BGH Rechtsprechung

  1. Sonstige Familiensachen

 

BGH, Beschluss vom 12.07.2017 – Az. XII ZB 40/17 – § 266 FamFG

FamRZ 2017, Seite 1599

 

  1. Bei der Prüfung, ob eine sonstige Familiensache i. S. d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorliegt, ist das Tatbestandsmerkmal „im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung“ weit auszulegen.
  2. Streitigkeiten aus Mietverträgen über Wohnraum zwischen Schwiegereltern und ihrem Schwiegerkind anlässlich der Trennung ihres Kindes von dem Schwiegerkind können als sonstige Familiensachen i. S. d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zu qualifizieren sein.

 

 

BGH, Beschluss vom 29.06.2017 – Az. IX ZB 98/16 – § 266 FamFG

NZFam 2017, Seite 842/FamRZ 2017, Seite 1602

 

  1. Bei der Prüfung, ob Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung oder Aufhebung der Ehe stehen, sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Verbindungen, sondern auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen.
  2. Es gibt keine feste zeitliche Grenze, ab der ein solcher Zusammenhang nicht mehr besteht.
  3. (Weitere Leitsätze zum Recht der Teilungsversteigerung)

 

Die beiden genannten BGH-Entscheidungen betreffen die Frage, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine sogenannte „sonstige Familiensache“ i. S. d. § 266 FamFG vorliegt. Zu beachten gilt, dass bei der ersten Entscheidung der XII. Familiensenat entschieden hat (der sogenannte „Familiensenat“), bei der zweiten Entscheidung hingegen der IX. Zivilsenat, da hier vornehmlich komplizierte Fragen des Teilungsversteigerungsrechts zu klären waren, jedoch als Vorfrage auch die Behandlung als Familienstreitsache geklärt werden musste.

 

Die Familiengerichte sind als „großes Familiengericht“ nicht nur für die eigentlichen Familiensachen, wie Ehescheidung, Kindschaftssachen, Unterhaltssachen etc. zuständig, sondern eben auch für Angelegenheiten, die zumindest vor Einführung des FamFG zum Großteil den allgemeinen Zivilgerichten zugewiesen waren. Zu den sonstigen Familiensachen zählen nach dem Gesetz folgende Ansprüche:

 

  • Ansprüche von Verlobten im Zusammenhang mit der Beendigung des Verlöbnisses
  • Ansprüche, die aus der Ehe herrühren: Dazu zählen z. B. die Mitwirkung bei einer gemeinsamen Steuerveranlagung, Mitwirkungshandlungen gegenüber Versicherungen, Unterlassungsansprüche wegen Störung des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe oder auch Schadensersatzansprüche gegenüber dem Ehegatten
  • Ansprüche miteinander verheirateter oder ehemals verheirateter Personen oder zwischen einer solchen und mit einem im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung oder Aufhebung der Ehe: Das ist der häufigste Anwendungsbereich, hierzu zählen insbesondere Ansprüche im Rahmen von Zuwendungen (Rückforderung), Ehegatteninnengesellschaft, Miteigentumsgemeinschaften, Steuerrückerstattungen, Gesamtschuldnerausgleich oder auch Rückforderungsansprüche durch die Schwiegereltern gegenüber dem Schwiegerkind. Diese Vorschrift ist nur anwendbar, sofern ein Zusammenhang mit der Trennung oder Scheidung oder Aufhebung der Ehe besteht. Nach der Begründung des Regierungsentwurfes soll der Begriff des Zusammenhangs sowohl eine inhaltliche als auch eine zeitliche Komponente haben. Es bleibt aber unklar, wann ein längerer Zeitraum verstrichen ist.
  • Ansprüche aus dem Eltern-Kind-Verhältnisses: Streitigkeit wegen Verwaltung des Kindesvermögens u. a.
  • Ansprüche aus dem Umgangsrecht: Schadensersatzansprüche wegen Vereitelung des Umgangsrechts u. a.

 

Die hier zitierten Entscheidungen des BGH befassen sich mit dem dritten Fall (§ 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG), sowohl zur Frage des inhaltlichen Zusammenhangs (Fall 1) als auch zur Frage des zeitlichen Zusammenhangs (Fall 2).

 

Fall 1:

 

In der zuerst zitierten Entscheidung des XII. Zivilsenats geht es um den inhaltlichen Zusammenhang. Hier hat der BGH darauf hingewiesen, dass die Frage des Zusammenhangs mit Trennung und Scheidung weit auszulegen ist (so schon FamRZ 2013, Seite 281), der XII. Zivilsenat bezieht sich jedoch hier ausschließlich auf den inhaltlichen Zusammenhang. Zum zeitlichen Zusammenhang hat sich der BGH in dieser Entscheidung nicht geäußert (musste er auch nicht), hierzu dann der IX. Zivilsenat in Fall 2.

 

Bei einem gewerblichen Mietverhältnis zwischen Ehegatten hatte der BGH bereits im Jahr 2013 einen inhaltlichen Zusammenhang zu Trennung/Scheidung bejaht (FamRZ 2013, Seite 281). Im hiesigen Beschluss hat der BGH dies auch erweitert auf ein Mietverhältnis zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkind. Diese Entscheidungen rechtfertigen jedoch nicht die Annahme, dass alle Streitigkeiten zwischen getrennt lebenden bzw. geschiedenen Ehegatten oder zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkind aus Mietverhältnissen als sonstige Familiensachen den Familiengerichten zugewiesen sind. Voraussetzung ist, dass die Trennung oder Scheidung jedenfalls in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ursächlich sein muss. Maßgeblich ist insoweit z. B. der trennungsbedingte Auszug, die finanziellen Auswirkungen des Mietverhältnisses bei der Regelung des Unterhalts u. a. Wenn ausschließlich mietrechtliche Probleme zu klären sind, die ebenso bei „normalen“ Vermietern und Mietern auftreten können und ausschließlich mit der Trennung/Scheidung zeitlich zusammentreffen – aber eben nicht inhaltlich – sind die Familiengerichte nicht zuständig (Rechtsmäßigkeit einer Nebenkostenabrechnung etc.). In dieser Entscheidung hat der BGH offen gelassen, ob und wenn ja, welcher zeitlicher Zusammenhang zwischen Trennung/Scheidung und dem geltend gemachten Anspruch von Bedeutung ist. Hierzu hat sich dann der BGH (IX. Zivilsenat) positioniert, der keine feste zeitliche Grenze sieht (siehe Fall 2).

 

 

Fall 2:

 

Aus familienrechtlicher Sicht ist bedeutsam, dass im Fall 2 mit dem IX. Zivilsenat des BGH nicht der „Familiensenat“ (XII. Senat) zu § 266 FamFG eine Entscheidung getroffen hat, sondern darüber hinaus dieser IX. Zivilsenat erstmals zum zeitlichen Zusammenhang entschieden hat, dass kein zeitlicher Zusammenhang bei § 266 FamFG erforderlich sei, dies entgegen der herrschenden Ansicht (herrschende Ansicht: KG Berlin, FamRZ 2013, Seite 68, OLG Zweibrücken, FamRZ 2012, Seite 1410, sowie verschiedenste Kommentare, Literaturmeinungen und die Begründung des Regierungsentwurfes). Nachdem jedoch auch der XII. Zivilsenat die Frage des zeitlichen Zusammenhangs noch nicht zu beleuchten hatte und auch bislang ausdrücklich offen gelassen hat (so auch in der oben zitierten Entscheidung des BGH vom 12.07.2017), hat der IX. Senat auch nicht den sogenannten „Großen Senat für Zivilsachen“ angerufen, da es keine „divergierenden“ BGH-Entscheidungen gibt. Sollte der XII. Senat in einer zukünftigen Entscheidung eine andere Rechtsauffassung vertreten (zeitlicher Zusammenhang notwendig), müsste er dann diesen Großen Senat bemühen.

 

Der IX. Zivilsenat begründet seine Entscheidung damit, dass die zeitliche Komponente im Gegensatz zur inhaltlichen Komponente im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden hat. Nach Auffassung des BGH ist das Kriterium „zeitlich“ nicht greifbar und bestimmbar. Deshalb geht der IX. Zivilsenat in seiner Entscheidung davon aus, dass die schon mehr als 12 Jahre zurückliegende Scheidung und der jetzige Streit im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung/Teilungsversteigerung, nicht dazu führen kann, dass diese Streitigkeit nicht auch weiterhin der Familiengerichtsbarkeit unterliegt. Es ging im vorliegenden Fall um die frühere Ehewohnung und die weiterhin nicht endgültig erfolgte wirtschaftliche Entflechtung der Eheleute. Anderenfalls wäre die Zuständigkeit der Familiengerichte hochgradig unsicher und es käme noch zu weitaus mehr Streitigkeiten über die Zuständigkeit der Familiengerichte. Deshalb geht der IX. Zivilsenat davon aus, dass es gerade keine feste zeitliche Grenze gibt, ab der die Zuständigkeit der Familiengerichte ausgeschlossen wäre. Nur nebenbei vermerkt der IX. Zivilsenat, dass die Ausführungen der Vorgerichte zum inhaltlichen Zusammenhang gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zutreffen, wonach eben der Streit um die Rechtmäßigkeit eines Teilungsversteigerungsantrags bei vormaligen Eheleuten zu den sonstigen Familiensachen zählt und somit in die Zuständigkeit der Familiengerichte fällt. Weil es in diesem Verfahren vornehmlich um die Frage des Zwangsvollstreckungsrechts ging (Teilungsversteigerungsantrag und hiergegen gerichteter Drittwiderspruchsantrag gemäß § 771 ZPO) war für die Entscheidung und auch für die Prüfung der Vorfrage der IX. Zivilsenat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BGH zuständig. Der IX. Zivilsenat hat als erstes die Frage des zeitlichen Zusammenhangs dahingehend entschieden, dass die zeitliche Komponente nicht von Bedeutung ist, sondern letztendlich der inhaltliche Zusammenhang (Auseinandersetzung auch 12 Jahre nach Ehescheidung ist eine „sonstige Familiensache“).

 

 

Für den inhaltlichen Zusammenhang zur Trennung/Scheidung für die Zuordnung zu den Familiengerichten bestätigt der BGH in Fall 1 seine weite Auslegung, für den zeitlichen Zusammenhang entscheidet der BGH erstmals, dass es keine feste zeitliche Grenze gibt, ab der ein solcher Zusammenhang nicht mehr besteht. Trotzdem wird auch zukünftig im Einzelfall zu entscheiden sein, ob bei „sonstigen Familiensachen“ das Familiengericht zuständig ist oder nicht, angesichts der weiterhin anzustellenden Wertungen verbleiben für die Zuordnung Unsicherheiten, sämtliche Besonderheiten des Einzelfalles sind zu beachten (so auch Burger, FamRZ 2017, Seite 1608).

 

 

 

  1. Vater oder Mutter?

 

BGH, Beschluss vom 06.09.2017 – Az. XII ZB 660/14 – §§ 1591, 1592 BGB

www.bundesgerichtshof.de

 

 

  1. Ein Frau-zu-Mann-Transsexueller, der nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit ein Kind geboren hat, ist im Rechtssinne Mutter des Kindes.
  2. Er ist sowohl im Geburtenregister des Kindes als auch in den aus dem Geburtenregister erstellten Geburtsurkunde – sofern dort Angaben zu den Eltern aufzunehmen sind – als „Mutter“ mit seinen früher geführten weiblichen Vornamen einzutragen.

 

Sowohl die moderne Fortpflanzungsmedizin als auch andere medizinische Eingriffe führen zu Schwierigkeiten bei der Einordnung, wer die Eltern eines Kindes sind, wer Mutter, wer Vater ist. Nach § 1591 BGB ist die Frau, die ein Kind geboren hat, Mutter. Der Vater eines Kindes ist ausschließlich rechtlich „festzustellen“. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde.

 

Da im vorliegenden Fall der Elternteil zwischenzeitlich „männlich“ ist, stellte sich die Frage, ob diese Person dann der Vater ist oder die Mutter. Dies hat der BGH in die Richtung entschieden, dass es dabei verbleibt, dass diese Person die Mutter ist, da sie das Kind geboren hat, unabhängig davon, ob diese Geburt vor oder nach Rechtskraft über die Entscheidung der Geschlechtszugehörigkeit gewesen ist.

 

Im vorliegenden Fall war die Person rechtskräftig „Mann“ obwohl sie körperlich wohl noch „Frau“ war, sonst hätte sie kein Kind gebären können. Dass dies ein wenig „abstrus“ ist, liegt auf der Hand. Es wird auch nicht allzu viele Fälle geben, trotzdem soll diese Entscheidung auch darauf hinweisen, welch juristische Probleme unsere „heutige Zeit“ aufwirft, denn letztlich haben solche Fragen auf faktische Auswirkungen auf Erbrecht, Unterhaltsrecht etc.

 

In die gleiche Richtung geht letztendlich auch der Schnellschuss der „Ehe für Alle“, welche letztendlich dazu führt, dass gleichgeschlechtliche Eheleute Kinder adoptieren können. Wer soll hier Vater, wer Mutter sein. Die Standesämter können derzeit eine solche Problematik der „Ehe für Alle“ noch gar nicht bewältigen, da die Softwareprogramme hierzu noch nicht umgestellt sind. Es bleibt jedoch die Frage, wer ist Vater, wer ist Mutter. Die oben zitierten §§ 1591, 1592 BGB sind im Gegensatz zur Abänderung des § 1353 BGB („Was ist eine Ehe“) nicht geändert worden. Im Verfahren des AG Berlin, Az. 166A F 8790/16, welches bereits im Jahr 2016 eingeleitet wurde, hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg am 04.10.2017 Deutschlands erste Kindesadoption durch gleichgeschlechtliches Paar (männlich) per Beschluss ausgesprochen. Dies war möglich, weil seit 01.10.2017 auch gleichgeschlechtliche Personen eine Ehe begründen können und dann gemeinsam ein Kind adoptieren können (die Beteiligten waren schon vor dem 01.10.2017 eingetragene Lebenspartner, haben sofort nach dem 01.10.2017 die Umwandlung zur Ehe durchgeführt und konnten somit gemeinschaftlich ein Kind adoptieren). Auch hier stellt sich natürlich die Frage, wer ist Vater, wer ist Mutter? Für verschiedenste rechtliche Konstellationen, die hier nicht näher dargelegt werden sollen, kann diese Unterscheidung von Bedeutung sein (nach dem Wortlaut der Gesetze), es ist davon auszugehen, dass diese dann unter Berücksichtigung des neuen § 1353 BGB angewandt werden.

 

Durch Adoption (auch bei gleichgeschlechtlichen Ehen) kann ein Kind mehrere Väter erhalten. Denkbar ist sowohl die zeitlich gestaffelte Mehrvaterschaft, beispielsweise infolge einer Stiefkindadoption durch den neuen Ehemann der Mutter, als auch die gleichzeitige Mehrvaterschaft, beispielsweise infolge einer Adoption eines Kindes durch einen Co-Vater oder infolge einer Erwachsenenadoption. Zwei männliche Eheleute, die ein Kind adoptieren, sind dann wohl ebenso rechtlich zwei Väter. Wollen zwei Männer gemeinsam Väter eines Kindes werden, steht ihnen neben der Adoption bei Eingehung der Ehe oder bei Alleinadoption eines fremden Kindes die Möglichkeit offen – wenn auch nicht nach deutschem Recht, aber nach teilweise ausländischem Recht – die Dienste einer Leihmutter in Anspruch zu nehmen. Die Anerkennung solcher „Leihmütterkinder“ im Rahmen einer gemeinsamen Elternschaft wird wohl anzuerkennen sein (Löhnig, NZFam 2017, Seite 546). Ist hingegen nur einer der beiden Männer rechtlicher Vater des Kindes, so kann die rechtliche Elternstellung des Ehepartners nur im Wege der Stiefkindadoption begründet werden.

 

Wer soll sich da noch auskennen? Sowohl aus medizinischer Sicht werden immer wieder neue Wege gefunden, Abkömmlinge „zu schaffen“, dann hinken zumeist die Juristen mit der rechtlichen Bewältigung und Einordnung hinterher, zumal in den verschiedensten Ländern – egal, ob EU oder nicht – unterschiedlichste Gesetze gelten, welche medizinischen Möglichkeiten erlaubt sind, welche nicht und wie dann in den einzelnen Ländern damit umzugehen ist. So haben nach der derzeitigen Rechtslage homosexuelle Ehepaare gegenüber heterosexuellen Ehepaaren eine weitgehende Wahlmöglichkeit, welches Recht auf ihre Ehe anwendbar sein soll. Entscheidend ist bei homosexuellen Ehen nämlich stets das Recht des Staates, in dem sie geschlossen werden. Bei heterosexuellen Ehen muss für die Anwendbarkeit des Rechts eines bestimmten Staates ein hinreichender Bezug zu diesem Staat bestehen, etwa die Staatsangehörigkeit eines Ehepartners oder der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Also doch nicht „Gleiches Recht für Alle“?

 

Diese Urteilsbesprechung soll dem Leser vor Augen führen, wie vielschichtig in unserer Gesellschaft die juristische Einordnung von „Kindern“ oder „Eltern“ ist. Die Liste der „Problemfelder“ könnte fortgesetzt werden, wie die rechtliche Einordnung der Zustimmung des leiblichen Vaters zur Kindesadoption, das Recht des Kindes auf Kenntnis des leiblichen Vaters (Stichwort: Samenspende – Auskunft der Reproduktionsklinik), die gesamte Problematik des Scheinvaterregresses gegen denjenigen, der tatsächlich (welcher?) Vater ist, das Auskunftsrecht/Umgangsrecht des biologischen Vaters, Leimutterschaft, Ersatzmutterschaft, um nur einige Problemstellungen in diesem Themenbereich anzusprechen. Durch die internationale Vielfalt wird die Bewältigung dieser rechtlichen und tatsächlichen Problemkreise nicht einfacher.

 

Das ganze stellt keine juristische „Spinnerei“ dar, sondern hat neben den emotionalen Themen auch finanzielle Auswirkungen, inwieweit „Verwandtschaftsverhältnisse“ entstehen oder begründet werden, die – wie schon oben erwähnt – auf unterhaltsrechtliche oder erbrechtliche Fragen sich auswirken.

 

 

 

III. Wechselmodell (OLG)

 

OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.08.2017 – Az. 18 UF 104/17 – § 1684 BGB

NZFam 2017, Seite 965

 

 

  1. Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, kann m Einzelfall auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden.
  2. Bestehen unstreitig gute Bindungen der Kinder zu beiden Elternteilen und hat der umgangsberechtigte Elternteil bereits bisher einen wesentlichen Teil der Betreuungsleistung übernommen (vorliegend: rund 40 %), so kann die Kindeswohldienlichkeit des Wechselmodells auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachten beurteilt werden.

 

Diese Entscheidung des OLG Stuttgart setzt die Entscheidung des BGH, FamRZ 2017, Seite 532, um. Im vorliegenden Fall besteht für die Zwillinge der beteiligten Eltern die gemeinsame elterliche Sorge. Der Vater ist Selbständiger, die Mutter arbeitet Teilzeit (75 %). Der Lebensmittelpunkt ist bislang bei der Mutter, die Eltern praktizieren jedoch ein sehr ausgedehntes Umgangsrecht. Der Vater begehrt gegen den Willen der Mutter ein paritätisches Wechselmodell.

 

Sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht Stuttgart begründen die Festlegung des Wechselmodells auch gegen den Willen der Mutter damit, dass das Wechselmodell dem Kindeswohl am besten entspricht. Die Gerichte stellen heraus, dass beide Kinder zu ihren beiden Elternteilen eine enge und tragfähige emotionale Bindung haben, beide Eltern uneingeschränkt erziehungs- und betreuungsfähig sind. Es bestünden nur geringe Unterschiede in den Erziehungsmethoden der Eltern und die beiden Wohnorte liegen nahe beieinander. Zudem führt das Wechselmodell nur zu einer geringen Ausdehnung/Veränderung der bisherigen Betreuungszeiten, die Kinder habe ein Wechselmodell gewünscht. Zudem weist das OLG Stuttgart darauf hin, dass die unerlässliche Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern sich bereits aus dem praktizierten umfangreichen Umgangsrecht des Vaters ergibt, welches auch insgesamt weitgehend störungsfrei verlief.

 

Nach Auffassung des OLG Stuttgart bringt dar paritätische Wechselmodell sogar noch mehr Klarheit für die Kinder, wann sie bei welchem Elternteil sind, was auch dem Kindeswohl am besten entspricht.

 

Mit dieser Entscheidung hat das Oberlandesgericht und das Amtsgericht die oben zitierte BGH-Rechtsprechung umgesetzt. Die höchstrichterlichen Vorgaben des BGH versuchen die Familiengerichte zwar umzusetzen, tun sich jedoch damit schwer. Der vorliegende Fall zeigt aber auch, dass schon viele Komponenten zusammenspielen müssen, damit die Gerichte gegen den Willen eines Elternteils und ohne Sachverständigengutachten in diese Richtung entscheiden (bislang störungsfrei gelebter sehr umfangreicher Umgang/Bindung der Kinder an beide Elternteile/Wohnortnähe/Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit etc.). Solche Parameter sind natürlich in den wenigsten Fällen vorhanden, wenn Rechtsstreitigkeiten zum Umgang geführt werden, besteht gerade häufig kein vorher „gelebter Konsens“ der Eltern. Es ist zwar zu hoffen, dass die Familiengerichte das Wechselmodell schnell und häufiger in die möglichen Umgangsvarianten nach § 1684 BGB „aufnehmen“ und entscheiden, wenn dies dem Kindeswohl (am besten) entspricht. Die Praxis zeigt jedoch, dass gegenüber dem Wechselmodell sowohl und insbesondere in den Jugendämtern noch große Vorbehalte bestehen, „alte Zöpfe“ nicht beseitigt sind und insbesondere althergebrachte Betreuungsmuster favorisiert werden, mit dem immer wiederkehrenden Argument: das Kind bräuchte Stabilität, was nur durch ein Residenzmodell gewährleistet sei.

 

Da ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig. Nach Auffassung des Verfassers ist ein großes Hemmnis für das Wechselmodell die unterhaltsrechtliche Situation, wonach bei einem nicht ganz eindeutigen Wechselmodell (unter 50 : 50) die alleinige Unterhaltspflicht desjenigen greift, der die geringeren Betreuungszeiten hat (zumeist der Vater) und für den anderen Elternteil keine Barunterhaltspflicht besteht (meist die Mutter). Aufgrund dieser Situation wird häufig aus monetären Gesichtspunkten ein Wechselmodell verweigert – und nicht aus Gründen des Kindeswohls. Hier müsste im Unterhaltsrecht zumindest in all den Fällen, in denen die Betreuung des Kindes auch vom nichtbetreuenden Elternteil in großem Maße gelebt wird – jedoch nicht ganz 50 : 50 – eine quotale Berechnung des Kindesunterhaltes erfolgen. Wenn in den Fällen der erheblichen Mitbetreuung des einen Elternteils der andere Elternteil auch schon am Barunterhalt beteiligt würde, wäre der Schritt zum Wechselmodell nicht mehr weit. Die Praxis zeigt, dass bedauerlicherweise häufig monetäre Gesichtspunkte zur Verweigerung des Wechselmodells führen. Auch wird – gegen das Kindeswohl (!!) – absichtlich und bewusst eine fehlende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit an den Tag gelegt, um auch dadurch paritätische Betreuungsmodelle zu verhindern. Natürlich sind nicht nur monetäre Gesichtspunkte der Grund für die Verweigerung eines Wechselmodells, häufig aber auch aus der Sicht des Kindeswohles fehlgeleitete „Animositäten“ der Eltern untereinander (Problem der Elternebene), was jedoch nicht auf die Beziehung beider Elternteile zu ihrem Kind auswirken sollte/darf. Die Praxis und natürlich die menschliche Natur zeigt anderes. Es wird daher ein weiter Weg bis zum „grundsätzlichen“ Wechselmodell bleiben.

 

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