- Wechselmodell
BGH, Beschluss vom 20.04.2016 – Az. XII ZB 45/15 – §§ 1606 Abs. 3, 1612 b BGB; § 64 EStG
FamRZ 2016, Seite 1053; NJW 2016, Seite 1956
- Betreuen die Eltern ihr Kind im Wechselmodell, ohne dass ein unterhaltsrechtlicher Gesamtausgleich stattfindet – weil sie sich einig sind gegenseitig keinen Kindesunterhalt zu bezahlen – kann der nicht kindergeldbeziehende Elternteil den auf ihn entfallenden Anteil des Kindergeldes als familienrechtlichen Ausgleichsanspruch gegen den das Kindergeld beziehende Elternteil selbständig geltend machen.
- Beim Wechselmodell steht ihm der auf den Betreuungsunterhalt entfallende hälftige Anteil des Kindergeldes hälftig zu, mithin in Höhe von ¼ des gesamten Kindergeldes. Der auf den Barunterhalt entfallende hälftige Anteil wird entsprechend der Einkommensverhältnisse verteilt.
- Kindergeld kann nach Rechtslage nur ein Elternteil beziehen. Ein isolierter Antrag auf Auskehrung des hälftigen Kindergeldes gegenüber der Familienkasse scheidet aus. Es verbleibt der familienrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß Ziffer 1.
Im vorliegenden Fall waren sich die Eltern im Wechselmodell einig, dass kein gegenseitiger Kindesunterhalt wechselseitig bezahlt wird. Nachdem die Kindsmutter das Kindergeld erhalten hat, begehrte der Vater die Hälfte hiervon. Der BGH sieht hier allenfalls einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch der Kindeseltern untereinander. Der BGH splittet das Kindergeld in 50 % für Betreuungsunterhalt und 50 % für Barunterhalt. Deshalb hat der BGH die Hälfte von 50 % für Betreuungsunterhalt dem Vater zugesprochen (paritätisches Wechselmodell). Hinsichtlich der 50 % für Barunterhalt konnte der BGH dem Vater keinen Anteil zusprechen, da der Vater die Darlegungs- und Beweislast für die maßgeblichen Haftungsanteile aufgrund der Einkommensverhältnisse trägt, jedoch hierzu der Vater nicht ausreichend vorgetragen hat. Die auf den Barunterhalt entfallende zweite Hälfte des Kindergeldes lässt sich nur einkommensbezogen im Rahmen einer unterhaltsrechtlichen Gesamtabrechnung der Haftungsanteile am Bedarf des Kindes ermitteln (Wendl/Dose/Klinkhammer, § 2, Rz. 450), weil eine solche Gesamtabrechnung im zu entscheidenden Fall nicht möglich war, war der familienrechtliche Ausgleichsanspruch nur in Höhe von ¼ des gesamten Kindergeldes begründet.
Andere Rechtsansichten hatten jedem Elternteil automatisch die Hälfte des Kindergeldes zugesprochen, andere wollten das gesamte Kindergeld im Verhältnis der Einkommen verteilen, was jedoch den besser verdienenden Elternteil bevorzugen würde. In der Praxis kommt ein solcher Fall der isolierten Geltendmachung des Kindergeldausgleichs seltener vor, da doch zumeist aufgrund der unterschiedlichen Einkommensverhältnisse eine Quotenbeteiligung am Unterhalt des Kindes errechnet wird. Trotzdem gibt diese Entscheidung auch für diese Berechnung den Weg vor, wie der Unterhalt im Wechselmodell „richtig“ berechnet wird:
Beispiel:
Vater Nettoeinkommen 3000 €
Mutter Nettoeinkommen 2000 €
Mutter erhält das Kindergeld (190 €), für zusätzlichen Wohnraum sind 50 € zu berücksichtigen, 30 € zusätzliche Fahrtkosten, die der Vater bezahlt, ebenso den Mehrbedarf für sportliche Aktivitäten i. H. v. 30 €, die Mutter bezahlt den Mehrbedarf für Klavierunterricht i.H.v. 50 €
Lösung:
- Bedarf:
Der Gesamtbedarf des Kindes errechnet sich aus dem zusammengezählten Einkommen beider Elternteile = 5000 €. Bei Altersstufe 2 ergibt dies 615 € abzgl. hälftiges Kindergeld 95 € = 520 € (bei der späteren Quotenberechnung führt die Anrechnung des hälftigen Kindergeldes an dieser Stelle zu einer Verteilung nach den Einkommensverhältnissen/Aufteilung des hälftigen Kindergeldes für Barunterhalt nach Quote). Zum Bedarf wird addiert 50 € Zimmer (wobei auf jeden Elternteil 25 € hälftig verteilt werden) zzgl. 30 € Fahrtkosten zzgl. Mehrbedarf 30 € (Sport) und 50 € (Klavier), ergibt Gesamtbedarf des Kindes 680 € - Quote:
Gemäß § 1606 Abs. 3 BGB wird unter Berücksichtigung eines jeweiligen Selbstbehaltes von 1300 € die Quote errechnet, in der sich jeder Elternteil am Bedarf des Kindes zu beteiligen hat. Auf der Grundlage der in allen Leitlinien abgedruckten Formel zur Quotenberechnung ergibt sich ein Haftungsanteil
des Vaters von 71 %, ergibt 482 €
der Mutter von 29 %, ergibt 198 €Durch diese Quotenberechnung erhält letztendlich der besserverdienende Elternteil aufgrund des Vorwegabzugs des hälftigen Kindergeldanteils für den Barbedarf ebenso 71 % hiervon und der andere (Mutter) lediglich 29 %.
- Anrechnung erbrachter Leistungen/Kindergeld
Vater: 482 € ./. 25 € halber Wohnmehrbedarf ./. 30 € Fahrtkosten ./. 30 € Sportmehrbedarf = 397 €
Mutter: 198 € ./. 25 € halber Wohnmehrbedarf ./. 50 € Klavier + 95 € Hälfte des Kindergeldes für den Barbedarf der an die Mutter ausbezahlt wurde, da sie das gesamte Kindergeld erhalten hat = 218 € - Ausgleichszahlung:
397 € ./. 218 € = 179 € : 2 = Ausgleichszahlung von Vater an Mutter 89,50 €
jetzt kommt die Rechtsprechung des BGH ins Spiel, indem die Mutter dem Vater noch ein weiteres ¼ des Gesamtkindergeldes (Hälfte des hälftigen auf den Betreuungsbedarf anfallenden Kindergeldanteils) i.H.v. 47,50 € zu geben hat. Diese 47,50 € abgezogen vom eigentlichen Ausgleichsbetrag von 89,50 € ergibt einen tatsächliche Zahlbetrag von Vater an Mutter für den Bedarf des Kindes i.H.v. 42 €.
An dieser Berechnung sieht man, dass die eine Hälfte des Kindergeldes (Betreuung) exakt halbiert auf beide Elternteile aufgeteilt wird (¼) und die andere Hälfte des Kindergeldes (Barunterhalt) quotal entsprechend der Einkommensverhältnisse zur Ausgleichung kommt. So wird man in Zukunft die Berechnung des Kindesunterhaltes beim Wechselmodell zu praktizieren haben.
- Nachehelicher Unterhalt
BGH, Beschluss vom 08.06.2016 – Az. XII ZB 84/15 – § 1578 b BGB
http://www.bundesgerichtshof.de
Der ehebedingte Erwerbsnachteil des unterhaltsberechtigten Ehegatten begrenzt regelmäßig die Herabsetzung seines nachehelichen Unterhaltsanspruchs gemäß § 1578 b Abs. 1 BGB. Dieser Nachteil ist nicht hälftig auf beide geschiedenen Ehegatten zu berücksichtigen.
In der Urteilsbegründung fasst der BGH nochmals die Rechtsauslegung des § 1578 b BGB zusammen und erklärt die Rechtsbegriffe „ehebedingte Nachteile“ und „nacheheliche Solidarität“. Ist man bei Einführung von § 1578 b BGB im Jahr 2008 davon ausgegangen, dass zumeist ein Unterhaltsanspruch beschränkt und insbesondere befristet werden kann, so muss man heute davon ausgehen, dass dies nur selten der Fall sein wird, da insbesondere ehebedingte Nachteile „gefunden“ werden und auch die Rollenverteilung innerhalb der Familie dazu führt, dass es eben zu ehebedingten Nachteilen kommt und die nacheheliche Solidarität dazu führt, dass eine vollständige Befristung des Unterhalts eher die Ausnahme ist.
Deshalb stellt sich die Frage, wie hoch dann ein Unterhaltsanspruch sich noch darstellt, insbesondere in welchem Größenrahmen – in € ausgedrückt – der ehebedingte Nachteil zu bemessen ist. Hier hat der BGH klar festgelegt, dass wenn ein ehebedingter Nachteil vorliegt und nachgewiesen ist, dass in voller Höhe ein Unterhaltsanspruch besteht und zwar in Höhe von 100 % des in € ausgedrückten ehebedingten Nachteils (sofern in der Gesamtschau Leistungsfähigkeit beim Unterhaltsschuldner unter Berücksichtigung des Halbteilungsgrundsatzes vorliegt), dass dann dieser ehebedingte Nachteil auch die Unterhaltshöhe darstellt. Der BGH hat sich hierzu äußern müssen, da es auch Rechtsauffassungen gab/gibt, die auch beim ehebedingten Nachteil und dem Unterhaltsbedarf hieraus den Halbteilungsgrundsatz anwenden wollten. Dem hat der BGH eine Absage erteilt und geht grundsätzlich von 100 % Nachteilsaugleich aus (unter der oben genannten Einschränkung der Leistungsfähigkeit). Dies ist ein weiterer Schritt, den nachehelichen Unterhalt für den Unterhaltsberechtigten zu stärken.
III. Sorgerecht
BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – Az. XII ZB 419/15 – § 1626 a Abs. 2 BGB
http://www.bundesgerichtshof.de
- Auch bei der „negativen“ Kindeswohlprüfung nach § 1626 a Abs. 2 Satz 1 BGB ist vorrangiger Maßstab für die Entscheidung das Kindeswohl. Notwendig ist die umfassende Abwägung aller für und gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Umstände. Dafür gelten die zur Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB entwickelten Grundsätze.
- Erst wenn sich nach erschöpfender Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, ergibt sich aus der negativen Formulierung der Kindeswohlprüfung die (objektive) Feststellungslast dahin, dass im Zweifelsfall die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Eltern gemeinsam auszusprechen ist.
- Gründe, die der gemeinsamen elterlichen Sorge im Sinne von § 1626 a Abs. 2 Satz 2 BGB entgegenstehen können, sind bereits dann gegeben, wenn sich aus den dem Gericht dargelegten oder sonst ersichtlichen konkreten tatsächlichen Anhaltspunkten die Möglichkeit ergibt, dass die gemeinsame elterliche Sorge nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Unbeachtlich sind dagegen Umstände, die keinen Bezug zum konkreten Fall oder dem Wohl des Kindes aufweisen.
- Zur persönlichen Anhörung des Kindes im Sorgerechtsverfahren.
In der Rechtsprechung ist es äußerst umstritten, ob durch § 1626 a BGB ein sogenanntes Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge für nichteheliche Kinder zu schließen ist (dafür: OLG Nürnberg, FamRZ 2014, Seite 571, OLG Brandenburg, FamRZ 2015, Seite 760 und Seite 1209; dagegen: OLG Frankfurt, FamRZ 2014, Seite 1120, OLG Stuttgart FamRZ 2015, Seite 674). Auch der BGH geht davon aus, dass es kein Regel-Ausnahmeverhältnis gibt sondern nur ein Leitbild, welches den erleichterten Zugang zu einer gemeinsamen elterlichen Sorge ermöglicht, d. h. es gibt zwar einen nicht allzu hohen Prüfungsmaßstab, jedoch ist eine erschöpfende Sachaufklärung geboten. Im kontroversen Einzelfall entscheidet unabhängig von einem Vor- oder Nachrang ausschließlich das Kindeswohl. Der Maßstab diesbezüglich ist wie bei § 1671 BGB. Fehlende elterliche Kooperationsfähigkeit etc. führen zu einer Versagung der gemeinsamen elterlichen Sorge.
Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht den Antrag auf gemeinsame Sorge abgewiesen, das OLG hat dann ohne persönliche Anhörung schriftlich die elterliche Sorge für das Kind beiden Elternteilen gemeinsam übertragen. Das OLG (OLG Brandenburg) hatte in den Vordergrund gestellt, dass die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge nur dann nicht erfolgen darf (negative Kindswohlprüfung), wenn keine Gegengründe festzustellen sind, anderenfalls muss die gemeinsame elterliche Sorge die Folge sein. Dies stelle eine Vermutung dar, die erst zu widerlegen sei (Regel-Ausnahme-Verhältnis). Zwar muss ein Gericht auch Erkenntnisquellen außerhalb des Sachvortrages der Beteiligten berücksichtigen, eigene Ermittlungen, die für ein gemeinsames Sorgerecht sprechen, müssen nicht angestellt werden. Das OLG führt aus: „Es sei nicht zu erwarten, dass durch die Ablehnung der gemeinsamen Sorge die derzeit offensichtlich unzulängliche, dringend verbesserungswürdige Kommunikation zwischen den Eltern gefördert und der Elternstreit beendet würde. Das Kind fühle sich nicht durch Entscheidungen der Eltern belastet, sondern durch den Umstand, dass beide nicht miteinander reden.“ Das sei in der Summe kein Grund, die gemeinsame elterliche Sorge zu versagen.
Diese Entscheidung hat der BGH aufgehoben und macht in seinen Entscheidungsgründen deutlich, dass zwar ein gemeinsames Sorgerecht gangbar ist, wenn sich nicht feststellen lässt, ob die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindswohl besser entspricht als die Alleinsorge der Mutter Die gemeinsame Sorge kann nur abgelehnt werden, wenn diese dem Kindswohl widerspricht also mit ihm unvereinbar wäre. Deshalb ist das Kindeswohl von entscheidender Bedeutung. Die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist unter der gleichen Voraussetzungen abzulehnen, in denen bei ehelichen Kindern die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben ist. Es geht um das wohlverstandene Interesse des Kindes, ob die gemeinsame elterliche Sorge ausgeübt werden kann. Der Prüfungsmaßstab ist sowohl bei § 1626 a BGB (Übertragung der gemeinsamen Sorge bei nichtehelichen Kindern) als auch bei § 1671 BGB (Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge) der gleiche. Ein Elternkonflikt führt noch nicht zur Ablehnung der elterlichen Sorge, auch die Verweigerungshaltung eines Elternteils ist kein entscheidender Gesichtspunkt. Dass Eltern in Einzelfragen unterschiedlicher Meinung sein können ist „normal“. Allerdings setzt die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus. Die nachhaltige Störung der Kommunikationsebene lässt eine erhebliche Belastung des Kindes voraussehen, insbesondere wenn diese das Sorgerecht gemeinsam ausüben sollen. So geht das OLG Brandenburg (FamRZ 2016, Seite 240 ff.) von einer Gefahr für das Kind erst aus, wenn eine vollständige Kommunikationsverweigerung vorliegt. Nach Auffassung des BGH liegt eine auf das Kindswohl wirkende Problematik bereits vor, wenn die Eltern zwar miteinander in Kontakt treten, aber regelmäßig nicht in der Lage sind, sachliche Lösungen zu finden. Eine Belastung des Kindes muss noch nicht tatsächlich vorliegen, es reicht eine begründete Befürchtung, dass der Elternkonflikt auf das Kind „abfärbt“. Im Weiteren zitiert der BGH umfangreich Rechtsprechung und stellt unterschiedliche Rechtsauffassungen der Oberlandesgerichte gegeneinander, um dann zum Ergebnis zu gelangen, dass nur dann, wenn sich nach erschöpfender Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht, die gemeinsame Sorge auch zugesprochen werden darf.
Da das OLG ohne ausreichende Sachaufklärung entschieden hat, war die Sache zurückzuverweisen. Das Kind wird zwingend anzuhören sein, auch wenn es noch keine 14 Jahre alt ist, aber zur Sachaufklärung beitragen kann. Nur bei sehr jungen Kinder – unter 3 Jahre – wird man davon absehen können.
Die Entscheidung führt wohl dazu, dass derjenige, der das gemeinsame elterliche Sorgerecht ablehnt, letztendlich gegen das Wohl des Kindes alles unternehmen wird, um ein vollständig zerrüttetes Elternverhältnis aufzubauen. Nach Auffassung des Verfassers ein völlig falsches Signal. Kann nicht vielleicht doch durch eine Begründung eines gemeinsamen Sorgerechts die Blockadehaltung und die Konflikthaltung sogar abgebaut werden, da es die „Bastion“ alleiniges Sorgerecht nicht mehr gibt? Sollte nicht das gemeinsame Sorgerecht zunächst versucht werden und wenn es nicht klappt, erst dann gerichtliche Maßnahmen treffen und nicht schon vorher die Hürde bei der Zulassung zur gemeinsamen elterlichen Sorge aufbauen? Die Entscheidung des BGH jedenfalls stellt eine restriktive Auslegung der Zulassung zum gemeinsamen elterlichen Sorgerecht bei nichtehelichen Kindern dar.