungen des Kindes führen wird. In beiden Fällen geht das OLG Brandenburg davon aus, dass die Entscheidung, die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam zu übertragen, nicht dem Kindeswohl widerspricht. § 1626 a BGB formuliert, dass eine Sorgeübertragung hin zur gemeinsamen Sorge immer dann anzuordnen sei, wenn dies dem Kindeswohl „nicht widerspricht“ = negative Kindeswohlprüfung. Eine positive Feststellung der Kindeswohldienlichkeit bedarf es nicht. Wenn keine Gegengründe festgestellt werden können, geht das gesetzliche Leitbild davon aus, dass dann die gemeinsame Sorge zu installieren ist. Erst wenn aus dem Vortrag der Mutter oder aus anderen Quellen so konkrete Anhaltspunkte vorliegen, denen nachzugehen ist, muss das Gericht eigene Ermittlungen anstellen.
Allein der Vortrag, die Eltern seien zur Kommunikation miteinander nicht in der Lage, ist nicht ausreichend. Auch die Antragstellung durch den Kindsvater allein kann nicht auf eine Zerstrittenheit der Eltern geschlossen werden, anderenfalls sei kein Verfahren mit positiven Abschluss mehr denkbar. In beiden Verfahren hat das Gericht auch keine vollständige Verweigerung der Kommunikation gesehen, weil schließlich Absprachen zum Umgang etc. möglich sind. Weiterhin weist das Gericht daraufhin, dass es nur eine geringe Anzahl an sorgerechtlichen Entscheidungen gibt und es somit nicht häufig zu Streitpunkten kommen wird. Weiterhin wird ausgeführt, dass die gemeinsame Sorge dazu dienen wird, auch geglaubte unüberbrückbare Differenzen zu beheben, wenn die Mutter die Entscheidung als unliebsam aber verbindlich hinnehmen wird/muss.
Mit diesen Entscheidungen wird vermieden, zur Frage der „Zerstrittenheit“ auch noch ein Gutachten hereinzuholen. Jedenfalls geht das OLG Brandenburg von einer gesetzlichen Vermutung für das gemeinsame elterliche Sorgerecht aus, eingeschränkt durch die Widerlegbarkeit (so auch OLG Zelle NZFam 2014 S. 367; OLG Nürnberg FamRZ 2015 S. 571). Die Rechtsbeschwerde zum BGH wurde zugelassen. Der BGH wird als höchstes Zivilgericht alsbald über diese Frage entscheiden, die Tendenz zur gesetzlichen Vermutung ist jedoch vorgegeben. In der Praxis wird es dann darauf ankommen, welche objektiven Kriterien vorliegen müssen um die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Es wird auch die Gefahr bestehen, dass Betroffene (Mütter) ihr Verhalten zielgerichtet daraufhin einstellen, um eine vollständige Zerstrittenheit darzulegen. Das kann sogar soweit führen, dass dann in jedweder Lebenssituation auf Konfrontation gegangen wird und sogar ein bestehendes Umgangsrecht in Frage gestellt wird. Das wird dem Kindeswohl mit Sicherheit nicht dienlich sein und dem muss dann ggf. rigoros begegnet werden, ggf. mit Sorgerechtsentzug.
- Bundesverfassungsgericht (BVerFG)
BVerFG, Beschluss vom 29.07.2015 – Az. 1 BvR 1468/15 – Art. 6 II GG; §1684 BGB (FF 2015 S. 451
Die Zurückweisung des Antrages eines Elternteiles auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung des Umgangs mit seinem Kind durch das Familiengericht ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn nur ein begleiteter Umgang in Betracht kommt, jedoch kein zur Mitwirkung bereiter Dritter vorhanden ist.
Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein begleiteter Umgang nur gangbar / möglich ist, wenn jemand bereit ist der Begleiter zu sein. Gerichte haben keine Möglichkeit Dritten gegen ihren Willen eine Umgangsbegleitung aufzuerlegen. Auch kann grundsätzlich dem Jugendamt keine Weisung erteilt werden. Weigert sich das Jugendamt, stellt sich nur die Frage ob dies gegen § 18 Abs. 3 S.4 SGB VIII verstößt, wonach das Jugendamt in geeigneten Fällen – was immer das sein mag – beim begleitenden Umgang mitzuwirken hat. Eine Weigerung könnte dann ggf. im Wege der Dienstaufsicht geklärt werden, oder ggf. verwaltungsgerichtlich durch den umgangsberechtigten Elternteil. Offensichtlich wird hierin ein ausreichender Rechtschutz gesehen.
In der Praxis werden karitative Einrichtungen häufig für die Umgangsbegleitung hinzugezogen, bzw. diese Institutionen helfen hierbei. Dass ein begleiteter Umgang mit Schwierigkeiten behaftet ist liegt auf der Hand und wird selten der Interessen der Eltern gerecht. Wenn aber aus Sicht des Gerichtes nur ein begleiteter Umgang in Betracht kommt, muss eben mit „Unannehmlichkeiten“ bei der Umgangsbegleitung gelebt werden. Wenn sich aus den verschiedensten Gründen kein Umgangsbegleiter finden lässt, ist auch die Zurückweisung eines Umgangsantrages nicht verfassungswidrig. Welche Mitwirkungspflichten und Loyalitätspflichten der betreuende Elternteil hat, muss gemäß §1684 Abs. 2 BGB im Einzelfall geprüft werden.
Die Zusammenstellung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Familienrecht auf einer Vielzahl von Rechtsgebieten und verschiedenster oberster Gerichte macht deutlich, dass gerade das Familienrecht in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinwirkt und immer wieder Anlass gibt höchstrichterliche Entscheidungen zu treffen. Das Hauptaugenmerk bei der Zusammenstellung liegt auf dem Sorgerecht einschließlich des Wechselmodells, da dies gerade auch in der öffentlichen Diskussion steht. Dabei darf man aber auch für die Praxis wichtige Entscheidungen nicht übergehen (Lebensversicherung/Steuer).